L 6 B 64/05 R

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 12 RJ 456/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 B 64/05 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Ordnungsgeldbeschluss nach § 380 Abs. 1 ZPO ist nach § 142 Abs. 1 SGG zwingend zu begründen, weil er durch ein Rechtsmittel (Beschwerde nach § 171 Abs. 1 SGG) anfechtbar ist. Andernfalls liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor.

2. Die Entscheidung über die Nichtabhilfe muss unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter ergehen (vgl. Thüringer Landessozialgericht vom 20. April 2005 - Az.: L 6 B 3/04 RJ, 23. Oktober 2003 - Az.: L 2 B 36/03 KN, 13. Juli 1998 - AZ.: L 1 B 22/98 U).
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Juni 2005 aufgehoben und das Verfahren an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 150,00 Euro im Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Juni 2005.

Im Hauptsacheverfahren war streitig, ob der Klägerin eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren ist.

Der Kammervorsitzende hat den Beschwerdeführer (Geschäftsführer der letzten Arbeitgeberin der Klägerin) mit Verfügung vom 25. Februar 2005 (insoweit unrichtig: 8. März 2005) zur Zeugenvernehmung in der öffentlichen Kammersitzung am 29. Juni 2005 geladen. Dieser hat mit Schreiben vom 9. März 2005 mitgeteilt, dass er bei Anwesenheit im Sitzungstermin keine über seine dem Gericht bereits schriftlich vorliegenden Unterlagen hinausgehende Angaben machen könne. Er bitte daher um Überprüfung der Ladung. Ausweislich seiner Verfügung vom 14. März 2005 hat der Kammervorsitzende an der Ladung festgehalten; dies sei dem Zeugen mitzuteilen.

In der öffentlichen Kammersitzung vom 29. Juni 2005 hat der Kammervorsitzende nach der Niederschrift festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit Postzustellungsurkunde "vom 9.03.2005" geladen worden und unentschuldigt nicht erschienen sei. Die Kammer hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. April 2001 zu gewähren. Nach Verkündung des Urteils und Mitteilung der wesentlichen Gründe durch den Kammervorsitzenden hat die Kammer mit Beschluss vom gleichen Datum ein Ordnungsgeld von 150,00 EUR und ersatzweise drei Tage Ordnungshaft für den Fall der Nichtbeitreibung gegen den Beschwerdeführer verhängt und ihm die Kosten seines Ausbleibens auferlegt. Begründet ist der Beschluss nicht.

Der Beschwerdeführer trägt vor, er habe auf seine schriftliche Anfrage vom 9. März 2005 keine Antwort seitens des Sozialgerichts erhalten und deshalb angenommen, dass sich sein persönliches Erscheinen erübrigt habe.

Der Beschwerdeführer beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Juni 2005 aufzuheben.

Nach Eingang der Beschwerde hat der Kammervorsitzende unter dem 7. September 2005 (insoweit unrichtig: 8. September 2005) u.a. verfügt, der Beschwerdeführer habe nach Erhalt der Verfügung vom 14. März 2005 pflichtwidrig nicht nochmals nachgefragt, ob sein Erscheinen zum 29. Juni 2005 erforderlich gewesen sei. Nachdem der Beschwerdeführer mitgeteilt hat, dass er die Beschwerde aufrechterhalte, hat der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 5. Oktober 2005 ohne ehrenamtliche Richter festgestellt, der Beschwerde werde nicht abgeholfen und die Akten dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Prozessakte des Sozialgerichts Meiningen (Az.: S 12 RJ 456/02) Bezug genommen.

II.

Die zulässige und gemäß § 380 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Beschwerde ist begründet.

Der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 29. Juni 2005 und der Nichtabhilfebeschluss vom 6. Oktober 2005 leiden an wesentlichen Verfahrensfehlern, so dass der Senat die Sache nach eigenem Ermessen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2005 – Az.: L 6 B 3/04 RJ m.w.N.) in entsprechender Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG,. § 572 Abs. 3 ZPO an das Sozialgericht zurückverweist (vgl. LSG Rheinland-Pfalz vom 9. April 1991 – Az.: L 4 Sb 25/91 in Breithaupt 1991, 879, 880, Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 176 Rdnr. 4).

Nach § 118 Abs. 1 Satz. 1 SGG werden in entsprechender Anwendung des § 380 Abs. 1 ZPO einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, ohne dass es eines Antrags bedarf, mit Beschluss die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt (Satz 1); zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt (Satz 2). Beides kann unterbleiben, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei nicht rechtzeitiger Entschuldigung unterbleiben die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung des Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Erfolgt die genügende Entschuldigung oder Glaubhaftmachung nachträglich, so werden gemäß § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO die getroffenen Anordnungen unter den Voraussetzungen des § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO aufgehoben.

Ein Ordnungsgeldbeschluss nach § 380 Abs. 1 ZPO ist gemäß § 142 Abs. 2 Alt. 1 SGG zwingend zu begründen, weil er durch ein Rechtsmittel (Beschwerde nach § 171 Abs. 1 SGG) anfechtbar ist (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 142 Rdnr. 5 und § 172 Rdnr. 3). Da dies hier nicht der Fall ist, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 142 Rdnr. 5d).

Es ist weder anhand des Beschlusses noch anhand des Nichtabhilfebeschlusses erkennbar, aufgrund welcher Tatsachen bzw. Kriterien das Sozialgericht eine genügende Entschuldigung des Beschwerdeführers im Sinne von § 381 Abs. 1 ZPO geprüft und verneint hat. Insbesondere wäre zu beachten gewesen, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben die richterliche Verfügung vom 14. März 2005, dass an der Ladung festgehalten werde, nicht erhalten hat. Ob dieser angesichts seiner Anfrage vom 9. März 2005 und unbeachtlich der möglicherweise ihm nicht zur Kenntnis gekommenen Verfügung vom 14. März 2005 zur Rückfrage beim Sozialgericht verpflichtet gewesen wäre (so die richterliche Verfügung vom 7. September 2005), wird nicht erörtert. Ebenso ist nicht erkennbar, ob und inwieweit sich der Umstand auf die Feststellung einer genügenden Entschuldigung auswirkt, dass sich die Kammer in der Lage gesehen hat, trotz Ausbleibens des Beschwerdeführers in der Sache durch Urteil zu entscheiden.

Ein zusätzlicher Verfahrensfehler liegt darin, dass die Entscheidung über die Nichtabhilfe ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter allein durch den Kammervorsitzenden erfolgt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2005, a.a.O.; Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 – Az.: L 2 B 36/03 KN und vom 13. Juli 1998 – Az.: L 1 B 22/98 U).

Aus diesen Gründen sieht der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens von einer eigenen Sachentscheidung ab und verweist die Sache an das Sozialgericht zurück.

Das Sozialgericht hat in analoger Anwendung des § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) über die Kosten (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2005, a.a.O.) des gesamten Verfahrens zu entscheiden.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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