L 3 U 39/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 23/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 39/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2004 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Wiedergewährung einer Verletztenrente an den Kläger.

Der Kläger - geboren 1942 - erlitt am 17. Juni 1971 einen Arbeitsunfall, als er im Hof des Kaufhauses H in S über einen Eisenträger stolperte und auf den rechten Ellenbogen stürzte. Laut Durchgangsarztbericht von Dr. med. U vom 12. Juli 1971 erlitt er einen Knochenbruch am rechten Ellenhaken, der am 2. Juli 1971 operativ mit zwei Kirschnerdrähten und einer zusätzlichen Drahtnaht versorgt wurde.

Mit Bescheid vom 27. September 1971 gewährte die Beklagte dem Kläger nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 2. August 1971 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vom Hundert (vH) aufgrund des Ersten Rentengutachtens von Dr. med. U vom 3. September 1971. In einem Rentengutachten zur Rentennachprüfung vom 29. März 1972 stellte Dr. U gegenüber den Befunden des Vorgutachtens keine wesentliche Besserung fest. Eine leichte Verschlimmerung sei insofern eingetreten, als jetzt in der Umgebung der Operationsnarbe ein Hautdefekt und eine Blasenbildung bestehe. Hierbei handele es sich nicht um eine wesentliche Verschlimmerung, da diese Hauterscheinungen nach Entfernung des Synthesematerials wahrscheinlich in kurzer Zeit abgeheilt sein würden. Der aus der Haut hervorragende Kirschnerdraht wurde im Anschluss an die Untersuchung entfernt. Der zweite Kirschnerdraht und die Drahtschlinge müssten - so Dr. U - möglichst bald operativ entfernt werden, da sie dicht unter der Haut lägen und den Hautdefekt und die Hautblase verursachten und unterhielten.

In einer von der Beklagten veranlassten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W vom 28. September 1972 führte dieser zu der Frage der Zumutbarkeit des operativen Eingriffes aus, dass er die Entfernung des noch vorhandenen zweiten Kirschnerdrahtes und der Drahtschlinge am rechten Ellenbogen zweifellos für zumutbar halte und bei Nichtentfernung des Materials die Wahrscheinlichkeit einer Verschlimmerung der Unfallfolgen bestehe. In einem Nachschaubericht vom 21. November 1972 führte Dr. med. U aus, dass die im Vorgutachten beschriebenen Hautveränderungen über dem rechten Ellenhaken in Form eines Hautdefektes und einer Blasenbildung abgeheilt seien und keine entzündlichen Erscheinungen der Haut und der darunterliegenden Weichteile bestünden. Das Röntgenbild zeige keine entzündlichen Knochenveränderungen bei reizloser Lage des Fremdkörpermaterials. Es bestünden deshalb keine Bedenken, die vorgesehene Entfernung des Osteosynthesematerials auf Anfang 1973 zu verschieben.

Da sich der Kläger trotz zweimaliger Aufforderung durch die Beklagte nicht zur stationären Einweisung eingefunden hatte, erstattete Dr. med. U zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente ein Gutachten nach Aktenlage vom 9. April 1973. Er schätzte unter Berücksichtigung der in den Vorgutachten erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunde die MdE auf 10 vH ein. Die in den Vorgutachten festgestellte Muskelschwäche des rechten Armes und geringfügige Einschränkung der Drehfähigkeit des rechten Unterarmes bestünden mit Wahrscheinlichkeit nicht mehr, da die Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes nicht mehr wesentlich behindert sei. Ein Bruch des Ellenhakens habe im Gegensatz zu einem Bruch des Speichenköpfchens erfahrungsgemäß keine bleibende Einschränkung der Drehfähigkeit des Unterarms zur Folge. Eine operative Entfernung des dicht unter der Haut gelegenen Osteosynthesematerials sei dringend erforderlich, um eine erneute Hautschädigung zu vermeiden.

Mit Bescheid vom 26. April 1973 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Dauerrente anstelle der vorläufigen Rente ab und entzog diese mit Ablauf des Monats Mai 1973, da die ärztliche Begutachtung ergeben habe, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die festgestellten Unfallfolgen: "Verdickung des rechten Ellenbogengelenkes mit reizloser Operationsnarbenbildung an dessen Streckseite, leichte Beuge- und Streckbehinderung im rechten Ellenbogengelenk, im Röntgenbild sichtbare Veränderungen im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes nach operativ behandeltem knöchern verheilten Bruch des Ellenhakens" nicht mehr im rentenberechtigendem Grade gemindert sei. Zur Vermeidung erneuter Hautschädigungen durch das dicht unter der Haut gelegene Osteosynthesematerial sei dessen operative Entfernung dringend erforderlich. Mit Schreiben vom 18. Juni 1973 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass zur Vermeidung der Verschlimmerung der Unfallfolgen ärztlicherseits unbedingt die operative Entfernung des Osteosynthesematerials erforderlich sei. Der Kläger werde deshalb gebeten, sich unverzüglich mit Dr. U in Verbindung zu setzen.

Da der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, wies die Beklagte ihn mit per Einschreiben am 31. Juli 1973 abgesandtem Schriftsatz darauf hin, dass nach ärztlicher Ansicht durch die Nichtentfernung des Fremdmaterials mit Wahrscheinlichkeit eine Verschlimmerung der Unfallfolgen zu erwarten sei. Diese Verschlimmerung sei ursächlich auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen. Es werde darauf hingewiesen, dass für die mit Wahrscheinlichkeit auftretende Verschlimmerung keine Entschädigung geleistet werde, da der Kläger aus persönlichen Gründen der Anordnung einer zumutbaren Maßnahme der Heilbehandlung nicht Folge geleistet habe.

Laut Telefonvermerk vom 27. September 1973 teilte der Kläger der Beklagten seine Absicht mit, sich im nächsten Monat in der Unfallbehandlungsstelle zum Zwecke der Krankenhauseinweisung vorzustellen, da er selbst an der Entfernung des Fremdmaterials interessiert sei.

Nach 25 Jahren beantragte der Kläger mit Schreiben vom 14. Juni 1998 bei der Beklagten unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 27. September 1971 die Weitergewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH, da die Voraussetzungen für die genannte Rente unverändert erfüllt seien. Nach Reproduktion der Akte veranlasste die Beklagte ein Gutachten zur Rentennachprüfung durch Dr. med. T vom 28. Oktober 1998. Dieser stellte aufgrund der am 20. Oktober 1998 vorgenommenen Untersuchung des Klägers eine Verschlimmerung gegenüber dem Befund vom 9. April 1973 insofern fest, als eine eitrige Blasenbildung über dem Ellenhaken rechts vorliege. Der nach Aktenlage erhobene Befund vom 9. April 1973 habe auf der körperlichen Untersuchung vom 21. November 1972 beruht, bei dem eine Abheilung des sich zuvor an gleicher Stelle befindlichen Hautdefektes und der Blasenbildung beschrieben worden sei. Außer den aktuell beschriebenen Veränderungen bestünden sonst am rechten Ellenbogengelenk keine weiteren trophischen Störungen. Auch sei das Gelenk nicht druckschmerzhaft. Die Beweglichkeit sei gegenüber der Gegenseite gering herabgesetzt. Die Streckung/Beugung des Ellenbogengelenks betrage -0-10-140- rechts gegenüber -0-0-140- links. Die Messung der Oberarm- und Unterarmumfangmaße bringe eine Minderung von rechts 1 cm. Klinisch sei die Prüfung der groben Kraft des rechten Armes seitengleich zum linken Arm. Die aus den Unfallfolgen resultierende MdE schätze er auf 20 vH ein. Zur Abheilung der geschilderten Wundheilungsstörung sei die operative Entfernung des Restmaterials verbunden mit operativer Wundrevision erforderlich.

Mit Bescheid vom 27. November 1998 lehnte es die Beklagte ab, den bindend gewordenen Bescheid vom 26. April 1973 zurückzunehmen, da die Voraussetzungen des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht erfüllt seien. Nach dem Gutachten von Dr. T bestehe eine geringe Bewegungseinschränkung im Bereich des Ellenbogens rechts. Eine wesentliche Änderung gegenüber den im Bescheid vom 26. April 1973 festgestellten Unfallfolgen habe nicht festgestellt werden können. Soweit sich die Änderungen durch das nicht entfernte Fremdmaterial ergeben hätten, seien diese nicht von der Berufsgenossenschaft zu entschädigen. Nach den Erfahrungswerten der Unfallversicherungsträger habe - entgegen der Einschätzung von Dr. T - keine Funktionseinschränkung festgestellt werden können, die eine rentenberechtigende MdE bedinge.

Mit Schreiben vom 14. September 2000 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Unfallrente und die Rücknahme des Bescheides vom 26. April 1973. Er berief sich hierzu auf das Ergebnis der Begutachtung durch Dr. T vom 28. Oktober 1998.

Die Beklagte veranlasste daraufhin ein Gutachten zur Rentennachprüfung durch Privat-Dozent Dr. med. S, DRK-Kliniken W, vom 15. Januar 2001. Dieser stellte aufgrund der Untersuchung des Klägers vom 9. Januar 2001 bei der Ellenbogengelenksbeweglichkeit rechts für die Streckung/Beugung eine geringgradig eingeschränkte Streckfähigkeit des rechten Ellenbogengelenks sowie eine geringgradig eingeschränkte Beugefähigkeit gegenüber links fest. Die Unterarmdrehbeweglichkeit war für die Auswärtsdrehung geringgradig gegenüber linksseitig vermindert. Alle übrigen Gelenke einschließlich der Gebrauchsfähigkeit der Hand für die Funktionsgriffe waren frei und seitengleich. Im Bereich des Ellenhakens befand sich ein 8 x 9 cm großer Bezirk mit einem deutlichen Ekzem mit Schorfbildung und oberflächlichen Erosionen der Haut. Es fanden sich zwei kleine Fisteln, aus denen sich auf Druck Eiter entleerte. Als Unfallfolgen stellte er 1. eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks, 2. leichte Muskelminderung des rechten Oberarmes, 3. infizierter Weichteildefekt mit Knochenbeteiligung über dem rechten Ellenhaken, 4. einen knöchern in anatomischer Stellung konsolidierten Bruch des rechten Ellenhakens mit noch teilweise einliegendem Osteosynthesematerial fest. Ausgehend von der gutachterlichen Beurteilung vom 9. April 1973 sei es zu einer deutlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen gekommen, deren zeitlicher Eintritt nicht objektivierbar sei. Unter der Voraussetzung, dass die durch das nicht entfernte Osteosynthesematerial bedingten entzündlichen Veränderungen nicht zu berücksichtigen seien, bedingten die verbleibenden Unfallfolgen im Sinne der endgradig eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenkes eine MdE von unter 10 vH.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2001 lehnte es die Beklagte ab, die bindend gewordenen Bescheide vom 26. April 1973 und 27. November 1998 zurückzunehmen, da die Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht vorlägen. Nach dem Gutachten von Dr. S vom 15. Januar 2001 bestehe eine geringe Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Ellenbogens, die eine MdE von unter 10 vH bedinge. Soweit sich Änderungen durch das nicht entfernte Fremdmaterial ergeben hätten, seien diese nicht zu entschädigen, wie bereits im Verwaltungsakt vom 31. Juli 1973 ausgeführt worden sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, dass er nicht nur unter einer aufgrund des Unfalls bestehenden erheblichen Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Armes, sondern auch unter einer dauerhaften Entzündung des rechten Ellenhakens in Form von eitriger Blasenbildung leide, bei der es sich um eine direkte Unfallfolge bzw. eine direkte Folge der unfallbedingten Behandlung handele, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2001 zurück. Sie führte u.a. aus, wegen der durch das noch liegende Fremdmaterial begründeten Schädigung des rechten Ellenbogens stünden ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu. Auf die Rechtsfolgen der unterlassenen notwendigen Behandlung sei der Kläger 1973 hingewiesen worden. Rechtlich allein wesentliche Ursache für die jetzt wieder als Unfallfolgen geltend gemachten Funktionsbeeinträchtigungen sei die Weigerung, sich der notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen. Auch nach wiederholter Überprüfung erweise sich der Bescheid vom 26. April 1973 nicht als rechtswidrig.

Die hiergegen erhobene Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2001 abgewiesen. Das hiergegen gerichtete Berufungsverfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 22. August 2002 beendet.

Aufgrund dieses Vergleichs wurde der Antrag des Klägers vom 14. Juni 1998 als Antrag auf Wiedergewährung einer Verletztenrente wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen gewertet.

Die Beklagte veranlasste daraufhin erneut ein Gutachten zur Rentennachprüfung von Privat-Dozent Dr. med. S/Oberarzt L. K, DRK-Kliniken W, vom 9. Oktober 2002. Bei der gutachterlichen Untersuchung vom 8. Oktober 2002 fand sich streckseitig über dem rechten Ellenbogengelenk eine völlig reizfreie und nicht gerötete, stark verbreiterte Narbe. Das Ellenbogengelenk war im Vergleich zum linken weder verbreitert noch wesentlich deformiert. Der Faustschluss war beidseits kräftig und vollständig. Die Beugung und Streckung aus 90o gebeugtem Ellenbogengelenk heraus gegen Widerstand war rechts geringfügig abgeschwächt. Die Innen- und Außenrotation der Hände gegen Widerstand bei 90o gebeugtem Ellenbogengelenk war beidseits kräftig. Die Messdaten für die Streckung/Beugung des Ellenbogengelenkes betrugen rechts -0-10-150- gegenüber links -5-0-150-. Als Unfallfolgen stellte er fest: 1. Zustand nach Bruch des Ellenhakens mit durchgeführter Osteosynthese und verbliebenem Osteosynthesematerial, 2. leichte Kraftminderung rechter Arm, 3. leichte Minderung der Muskelmasse rechter Oberarm, 4. stark verbreiterte, kosmetisch ungünstige Narbenbildung nach jahrzehntelanger Fistelung am Ellenhaken, 5. geringgradige Bewegungseinschränkung rechtes Ellebogengelenk. Eine Verschlechterung des Befundes der Unfallfolgen mit und ohne Berücksichtigung der durch das Nichtentfernen des Fremdmaterials bedingten Befunde sei nicht eingetreten. Die früher beschriebene Fistelung, verursacht durch das nicht entfernte Fremdmaterial, sei seit sechs Monaten ausgeheilt. Die durch die unfallbedingten Gesundheitsstörungen verursachte MdE sei mit kleiner als 10 vH einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2002 lehnte die Beklagte die Wiedergewährung einer Rente ab, da die Folgen des Arbeitsunfalls keine rentenberechtigende MdE bedingten. Nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. S lägen an Unfallfolgen eine geringfügige Muskelminderung im Bereich des Oberarms, geringgradige Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk nach operativ versorgten knöchern fest verheiltem Bruch des Ellenhakens rechts vor.

Der hiergegen unter Berufung auf das Ergebnis der Vorbegutachtung durch die Dres. S und T, die eine MdE von 20 vH bestätigt hätten, erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2002 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Feststellungen der Beklagten hinsichtlich der MdE widersprächen den ärztlichen Einschätzungen der Sachverständigen Dr. T und Dr. S. Aufgrund des in dem Ellenhaken vorhandenen und nicht entfernten Osteosynthesematerials bestehe die ständige Gefahr einer Entzündung und erheblichen Bewegungseinschränkungen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Praktischen Arztes K D vom 15. Mai 2003 veranlasst, der den Kläger wegen erhöhten Blutdrucks, Herzrhythmusstörungen und Wirbelsäulensyndrom behandelt hat. Das Sozialgericht hat weiterhin ein unfallchirurgisches Sachverständigengutachten von Dr. F. M vom 18. Dezember 2003 eingeholt. Dieser hat aufgrund der Untersuchung vom 16. September 2003 keine Anzeichen einer einseitigen Muskelverschmächtigung der Arme feststellen können. Der gekreuzte Händedruck in der groben Kraft sei seitengleich, die rechte Hand zeige keine Muskelverschmälerung, die Hohlhandbeschwielung sei seitengleich, die Streckung und Beugung des rechten Ellenbogengelenkes sei leicht gemindert (Streckdefizit von 10o, Beugung von 130o gegenüber links -0-0-140o) ebenso wie die Umwendbewegungen (-80-0-90o- rechts, -90-0-90o- links). Es fanden sich keine Fistelungen, keine Blasen- oder Ekzembildungen, keine Schleimbeutelentzündungen oder Schwellungen. Hinsichtlich des Zeitraumes von Juni 1973 bis 28. Oktober 1998 hat der Sachverständige ausgeführt, mangels irgendeiner Dokumentation über eine Behandlung sei die MdE mit 10 vH einzuschätzen. Ausweislich des Gutachtens von Dr. T sei es aufgrund der Fistelung und Blasenbildung mit ekzematösen Veränderungen zu einer Verschlimmerung der Unfallfolgen für den Zeitraum von Oktober 1998 bis April 2002 gekommen, so dass für diesen Zeitraum eine MdE von 20 vH festzusetzen sei. Ab April 2002 betrage die MdE dauerhaft 10 vH.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihre Behauptung, er habe eine MdE von über 10 vH durch "Fehlverhalten" verursacht, weder schlüssig dargetan noch unter Beweis gestellt. Er sei durch die Beklagte zu keiner Zeit in verbindlicher Weise zur Entfernung des Osteosynthesematerials aufgefordert worden, so dass es diesbezüglich an einer rechtlichen Verpflichtung fehle. Durch Urteil vom 19. März 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 17. Juni 1971 in der Zeit vom 20. Oktober 1998 bis 30. April 2002 eine Verletztenteilrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien gegeben, da es zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen, die eine rentenberechtigende MdE von nunmehr 20 vH bedingten, gekommen sei. Neben den bereits im Bescheid vom 26. April 1973 beschriebenen Unfallfolgen seien Hautveränderungen mit chronisch entzündeten und eitrigen Blasenbildungen hinzugetreten. Diese, eine wesentliche Verschlimmerung darstellenden Gesundheitsstörungen seien als mittelbare Unfallfolgen aufzufassen, da sie durch das bei der am 21. Juni 1971 durchgeführten Operation eingefügte Osteosynthesematerial hervorgerufen worden seien. Der Einwand der Beklagten, wonach die Hautveränderungen deshalb keine mittelbaren Unfallfolgen seien, da die hierfür rechtlich allein wesentliche Ursache die Weigerung des Klägers sei, sich der notwendigen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, vermöge nicht zu überzeugen. Nach der auch für den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität heranzuziehenden Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung bilde der Unfall vom 17. Juni 1971 in Bezug auf die im Bereich des rechten Ellenbogengelenks aufgetretenen Hautveränderung weiterhin eine maßgebliche und zu berücksichtigende (Teil-)Ursache. Das Unterlassen der Entfernung des Fremdmaterials im rechten Ellenbogen des Klägers, bei dem es sich möglicherweise um eine nach den §§ 63, 65 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zumutbare Maßnahme der Heilbehandlung, jedoch um einen nicht ganz geringfügigen medizinischen Eingriff gehandelt habe, sei im Verhältnis zu dem Unfall vom 17. Juni 1971 zwar eine gleichwertige, nicht aber die wertungsmäßig allein maßgebliche Ursache. Die von den Gutachtern festgestellten funktionellen Einschränkungen begründeten - auch nach den Erfahrungssät-zen - für den tenorierten Zeitraum eine MdE von 20 vH. So rechtfertige eine Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk mit einem Streckdefizit von 30o und einer Beugeeinschränkung auf nur 90o eine MdE von 20 vH. Die bei dem Kläger vorliegenden Unfallfolgen seien diesem Zustand vergleichbar. Zwar lasse sich den Gutachten von Dr. T, Dr. S und Dr. M nur eine endgradige Bewegungseinschränkung der Beuge- und Streckfähigkeit des rechten Ellenbogens entnehmen. Jedoch sei wegen des Vorliegens der ekzematösen Hautveränderung eine MdE von 20 vH wegen der zusätzlichen Mindergebrauchsfähigkeit des rechten Ellenbogengelenkes gerechtfertigt. Dem Anspruch des Kläger auf Gewährung einer Verletztenteilrente stehe auch nicht die Vorschrift des § 66 Abs. 2 SGB I entgegen, da die Beklagte einen entsprechenden Verwaltungsakt, mit dem eine Rente bis zur Nachholung einer zumutbaren medizinischen Heilbehandlung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden könne, nicht erlassen habe. Auf das Schreiben vom 31. Juli 1973 könne in Anbetracht der Stellungnahme der Beklagten vom 28. Februar 2002, dass dieses Schreiben keinen Versagungsbescheid darstelle, nicht verwiesen werden.

Gegen das am 19. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. Juni 2004 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, das Urteil des Sozialgerichts divergiere von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Ob der Körperschaden eines Versicherten "durch" einen Arbeitsunfall festgestellt werden könne, entscheide sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 8/03 R -) danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens bilde. Bei dieser Ursachenwertung sei der Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung zu beachten. Das im Verantwortungsbereich des Klägers liegende Verhalten, sich der erforderlichen Behandlung (hier: Entfernung des Fremdmaterials zur Vermeidung einer Verschlimmerung des Gesundheitsschadens) zu entziehen, habe den Zusammenhang mit dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung gelöst. Damit stelle der Arbeitsunfall im vorliegenden Fall nicht mehr die rechtlich wesentliche Ursache des für die Verurteilung maßgebenden Befundes dar. Auch Brackmann/Krasney (Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII § 8 RdNr. 391) wiesen unter Berücksichtigung früherer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts darauf hin, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der weiteren Verschlimmerung des unfallbedingten Leidens nicht bestehe, wenn der Verletzte durch vernunftwidriges Verhalten eine Erfolg versprechende, d.h. eine weitere Verschlimmerung verhütende ärztliche Behandlung verhindere.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2004 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen der Beklagten für nicht geeignet, zu einer Änderung der Entscheidung des Sozialgerichts zu gelangen. Die von ihr geäußerte Rechtsauffassung, die unstreitig vorhandenen Unfallfolgen, die direkt mit dem im Juni 1971 erfolgten Bruch des Ellenhakens zusammenhingen, seien nicht auf das Unfallereignis, sondern auf unfallunabhängige Ursachen zurückzuführen, sei nicht nachvollziehbar. Es fehle auch an einer Begründung dafür, weshalb er sich "vernunftwidrig" verhalten und die Verschlimmerung der Unfallfolgen selbst verschuldet haben solle.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Der den Kläger betreffende Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die beigezogenen Verfahrensakten S 69 U 357/01/L 3 U 98/01 sowie S 33 SB 31/03 lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juni 1971 in der Zeit vom 20. Oktober 1998 bis 30. April 2002 eine Verletztenteilrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren.

Die Grundsätze des § 48 Abs. 1 SGB X sind bei der Prüfung des Anspruchs auf Wiedergewährung einer Verletztenrente nicht anwendbar, da der Bescheid vom 26. April 1973, mit dem die vorläufige Rente entzogen und die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt worden ist, keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne der genannten Vorschrift darstellt. Maßgeblich ist § 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), der hier zur Anwendung kommt, weil der Versicherungsfall vor dem Außerkrafttreten des Dritten Buches der RVO am 31. Dezember 1996 eingetreten ist (§ 212 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch [SGB VII], Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes [UVEG]). Danach wird, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grad der MdE entspricht.

Ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente setzt also voraus, dass bei ihm unfallbedingte Gesundheitsstörungen vorlagen, die seine Erwerbsfähigkeit in dem streitigen Zeitraum um mindestens 20 vH minderten.

Die unfallbedingte MdE bemisst sich nach dem Umfang der körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen des Versicherten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der ihm dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 27). Bei der Bildung der MdE sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die mit Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 45, S. 285, 286).

Der Senat ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nach Auswertung und Würdigung der im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen - insbesondere der beiden Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. S vom 15. Januar 2001 und 9. Oktober 2002 sowie - soweit es die Befundfeststellungen betrifft - des Gutachtens von Dr. med. T vom 28. Oktober 1998 und des Gutachtens von Dr. med. M vom 18. Dezember 2003 zu der Überzeugung gelangt, dass eine MdE in rentenberechtigendem Grade wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juni 1971 seit der Rentenantragstellung von September 1998 bis zum heutigen Tage zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Die Untersuchungsergebnisse ab Oktober 1998 zeigten eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenkes sowie eine leichte Muskelminderung des rechten Oberarms. Das Bewegungsausmaß des Ellenbogengelenkes für die Streckung und Beugung wurde am 20. Oktober 1998 von Dr. med. T mit rechts -0-10-140- gegenüber links mit -0-0-140- festgestellt, von Privat-Dozent Dr. S am 9. Januar 2001 mit rechts -0-5-130 - gegenüber links -0-0-140-, von Privat-Dozent Dr. S am 8. Oktober 2002 mit rechts -0-10-150- gegenüber links -5-0-150- und von Dr. M am 18. Dezember 2003 mit rechts -0-10-130- gegenüber links -0-0-140-. Nach den unfallmedizinischen Erfahrungswerten für die Beweglichkeit des Ellenbogengelenkes wird erst bei einer Bewegungseinschränkung von -0-30-120- (Streckung/Beugung) eine MdE von 20 vH zugrunde gelegt (vgl. Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003 RdNr. 8.6.3.1 S. 610). Nach diesen Erfahrungswerten beträgt das normale Bewegungsausmaß des Ellenbogens für die Beugung 145o und für die Streckung 0o. Für die meisten Tätigkeiten des täglichen Lebens werden lediglich die Scharnierbewegungen im Ellenbogen zwischen 30o und 130o benutzt. Streckdefizite behindern daher weniger als Beugedefizite. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bedingen die bei dem Kläger von den Gutachtern ab 1998 aufgelisteten unfallbedingten Bewegungseinschränkungen auf keinen Fall eine MdE von 20 vH.

Bei der MdE-Bestimmung ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher entscheidend, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE (vgl. BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -). Jedoch erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall eingeschätzt werden (vgl. BSG aaO). Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO). In Anwendung dieser Grundsätze waren deshalb die oben genannten Erfahrungswerte zur Bestimmung der MdE heranzuziehen, nach denen sich eine rentenberechtigende MdE nicht begründen lässt.

Der Senat vermochte sich auch der von dem Sozialgericht vertretenen Auffassung nicht anzuschließen, dass die von Dr. med. T in seinem Gutachten festgestellten Weichteildefekte und Fistelungen, die durch das weiterhin liegende Osteosynthesematerial verursacht bzw. unterhalten worden sind, als mittelbare Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juni 1971 zu berücksichtigen seien. Ob die durch das liegende Osteosynthesematerial verursachte Fistelung und Blasenbildung sowie die ekzematösen Veränderungen am Ellenhaken als Folgen des Arbeitsunfalls festgestellt werden können, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - letztlich danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens bildet. Welcher Umstand entweder für den Eintritt eines Arbeitsunfalls oder - worauf es hier bei der Feststellung der sogenannten haftungsausfüllenden Kausalität entscheidend ankommt - für den Eintritt des Schadens als wesentlich angesehen werden muss, ist durch eine wertende Betrachtung aller in Frage kommenden Umstände zu ermitteln. Die einzelnen Bedingungen müssen gegeneinander abgewogen werden; ob eine von ihnen wesentlich den Erfolg mitbewirkt hat, ist anhand ihrer Qualität zu entscheiden (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 8/03 R -). Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie erfolgt die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom Ex-Post-Stand-punkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles (BSG, aaO).

In dem vorliegenden Fall führt die hiernach anzustellende wertende Betrachtung zu dem Ergebnis, dass der Umstand, dass das Osteosynthesematerial nicht zeitnah nach dem Unfall im Jahre 1971 entfernt worden ist, die allein rechtlich wesentliche Ursache für die Hautveränderungen ist, die nach der Auffassung des Sachverständigen Dr. M für den Zeitraum vom 20. Okto-ber 1998 bis 30. April 2002 die Festsetzung einer MdE von 20 vH rechtfertigen. Alle medizinischen Sachverständigen haben übereinstimmend dargelegt, dass es zu der in dem vorgenannten Zeitraum eingetretenen deutlichen Verschlimmerung durch ekzematöse Veränderungen nicht gekommen wäre, wenn das Osteosynthesematerial zeitnah nach dem Arbeitsunfall im Jahre 1971 entfernt worden wäre. Dieser Zusammenhang ist selbst für einen medizinischen Laien offenkundig und hätte dem Kläger bereits damals einleuchten müssen. Der behandelnde Arzt Dr. U hatte ihn in den Jahren 1971 bis 1973 auf diese von ihm bereits vorausgesehene Verschlimmerung der Unfallfolgen hingewiesen und ihm eine operative Entfernung des Osteosynthesematerials dringend nahegelegt. Auf die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme war der Kläger auch von der Beklagten in dem Ablehnungsbescheid vom 26. April 1973 noch einmal ausdrücklich hingewiesen worden.

Entgegen der vom Sozialgericht geäußerten Bedenken war der geforderte Eingriff zumutbar, weil er nach ärztlicher Feststellung geeignet und notwendig war, eine Besserung des Gesundheitszustandes herbeizuführen bzw. eine Verschlechterung zu verhindern und weil mit ihm weder eine Gefahr für Leib und Leben noch erhebliche Schmerzen verbunden gewesen wären. Von der Duldungspflicht der Maßnahme sind sowohl der den Kläger damals behandelnde Arzt Dr. U als auch alle Sachverständigen ausgegangen, die den Kläger seit 1998 begutachtet haben. Der Sachverständige Dr. M hat die Weigerung, sich das Material entfernen zu lassen, als ein "nachweislich schuldhaftes Verhalten" des Klägers bezeichnet (Seite 27 des Gutachtens vom 18. Dezember 2003). Der Kläger hatte weder damals Gründe für sein Verhalten angegeben noch hat er in dem hiesigen Rechtsstreit, auch nicht auf Befragen in der mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2005, eine plausible Erklärung geben können, warum er sich entgegen dem dringenden Rat seines behandelnden Arztes und der Belehrung seitens der Beklagten in dem Bescheid vom 26. April 1973 diesem Eingriff nicht unterzogen hatte.

Ob eine rechtliche Verpflichtung des Klägers bestand, sich das Material entfernen zu lassen - die im Übrigen aus dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hergeleitet werden kann -, spielt für die hier vorzunehmende wertende Betrachtung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und bei der Abwägung der einzelnen den Erfolg mitbewirkenden Umstände keine ausschlaggebende Rolle. Nach dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung findet eine Unterbrechung der haftungsausfüllenden Kausalität statt, wenn der Eintritt des Schadens auf eine besondere, von dem Versicherten selbst geschaffene Gefahr zurückzuführen ist. Der gesetzlichen Unfallversicherung liegt der Gedanke zugrunde, den Unternehmer von der aus der Betriebstätigkeit erwachsenen Verschuldens- und Gefährdungshaftung zu befreien. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO dient der Ablösung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, wie dies in den §§ 636, 637 RVO (sowie den §§ 104, 105 SGB VII) zum Ausdruck kommt. An die Stelle eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches gegen den Arbeitgeber trat ein auf dem Grundsatz der Gefährdungshaftung aufbauender öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger. Dieser hat Leistungen zu erbringen, wenn sich Gefahren konkretisiert haben, die einen wesentlichen Entstehungsgrund in der betrieblichen Sphäre haben (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 aaO). Von diesem Schutzzweck wird der vorliegende Fall jedoch nicht erfasst. Die durch das liegende Osteosynthesematerial verursachten Gesundheitsstörungen wie Fistelung und ekzematöse Hautveränderungen sind nicht wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis vom 17. Juni 1971 zurückzuführen, sondern auf das Verhalten und die Entscheidung des Klägers, das Fremdmaterial nicht entfernen zu lassen. Die hieraus resultierenden Gesundheitsschäden sind somit nicht zu entschädigen und können daher bei der Bemessung der MdE keine Berücksichtigung finden.

Der Berufung der Beklagten war deshalb stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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