L 7 B 20/04 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 75/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 20/04 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2004 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 985.500.- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2004 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet.

Das Sozialgericht Berlin hat durch den genannten Beschluss die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die monatlichen Abschlagszahlungen im Jahr 2004 gemäß § 17 der am 1. Januar 2004 geschlossenen Vereinbarung bis zum Abschluss einer Änderungsvereinbarung zu leisten. Denn die Antragstellerin hat für dieses Begehren, mit dem die Hauptsache vorweggenommen würde, weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund mit der hierfür erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (vgl. § 86 b Abs. 2 S. 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Das Sozialgericht hat die zugesprochenen (weiteren) Abschlagszahlungen auf die Gesamtvergütung für die Quartale I und II/04 zu Unrecht aus § 17 der zwischen den Beteiligten geschlossenen Vereinbarung über die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 85 Abs.1 und 2 Sozialgesetzbuch /Fünftes Buch (SGB V) für das Vertragsgebiet Berlin für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2003 (im Folgenden als Vergütungsvereinbarung bezeichnet) hergeleitet. Die Vergütungsvereinbarung gilt nach ihrem klaren Wortlaut nicht nur als umfassende gesamtvertragliche Regelung ausschließlich für das Jahr 2003, sondern enthält auch hinsichtlich einzelner Bestimmungen, insbesondere hinsichtlich der hier entscheidungserheblichen Regelung der Abschlagszahlun-gen, keine Klausel, die eine Fortgeltung im Kalenderjahr 2004 vorsähe und zwar auch dann nicht, wenn es zu keiner (rechtzeitigen) Einigung der Vertragspartner der Vergütungsvereinbarung über Abschlagszahlungen für das Jahr 2004 kommen sollte. Eine Fortgeltung von § 17 Vergütungsvereinbarung lässt sich auch nicht aus anderen rechtlichen Grundsätzen herleiten. Weder der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Hinblick auf jahrelang vereinbarte ähnliche oder gleich lautende Bestimmungen der Vergütungsverträge noch die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung berechtigen die Sozialgerichte, im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB einen vertragslosen Zustand hinsichtlich der Abschlagszahlungen zur Vergütung vertragsärztlicher Leistungen zu schließen. Eine solche sozialgerichtliche Lückenschließung ist

ebenso wenig mit dem SGB V vereinbar wie die Behauptung, es gäbe einen allgemeinen Grundsatz der Weitergeltung von Verträgen über die vertragsärztliche Versorgung für vertragslose Zwischenzeiten. Schließlich lässt sich die Anwendung von § 17 Vergütungsvereinbarung im Kalenderjahr 2004 hier auch nicht mit einer analogen Anwendung von § 81 Abs. 1 S. 4 SGB V begründen.

Nach §§ 83, 85 Abs. 1 und 2 SGB V vereinbaren die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort in ihrem Bezirk einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen, die die Krankenkassen, die Mitglieder der Landesverbände sind, binden und sie zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichten. Gegenstand dieser von den Vertragspartnern des § 83 SGB V zu schließenden Verträge sind nicht nur die Höhe und der Zeitraum, für den die Gesamtvergütung zu entrichten ist, sondern u.a. auch die Bestimmung der Zahlungsfristen und der Vorauszahlungen (vgl. Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II Sozialgesetzbuch V, 19. Aufl., Stand 1. Juni 2004 § 85 Rdnr 10.). Verletzen die Vertragspartner des § 83 SGB V ihre Pflicht, rechtzeitig Gesamtverträge zu schließen, und gibt es wie im vorliegenden Fall deshalb keine Regelungen über die Zahlungsfristen und die Höhe der Abschlagszahlungen, dürfen die Sozialgerichte die dadurch entstehenden Regelungslücken grundsätzlich nicht durch Entscheidungen über die Fortgeltung früherer gesamtvertraglicher Bestimmungen schließen. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 89 SGB V abschließend ein Verfahren zur Herstellung rechtmäßiger Zustände zur Verfügung gestellt. Kommt - wie hier - nach Ablauf eines (Vergütungs-)Vertrages ein neuer Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung ganz oder teilweise nicht (rechtzeitig) zustande, setzt das Schiedsamt innerhalb von drei Monaten den Vertragsinhalt fest (§ 89 Abs. 1 S. 3 SGB V). Die Einleitung eines Schiedsamtsverfahrens setzt nach § 13 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über die Schiedsämter für die vertragsärztliche Versorgung (SchiedsamtsVO) einen Antrag einer der Vertragsparteien voraus. Kommt ein Gesamtvertrag nicht zustande und stellt gleichwohl keine der Vertragsparteien bei dem Schiedsamt einen Antrag, eine Einigung herbeizuführen, können die zuständigen Aufsichtsbehörden mit Wirkung für die Vertragspartner das Schiedsamt anrufen (§ 89 Abs. 1 a S.1 SGB V, § 13 Abs. 1 S. 2 SchiedsamtsVO). Kommt schließlich ein Vertrag bis zum Ablauf von drei Monaten und nach Ablauf einer von der Aufsichtsbehörde gesetzten Nachfrist durch Schiedsspruch nicht zustande, setzt die für das Schiedsamt zuständige Aufsichtsbehörde den Vertragsinhalt fest (§ 89 Abs. 1 S. 5 SGB V). Diese

Regelungen stellen - nach dem gesetzgeberischen Willen lückenlos - sicher, dass die vertragsärztliche Versorgung rechtzeitig durch vereinbarte oder angeordnete Gesamtverträge geregelt wird. Eine allgemeine Fortgeltung des früheren Gesamtvertrages oder auch nur einzelner Bestimmungen hat der Gesetzgeber ausdrücklich nicht angeordnet. Nur für den Fall der Kündigung eines Vertrages über die vertragsärztliche Versorgung durch einen der Vertragspartner hat der Gesetzgeber die vorläufige Weitergeltung des bisherigen Vertrages vorgesehen (§ 89 Abs. 1 S. 4 SGB V, vgl. Hencke a.a.O. § 89 Rdnr. 10). Allein in diesem speziellen Fall - und nicht allgemein - sieht das SGB V eine Weitergeltung gesamtvertraglicher Regelungen vor. Ungeachtet der Frage, ob die Vorschrift auch analog auf von vornherein befristete Verträge angewandt werden kann (so Hencke a.a.O. § 89 Rdnr. 10), kommt diese nur dann in Betracht, wenn ein schiedsamtliches Verfahren bereits eingeleitet worden ist, wie die ausdrückliche zeitliche Beschränkung der Weitergeltung bis zur Entscheidung durch das Schiedsamt in § 89 Abs. 1 S. 4 SGB V zeigt. Vor diesem Hintergrund kann deshalb im vorliegenden Fall, in dem keine der Vertragsparteien oder die Aufsichtsbehörde das Schiedsamt angerufen hat, aus der Vergütungsvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2003 ein Anspruch auf die Zahlung eines Abschlages auf die von der Antragsgegnerin zu zahlende Vergütung für vertragsärztliche Leistungen nicht hergeleitet werden.

Aus den vorstehenden Darlegungen folgt aber weiter, dass der Antragstellerin auch ein Anordnungsgrund für ihr Begehren fehlt. Selbst wenn man berücksichtigt, dass entgegen der gesetzgeberischen Zielsetzung weder die Beteiligten noch die Aufsichtsbehörde im vorliegenden Fall das Schiedsamt angerufen haben, muss sich die Antragstellerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf den vom Gesetzgeber des SGB V vorgesehenen Weg verweisen lassen, bevor sie um vorläufigen Rechtsschutz bei den Sozialgerichten nachsucht. Denn ebenso wie die Vertragsparteien der Gesamtverträge sind die überwiegend mit deren Mitgliedern besetzten Schiedsämter sowie die Aufsichtsbehörden befugt, im Rahmen der durch das SGB V gezogenen Grenzen den Inhalt der Gesamtverträge frei festzusetzen. Diese vom Gesetzgeber vorgesehene Selbstverwaltung durch Vertragsabschlüsse mit der Möglichkeit der Korrektur durch eine "Ersatzvornahme" paritätisch besetzter Schiedsbehörden und subsidiär der Aufsichtsbehörden darf keine der Vertragsparteien dadurch umgehen, dass er sich während eines vertragslosen Zeitraumes ohne Anrufung des Schiedsamtes unmittelbar an die Sozialgerichte wendet, die anders als die Vertragspartner, das Schiedsamt und ggf. die Aufsichtsbehörde nur zur Rechtskontrolle und nicht zur Rechtsgestaltung berufen sind. Erst

nach Vorliegen eines Schiedsspruches oder einer diesen ersetzenden Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann sich einer der Vertragspartner an die Sozialgerichte wenden; auch in diesem Fall ist der Rechtsschutz aber auf die Erhebung der Anfechtung des Schiedsspruches oder der aufsichtsbehördlichen Entscheidung und im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 86 b Abs. 1. S. 1 Nr. 2 SGG beschränkt. Die Gewährung von Rechtsschutz, der - und sei es auch nur als Vorfrage eines Leistungs- oder Feststellungsbegehrens - eine eigene Gestaltung oder Feststellung gesamtvertraglicher Regelungen erforderte, ist hiermit nicht vereinbar (vgl. BSGE 20,73).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Wertfestsetzung auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 20 Abs. 1, 13 Abs. 1 und 7 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved