L 3 U 273/04

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 3 U 173/03 Tr
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 U 273/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. In der gesetzlichen Unfallversicherung hat der Versicherte anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich einen Anspruch auf Maximalver-sorgung zum Ausgleich bestehender gesundheitlicher Unfallfolgen.
2.Der Berufsgenossenschaft ist es verwehrt, aus wirtschaftlichen Gründen auf weniger geeignete Hilfsmittel zurückzugreifen.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 24.06.2004 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch der 1935 geborenen Klägerin auf Gewährung eines Kunstfußes der Marke LuXon Max.

Am 08.11.1943 erlitt die Klägerin bei der Tätigkeit in der Landwirtschaft einen Arbeitsunfall, für den die Beklagte als gesetzlicher Unfallversicherungsträger zuständig ist. Bei dem Unfall kam es zur Zerquetschung und Zertrümmerung des gesamten linken Unterschenkels und des Fußes mit Eröffnung des Kniegelenks und Bruch im Bereich der Condylen des Oberschenkels bei der Klägerin. Der Oberschenkel wurde im unteren Drittel amputiert und prothetisch versorgt. Bei der Klägerin sind als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt: Zustand nach Oberschenkelamputation links mit prothesenungünstigem Stumpf, Verdacht auf Stumpfneurom, erhebliche Druckzonen und Gangbehinderung, relativ fixierte rechtskonvexe LWS Skoliose und die das altersentsprechende Maß übersteigenden degenerativen Veränderungen, Veränderungen der LWS mit Myotendopathien bei Hüft und Beckenhochstand sowie Coxarthrose rechts mit nachfolgendem Hüftgelenksersatz (TEP).

Am 28.06.2000 teilte Dr. B , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik L , mit, in Anbetracht der außerordentlich sensiblen und im Gangbild vorsichtigen und unsicheren Patientin sei er der Auffassung, bei der Klägerin sei die Indikation für die Versorgung einer Prothese mit einem mikroprozessorgesteuerten Kniegelenk (C Leg) trotz der immens hohen Kosten indiziert. Im Juli 2000 bewilligte die Beklagte aufgrund dieser Stellungnahme der Klägerin die Versorgung mit einem so genannten C Leg.

Im November 2002 beantragte die Klägerin anstelle des vorhandenen Fußes der Marke Greissinger ihr einen Kunstfuß der Firma O B HealthCare GmbH Marke LuXon Max zu gewähren. Die Beklagte holte eine Stellungnahme von Dr. B vom 18.12.2002 ein. Dieser legte dar, die Klägerin sei wegen der Standunsicherheit mit einem C Leg versorgt worden. Die Standunsicherheit habe durch die hochtechnische Versorgung wesentlich gebessert werden können. Richtig sei, dass durch den von der Klägerin begehrten Fuß ein Teil der Stöße während der Auftrittphase abgefangen werden könne, so dass eine Entlastung des Hüftgelenkes resultiere. Jede technische Neuentwicklung bedeute eine Verbesserung der bisherigen technischen Möglichkeiten. Es erhebe sich allerdings die Frage, ob die Kosten für jede Neuentwicklung seitens des Kostenträgers übernommen werden müssten. Aus ärztlicher Sicht sehe er nur eine relative Indikation zur Versorgung der Klägerin mit dem Fuß. Die Entscheidung liege aber bei der Beklagten, ob auch in diesem Fall wieder nach dem Leitbild "mit allen geeigneten Mitteln" gehandelt werden müsse.

Mit Bescheid vom 17.03.2003 und Widerspruchsbescheid vom 22.07.2003 lehnte die Beklagte gestützt auf die Stellungnahme von Dr. B die Gewährung des Kunstfußes LuXon Max ab. Der beantragte Fuß stelle natürlich eine weitere Verbesserung in der prothetischen Versorgung dar, was ganz besonders bei aktiven Nutzern eine Erleichterung biete. Im Übrigen werde natürlich auf dem Gebiet der prothetischen Versorgung eine permanente Weiterentwicklung und Verbesserung angestrebt. Der technische Fortschritt bringe es mit sich, dass in kurzen Zeitabständen immer wieder ausgefallenere orthopädische Hilfsmittel auf den Markt kämen. Dies rechtfertige nicht zwangsläufig, dass bei jedem Versicherten sogleich die Versorgung mit den neuesten und teuersten Hilfsmitteln stattfinden müsse. Bei der Ausübung des Ermessens, welche Rechtsfolge gemäß § 26 Abs 5 SGB VII gesetzt werden solle (Auswahlermessen) habe der Unfallversicherungsträger das Rehabilitationsziel, aber auch den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Die Interessen der Solidargemeinschaft der Beitragszahler an einer sorgfältigen Kosten-Nutzen-Abwägung und der von der Beklagten zu beachtende Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überwiege das Interesse der Klägerin an der Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel.

Das Sozialgericht Trier (SG) hat ein Gutachten von Dr. Q , Reha Zentrum B , Orthopädische Rehabilitationsklinik, B , vom 12.01.2004 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, aus gutachterlicher Sicht müsse gesagt werden, dass die Prothesenversorgung sehr maßgeblich von den Angaben des Betroffenen abhänge. So müsse die Angabe der Klägerin, dass sie mit C Leg Prothese in Kombination mit dem Greissinger-Fuß häufiger stürze, geglaubt werden, da der Sturz anhand der Beschreibung der Klägerin nachzuvollziehen sei. Auch müsse konstatiert werden, dass in zunehmendem Alter die Kompensationsmöglichkeiten des Organismus abnähmen und es damit der Klägerin zunehmend schwerer falle, ihre Funktionsbeeinträchtigung auszugleichen. Dadurch sei sie mehr denn je auf optimierte prothetische Versorgung angewiesen. Aus heutiger Sicht (Anfang 2004) müsse angesichts der sehr dynamischen Entwicklung in diesem Bereich der prothetischen Versorgung auch darauf hingewiesen werden, dass es mittlerweile Prothesenfußmodelle gebe, die der LuXon Max-Fußprothese gegenüber weitere Vorzüge hätten und die Begehrlichkeit der Klägerin wecken könnten. Die Erstattung der LuXon Max-Fußprothese sei aus gutachterlicher Sicht bei Abwägung aller Argumente zu befürworten.

Durch Urteil vom 24.06.2004 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2003 verurteilt, die Klägerin mit einem Kunstfuß der Marke LuXon Max zu versorgen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Heilbehandlung, wobei der Unfallversicherungsträger "mit allen geeigneten Mitteln" den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern habe. Bei der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung des Unfallversicherungsträgers handele es sich um eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen "über Art und Umfang der geschuldeten Leistung". Dieses Ermessen könne jedoch durch die gesetzliche Prämisse "mit allen geeigneten Mitteln" dann auf Null reduziert sein, wenn es nur ein geeignetes Mittel gebe und aus der Wertentscheidung folge, dass das geeignete Mittel einzusetzen sei. Dies sei vorliegend hinsichtlich des Kunstfußes LuXon Max bei der Klägerin der Fall. Die Beklagte verkenne, dass es nicht um eine "ausreichende" Versorgung des Versicherten gehe. Wegen des umfassenden Heilbehandlungsauftrages des Unfallversicherungsträgers seien die Maßnahmen anders als im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, in deren Rahmen eine notwendige und ausreichende Leistung zu gewähren sei, dh eine solche, die nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für den Heilerfolg biete nicht auf das schlechterdings Unvermeidbare zu begrenzen. Dass die Gewährung des LuXon Max-Fußes der Maßgabe "mit allen geeigneten Mitteln" gerecht werde, habe bereits Dr. B zum Ausdruck gebracht. Die von der Beklagten angestellte Wirtschaftlichkeitsargumentation sei ermessensfehlerhaft. Die beiden Kunstfüße seien nicht als gleichwertig geeignet anzusehen. Dies ergebe sich aus den medizinischen Unterlagen.

Gegen das am 22.07.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.08.2004 Berufung eingelegt.

Der Senat hat eine Auskunft bei der Firma O B HealthCare GmbH, D , vom 27.04.2005 betreffend Erfahrungen und Erkenntnisse über die Kunstfüße Greissinger und LuXon Max eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts der Auskunft wird auf Bl 194 der Prozessakte verwiesen.

Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten von Dr. F , St. M -Krankenhaus, Orthopädische Klinik, S , vom 10.08.2005 eingeholt. Er hat dargelegt, dass die Versorgung mit dem dynamischen Kunstfuß Max geeignet sei, die Folgen des Unfalls der Klägerin auszugleichen, da es sich in diesem Fall sogar um eine technische Verbesserung bzw Maximalversorgung der Oberschenkelprothese links handele. Zurzeit sei der dynamische Kunstfuß LuXon Max das optimalste Hilfsmittel in Verbindung mit der elektronischen C Leg-Prothese, aber auch die alte klassische Oberschenkelsaugprothese weise eine ausreichende Stand und Gangsicherheit auf, um entsprechende Folgen von Oberschenkelamputation zu versorgen.

Die Klägerin hat ein ärztliches Attest von Dr. B , Orthopäde, K , vom 24.08.2005 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, bei der versuchsweisen Verwendung des LuXon-Max-Fußteils habe die Klägerin ein wesentlich sichereres und besseres Gangbild gehabt. Die höhere Beweglichkeit des Kunstfußes LuXon-Max dürfte auch positive Auswirkungen auf die chronischen Rückenschmerzen haben.

Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass sie im Interesse der Solidargemeinschaft der Beitragszahler an einer sorgfältigen Kosten Nutzen-Abwägung und des von ihr zu beachtenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht verpflichtet sei, die Versorgung mit einem Kunstfuß LuXon Max zu gewähren. Die etwaigen Vorteile im Fortbewegungsablauf mit der von der Klägerin begehrten Fußprothese seien nur auf ihre subjektiven Angaben zu stützen. Sie sehe sich durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. F bestätigt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 24.06.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit dem von ihr begehrten Kunstfuß LuXon Max hat, da er das geeignetste Mittel zum Ausgleich der bei der Klägerin als Folge des Unfalls vom 08.11.1943 verursachten Gesundheitsschäden ist.

Gestützt auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen sowie die Auswertungen zu den orthopädischen Hilfsmitteln ist das SG zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin mit dem Kunstfuß der Marke LuXon Max zu versorgen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden und ausführlichen erstinstanzlichen Ausführungen Bezug.

Im Berufungsverfahren haben sich keine Erkenntnisse ergeben, die eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Nach den Darlegungen der Firma O B HealthCare GmbH ist die Eignung von Prothesen-Passteilen abhängig von der Indikation und der Mobilität des Patienten. Sie ist vom Alter unabhängig. Grundsätzlich wird der LuXon Max-Fuß für Amputierte mit höheren Mobilitätsgraden verwendet sowie für kleinere Amputierte aufgrund des geringeren zur Verfügung stehenden Bauraumes. Die Klägerin selbst ist nur 1,58 m groß und hat Fußgröße 23.

Zwar hält der Sachverständige Dr. F eine Versorgung mit dem Greissinger Kunstfuß für ausreichend. Gleichwohl sieht er jedoch eine Verbesserung bzw Maximalversorgung durch einen Kunstfuß LuXon Max. Bei dem Kunstfuß LuXon Max handelt es sich um einen aktiven Fuß, der eine regelrechte Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk aufweist und somit einer optimalen funktionellen Fußcharakteristik und einer besseren dynamischen Eigenschaft entspricht. Auch wenn bei der Klägerin andere als Unfallfolgen bei ihrer Gang und Standunsicherheit zu berücksichtigen sind, so sind gleichwohl hier auch die Unfallfolgen von erheblicher Bedeutung. Zunächst ist hierfür wesentlich die Oberschenkelamputation. Darüber hinaus ist bei der Klägerin als Folge des Unfalls die Hüftprothesenimplantation anerkannt. Der Sachverständige Dr. F stellt in seinem Gutachten fest, dass der LuXon-Max-Fuß zu der bestmöglichen Versorgung führt.

Im Verhältnis zu dem Greissinger-Fuß ergibt sich für die Klägerin bei einer Versorgung mit dem Kunstfuß LuXon-Max eine wesentliche Verbesserung des Ausgleichs ihrer Unfallfolgen. Durch die Flexibilität des Kunstfußes LuXon-Max werden während der Auftrittphase Stöße abgefangen, so dass nach den Ausführungen von Dr. B hieraus eine Entlastung des Hüftgelenkes der Klägerin resultiert. Bei Verwendung des LuXon-Max-Kunstfußes kommt es bei der Klägerin nach den Ausführungen von Dr. B zu einem flüssigeren Gangbild mit positiven Auswirkungen auf die chronischen Rückenschmerzen.

Ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Versorgung findet seine Bestätigung in dem Schreiben der Firma O B HealthCare GmbH vom 27.04.2005. Darin wird dargelegt, vergleiche man zwischen Greissinger Kunstfuß und LuXon Max-Kunstfuß, so entspreche der Greissinger Kunstfuß nicht dem Stand der Technik, da die Fußpassteile zB eines LuXon Max-Fußes eine funktionellere Fußcharakteristik und somit bessere dynamische Eigenschaften aufweisen. Eine nicht dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Prothese ist jedoch nicht als geeignetes Mittel anzusehen.

Erweist sich aber der Kunstfuß LuXon Max als das geeignetere Mittel, so bleibt eine Versorgung mit dem Kunstfuß Greissinger hinter dem gesetzlichen Anspruch der Klägerin zurück. Im Rahmen des Auswahlermessens kann die Beklagte dann nicht mehr auf ein weniger geeignetes Mittel zurückgreifen. Für die Frage der Versorgung mit Heil und Hilfsmitteln gilt nach dem Gesetz der Unfallversicherung nicht der Grundsatz einer wirtschaftlichen, sondern einer optimalen Rehabilitation. Die Grenze ist allein die Geeignetheit des Mittels (Bereiter Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 26 Anm 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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