S 29 AS 47/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 47/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, jedoch längstens bis zum 31.01.2006 zu zahlen und zwar für die Zeit vom 05.09.2005 bis zum 30.09.2005 in Höhe von 648,10 Euro für den Oktober 2005 in Höhe von 810,13 Euro und ab dem 01.11.2005 fortlaufend in Höhe von monatlich 866,98 Euro sowie den Kranken- und Pflegeversicherungsschutz für die Antragsteller zu 1), 3) und 4) sicherzustellen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld). Die Antragsteller leben in einem gemeinsamen Haushalt. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verheiratet, die Antragsteller zu 3) und 4) ihre gemeinsamen vier Jahre alten Kinder. Der Antragsteller zu 2) ist mit einem Anteil von ½ Gesellschafter der 1999 gegründeten H1 H2CS, die einen Dachdeckermeisterbetrieb betreibt. Nach den Gewinn- und Verlustrechnungen, betriebswirtschaftlichen Auswertungen und kurzfristigen Erfolgsrechnungen der Gesellschaft erzielte diese im Jahre 2002 bei einem Umsatz von 154.437,68 Euro ein vorläufiges Ergebnis von 21.664,59 Euro (14,03 % vom Umsatz), im Jahre 2003 bei einem Umsatz von 207.008,92 Euro ein vorläufiges Ergebnis von 37.524,- Euro (18,13 % vom Umsatz) und im Jahre 2004 bei einem Umsatz von 258.219,10 Euro ein vorläufiges Ergebnis in Höhe von 23.768,70 Euro (9,2 % vom Umsatz).

Die Antragstellerin zu 1) stellte am 05.01.2005 einen Antrag auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Bis zum 16.01.2005 bezog sie Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 35,65 Euro. Die Kosten für die von den Antragstellern bewohnte Wohnung beliefen sich zu diesem Zeitpunkt auf 388,74 Euro monatlich an Grundmiete, Nebenkosten in Höhe von 138,05 Euro sowie eine Heizkostenpauschale inklusive Warmwasserversorgung von 65,10 Euro. Der Antragsteller zu 2) gab eine Selbsteinschätzung bezüglich Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ab. Hierbei veranschlagte er für die gesamte H2CS voraussichtliche Betriebseinnahmen im ersten Halbjahr 2005 in Höhe von ca. 12.000,- Euro monatlich. Weiter gab er an, die Betriebsausgaben der H2CS beliefen sich auf ca. 7.460,- Euro monatlich. Hinzu kämen Ratenzahlungen in Höhe von ca. 3.000,- Euro monatlich. Die Antragsgegnerin bewilligte der aus den Antragstellern bestehenden Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005. Für die Monate Februar bis Juni 2005 ermittelte sie einen Zahlbetrag in Höhe von 806,88 Euro. Hierbei legte sie einen Gesamtbedarf von 1.608,09 Euro zu Grunde. In diesem waren Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 572,09 Euro berücksichtigt, wobei sie von der Heizkostenpauschale einen Betrag in Höhe von 19,80 Euro für die Warmwasserbereitung abzog. An Einkommen berücksichtigte sie 308,- Euro an Kindergeld für die Antragsteller zu 3) und 4) sowie ein Einkommen aus Selbständigkeit nach Abzug aller Freibeträge in Höhe von 493,21 Euro monatlich. Die Antragsgegnerin führte für die Antragstellerin zu 1) auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab.

Mit Anhörungsschreiben vom 23.03.2005 führte die Antragsgegnerin aus, die Antragsteller hätten ihrer Meinung nach zu Unrecht Leistungten zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezogen. Denn den Betriebseinnahmen von 12.000,- Euro monatlich stünden nur Ausgaben in Höhe von 7.460,- Euro monatlich gegenüber.

Am 03.06.2005 stellte die Antragstellerin zu 1) einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen. Änderungen seien nur insoweit eingetreten, als für das zweite Halbjahr 2005 für die H2CS Betriebsausgaben von ca. 3.200,- Euro monatlich zuzüglich monatlichen Ratenzahlungen von 3.000,- Euro und Materialkosten von 4.320,- Euro erwartet würden. Zudem legte sie eine Bescheinigung des Vermieters vor, wonach sich die Nebenkosten der Wohnung ab 01.07.2005 um 3,25 Euro monatlich erhöhten. Sie fügte auch umfangreiche Unterlagen bezüglich Betriebskosten und Ratenzahlungsvereinbarungen bei. Mit Schreiben vom 02.08.2005 forderte die Antragsgegnerin weitere Unterlagen an, insbesondere den letzten Steuerbescheid. Mit Schreiben vom 24.08.2005 führte die Antragstellerin zu 1) aus, dass es ihr nur mit Mühe und Hilfe ihrer Eltern gelungen sei, die vergangenen beiden Monate finanziell zu überstehen. Keiner der Antragsteller sei krankenversichert. Zudem würden in einer Woche wieder laufende Kosten wie Miete, Nebenkosten und Strom fällig. Zur Zeit bestehe keine andere Möglichkeit mehr, Geld zu leihen. Dem Schreiben beigefügt waren u.a. der Gewerbesteuerbescheid für die H2CS vom 22.10.2004 sowie die Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Bescheide über die Umsatzsteuervorauszahlungen für das erste Halbjahr 2005. Letzte wiesen für den Zeitraum Januar bis Juni 2005 umsatzsteuerpflichtige Umsätze in Höhe von 58.418,- Euro aus. Ausserdem beigefügte Aufstellungen der betrieblichen Einnahmen wiesen für die Monate Januar bis Juli 2005 Einnahmen durch Kundenrechnungen in Höhe von 64.733,41 Euro aus.

Am 00.00.0000 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Antrag auf Weiterzahlung sei nicht abschließend bearbeitet worden, obwohl sie alle geforderten Unterlagen eingereicht hätten. Zur Zeit lebten sie von einem Darlehen der Eltern der Antragstellerin zu 1). Der Antragsteller zu 2) sei zwar selbständig, jedoch im Mai 2005 beinahe in die Insolvenz gegangen. Aufgrund hoher monatlicher Ratenbeiträge könne er lediglich mal 100,-, mal 500,- Euro monatlich zum Haushalt hinzusteuern. Ab 01.11.2005 habe der Vermieter zudem die Heizkostenvorauszahlung um 56,85 Euro monatlich erhöht. Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 lägen noch nicht vor, da aufgrund von Schulden der Steuerberater die Bilanz für diese Jahre noch nicht aufgestellt habe.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II über den 30.06.2005 hinaus weiter zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, dass die H1 H2CS in erheblichem Umfange Ratenzahlungen leiste für Verpflichtungen, die in den vergangenen Jahren nicht beglichen worden seien. Besonders auffällig sei, dass die Ratenzahlungsverpflichtungen teilweise erst nach Erhalt der Arbeitslosengeld II-Leistungen eingegangen worden seien. In den Monaten Januar bis Juni 2005 seien Änderungen bei einzelnen Positionen der Betriebskosten aufgetreten. Zudem habe die Antragstellerin eine Umschuldung vorgetragen, die sie aber nicht im einzelnen belegt habe. Deshalb seien für eine überschlägige Berechnung hinsichtlich des Fortzahlungsantrages lediglich die Angaben für den Monat Juli 2005 berücksichtigt worden. Schuldentilgung könne nicht in vollem Umfang einkommensmindernd berücksichtigt werden. Andernfalls würden die Schulden der H2CS durch öffentliche Gelder beglichen. Den Antragstellern stehe es frei, ihre Pfändungsfreigrenzen berechnen zu lassen und mit den Schuldnern zu vereinbaren, die darüber liegenden Beträge zur Schuldentilgung zu verwenden. Bei dem ohne Schuldentilgung aus der betriebswirtschaftlichen Tätigkeit verbleibenden Betrag von 2.270,- Euro für die Antragsteller könne so ihr Lebensunterhalt ohne die Gewährung öffentlicher Gelder sichergestellt werden.

Die Antragsteller haben Unterlagen über die eingegangenen Ratenzahlungsverpflichtungen der H2CS bezüglich in den Jahre 2001 bis 2004 begründeter Verbindlichkeiten vorgelegt; u.a. über Beitragsrückstände bei der EBL sowie Werbeauftritte in einem Stadtadressbuch 2004/2005 bzw. bei einem Internetservice für drei Jahre ab März 2002.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein Anspruch (sogenannter Anordnungsanspruch) zusteht, dessen vorläufige Durchsetzung dringlich ist (sogenannter Anordnungsgrund). Die vorläufige Befriedigung des Anspruchs anzuordnen kommt dabei aber nur in Betracht, wenn dem Antragsteller sonst unzumutbare Nachteile entstünden (Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2005, AZ: L 9 B 6/05 SO ER). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Sofern die Antragsteller Leistungen für Zeiträume vor dem 05.09.2005 begehren, ist der Antrag unbegründet. Diesbezüglich haben sie keinen Anordnungsgrund als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit der Durchsetzung ihres Begehrens glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund setzt die Unzumutbarkeit voraus, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Zur Überprüfung einer solchen Eilbedürftigkeit sind alle betroffenen Interessen abzuwägen. Hierbei ist zu beachten, dass der einstweilige Rechtsschutz nur zur Abwendung gegenwärtiger Notlagen dient. Gegenwärtig sind jedoch nicht mehr Zeiträume vor Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht (LSG NRW, Beschluss vom 19.07.2005, AZ: L 19 B 31/05 AS ER).

Bezüglich des Zeitraums ab Antragstellung ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die eingeschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und -grund im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2005, AZ: L 12 B 14/05 AS ER). Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rdnr. 157). Die Antragsteller haben plausibel vorgetragen, dass die H2CS im Geschäftsverkehr nahezu keine Kreditwürdigkeit mehr aufweist. Monatliche Ratenzahlungen auf in den Vorjahren begründete Verbindlichkeiten in Höhe von 3.000,- Euro belegen dies hinreichend. Bei Begleichung dieser Verbindlichkeiten verbleiben aus der betrieblichen Tätigkeit Beträge, deren hälftiger Anteil nicht hinreicht, die elementaren Bedarfe der Antragsteller zu decken. Die von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Vorgehensweise, Verbindlichkeiten nur bis zur Pfändungsfreigrenze zu bedienen, würde zu nicht wiedergutzumachenden Nachteilen für die Antragsteller führen. Die H2CS würde sich als zahlungsunfähig darstellen, gemäß § 17 Abs. 2 Insolvenzordnung. Dies würde gemäß § 17 Abs. 1 den allgemeinen Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren darstellen. Ziel des Insolvenzverfahrens ist nach § 1 Insolvenzordnung primär aber nicht die Erhaltung einer wirtschaftlichen Grundlage für den Schuldner, sondern die Befriedigung der Gläubiger. Die H2CS wäre abzuwickeln. Selbst wenn kein Insolvenzverfahren einzuleiten wäre, dürfte es der H2CS schwer fallen, die für die Fortsetzung ihrer Betriebstätigkeit erforderlichen Materialien zu erwerben, wenn sie gleichzeitig ihre Schulden nicht mehr bediente. Zudem drohte die Einstellung des Betriebes aufgrund gewerberechtlicher Vorschriften, da die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Verweigerung der Nachzahlung ggfs. die für den Betrieb eines Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit entfallen ließe, § 35 Gewerbeordnung. Ist die Geschäftstätigkeit der H2CS erst einmal eingestellt, kann diese nicht ohne weiteres wieder aufgenommen werden. Immaterielle Werte der H2CS, wie Kundenbindungen, wären dauerhaft gestört. Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse könnten ggfs. nicht wiederhergestellt werden. Eine wirtschaftliche Grundlage für die Antragsteller würde sodann nicht mehr bestehen.

Für die Zeit ab dem 05. September 2005 ist auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser ist identisch mit dem geltend gemachten materiellen Anspruch. Dieser ergibt sich hier mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für die Antragsteller zu 1) und 2) aus § 7 Abs. 1 i. V. m. §§ 20 und 22 SGB II sowie für die Antragsteller zu 3) und 4) aus § 7 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 28 SGB II. Danach erhalten die erwerbsfähigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Antragsteller zu 1) und 2)) sowie die zu deren Haushalt gehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder (Antragsteller zu 3) und 4)) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II, soweit sie hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig sind die Antragsteller gemäß § 9 SGB II, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen oder ihrem Vermögen bestreiten können. Hier war zu Gunsten der Antragsteller im tenorierten Umfange von deren Hilfebedürftigkeit auszugehen. Neben dem Kindergeld für die Antragsteller zu 3) und 4) ist einzig ersichtliches Einkommen der Bedarfsgemeinschaft der hälftige Gewinn der H1 H2CS. Im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist zu Gunsten der Antragsteller davon auszugehen, dass bei der Gewinnermittlung die vorgetragenen Ratenzahlungen abzuziehen sind und der hälftige Gewinn damit nur bei ca. 770,- Euro monatlich liegt. Denn sofern Zweifel an der Hilfebedürftigkeit nicht durch gegenwärtiges Fehlverhalten des Antragstellers begründet werden und eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, haben sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen, soweit es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht. Letztere dienen unmittelbar dem Schutz der Menschenwürde (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, AZ: 1 BvR 569/05).

Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller bestehen, da wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, eine Berücksichtigung der Tilgung von Schulden durch die nach dem SGB II Berechtigten, grundsätzlich ausscheidet. Eine Verbesserung des Vermögenssaldos der Hilfebedürftigen auf Kosten der Allgemeinheit ist in der Regel nicht zu rechtfertigen. Diese Grundsätze sind aber nicht unmittelbar und voll umfänglich auf die wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen bzw. Selbständigen übertragbar. Im Wirtschaftsverkehr ist es üblich, Betriebsmittel auf Kredit zu erwerben. Auch müssen im laufenden Geschäftsverkehr permanent Verbindlichkeiten eingegangen werden. Ein sofortiger Ausgleich wird vielfach nicht sinnvoll sein. Auch nach den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II Rdnr. 11.6a, ist Grundlage der Einkommensermittlung regelmäßig das Kalenderjahr und nicht etwa nur ein einzelner Monat. Dies erscheint dem Gericht gerade in einer auch von der Witterung abhängigen und damit jahreszeitlichen Schwankungen unterworfenen Branche, wie der Dachdeckerei, als sinnvoll. Im Übrigen deckt es sich mit § 4 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII. Eine voll umfängliche Klärung des Rechtsstreits wird erst auf Grundlage einer Gewinn- und Verlustrechnung für das gesamte Kalenderjahr möglich sein. Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung, wird die Einkommensermittlung an die Grundsätze des Steuerrechts anzulehnen sein. Regelmäßig werden dort aber Zahlungen erst in dem Jahr einkommensmindernd berücksichtigt, in dem sie tatsächlich geleistet werden und nicht schon mit der Fälligkeit der zugrunde liegenden Forderung, § 11 Abs. 2 Einkommensteuergesetz. Jedenfalls legitim dürfte es sein, Werbemaßnahmen, wie Adressbücher und Internetauftritte, die auch noch für das laufende Jahr in Auftrag gegeben wurden, auch erst in diesem gewinnmindernd zu berücksichtigen, sobald entsprechende Zahlungen erfolgen. Das in größerem Umfange und mißbräuchlich seitens der H2CS Zahlungen erst in diesem Jahr geleistet würden, um höhere Sozialleistungen für die Familien der Gesellschafter zu erreichen, ist nicht ersichtlich. Es erscheint nachvollziehbar, dass in den Anfangsjahren einer Gesellschaft in erheblichem Umfange Verbindlichkeiten begründet werden. Insbesondere war aber die Gewinnquote im Verhälltnis zum Umsatz in den Vorjahren nicht günstiger. Das Gericht hält die vorgelegten Gewinn- und Verlustberechnungen für nachvollziehbar. Nach diesen hätte der monatliche hälftige Gewinnanteil 2002 bei 902,69 Euro, 2003 bei 1.563,05 Euro und 2004 bei 990,36 Euro gelegen. Dies jedoch bei ungleich höheren Umsätzen als im laufenden Jahr. Weder die im Leistungsantrag prognostizierten 12.000,- Euro Umsatz monatlich, noch die sogar weniger als 10.000,- Euro monatlich Umsatz ausweisenden Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Einnahmeübersichten für die ersten sechs bzw. sieben Monate dieses Jahres, deuten darauf hin, dass die H1 H2CS im laufenden Jahr auch nur 60 % des Vorjahresumsatzes erreichen könnte.

Die Ungewissheiten dürfen nicht zu Lasten der Antragsteller gehen, haben diese sie doch nicht verschuldet. In der Vergangenheit abgeschlossene Vorgänge, wie eine versäumte zügige Veranlagung zur Einkommensteuer in den Jahren 2003 und 2004 kann ihnen in der gegenwärtigen Lage nicht entgegengehalten werden. Im Übrigen sind die Antragsteller Aufforderungen zur Vorlage benötigter Unterlagen zügig und gewissenhaft nachgekommen. Insbesondere haben sie den Umfang der Ratenzahlungen schon bei Antragstellung im Januar 2005 offengelegt. Die abschließende steuerrechtliche Beurteilung der Gewinnsituation eines Wirtschaftsunternehmens noch vor Beendigung des laufenden Veranlagungszeitraumes, ist im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht möglich. Auch die Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II sehen unter Rdnr. 11.7a vor, bei nicht hinreichender Sicherheit bezüglich der Einkommensschätzung für selbständige Tätigkeit nur vorläufig zu entscheiden, bis zum Erlass eines Einkommensteuerbescheides. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Antragsteller zu 3) und 4) erst vier Jahre alt sind und ihre Bedürfnisse nicht zurückstellen können. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Antragsteller kaum eine Aussicht haben, die bestehenden Ungewissheiten vor einer Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2005, die erst im Jahre 2006 erfolgen kann, zu beseitigen. Dann wären sie über ein halbes Jahr ohne Leistungen gewesen. Erhöhte Entnahmen aus den Mitteln der H1 H2CS sind dem Antragsteller zu 2) nicht zuzumuten, hätten sie doch aller Voraussicht nach die Insolvenz zur Folge. Die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz und der zukünftigen Erwerbsaussichten sowohl seiner selbst als auch seiner Angestellten sind als gewichtig anzusehen.

Die tenorierten Leistungen werden als ausreichend angesehen, um die akute Notlage der Antragsteller zu beseitigen. Mit diesen Leistungen waren sie auch in der Lage, in der ersten Jahreshälfte ein menschenwürdiges Leben zu führen. Gegenüber den damaligen Leistungen erhöhend mussten jedoch berücksichtigt werden die von ihnen nicht zu beeinflussenden Erhöhungen ihrer Neben- und Heizkostenvorauszahlungen. Bezüglich der Heizkostenvorauszahlung hat das Gericht am schon von der Antragsgegnerin praktizierten Abzug von 19,80 Euro für die Warmwasserbereitung festgehalten, da diese in der Regelleistung enthalten ist. Etwaige geringfügige Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation der Antragsteller brauchten hier nicht leistungserhöhend berücksichtigt werden. Denn die ihnen in der ersten Jahreshälfte gewährten Leistungen berücksichtigten ein Erwerbseinkommen des Antragstellers zu 2) von dem ein Freibetrag für Erwerbstätige nach § 30 SGB II abgezogen wurde. Dieser Freibetrag kompensierte damals jedoch keine Mehrbedarfe, sondern stellte lediglich einen Anreiz zur weiteren Erwerbstätigkeit dar. Eines solchen Anreizes bedarf es in einer konkreten Notsituation vorübergehend nicht. Es kann erwartet werden, dass ein Anreizbetrag für die elementaren Grundbedürfnisse eingesetzt wird. Die Befristung der zugesprochenen Leistungen bis zum 31.01.2006 sah das Gericht als erforderlich an. Dem Gericht ist Ermessen eingeräumt hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Entscheidung, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO. Die Erfüllung des materiellen Anspruchs scheidet wegen der dem vorläufigen Rechtsschutz immanenten Zielrichtung grundsätzlich aus. Dessen Ziel ist es, Nachteile für die Beteiligten durch lange Verfahrensdauer in der Hauptsache zu verhindern. Ausnahmen vom Verbot der Vorwegnahme in der Hauptsache sind nur möglich bei sonst unzumutbaren, namentlich existenziellen bzw. irreparablen Nachteilen (Rechtsvereitelung für den Antragsteller). D.h. wenn nur so effektiver Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gewährt werden kann. Hier ist der Allgemeinheit nicht zumutbar, wegen unklaren Sachverhalts unbefristet in Vorleistung zu treten. Die Antragsteller müssen im eigenen und im Interesse der Allgemeinheit die steuerliche Veranlagung für das Jahr 2005 so schnell als irgend möglich herbeiführen. Das Gericht verkennt nicht, dass es eher ungewöhnlich sein dürfte, dass ein Wirtschaftsunternehmen bereits zum Jahresende eine vollständige Bilanz aufstellen kann, doch sind den Antragstellern diesbezüglich besondere Anstrengungen zumutbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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