L 8 AS 1995/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AS 338/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 1995/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b SGB II sind Behörden iSd § 1 Abs. 2 SGB X in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts.
Lehnt die Arbeitsgemeinschaft einen Anspruch auf Alg II ab, kommt es in einem anschließenden Rechtsstreit für die Beurteilung des geltend gmeachten Anspruchs auf die Sach- und Rechtslage in dem Zeitraum an, für den nach § 41 Abs.1 Satz 4 SGB II Leistungen hätten bewilligt und im Voraus hätten erbracht werden sollen, falls der geltend gemachte Anspruch für begründet erachtet worden wäre.
Tilgungsraten für einen Kredit zur Anschaffung einer Eigentumswohnung sind grundsätzlich nicht als Kosten für die Unterkunft zu werten, weil die Schuldentilgung der Vermögensbildung dient (vgl zur Sozialhilfe BVerwG Urteil vom 10.09.1992 - 5 C 25/88 - ZfSH/SGB 1993, 586).
Die Regelungen in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II sind verfassungsgemäß.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II).

Die am ...geborene Klägerin ist verheiratet und lebt mit ihrem am ... geborenen Ehemann in E ... Sie kann mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ist aber seit längerem arbeitslos. Arbeitslosengeld bezog sie zuletzt bis 13.06.2003, anschließend erhielt sie bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe. Seit 01.01.2005 erzielt die Klägerin keinerlei Einkünfte. Der Ehemann der Klägerin erhält von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg Altersrente. Die Rentenleistung betrug nach Abzug der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung 964,58 EUR ab 01.04.2004, seit 01.07.2005 beläuft sich der monatliche Zahlbetrag nach Abzug der genannten Beiträge auf 959,80 EUR. Eine seit 1999 ausgeübte Nebentätigkeit gab der Ehemann der Klägerin Ende 2004 auf. Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann eine Eigentumswohnung; auf das hierfür aufgenommene Darlehen zahlten sie im Jahre 2003 638,20 EUR Zinsen und 4.909,64 Tilgung. Zum 31.12.2004 bestand noch eine zu verzinsende Kapitalschuld in Höhe von 9.248,14 EUR. Neben ihrem Miteigentumsanteil in Höhe von 50% an der selbst bewohnten Eigentumswohnung verfügt die Klägerin noch über eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 21.526,00 EUR, die am 01.09.2011 fällig wird. Zum 01.11.2004 belief sich die Summe der eingezahlten Beiträge auf 14.644,11 EUR, der Rückkaufswert betrug zu diesem Zeitpunkt 17.001,69 EUR. Eine Verwertung der Versicherung vor Eintritt in den Ruhestand ist nicht vertraglich unwiderruflich ausgeschlossen. Weiteres Vermögen besitzen die Klägerin und ihr Ehemann nicht.

Am 05.10.2004 beantragte die Klägerin bei der ALH-Arbeitsgemeinschaft Agentur für Arbeit und Landkreis Heilbronn (Beklagte) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bei der Antragstellung legte sie Quittungen für die Praxisgebühr, eine Aufstellung der Patientenzuzahlungen der Apotheke, eine Saldomitteilung ihrer Bank im Zusammenhang mit dem Wohnungseigentum, den Grundsteuerbescheid 2002 und eine Aufstellung der Gesamtkosten für die Wohnung vor. Daraus ergeben sich für die Zeit ab 01.01.2005 monatliche Nebenkosten für die Wohnung in Höhe von 159,84 EUR. Hierbei sind folgende Abgaben enthalten: Grundsteuer, Gebäudeversicherung, Abfallgebühren, Wasser- bzw. Abwassergebühren, Treppenhausbeleuchtung, Kabelanschluss, Hausmeisterkosten, Kosten für den Aufzug, Wasseraufbereitung, Betriebskosten, Verwaltungsgebühren, Abrechnungskosten, Heizkosten und Schuldzinsen. Nicht berücksichtigt sind Instandsetzungsrücklagen in Höhe von jährlich 314, - EUR (monatlich 26,17 EUR) und die Tilgungsraten für das Darlehen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.11.2004 und Widerspruchsbescheid vom 25.01.2005 ab. Sie führte aus, ausgehend von einer Altersrente des Ehemanns der Klägerin in Höhe von 964,58 EUR ergebe sich nach Abzug der Versicherungspauschale von 30,- EUR, des eigenen Bedarfs von 311,- EUR sowie der anteiligen Kosten der Unterkunft von 79,92 EUR ein Überschuss von 543,66 EUR, der den Bedarf der Klägerin in Höhe von 424,92 EUR nicht nur decke, sondern überschreite.

Am 03.02.2005 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, welche das SG mit Gerichtsbescheid vom 12.04.2005, der Klägerin zugestellt am 15.04.2005, abgewiesen hat.

Mit einem am 09.05.2005 beim SG eingegangenen Schreiben hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen und macht geltend, dass nach dem Armutsbericht der Bundesregierung die Armutsgrenze bei 938,- EUR im Monat liege, sie aber zu zweit mit 959,80 EUR auskommen müssten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.09.2005 hat die Klägerin ferner vorgetragen, das Darlehen für den Erwerb der Eigentumswohnung werde noch in diesem Jahr vollständig getilgt werden. Zur Sicherung dieses Darlehens habe sie auch die Lebensversicherung abgeschlossen. Unter Berücksichtigung der monatlichen Kosten für Unterkunft, Heizung, Zins und Tilgung für das Darlehen (462,- EUR), Strom, Rundfunk und Telefon hätten sie und ihr Ehemann noch etwa 121,- EUR zum Leben. Dies sei nicht ausreichend.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 01. Januar 2005 die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Sie hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, die Instandsetzungsrücklagen in Höhe von jährlich 314, - EUR (monatlich 26,17 EUR) könnten nach ihrer jetzigen Auffassung berücksichtigt werden. Dies ändere aber nichts daran, dass auch dann im konkreten Fall die Einkünfte höher als der Bedarf seien. Die Tilgungsraten für das Darlehen könnten auch weiterhin nicht als Bedarf anerkannt werden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Beteiligte des Klage- und Berufungsverfahrens ist nur die Klägerin, nicht aber auch ihr Ehemann. Der Ehemann der Klägerin bildet zwar mit der Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a) SGB II), kann selbst aber keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, da er bereits das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) und außerdem Rente wegen Alters bezieht (§ 7 Abs. 4 SGB II). Die Klägerin hat auch Leistungen nur für sich beantragt und nur ihr gegenüber ist ein Bescheid der Beklagten ergangen.

Richtige Beklagte ist die Arbeitsgemeinschaft für die Agentur für Arbeit Heilbronn und den Landkreis Heilbronn (ALH). Nach § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II errichten die Träger der Leistungen nach dem SGB II durch privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge Arbeitsgemeinschaften in den nach § 9 Abs. 1a SGB III eingerichteten Job-Centern. Die Arbeitsgemeinschaften sind berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen (§ 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II); sie werden außergerichtlich und gerichtlich durch den Geschäftsführer vertreten (§ 44b Abs. 2 Satz 2 SGB II). Damit sind sie nach Auffassung des Senats Behörden iSd § 1 Abs. 2 SGB X in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Dem steht nicht entgegen, dass sie auf vertraglicher Grundlage errichtet werden (aA Quaas, Die Arbeitsgemeinschaft nach dem neuen SGB II: Ungelöste Rechtsfragen zur Rechtsnatur der Einrichtung, SGb 2004, 723, 726). Denn die Rechtsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaft beruht nicht auf dem Vertrag, mit dem sie errichtet wird, sondern auf der gesetzlichen Regelung in § 44b SGB II. Da die Gründungsvereinbarung nur als öffentlich-rechtliche Vereinbarung gewertet werden kann (vgl. Quaas aaO S. 727), handelt es sich bei einer nach § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaft, jedenfalls soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum Erlass von Verwaltungsakten berechtigt ist, um eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Zwar sieht die gesetzliche Regelung in § 44b SGB II die rechtsfähige Anstalt als Rechtsform für die Arbeitsgemeinschaft nicht ausdrücklich vor, doch kommt es darauf nicht an (aA Strobel, Die Rechtsform der Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II, NVwZ 2004, 1195, 1196). Entscheidend ist, dass die Verleihung der Rechtsfähigkeit durch staatlichen Hoheitsakt erfolgt. Dies ist hier der Fall. § 44b SGB II enthält die Ermächtigung zur Gründung einer eigenständigen Organisation (Anstalt), die – soweit die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten reicht – Träger von Rechten und Pflichten sein kann, und damit zumindest Teilrechtsfähigkeit besitzt.

Die Fähigkeit der Arbeitsgemeinschaft, Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens zu sein, ergibt sich aus § 70 Nr. 1 SGG. Dies gilt auch, wenn der Arbeitsgemeinschaft keine volle Rechtsfähigkeit, sondern nur Teilrechtsfähigkeit zugesprochen wird. Denn die Regelung in § 70 Nr. 1 SGG muss in dem Sinne verstanden werden, dass sie alle Organisationen erfasst, soweit diese rechtsfähig sind (vgl § 50 ZPO). Die Arbeitsgemeinschaft nimmt nach § 44b Abs. 3 SGB II die Aufgaben – also Rechte und Pflichten – der Bundesagentur und des Landkreises Heilbronn wahr, ihre Stellung im sozialgerichtlichen Verfahren entspricht deshalb der einer gesetzlichen Prozessstandschaft (Breitkreuz, Die Leistungsträger nach dem SGB II im System des Sozialverwaltungsrechts, SGb 2005, 141, 142).

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte und das SG haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem SGB II zu Recht abgelehnt. Ein solcher Anspruch steht der Klägerin nicht zu.

Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie ist zwar erwerbsfähig, weil sie mehr als drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann und hat das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, sie ist aber nicht hilfebedürftig, weil sie ihren Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern kann. Denn bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehört nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a) SGB II neben der Klägerin auch ihr Ehemann, mit dem sie die gemeinsame Eigentumswohnung bewohnt. Dem steht nicht entgegen, dass der Ehemann der Klägerin selbst keine Leistungen nach dem SGB II erhalten kann, weil er – wie bereits dargelegt – bereits das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) und außerdem Rente wegen Alters bezieht (§ 7 Abs. 4 SGB II). Die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft beeinflusst zwar die Rechte und Pflichten der ihr angehörenden Personen, die Bildung der Bedarfsgemeinschaft erfolgt aber nach rein formalen Kriterien (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende, 2005, § 7 RdNrn 21f.). Im Falle des Ehemanns der Klägerin genügt, dass er mit der Klägerin verheiratet ist und nicht dauernd getrennt von ihr lebt. Unerheblich für die Zuordnung zur Bedarfsgemeinschaft ist, ob der Ehegatte selbst Ansprüche nach dem SGB II hat oder haben könnte.

Für die Beurteilung des streitgegenständlichen Anspruchs auf die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 an. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) konnte der Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt hat. Das war regelmäßig der Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung, also bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides (vgl. BVerwGE 25, 307 (308 f.); 39, 261 (264 ff.)), und galt grundsätzlich auch für (wiederkehrende) Leistungen der Eingliederungshilfe (s. Urteile vom 16. Januar 1986 - BVerwG 5 C 36.84 - (Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 5) und vom 30. April 1992 - BVerwG 5 C 1.88 - (Buchholz 436.0 § 40 BSHG Nr. 12)). Aus dieser zeitlichen Begrenzung des sozialhilferechtlichen Streitgegenstandes folgte, dass für die gerichtliche Überprüfung ablehnender Leistungsbescheide in der Regel die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist (s. etwa BVerwGE 90, 160 (162); 96, 152 (154); stRspr).

Diese zeitliche Fixierung galt jedoch nicht uneingeschränkt. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung durch die Zeit bis zum Erlass des letzten Behördenbescheides begrenzt ist, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann, wenn die Behörde den Hilfefall statt für den dem Bescheid nächstliegenden Zeitraum für einen längeren Zeitraum geregelt hat (vgl. BVerwGE 39, 261 (265); 89, 81 (85); s. ferner Urteile vom 16. Januar 1986 und 30. April 1992 a.a.O. S. 11 f. und S. 4 f.). Ebenso wie sich eine Bewilligung von Leistungen über einen längeren Zeitraum (über den Erlass des Widerspruchsbescheides hinaus) erstrecken kann, kann auch die Ablehnung einer solchen Bewilligung einen längeren Zeitabschnitt erfassen. Der die Bewilligung oder Ablehnung betreffende Regelungszeitraum braucht nicht ausdrücklich benannt zu sein, sondern kann sich aus dem maßgeblichen Bescheid auch durch Auslegung ergeben (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Juni 1995 - BVerwG 5 C 30.93 - (UA S. 7)). Hat der Leistungsträger Hilfeleistungen für einen in die Zukunft hineinreichenden, über den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung hinausgehenden Zeitraum abgelehnt (oder eingestellt), so ist die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage beschränkt, wie sie bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides bestanden hat. Es ist vielmehr auch die weitere Entwicklung in die Prüfung einzubeziehen (vgl. auch Urteil vom 8. Juni 1995 (a.a.O.)). Denn für die gerichtliche Verpflichtung zur Hilfegewährung kann die Sach- und Rechtslage im gesamten Regelungszeitraum maßgeblich sein, gegebenenfalls begrenzt durch den Zeitpunkt der (letzten) tatrichterlichen Entscheidung, wenn der Regelungszeitraum darüber hinausreicht (zum Ganzen BVerwG Urteil vom 31.08.1995 – 5 C 9/94BVerwGE 99, 149 = NJW 1996, 2588).

Diese zum Sozialhilferecht ergangene Rechtsprechung des BVerwG ist auf Ansprüche nach § 20 SGB II zu übertragen. Für den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist zu beachten, dass diese Leistungen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II für sechs Monate bewilligt und im Voraus erbracht werden sollen. Dies bedeutet, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid der Sache nach über die Gewährung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2005 entschieden hat, auch wenn dies im Bescheid selbst nicht ausdrücklich so bestimmt worden ist.

Der Ehemann der Klägerin erhält von der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg Altersrente. Die Rentenleistung betrug nach Abzug der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung 964,58 EUR ab 01.04.2004, seit 01.07.2005 beläuft sich der monatliche Zahlbetrag nach Abzug der genannten Beiträge auf 959,80 EUR. Von diesem Betrag sind nach § 4 Nr. 1 der auf Grund von § 13 SGB II erlassenen Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 20.10.2004 (BGBl I S. 2622) ein Betrag von pauschal 30- EUR für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II) abzuziehen. Damit verbleibt ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 934,58 EUR bzw. 929,80 EUR. Dieses Einkommen übersteigt den Bedarf von 781,84 EUR deutlich, der sich aus der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 SGB II in Höhe von je 311,- EUR für die Klägerin und ihren Ehemann, zusammen also 622,- EUR, sowie den Kosten für Heizung und Unterkunft in Höhe von monatlich 159,84 EUR zusammensetzt.

Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die von den Wohnungseigentümern zu zahlenden Rücklagen für die Instandsetzung ebenfalls zu den Unterkunftskosten zählen. Denn der monatliche Beitrag zu diesen Rücklagen beläuft sich auf 26,17 EUR. Auch unter Berücksichtigung dieses Betrages überschreitet das Einkommen den Bedarf. Die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Strom (ohne Heizung), Rundfunk und Telefon sind in der Regelleistung enthalten und können nicht zusätzlich als Unterkunftskosten geltend gemacht werden.

Die Tilgungsraten für den Kredit zur Anschaffung der Eigentumswohnung sind grundsätzlich nicht als Kosten für die Unterkunft zu werten, weil die Schuldentilgung der Vermögensbildung dient und es mit dem Zweck der steuerfinanzierten Leistungen zur Grundsicherung nicht vereinbar ist, den Vermögensaufbau der Hilfeempfänger zu finanzieren. (vgl. zur Sozialhilfe BVerwG Urteil vom 10.09.1992 – 5 C 25/88 – ZfSH/SGB 1993, 586). Ob eine Ausnahme u.a. dann zu machen ist, wenn bei einer Verweigerung der Tilgungsraten der Verlust der Wohnung droht und die sich daraus ergebenden Folgekosten größer sind als die Kosten, die bei einer Übernahme der Tilgungsraten und einer damit einhergehenden Vermögensbildung beim Hilfebedürftigen entstehen (hierzu Lang in Eicher/Spellbrink aaO § 22 RdNr. 30f), braucht hier nicht entschieden zu werden. Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Die Darlehensschuld ist nur noch so gering, dass sie nach den eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch in diesem Jahr vollständig zurückgezahlt sein wird. Soweit außerdem die Lebensversicherung, wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, zur Sicherung der Darlehensschuld eingesetzt worden ist, muss sich die Klägerin ohnehin zunächst an den Kreditgeber wenden und versuchen, für eine Übergangszeit (z.B. bis zur Fälligkeit der Lebensversicherung) eine Aussetzung der Tilgung zu erhalten. Denn erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

Die Regelungen in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II verstoßen nach Ansicht des Senats nicht gegen den in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgrundsatz. Dieser enthält zwar einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber (vgl. schon BVerfGE 1, 97 (105)). Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit lässt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend ist allerdings, dass der Staat die von Art 1 Abs. 1 GG geforderten Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (vgl. BVerfG Beschluss vom 29.05.1990 BVerfGE 82, 60, 85). Bei der Beurteilung des Mindestbedarfs steht nicht nur dem Verordnungsgeber (z.B. beim Erlass der Regelsatzverordnung nach § 22 BSHG a.F. bzw. § 28 Abs. 2 SGB XII), sondern auch dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich in tatsächlicher Hinsicht darauf, ob die Bemessung der Regelleistungen in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II auf ausreichende Erfahrungswerte gestützt werde kann (vgl. zur Regelsatzfestsetzung nach dem Statistikmodell im Rahmen der Sozialhilfe BVerwG Urt. v. 18.12.1996 – 5 C 47/95BVerwGE 102,366 m.w.N.).

Dies ist nach Ansicht des Senats der Fall. Nach der Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BTDRs 15/1516 S. 56) ergibt sich die monatliche Regelleistung für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind (so genannte Eckregelleistung), aus der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt erhobenen Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998, die auf den Stand 01.07.2003 hochgerechnet wurde. Die dort dokumentierten Angaben werden jedoch nicht in vollem Umfang in Ansatz gebracht, sondern nur zu einem bestimmten Anteil (vgl. § 2 Abs. 2 der Regelsatzverordnung - RSV - vom 03.06.2004, BGBl I S. 1067). Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Hilfeempfänger weniger konsumieren kann als die unteren 20 % in der Einkommensschichtung (Däubler NZS 2005, 225, 228). Nach Ansicht des Senats stellt diese Art der Bedarfsermittlung und deren Ergebnis keinen Verstoß gegen die Pflicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins dar.

Bei dem hier im Streit stehenden Arbeitslosengeld II ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I S. 2954) eine tiefgreifende Reform des sozialen Sicherungssystems vorgenommen hat. Wie sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt, soll die neu konzipierte Grundsicherung für Arbeitssuchende dazu beitragen, dass die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten können. Dies soll vor allem dadurch erreicht werden, dass die Hilfebedürftigen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder beibehalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Um diesen Ansatz verwirklichen zu können, ist es sachgerecht, sich bei der Bedarfsermittlung an den unteren Einkommensgruppen zu orientieren, weil dadurch der Anreiz zur Aufnahme einer Tätigkeit größer ist als bei einer Orientierung im mittleren Bereich der Einkommensgruppen.

Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster unabweisbarer Bedarf dennoch nicht gedeckt werden, kommt die Gewährung eines Darlehens gemäß § 23 Abs. 1 SGB II in Betracht. Den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus der unterschiedlichen Regelung im SGB II einerseits – nur Darlehensgewährung bei unabweisbarem Bedarf – (§ 23 Abs. 1 SGB II) und dem SGB XII andererseits – individuelle Berücksichtigung des unabweisbaren Bedarfs abweichend vom Regelsatz – (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) herleiten (vgl. Däubler, NZS 2005, 225, 231; Bieback NZS 2005, 337, 339; O´Sullivan SGb 2005, 369, 372) könnte durch eine Modifizierung der durch § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II eröffneten Aufrechnungsbefugnis begegnet werden (vgl. hierzu Lang in Eicher/Spellbrink aaO § 23 RdNr. 66). Der vorliegende Fall gibt allerdings keinen Anlass, dieser Frage weiter nachzugehen. Denn die Klägerin hat nicht darlegen können, dass sie einen Bedarf hat, der in der Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Unter Berücksichtigung der Altersrente ihres Ehemannes verfügt sie über ein Einkommen, das höher ist als die Eckregelleistung, zudem über eine Lebensversicherung und einen Miteigentumsanteil an einer Eigentumswohnung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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