L 6 V 2307/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 V 890/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 2307/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Abgrenzung der Pflegestufen I und II nach § 35 BVG sind die zeitlichen Grenzwerte nach § 15 Abs. 3 SGB XI als Orientierungswerte zu berücksichtigen.

Pflegezulage gemäß § 35 BVG nach Stufe II steht jedenfalls dem Beschädigten zu, dessen Bedarf an Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) einschließlich des Zeitaufwands für Anleitung, Übernahme und Bereitschaft und an Maßnahmen der psychischen Erholung geistigen Anregung und Kommunikation mindestens 4 Stunden beträgt.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Mai 2004 dahingehend abgeändert, dass der Beklagte dem Kläger erst ab 1. Februar 2001 Pflegezulage nach Stufe II zu gewähren hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegezulage nach der Stufe II nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Mit Bescheid vom 08.04.1987 hatte der Beklagte bei dem 1919 geborenen Kläger zuletzt als Schädigungsfolgen anerkannt: 1. Verlust des linken Beines im Oberschenkel mit verbildender Entartung und Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk und Stumpfneuralgien. Verheilter Bruch des linken Ellenbogens. Bewegungseinschränkung und verbildende Entartung im linken Schultergelenk sowie Schwäche des Arms. 2. Chronische deformierende Veränderungen am rechten Hüft-, Knie- und Sprunggelenk sowie Fußwurzel mit Senk-Spreizfuß. Kunstgelenk in der rechten Hüfte (TEP). Postthrombotische Veneninsuffizienz nach Krampfaderoperation und zwar zu 1. hervorgerufen und zu 2. verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG. Der Kläger bezog deshalb Beschädigtenrente nach einer MdE um 100 v. H. gem. § 30 Abs. 1 BVG sowie Schwerstbeschädigtenzulage gem. § 31 Abs. 5 BVG nach Stufe II.

Grundlage der Neufeststellung war das versorgungsärztliche (vä) Gutachten des Chirurgen Dr. R. vom 18.02.1987, der darin die schädigungsbedingte MdE von seiten der linken Hüfte einschließlich Stumpf mit 90 bis 100 v. H., die MdE für die Schäden am rechten Bein mit 60 v. H. und die MdE für den Befund an der linken Schulter mit 30 v. H. einschätzte.

Nachdem sich der Kläger am 06.07.1996 bei einem Sturz in der Wohnung eine Schrägfraktur des medialen Grundgliedköpfchens der rechten Großzehe zugezogen hatte, beantragte er am 25.07.1996 die Gewährung einer Pflegezulage, weil er zur Zeit fast vollkommen gehunfähig sei. Nach Durchführung von Ermittlungen und Einholung von vä Stellungnahmen bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 11.03.1997 Pflegezulage nach der Stufe I für die Monate Juli und August 1996 sowie als Folgeleistungen die Hälfte der vollen Ausgleichsrente und Ehegattenzuschlag für diese beiden Monate.

Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, die Beschwerden nach Bruch des Großzehenendgliedes bestünden weiter, weil jetzt eine Falschgelenkbildung bestehe. Er könne den rechten Fuß, der nach einem doppelten Knöchelbruch erheblich deformiert sei, kaum mehr belasten. Auch habe er in beiden Schultergelenken heftige Schmerzen und ähnliche Beschwerden in beiden Handgelenken und im Ellenbogengelenk. Er könne sich nicht mehr bücken, nicht mehr aus einem tiefen Sessel aufstehen und müsse sich in Jacke, Mantel und dergleichen hineinhelfen lassen.

Der Beklagte zog von der Bayerischen Beamtenkrankenkasse die zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung erstatteten Gutachten von Dr. M.-B. vom 19.06.1996 und von Dr. F. vom 04.11.1997 (erforderliche Grundpflege täglich 98 Minuten entsprechend der Pflegestufe I) bei. Hierbei wurden außer den anerkannten Schädigungsfolgen eine hochgradige Einschränkung der Sehkraft bei Makuladegeneration (Visus rechts 0,1 und links 0,2) sowie eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern und chronischer Herzinsuffizienz, eine chronisch venöse Insuffizienz und ein Ureterostoma nach Prostatektomie und Harnblasenentfernung wegen Karzinoms berücksichtigt. Ferner holte der Beklagte von dem Internisten Dr. H. den Bericht vom 20.03.1998 ein und zog zahlreiche medizinischen Befundunterlagen bei. In seiner vä Stellungnahme vom 02.04.1998 führte Dr. G. aus, die Brüche von 7/87 und 7/96 am rechten Fuß hätten offensichtlich zu keiner wesentlichen Verschlechterung der Funktion geführt. Dagegen lägen gravierende Nachschäden mit zum Teil progredientem Verlauf vor (Polyarthrose, Herzleistungsminderung, Ureterostoma, Seh- und Hörminderung, Nervenschaden rechte Hand). Nach den Kurberichten sei ab Juni 1997 eine zunehmende Immobilität eingetreten, sodass der Kläger häufig auf den Rollstuhl angewiesen sei. Schädigungsfolgen und Nichtschädigungsleiden würden hierfür als zumindest annähernd gleichwertig eingeschätzt. Der in den sozialmedizinischen Gutachten der Krankenkasse dokumentierte Pflegeaufwand habe sich dadurch erhöht, sodass eine Pflegezulage nach Stufe I ab Juni 1997 vorgeschlagen werden.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 11.05.1998 half der Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit ab, als Pflegezulage nach Stufe I ab 01.06.1997 bis auf Weiteres gewährt wurde. Im übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die über den 31.08.1996 hinaus bestehende Hilflosigkeit sei auf schädigungsunabhängige Erkrankungen zurückzuführen, ohne dass die Schädigungsfolgen hierfür von annähernd gleichwertiger Bedeutung gewesen seien. Ab 01.06.1997 seien die Voraussetzungen für Gewährung von Pflegezulage nach Stufe I wieder gegeben, weil ausweislich des Kurberichts vom 17.07.1997 eine Zunahme der Immobilität eingetreten sei, für welche die Schädigungsfolgen eine zumindest annähernd gleichwertige Bedingung darstellten.

Hiergegen erhob der Kläger am 12.06.1998 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG - S 3 V 1537/98). Zur Begründung trug er vor, die äußerst schmerzhaften Zustände in beiden Schultern sowie im rechten Ellenbogengelenk und im Kniegelenk seien nicht oder nur ungenügend berücksichtigt worden. Da sein rechtes Bein nahezu gebrauchsunfähig sei, stehe ihm "mindestens die Pflegezulage II oder III zu".

Das SG holte von dem Orthopäden Dr. V. und der Gemeinschaftspraxis der Allgemeinmediziner Dres. S. die sachverständigen Zeugenauskünfte vom 27.10. und 30.12.1998 ein und zog Unterlagen aus dem Rechtsstreit des Klägers S 8 P 16/98 mit der Stellungnahme von Dr. F. vom 13.07.1998 bei. Nachdem der Kläger am 20.08.1999 beantragt hatte, seine Schultergelenksbeschwerden als zusätzliche Schädigungsfolge anzuerkennen, ordnete das SG mit Beschluss vom 13.10.1999 das Ruhen des Verfahrens an.

Der Beklagte zog weitere medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers bei sowie von der Bayerischen Beamtenkrankenkasse das Pflegegutachten bei, das Dr. F. am 22.12.1999 aufgrund eines Hausbesuchs erstattet hatte. Darin wird ausgeführt, im Sitzen würden die Füße mit den Händen nicht mehr ausreichend erreicht, kein Bücken. Für Positionswechsel sitzen/stehen sei personelle Unterstützung erforderlich, da sich der Kläger mit dem rechten Arm wegen Schmerzen nicht mehr abstützen könne. Die grobe Kraft sei im Zuge eines allgemeinen Kräfteabbaus vermindert. Das Gehen ohne Oberschenkelprothese links gelinge mit einem Paar Unterarmgehstützen noch selbständig. Dabei imponiere ein kleinschrittiges und unsicheres Gangbild. Der anrechenbare Zeitbedarf für die Grundpflege betrage 121 Minuten, der Gesamtpflegeaufwand unter Einbeziehung der hauswirtschaftlichen Vorsorgung 181 Minuten entsprechend der Pflegestufe II.

Aufgrund einer bei einem Hausbesuch durchgeführten Untersuchung des Klägers erstattete Dr. G. am 24.05.2000 ein vä Gutachten. In der Anamnese wird ausgeführt, die Mobilität habe immer mehr nachgelassen. Während der Kläger in früheren Jahren mit einem Gehstock ausgekommen sei, habe er seit ca. 1986/1987 zwei Gehkrücken benutzt. Seit einigen Jahren habe er einen Gehwagen bzw. Rollstuhl auch im Haus und einen Elektrorollstuhl außerhalb des Hauses. Bezüglich der Oberschenkelamputation links habe sich keine wesentliche Befundabweichung zum maßgeblichen Vorgutachten ergeben. Die MdE sei insoweit unter Berücksichtigung von Stumpfneuralgien und der geringen Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk unverändert mit 100 v. H. zu bewerten. Rechtsseitig bestehe nach klinischem Aspekt eine mittelgradige Bewegungseinschränkung bei verstrichenen Kniegelenkskonturen und endgradig schmerzhafter eingeschränkter Beweglichkeit des Kniegelenks. Die Fußfehlstellung rechts erscheine leicht progredient, ebenso die Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk. Außerdem habe eine geringe Rezidiv-Varikosis mit Unterschenkel- und Knöchelödem bestanden. Der Gesamtbefund am rechten Bein sei bisher nicht einem Oberschenkelverlust gleichzusetzen, sodass die bisherige Teil-MdE von 60 v. H. unverändert für zutreffend gehalten werde. Im Bereich des linken Armes lasse sich klinisch keine wesentliche Befundänderung nachweisen. Neu sei dagegen eine Bewegungseinschränkung im rechten Schulter- sowie im rechten Handgelenk. Mit Wahrscheinlichkeit liege eine annähernd gleichwertige Verursachung für die beschriebene Funktionseinschränkung am rechten Arm vor. Schädigungsabhängig bestehe zusätzlich ein degeneratives HWS-Syndrom mit Bandscheibenschäden, das zu rezidivierenden Nervenwurzelirritationen an beiden Armen führe. Der Defektzustand des operierten Karpaltunnelsyndroms rechts sei dagegen mit Wahrscheinlichkeit als schädigungsunabhängig einzuschätzen, da der Operationstermin ca. 1960 weit vor dem Gehkrückengebrauch vorgelegen habe. Unter Berücksichtigung des sozialmedizinischen Gutachtens der Krankenkasse vom 22.12.1999, der beigezogenen ärztlichen Unterlagen und der Angaben des Klägers und seiner Ehefrau sei eine Hilflosigkeit in wesentlichen Abläufen des täglichen Lebens festzustellen. Die Pflegezulage der Stufe I sei unter Berücksichtigung von Schädigungsfolgen und Nichtschädigungsfolgen unverändert zutreffend. Wegen der Verschlimmerung der Schädigungsfolgen seien jetzt die Voraussetzungen für die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe III erfüllt.

Mit Bescheid vom 13.06.2000 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 20.08.1999 ab, ihm "Pflegezulage nach einer höheren Stufe gem. § 35 Abs. 1 Satz 4 BVG" zu gewähren. Die Rechtsmittelbelehrung ging dahin, gegen diesen Bescheid könne Widerspruch erhoben werden.

Mit Bescheid vom 14.06.2000 anerkannte der Beklagte ferner eine verbildende Entartung und Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk und eine Handgelenksveränderung rechts als zusätzliche Schädigungsfolgen, die durch die bisher anerkannten Schädigungsfolgen mit Wahrscheinlichkeit annähernd gleichwertig hervorgerufen seien. Er bewilligte dem Kläger für die Zeit ab 01.08.1999 Schwerstbeschädigtenzulage nach der Stufe III.

Am 03.04.2002 rief der Kläger das Klageverfahren S 3 V 1537/98 wieder an, das nun unter dem Aktenzeichen S 3 V 890/02 fortgeführt wurde. Der Kläger verwies auf die zusätzlich anerkannten Schädigungsfolgen von seiten des rechten Arms und trug vor, er könne gar nicht mehr gehen, sondern sitze ausschließlich im Rollstuhl, sowohl zu Hause als auch bei Ausfahrten mit dem Elektrorollstuhl. Soweit Dr. G. in seinem Gutachten ausgeführt habe, er sei auf einen Gehwagen angewiesen, sei dies unzutreffend. Schon seit mindestens zwei bis drei Jahren habe er unter vermehrten Schmerzen an der 1986 operierten Hüfte gelitten. Jetzt könne er nur noch eine halbe Minute auf dem rechten Bein stehen. Dies bedeute, dass er seine Prothese nur noch mit fremder Hilfe anziehen könne. Zu Unrecht habe Dr. G. den Standpunkt vertreten, der Zustand des rechten Beins lasse sich nicht mit einer Oberschenkelamputation vergleichen. Damit werde verkannt, dass sich die Hüftendoprothese rechts gelockert haben müsse. Einen entsprechenden Verdacht habe ein Orthopäde in Bad Waldsee während eines im Mai 2002 durchgeführten Heilverfahrens geäußert. Die Teil-MdE von 60 v. H. für das rechte Bein sei zu niedrig bewertet, da eine Unterschenkelamputation allein regelmäßig eine MdE von 50 v. H. ergebe. Da andererseits wegen der beidseitigen äußerst schmerzhaften Schulterentartungen und laufenden Entzündungen eine Entlastung des noch erhaltenen Beines durch Gehen an Stockstützen nicht möglich sei, sei er schlechter daran als ein Oberschenkelamputierter, dessen anderes Bein im Unterschenkel amputiert sei, der jedoch noch über ein funktionstüchtiges Knie- und Hüftgelenk verfüge. In einem solchen Fall werde regelmäßig die Pflegestufe II zuerkannt.

Der Beklagte trat der Klage mit der vä Stellungnahme von Dr. R. vom 11.07.2003 entgegen. Darin wird ausgeführt, grundsätzlich sei die Notwendigkeit der Benutzung eines Rollstuhls zur Fortbewegung noch nicht dem Verlust beider Beine im Oberschenkel gleichzusetzen, für den eine Pflegezulage nach Stufe II vorgesehen sei. Das Angewiesensein auf einen Rollstuhl innerhalb des Wohnraums allein sei mit der Pflegezulage der Stufe I abgedeckt. Nach den bei dem Kläger dokumentierten Befunden sei die Funktion des Beines zwar erheblich beeinträchtigt, entspreche aber nicht einer Gebrauchsunfähigkeit. Der Kläger sei zwar bei der letzten Reha-Maßnahme im Zeitraum vom 09.05. bis 06.06.2002 mit Rollstuhl erschienen, habe aber nach dem vorliegenden Bericht mit Oberschenkelprothese links unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstützen ein ausreichend sicheres Gangbild geboten. Im übrigen sei unter Berücksichtigung der schädigungsbedingten Funktionsbeeinträchtigung im Bereich beider oberen Gliedmaßen ein außergewöhnliches Pflegebedürfnis, das eine über die Pflegezulage der Stufe I hinausgehende Versorgung begründen könnte, nicht erkennbar.

Mit Urteil vom 13.05.2004 änderte das SG den Bescheid vom 11.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.1998 ab, hob den Bescheid vom 13.06.2000 auf und verurteilte den Beklagten, dem Kläger ab 01.09.1999 Pflegezulage der Stufe II zu gewähren. In den Entscheidungsgründen legte das SG dar, der Anspruch des Klägers auf Pflegezulage nach Stufe II ergebe sich zwar weder aus dem Umstand, dass der Kläger in die Pflegestufe II nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) eingestuft worden sei und auch nicht aus der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 10 zu § 35 BVG, denn die Einschränkungen, die am rechten Bein des Klägers bestünden, seien einer Oberschenkelamputation nicht gleichzusetzen bzw. die beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen an beiden unteren Gliedmaßen seien nicht gleichbedeutend mit dem Verlust beider Beine im Oberschenkel. Jedoch seien bei der gebotenen Gesamtbetrachtung die Voraussetzungen nach § 35 Abs. 1 Satz 4 BVG erfüllt. Der Beklagte habe auf der Grundlage des Pflegegutachtens vom 22.12.1999 den Bedarf an Grundpflege mit einem Zeitbedarf von 121 Minuten täglich der Prüfung zu-grundegelegt und das besondere Augenmerk auf die Mobilität des Klägers gerichtet. Diese Vorgehensweise erweise sich jedoch als unzureichend, denn allein der Umstand, dass der Kläger mit zwei Unterarmgehstützen ein ausreichend sicheres Gangbild zeige, wie dies im Kurbericht vom 01.07.2002 beschrieben und auch im Pflegegutachten vom 22.12.1999 zum Ausdruck gebracht werde, sei für das gesamte Ausmaß der Immobilität allein nicht aussagekräftig. Ausweislich der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. V. vom 27.10.1998 könne sich der Kläger mit zwei Gehstützen nur mühsam fortbewegen. Das Pflegegutachten vom 22.12.1999 enthalte keine Angaben zur notwendigen Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, z. B. zu Arzt- und Anwendungsterminen, die bei der Beurteilung des Hilfebedarfs zu berücksichtigen sei. Nicht erfasst sei außerdem der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation innerhalb und außerhalb der Wohnung, da dieser im Bereich der Pflegeversicherung nicht berücksichtigungsfähig sei. Bei der Prüfung nach § 35 Abs. 1 BVG sei auch dieser Bedarf zu berücksichtigen und in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Betroffenheit der oberen und unteren Gliedmaßen, der hochgradigen Sehbehinderung und der Herzinsuffizienz des Klägers sei festzustellen, dass der Hilfebedarf weit über die nach Stufe I erforderlichen Hilfeleistungen oder über die Hilfeleistungen hinausgehe, die allein bei Angewiesensein auf einen Rollstuhl erforderlich seien.

Der Beklagte hat gegen das am 26.05.2004 zugestellte Urteil am 14.06.2004 Berufung eingelegt. Unter Bezugnahme auf die vä Stellungnahme von Dr. S. vom 08.06.2004 trägt er vor, die Beeinträchtigungen am rechten Bein entsprächen nicht einer Gebrauchsunfähigkeit dieses Beines. Trotz der orthopädischen Beeinträchtigungen habe der Kläger bei der Reha-Maßnahme im Mai/Juni 2002 ein ausreichend sicheres Gangbild gezeigt. Auch unter Berücksichtigung der schädigungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der oberen Gliedmaßen habe ein außergewöhnliches Pflegebedürfnis (etwa im gleichen Umfang wie bei dauerndem Krankenlager), das eine über die Pflegezulage der Stufe I hinausgehende Versorgung begründen könnte, nicht objektiviert werden können. Die vom SG für die Begründung der Pflegezulage der Stufe II ebenfalls herangezogene hochgradige Sehbehinderung sei bisher nicht dokumentiert. Der Beklagte hat zuletzt die vä Stellungnahme von Dr. R. vom 28.02.2005 vorgelegt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.05.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Behauptung, er könne mit Prothese und Gehstütze ausreichend und sicher gehen, sei böswillig. Tatsächlich sitze er zu Hause, solange er nicht liege, den ganzen Tag im Rollstuhl. Der Kläger hat mehrere ärztliche Unterlagen vorgelegt, u. a. den Arztbrief des Chirurgen Dr. S. vom 27.07.2000, des Neurologen Dr. M. vom 28.06.1999 und den Entlassungsbericht der Klinik M. B. W. vom 01.07.2002. Mit Schreiben vom 28.05.2005 hat der Kläger auf entsprechende Anfrage Angaben zu den bei ihm notwendigen und tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen gemacht. Er hat zuletzt den Befund seines Augenarztes Dr. U. vom 23.11.2004 vorgelegt. Danach beträgt der Visus rechts 0,05 bis 0,16 und links 0,16 bis 0,2.

Der Senat hat von der Bayrischen Beamtenkrankenkasse das letzte Pflegegutachten der Firma M. vom 05.02.2001 beigezogen. Darin wird in der pflegerelevanten Funktionsbeschreibung des Stütz- und Bewegungsapparates eine fluktuierende Schwellung unterhalb des rechten Schultergelenks beschrieben. Gehen und Stehen sei (nur) mit personeller Hilfe möglich, ebenso das Aufrichten aus der sitzenden Position. Der Kläger sei ferner durch eine schwerste Sehbehinderung beiderseits infolge Makuladegeneration behindert. Der Bedarf an Grundpflege wurde im Bereich der Körperpflege mit 149 Minuten, im Bereich der Ernährung mit 39 Minuten und im Bereich der Mobilität mit 24 Minuten ermittelt, der Gesamtbedarf an Grundpflege mit 212 Minuten. Der Senat hat ferner den Augenarzt Dr. S. und den Orthopäden Dr. V. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. S. hat unter dem 25.08.2004 die Sehschärfe rechts mit 0,1 und links mit 0,25 angegeben. Dr. V. hat unter dem 18.01.2004 (gemeint 2005) ausgeführt, letztlich könne eine eindeutige Lockerung der Hüft-Totalendoprothese nicht bestätigt werden. Vor allem aufgrund der schweren Schulterveränderungen sei dem Kläger eine Fortbewegung ohne Rollstuhl praktisch nicht mehr möglich. Im Rollstuhl könne er sich nur noch wenige Meter fortbewegen; eigenständig sei ihm dies auch kaum noch möglich, da er nicht die Kraft habe, sich in dem Stuhl selbst fortzubewegen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe (§ 144 SGG) stehen ihr nicht entgegen.

Die Berufung ist aber nur zum kleineren Teil begründet, weil dem Kläger nicht schon ab 01.09.1999, sondern erst ab 01.02.2001 Pflegezulage nach der Stufe II zusteht. Im Übrigen, also ganz überwiegend, ist die Berufung unbegründet.

Solange ein Beschädigter infolge der Schädigung hilflos ist, hat er Anspruch auf eine Pflegezulage nach der Stufe I. Hilflos im Sinne des Satzes 1 ist der Beschädigte, wenn er für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 2 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Ist die Gesundheitsstörung so schwer, dass sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert, so ist die Pflegezulage je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege auf die Stufen II, III, IV, V und VI zu erhöhen (§ 35 Abs. 1 Satz 1 bis 4 BVG).

§ 35 Abs. 1 BVG ist seit dem 01.04.1995 mehrfach neu gefasst worden. Das ist hier jedoch nicht rechtserheblich, denn der Maßstab für den Inhalt des Begriffs "hilflos" hat sich dadurch nicht geändert. Erforderlich ist stets, dass die anerkannten Schädigungsfolgen jedenfalls eine annähernd gleichwertige Mitursache für den Gesamtzustand bilden, der bei der Prüfung von Hilflosigkeit von Bedeutung ist (BSGE 41, 80, 83 f; 90, 185 f.).

Zu den von § 35 Abs. 1 BVG erfassten Verrichtungen zählt entgegen der von Wilke u.a., Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, Anm. 11 zu § 35 BVG vertretenen Meinung nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 02.07.1997 in SozR 3-3100 § 35 Nr. 6), welcher der Senat folgt, nicht der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Bei den zu berücksichtigenden Verrichtungen handelte es sich um solche, die im Ablauf des täglichen Lebens unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, zu Bett gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSGE 72, 285) Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistige Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen - vgl. zuletzt BSG vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R = SozR 3-3100 § 35 Nr. 12).

Eine "bei einer Reihe von Verrichtungen" wiederkehrende Hilfe kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt. Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-3100 § 35 Nrn. 6 und 12; Urteil vom 02.07.1997 - 9 RVs 9/96) ist darüber hinaus ein Hilfebedarf erheblichen Umfangs erforderlich. Dies richtet sich nach dem Verhältnis der dem Beschädigten ohne fremde Hilfe nicht mehr möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe noch bewältigen kann. In der Regel ist dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen.

Seit der Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 können deren Regelungen bei der Auslegung des § 35 BVG wegen der offenkundigen Sachnähe nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Zwar hat der Gesetzgeber im BVG und im SGB XI bewusst unterschiedliche Begriffe der Hilflosigkeit verwendet und auch den Bereich der Grundpflege nicht einheitlich abgegrenzt. Nach den Materialien zum Pflegeversicherungsgesetz sind die bis dahin geltenden Begriffe der Pflegebedürftigkeit bzw. Hilflosigkeit für die neu geschaffene soziale Pflegeversicherung bewusst aufgegeben worden. Der Gesetzgeber hat hier zwar Elemente aus den bis dahin geltenden Regelungen anderer Gesetze übernommen und die dazu ergangene Rechtsprechung verwertet, indem er einerseits den Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung einbezogen, andererseits aber den Hilfebedarf bei der Kommunikation und geistigen Anregung aus dem Bereich der Grundpflege ausgeschlossen hat (BT-Drucksache 12/5262 S. 95f). Den in § 14 Abs. 1 SGB XI enthaltenen neuen Begriff der Hilflosigkeit hat der Gesetzgeber zwar für die Bereiche der Sozialhilfe und der Kriegsopferfürsorge übernommen, nicht aber für die Pflegezulage nach § 35 BVG und auch nicht für das Einkommenssteuerrecht (BSG SozR 3-3300 § 34 Nr. 1).

Obwohl der Begriff der Hilflosigkeit wie dargelegt im SGB XI anders verstanden wird als im BVG, hält es der 9. Senat des BSG im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB XI) für sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen. Er hat bereits entschieden, dass derjenige nicht im Sinne von § 35 BVG hilflos ist, der nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist (vgl. BSGE 67, 204, 207; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 12; BSG SozR 3-3100 § 35 Nr. 6). Im Urteil vom 10.12.2002 - B 9 V 3/01 R hat das BSG ferner entschieden, bei einem Überschreiten der Mindestgrenze von einer Stunde könne nicht in jedem Fall Hilflosigkeit bejaht werden. Vielmehr sei hierfür in der Regel ein täglicher Zeitaufwand erforderlich, der mindestens zwei Stunden erreicht. Hierfür waren folgende Erwägungen maßgeblich: Da die Begriffe der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI und der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG nicht völlig übereinstimmen, können die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie lassen sich jedoch als gewisse Orientierungspunkte nutzen. Immerhin decken sich die von beiden Begriffen erfassten Verrichtungsbereiche insoweit, als die sogenannte Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) betroffen ist. Im Rahmen des § 35 BVG kommt noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation hinzu, außerdem sind hier anders als in der Pflegeversicherung auch Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, erscheint es ferner geboten, bei der Beurteilung von Hilflosigkeit nicht allein auf den täglichen Betreuungsaufwand abzustellen. Vielmehr kommt dabei auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert wird wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich ist. Denn eine Hilfsperson kann regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden. Dieser Umstand rechtfertigt es, Hilflosigkeit im Sinne von § 35 BVG bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist (BSG aaO).

Zu der Frage, wie die sechs Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG seit Inkrafttreten der Regelungen des Pflegeversicherungsgesetzes vom 26.05.1994 (BGBl. I S. 1014/2797) zur häuslichen Pflege am 01.04.1995 (vgl. Art. 68 Abs. 2 des Pflegeversicherungsgesetzes) voneinander abzugrenzen sind, hat sich das BSG bisher nicht geäußert. Es hat jedoch in den Urteilen vom 10.12.2002 (SozR 3-3100 § 35 Nr. 12) und vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R (= SozR 4-3250 § 69 Nr. 1) jeweils ganz allgemein ausgeführt, die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung könnten zwar nicht unmittelbar übernommen werden, sie ließen sich jedoch als Orientierungspunkte nutzen. Dem kommt Bedeutung nicht nur für die Frage zu, wann die Voraussetzungen der Stufe I einer Pflegezulage nach § 35 BVG erfüllt sind, sondern auch für die Frage, wie die übrigen Stufen der Pflegezulage voneinander abzugrenzen sind. Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 4 BVG ist insoweit wenig hilfreich. Als Voraussetzung bereits der Stufe II wird hier gefordert, dass die Gesundheitsstörung so schwer ist, dass sie dauerndes Krankenlager oder dauernd außergewöhnliche Pflege erfordert. Die Abgrenzung zu den Stufen III bis VI soll "je nach Lage des Falles unter Berücksichtigung des Umfangs der notwendigen Pflege" erfolgen. Eine explizite Regelung hält § 35 Abs. 1 Satz 5 BVG nur für die Blinden bereit, die mindestens die Pflegezulage nach Stufe III erhalten. Dagegen enthält § 15 Abs. 1 und 3 SGB XI eine detaillierte Regelung zur Abgrenzung der drei Pflegestufen in der sozialen Pflegeversicherung. Danach muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen, wovon auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen. In der Pflegestufe II muss der Pflegebedarf mindestens drei Stunden betragen, wovon auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen und in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden, wovon auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen müssen. § 36 Abs. 4 SGB XI und die hierzu aufgrund der Ermächtigung in § 17 Abs. 1 Satz 3 SGB XI beschlossenen Härtefallrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen enthalten ferner Regelungen über die Gewährung zusätzlicher Leistungen in Härtefällen, in denen ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt.

Die Verwaltungspraxis des Beklagten zieht zur Abgrenzung der Pflegestufen II bis VI ausschließlich die zu § 35 BVG erlassenen Verwaltungsvorschriften heran. Diese haben auch Eingang in die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" von 1996 bzw. die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" von 2004 (dort jeweils im Abschnitt 50) gefunden. Im vorliegenden Fall hat sich der Beklagte auf die Verwaltungsvorschrift Nr. 10 berufen. Danach ist bei Doppelamputierten ohne weitere Gesundheitsstörungen im Allgemeinen eine Pflegezulage nach Stufe I angemessen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um paarige oder nichtpaarige Gliedverluste (Oberarm, Unterarm, ganze Hand, Oberschenkel, Unterschenkel, ganzer Fuß) handelt. Das gilt nicht für Doppel-Unterschenkelamputierte. Abweichend davon ist angemessen beim Verlust beider Beine im Oberschenkel die Stufe II, beider Hände oder beider Arme im Unterarm die Stufe III und beim Verlust beider Arme im Oberarm oder dreier Gliedmaßen die Stufe IV der Pflegezulage, sofern nicht besondere Umstände eine höhere Einstufung rechtfertigen. Ungeachtet der Problematik, dass es sich bei dieser Verwaltungsvorschrift - auch nach ihrer "Inkorporierung" in die AP - nicht um eine Rechtsnorm handelt, ist hiermit eine Abgrenzung der einzelnen Pflegestufen längst nicht mit derselben Exaktheit möglich, welche die §§ 15 und 36 SGB XI auszeichnet. Diese fehlende Exaktheit war für das BSG erkennbar der Grund, zur Bestimmung des Grenzwertes der Pflegestufe I nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG auf die Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI als "gewissen Orientierungspunkt" zurückzugreifen. Hinzu kommt, dass die Rechtmäßigkeit einzelner Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG nicht außer Zweifel steht. Mit Urteil vom 15.08.2000 - B 9 V 4/00 R (BSGE 87, 63 f.) hat das BSG bereits die Nr. 8 der Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG für rechtswidrig und unverbindlich erklärt. Der erkennende Senat hält es deshalb für angezeigt, auch bei der Bestimmung der Voraussetzungen der Pflegestufen II bis VI nach § 35 BVG die Regelungen der sozialen Pflegeversicherung zu beachten, um hieraus Orientierungspunkte zu gewinnen. Der Senat ist sich freilich darüber im Klaren, dass beide Regelungsbereiche schon deshalb nicht einfach zu harmonisieren sind, weil es in der sozialen Pflegeversicherung nur drei Pflegestufen und zusätzlich die Härtefälle im Sinne des § 36 SGB XI gibt, die von hier nicht darzustellenden Besonderheiten abgesehen als vierte Stufe aufgefasst werden können, im - reformbedürftigen - Recht der Kriegsopferversorgung dagegen sechs Pflegestufen. Überträgt man die Gedankengänge im Urteil des BSG vom 10.12.2002 (SozR 3-3100 Nr. 12) auf den vorliegenden Fall, so liegt es nahe, im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses die Voraussetzungen der Pflegestufe II jedenfalls dann zu bejahen, wenn der im Rahmen des § 35 BVG berücksichtigungsfähige Zeitaufwand für die Grundpflege im Sinne des § 15 SGB XI aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität, und zwar ohne Berücksichtigung der hauswirtschaftlichen Versorgung, aber unter zusätzlicher Berücksichtigung der nach § 35 BVG einzubeziehenden Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregungen und Kommunikation den Grenzwert von vier Stunden erreicht. In § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI ist nämlich bestimmt, dass zur Bejahung der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) mindestens vier Stunden auf die Grundpflege (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) entfallen müssen. Da in der Kriegsopferversorgung im Hinblick auf den durch die Berücksichtigung von Anleitung, Überwachung und Bereitschaft (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG) sowie die ebenfalls einzubeziehenden Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht wird als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, liegt es nahe, hier von einer Vierstundengrenze auszugehen, die dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe III der Pflegeversicherung entspricht.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt Folgendes. Der Umfang der hier erforderlichen Pflegeleistungen lässt sich ausschließlich aufgrund der im Auftrag der Bayerischen Beamtenkrankenkasse eingeholten Pflegegutachten vom 22.12.1999 und vom 05.02.2001, welche der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat, bestimmen. Das vä Gutachten Dr. G. vom 24.05.2000 enthält zwar eine sorgfältige Beschreibung der bei dem Kläger vorhandenen - schädigungsabhängigen sowie -unabhängigen - regelwidrigen Befunde, aber keine Angaben darüber, wieviele Stunden und Minuten der Kläger deshalb in den Bereichen der Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie Kommunikation und psychischen Erholung der Pflege bedarf. Auf S. 3 führt Dr. G. zwar wörtlich aus: "Zum Pflegeaufwand wird auf das entsprechende Formblatt verwiesen". Dieses Formblatt befindet sich jedoch nicht bei den Akten. Auch auf die Rückfrage des SG vom 23.10.2003 hat der Beklagte dieses Formblatt nicht vorgelegt. Die beiden zitierten Pflegegutachten reichen jedoch als Entscheidungsgrundlage aus, zumal die darin enthaltenen Feststellungen weder von seiten des Klägers noch von seiten des Beklagten in Zweifel gezogen worden sind. Aufgrund des Gutachtens von Dr. G. hat sich der Senat ferner davon überzeugt, dass die Schädigungsfolgen für den im Berufungsverfahren strittigen Zeitraum ab 01.09.1999 von zumindest annähernd gleichwertiger Bedeutung waren wie die Nichtschädigungsleiden.

Aufgrund des schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachtens von Dr. F. vom 22.12.1999 hat sich der Senat davon überzeugt, dass zu diesem Zeitpunkt im Bereich der Körperpflege ein Pflegebedarf von 73 Minuten, im Bereich der Ernährung von 26 Minuten und im Bereich der Mobilität ein Pflegebedarf von 22 Minuten bestand, so dass die sogenannte Grundpflege im Sinne der Pflegeversicherung täglich 121 Minuten erforderte. Dieser Wert liegt knapp über dem Grenzwert des § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI von zwei Stunden. Auch wenn man darüber hinaus Zeiten der Kommunikation ect. zusätzlich berücksichtigt und in Betracht zieht, dass der wirtschaftliche Wert der einzelnen, ausschließlich von der Ehefrau geleisteten Hilfeleistungen wegen der ungünstigen zeitlichen Verteilung möglicherweise besonders hoch war, entspricht dieser Pflegeaufwand nach der Überzeugung des Senats ausgehend von den Grundsätzen, die das BSG im Urteil vom 10.12.2002 aaO aufgestellt hat, im Rahmen des § 35 Abs. 1 BVG der Pflegestufe I.

Bei der Wiederholungsuntersuchung vom 05.02.2001 ermittelte der Gutachter der von der Bayerischen Krankenversicherung eingeschalteten Medicproof GmbH dagegen im Bereich der Körperpflege einen Pflegebedarf von 149 Minuten, für die Ernährung von 39 Minuten und für die Mobilität einen Pflegebedarf von 24 Minuten, mithin einen Bedarf an Grundpflege von insgesamt 212 Minuten. Dieser Pflegebedarf wurde mit den pflegebegründenden Diagnosen und Befunden auch schlüssig begründet. Damit sind zwar die Voraussetzungen der Pflegestufe III der Pflegeversicherung nicht erfüllt, weil hierfür gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI ein Bedarf an Grundpflege von mindestens vier Stunden erforderlich ist. Dieser Grenzwert wird jedoch erreicht und überschritten, wenn der im Fall des Klägers erforderliche und erbrachte Zeitaufwand für Kommunikation, geistige Anregungen und psychische Erholung sowie der nach § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG ebenfalls maßgebliche Zeitaufwand für Anleitung und Überwachung mitberücksichtigt wird. Hiervon hat sich der Senat aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers im Schreiben vom 28.05.2005 überzeugt. Danach unternimmt der Kläger möglichst täglich eine längere Spazierfahrt von ein bis zwei Stunden mit dem Elektrorollstuhl, wenn es die Witterung zulässt, und lässt sich hierbei von seiner Ehefrau begleiten. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Begleitung aus Sicherheitsgründen erforderlich ist oder ob der Zeitaufwand für die Begleitung unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation und der psychosozialen Betreuung zu berücksichtigen ist.

Zusätzlich zu dem in der Pflegeversicherung berücksichtigungsfähigen Zeitaufwand von 24 Minuten für die Mobilität sind weitere Zeiten für Hilfeleistungen beim Fortbewegen in der Wohnung zu veranschlagen. § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI führt zwar das Gehen als eigenständige Verrichtung auf. Die gemäß § 17 SGB XI hierzu erlassenen Richtlinien der Pflegekassen enthalten jedoch unter der Ziff. 3.4.2 die Einschränkung, dass das Gehen nur insoweit zu berücksichtigen ist, als es im Zusammenhang mit einer anderen im Rahmen der Grundpflege berücksichtigungsfähigen Verrichtung erfolgt. Für diese einschränkende Auslegung der Richtlinien spricht, dass im Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI grundsätzlich nur Verrichtungen berücksichtigt werden, die der Aufrechterhaltung der elementaren Lebensführung dienen (vgl. Udsching, SGB XI, 2. Aufl. 2000, Rdziff. 28 zu § 14). In seinem Schreiben vom 28.05.2005 hat der Kläger für den Senat einleuchtend ausgeführt, dass er täglich etwa 25 mal Hilfeleistungen zum Wechsel seiner Haltung und Stellung benötigt und zwar nicht nur um die Toilette aufzusuchen, sondern allgemein zum Wechsel seiner Haltung und Stellung, z.B. des Öfteren beim Hinlegen wegen Rückenschmerzen. In erheblichem Umfang muss die Ehefrau auch bereitstehen, um rund um die Uhr erforderlich werdende Hilfestellungen zu geben. Im Hinblick auf diese Bereitschaftszeiten dürfte hier auch einer der Fälle gegeben sein, in denen im Sinne der Entscheidung des BSG vom 10.12.2002 (SozR 3-3100 § 35 Nr. 12) davon auszugehen ist, dass der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände wird der Orientierungswert von vier Stunden für die Zeit ab Februar 2001 deutlich überschritten, sodass die Berufung des Beklagten hinsichtlich der Zeit ab 01.02.2001 zurückzuweisen war. Im Zeitraum vom 01.09.1999 bis 31.01.2001 waren dagegen, wie oben dargelegt, lediglich die Voraussetzungen der Pflegezulage nach Stufe I gegeben, sodass die Berufung des Beklagten insoweit zum Erfolg führen musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Von einer Kostenteilung hat der Senat in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens abgesehen.

Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat der Senat die Revision zugelassen. Der Frage, wie im Kriegsopferrecht seit Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes die Pflegestufen I und II voneinander abzugrenzen sind, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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