L 1 KR 108/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 37 KR 970/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 108/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2004 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Freistellung des Klägers von den Kosten häuslicher Krankenpflege in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben (bei genehmigten Leistungen im Umfang von 1 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben) in der Zeit vom 17. April bis 30. Juni 2002 in Höhe von 1155 Euro gegenüber dem Pflegedienst L. & E. streitig.

Der am XX.XXXXXXXXX 1937 geborene Kläger ist Rollstuhlfahrer und bedarf nach Schlaganfällen u.a. der häuslichen Krankenpflege. Der behandelnde Arzt Dr. J. verordnete ihm unter dem 18. April 2002 3 x tägliche/ 7 x wöchentliche Medikamentengaben sowie 1 x monatliche Injektionen für den Zeitraum 17. April bis 30. Juni 2002 zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Die Beklagte ließ durch ihre Außendienstmitarbeiterin N. am 19. April 2002 einen Hausbesuch beim Kläger durchführen.

Mit Bescheid vom 22. April 2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Hausbesuch vom 19. April 2002 habe ergeben, dass er zwar aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage sei, Medikamente selbständig aus der Packung zu nehmen, es aber reiche, wenn ihm die erforderlichen Medikamente einmal täglich im Becher bereitgestellt würden. Sie gewährte mit Bescheid vom 25. April 2002 die verordneten Injektionen.

Den gegen die Bescheide vom 22. und 25. April 2002 wegen der Nichtgenehmigung von Medikamentengaben erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2002 teilweise unter anteiliger Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren zurück, nachdem sie mit Bescheid vom 14. Mai 2002 1 x tägliche/7 x wöchentliche Medikamentengaben gewährt hatte.

Im Klageverfahren hat der Kläger die eidesstattliche Versicherung vom 1. November 2002 vorgelegt, mit der er bestätigt hat, sich in den Quartalen I/01 bis II/02 gegenüber dem Pflegedienst L. & E. verpflichtet zu haben, Kosten für Medikamentengaben und Anlegen und Wechseln von Wundverbänden selbst zu übernehmen. Außerdem habe er auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Des Weiteren hat er eine Rechnung des Pflegedienstes über den Betrag von 1316,70 Euro vom 20. August 2002 eingereicht.

Im vom Sozialgericht im Parallelverfahren S 37 KR 1079/01 = L 1 KR 104/04 eingeholten Befundbericht vom 26. September 2002 hat Dr. J. ausgeführt, der Kläger leide unter einer kompletten schlaffen Lähmung der gesamten linken Körperhälfte, Sprechstörungen durch Gesichtslähmung links, rezidivierender Muskelspastik, Unterschenkelödem links, Hyperpigmentierung des rechten Unterschenkels i. S. eines postthrombotischen Syndroms und einem depressiven Stimmungszustand. Nach einem erneuten Hirninfarkt im März 2002 seien zunehmend Schwindel und Stürze aufgetreten. Die Depression habe ebenfalls zugenommen. Der Kläger sei auf die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente angewiesen. Der Gebrauch der linken Hand zur Entnahme von Medikamenten aus Verpackungen oder Dosiergefäßen sei völlig ausgeschlossen. Tabletten, die zu Boden fielen, könne er nicht aufheben. Der früher den Kläger behandelnde Arzt Dr. S. hat im vom Sozialgericht im Parallelverfahren S 37 KR 1041/01 = L 1 KR 101/04 eingeholten Befundbericht vom 25. Juli 2002 ausgeführt, der Kläger leide unter den Folgen eines apoplektischen Insults mit rechtsseitiger Hemiparese und an einem Hypertonus. Er habe den Kläger bis 22. Juni 2001 behandelt. Danach sei ein Arztwechsel wegen Verweigerung von Medikamentenwünschen erfolgt. Der Kläger habe bei Betreuung durch die Sozialstation im Rollstuhl in einer behindertengerechten Wohnung z.T. sich selbst versorgen und selbständig leben können. Er sei auf die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente angewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Unabhängig davon, ob zwischen dem Kläger und dem Pflegedienst eine für eine Kostenfreistellung ausreichend spezifizierte Vereinbarung geschlossen worden sei, fehle es jedenfalls an dem Nachweis, dass die streitigen Leistungen erbracht worden seien.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt vor, er sei im streitigen Zeitraum aufgrund der erlittenen Gehirninfarkte nicht in der Lage gewesen, seine Medikamente einzunehmen. Ein einmal tägliches Bereitstellen der Arzneien hätte nicht ausgereicht. Ihm seien Kosten in Höhe von insgesamt 1155 Euro (215,60 Euro für April, 477,40 Euro für Mai und 462 Euro für Juni) entstanden. Das Erbringen der Leistungen ergebe sich aus den unterzeichneten Leistungsnachweisen, die bei der Beklagten eingereicht worden seien und nur von dieser vorgelegt werden könnten. Durch die Zeugenvernehmung habe der Sachverhalt nicht geklärt werden können, denn die Zeugin sei einseitig an die Beklagte gebunden. Es sei vielmehr ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2004 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2002 in Gestalt des Bescheides vom 14. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten für häusliche Krankenpflege in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben in der Zeit vom 17. April bis 30. Juni 2002 in Höhe von 1155,00 Euro gegenüber dem Pflegedienst L. & E. freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger habe die Erbringung der Leistungen nicht bewiesen.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine weitere eidesstattliche Erklärung vom 7. April 2005 vorgelegt. Hierin bestätigt er, dass er sich – nachdem die Beklagte die Medikamentengabe im Umfange von 2 x täglich/7 x wöchentlich abgelehnt hatte – verpflichtet habe, für die ihm verordneten Leistungen im Umfang von 3 x täglich/7 x wöchentlich selbst aufzukommen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass für die über den genehmigten Umfang hinausgehenden Leistungen Kosten in Höhe von 7,70 Euro pro Einsatz, d. h. 15,40 Euro pro Tag entstünden, also 462 Euro bzw. 477,40 Euro pro Monat. Auf die Einrede der Verjährung habe er verzichtet. Des Weiteren hat er nicht unterschriebene Leistungsnachweise für den streitigen Zeitraum vorgelegt.

Das Gericht hat bei der Beklagten nachgefragt, ob im Rahmen der Pflegeversicherung medizinische Gutachten vorhanden seien. Es wurde daraufhin ein Gutachten von Ende 1998 übersandt. Weitere Gutachten seien nicht vorhanden.

In der mündlichen Verhandlung ist Beweis durch Vernehmung der Zeugin H. N. erhoben worden. Hinsichtlich ihrer Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. August 2005 verwiesen.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die in der o.g. Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (vgl. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten selbst beschaffter häuslicher Krankenpflegeleistungen in Form von weiteren 2 x täglichen/7 x wöchentlichen Medikamentengaben durch den Pflegedienst L. & E ...

Rechtgrundlage des geltend gemachten Anspruchs sind §§ 37 Abs. 2 iVm 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der besonderen Form der Freistellung von bisher noch nicht aufgewendeten Kosten. Versicherte erhalten gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist und eine im Haushalt lebende Person den Kranken nicht in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (Abs. 3). Die Krankenkasse hat dem Versicherten die Kosten für die selbst beschaffte Leistung zu erstatten, soweit diese notwendig war, wenn sie u.a. eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs. 3 SGB V). Sind die Leistungen durch den Versicherten noch nicht bezahlt, kann er statt der Kostenerstattung eine Freistellung von der Verbindlichkeit geltend machen (BSG 30.3.00 – B 3 KR 23/99 R, SozR 3-2500 § 37 Nr. 2).

Der Freistellungsanspruch des Klägers scheitert schon daran, dass die mehr als einmal tägliche Medikamentengabe - mit dem Bereitstellen der Arzneien für die beiden weiteren Einnahmezeiten - nicht notwendig war. Der Kläger war trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage, einmal täglich bereitgestellte Medikamente (z.B. aus einem Becher) morgens, mittags und abends selbständig einzunehmen.

Ausweislich der Berichte der behandelnden Ärzte haben die Schlaganfälle bei dem Kläger zu einer vollständigen Lähmung der linken Körperseite geführt. Daraus folgt, dass er seine linke Körperseite, also auch die linke Hand, seither nicht mehr einsetzen konnte. Im Bereich des rechten Armes oder der rechten Hand waren keine Ausfälle oder Behinderungen eingetreten, so dass der Kläger trotz seines Angewiesenseins auf einen Rollstuhl noch weitgehend selbständig allein in seiner Wohnung leben konnte. Zwar wurde in dem Pflegegutachten aus dem Jahre 1998 ein Tremor erwähnt, aber dort kein Ausmaß beschrieben, welches den Kläger außer Stande hätte setzen können, selbständig ein Glas oder einen Eierbecher zu ergreifen. Für den streitbefangenen Zeitraum gibt es auch keinen Anhalt für einen Tremor oder ein relevantes Zittern der rechten Hand. In seinem ergänzenden Bericht vom 23. August 2005 hat der behandelnde Arzt Dr. J. zumindest für den Zeitraum ab Juli 2001, in dem der Kläger bei ihm in Behandlung war, ausdrücklich dargelegt, dass der Kläger mit der rechten Hand in der Lage war, vorbereitete Medikamente ohne fremde Hilfe einzunehmen. Der Pflegedienst müsse die Arzneien daher nur einmal täglich bereitstellen.

Die Fähigkeit des Klägers, selbständig bereitgestellte Medikamente einnehmen zu können, ergibt sich aus der vom Senat durchgeführten Zeugenvernehmung. Der Senat folgt den glaubhaften Angaben der Zeugin. Danach war der Kläger im gesamten streitbefangenen Zeitraum in der Lage, mit der rechten Hand einen Becher oder ein Glas mit bereitgestellten Tabletten oder Tropfen selbständig zum Mund zu führen und anschließend Wasser nachzutrinken. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der Auswirkungen von Schlaganfällen auf die Fähigkeit, selbständig bereitgestellte Medikamente einzunehmen, war nicht veranlasst, weil durch die Zeugenvernehmung die dem Kläger verbliebenen Fähigkeiten konkret festgestellt werden konnten. Ein Sachverständiger könnte sich wegen fehlender eigener Beobachtung im streitbefangenen Zeitraum nur abstrakt äußern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG in der bis 1. Januar 2002 gültigen und hier noch anzuwendenden Fassung.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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