L 10 V 39/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 12 V 32/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 V 39/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 8/99 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. November 1996 wird abgeändert. Die Beigeladene zu 2) wird verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1992 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu leisten. Die weitergehenden Anträge der Beteiligten werden zurückgewiesen. Die Beigeladene zu 2) trägt die Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Wiedergewährung einer Unfallrente, die ihm ab September 1974 vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bewilligt worden war.

Der am 1954 geborene Kläger leistete vom 03.05.1973 bis zum 15.10.1974 als Wehrpflichtiger Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR. Im Februar 1974 erlitt er während eines Lazarettaufenthaltes beim Brötchenschneiden einen Unfall an der rechten Hand. Im Rahmen der anschließenden ärztlichen Behandlung kam es außerdem zu einer Nervenschädigung im Bereich des rechten Armes.

Wegen Medianusläsion der rechten Hand leistete der FDGB Leipzig ab 28.09.1974 zunächst eine Unfallteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v.H.) und durch Änderungsbescheid vom 27.09.1988 ab 01.06.1988 eine solche nach einer MdE von 40 v.H ...

Die Rente wurde bis zum 30.06.1989 gezahlt.

Am 07.06.1989 siedelte der Kläger mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland (nach Westdeutschland) über.

Am 03.07.1989 bat er den Bundesminister der Verteidigung um Prüfung, ob ihm auch in der Bundesrepublik ein Anspruch auf Unfallrente zustehe. Das Schreiben wurde an das zuständige Versorgungsamt weitergeleitet.

Das Versorgungsamt zog über die FDGB-Stelle L.das von Fregattenkapitän Obermedizinalrat Dr. W., NVA , Dienststelle S., erstattete Erstgutachten vom 23.07.1974, die über die Nachuntersuchungen vom 18.09.1976 und 05.09.1981 von Dr. G., Bezirks-Krankenhaus St. G., L., erstatteten chirurgischen Gutachten, das neurologische Zusatzgutachten von Dres. S./H., ebenfalls Bezirks-Krankenhaus St. G., sowie das Nachuntersuchungsgutachten von Obermedizinalrat Dr. W. vom 28.06.1988 bei.

Der Versorgungsarzt Dr. A. bewertete anschließend in seinem Gutachten vom 17.03.1990 die Folgen einer Beugesehnenverletzung des rechten Kleinfingers und einer Armnervenverletzung mit einer MdE um 20 v.H ...

Anfragen des Beklagten bei der Wehrbereichsverwaltung VII Strausberg und beim Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen, Remagen, nach Unterlagen über den Unfall und Lazarettaufenthalt, blieben ohne Erfolg.

Mit Bescheid vom 18.08.1992 und Widerspruchsbescheid vom 18.01.1993 lehnte der Beklagte den Anspruch auf Versorgung mit der Begründung ab, zwar könne bei einer Schädigung durch eine Dienstleistung in Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht in der NVA nach § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Wege des Härteausgleichs Versorgung gewährt werden. Angesichts fehlender Unterlagen und widersprüchlicher Angaben zum Unfallgeschehen sei jedoch eine Schädigung in Ausübung des militärischen Dienstes nicht nachgewiesen.

Zur Begründung seiner am 10.02.1993 beim Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, der Beklagte hätte auch prüfen müssen, ob sein Anspruch nicht wegen unzureichender und medizinisch fehlerhafter truppenärztlicher Betreuung zu bejahen sei. Im übrigen sei die schädigungsbedingte MdE höher als mit 20 v.H. zu bewerten. Außerdem hat der Kläger auf die Bindungswirkung der Rentenbescheide des FDGB hingewiesen.

Das SG hat die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung - Beigeladene zu 1) - gemäß § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und gemäß § 75 Abs. 2 SGG die Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft - Beigeladene zu 2) - zum Rechtsstreit beigeladen.

Der Kläger hat seinen Leistungsantrag auf die Zeit ab Inkrafttreten des Rentenüberleitungsgesetzes - RÜG - beschränkt und beantragt,

die Beigeladene zu 1) zu verurteilen, für die Zeit seit dem 01.01.1992 Verletztenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % zu gewähren.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) hat die Auffassung vertreten, auf den vorliegenden Fall sei das Fremdrentengesetz (FRG) vom 25.02.1960 an zuwenden, da sich der Unfall außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand bis zum 03.10.1990 ereignet habe. Nach §§ 7, 5 FRG stehe der Kläger nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil er bei seinem Unfall, hätte er diesen in der Bundesrepublik Deutschland erlitten, nicht gegen Arbeitsunfall versichert gewesen wäre. Als Soldat wäre er gemäß § 541 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherungsfrei gewesen, da er nach dem BVG anspruchsberechtigt gewesen sei. Er hätte sich als Soldat auch nicht freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern können.

Die Beigeladene zu 2) hat gemeint, zum einen sei die notwendige Differenzierung zwischen der Anwendbarkeit des FRG und der RVO (sogenannter Verteilerschlüssel nach dem RÜG von dem Zeitpunkt der Antragstellung in der Bundesrepublik Deutschland abhängig (Stich tag 01.01.1992). Zum anderen lasse sich ihre - der Beigeladenen zu 2) - Zuständigkeit nach dem Verteilerschlüssel nicht beantworten, da ihr das Geburtsdatum des Klägers nicht bekannt sei. Im übrigen sei nicht hinreichend geklärt, daß es sich bei dem Ereignis um einen Unfall im Sinne der RVO handele.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Das SG hat die Beigeladene zu 1) mit Urteil vom 12.11.1996 zur Leistung von Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. seit dem 01.01.1992 verurteilt. Es hat ausgeführt, ein Anspruch auf Versorgung im Wege des Härteausgleichs gemäß §§ 1, 89 BVG bestehe nicht, weil das schädigende Ereignis nicht nachgewiesen sei.

Die Leistungsverpflichtung der Beigeladenen zu 1) ergebe sich aus dem RÜG und dem FRG. Der Kläger habe in der ehemaligen DDR eine Unfallrente bezogen. Nach § 220 Abs. 4 des Arbeitsgesetzbuches der DDR in Verbindung mit § 11 der Sozialversicherungsordnung seien Unfälle von Wehrpflichtigen während der Ableistung des Wehrdienstes nach ihrem Ausscheiden aus der NVA von der Sozialversicherung der ehemaligen DDR zu entschädigen gewesen. Die Bescheide des FDGB über die Gewährung von Unfallteilrente sei nach Art. 19 Satz 1 und 3 des Einigungsvertrages grundsätzlich über den 02.10.1990 hinaus wirksam. Die Vertragsparteien des Einigungsvertrages hätten es dem bundesdeutschen Gesetzgeber überlassen, Einzelheiten der Überleitung des Unfallversicherungsrechts zu regeln. Dies sei durch die in Art. 8 des RÜG eingefügten Übergangsvorschriften der §§ 1148 ff RVO erfolgt. Nach § 1150 Abs. 2 RVO würden Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten und die nach dem im Beitrittsgebiet geltendem Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung gewesen seien, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches gelten. Nach § 1150 Abs. 2 RVO gelte dies nicht für Unfälle und Krankheiten, die mit Wirkung für die Zeit vor dem 01.01.1992 bereits als Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten nach dem FRG anerkannt worden seien, es sei denn, der Verletzte habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 01.01.1992 in das Beitrittsgebiet verlegt. Nach den genannten Vorschriften seien im Beitrittsgebiet festgestellte Arbeitsunfälle in die gesetzliche Unfallversicherung mit dem zugrundegelegten Grad des Körperschadens als MdE zu übernehmen. Der Leistungsbeginn folge aus § 1156 Abs. 1 RVO. Das an den Bundesminister der Verteidigung gerichtete Schreiben des Klägers gelte als Antrag im Sinne des § 1150 RVO. Für die Entschädigung von während des Wehrdienstes in der NVA erlittenen Unfällen sei die Beigeladene zu 1) der nach dem FRG zuständige Versicherungsträger. Die Beigeladene zu 2) wäre bei einer Antragstellung nach dem 31.12.1991 zuständig gewesen.

Gegen das ihr am 12.03.1997 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 1) am 04.04.1997 Berufung eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, es seien im vorliegenden Fall nicht die Bestimmungen des FRG, sondern die des RÜG anzuwenden. Der Gesetzgeber habe, um den Vertrauensschutz der betroffenen Rentenbezieher in der ehemaligen DDR genüge zu tun, in § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO geregelt, daß Unfälle und Berufskrankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten seien, und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung gewesen seien, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO gelten. Im vorliegenden Fall sei die Ausnahmebestimmung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht anzuwenden, da der Kläger seinen Unfall bereits 1989 angezeigt habe. Diese An zeige - verbunden mit der Antragstellung auf Gewährung von Entschädigungsleistungen - sei wirksam erfolgt, obwohl sie bei einem unzuständigen Träger eingegangen sei. Hinsichtlich der Zuständigkeit für die Abwicklung des vorliegenden Falles gelte der nach dem Einigungsvertrag in Verbindung mit § 1159 RVO bezeichnete Verteilerschlüssel, wonach sich aus dem Geburtsdatum der Klägers die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) ergebe. Des weiteren hat die Beigeladene zu 1) vorgetragen, da es sich bei dem Kläger um einen Wehrpflichtigen gehandelt habe, könne auch ein Anspruch auf Versorgung nach den Vorschriften des § 89 BVG in Betracht kommen. Ein Anspruch nach dem FRG und damit ihre - der Beigeladenen zu 1) - Zuständigkeit scheitere jedenfalls an § 5 Abs. 2 FRG in Verbindung mit § 541 Abs. 1 Ziffer 2 RVO, weil der 1974 erlittene Unfall, hätte er sich in der Bundesrepublik Deutschland ereignet, ein während der Ausübung des Wehrdienstes erlittener Unfall gewesen wäre, auf den die Vorschriften des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) in Verbindung mit dem BVG anzuwenden gewesen wären.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 12.11.1996 abzuändern und den Beklagten oder die Beigeladene zu 2) zur Leistung von Rente ab 01.01.1992 zu verurteilen, hilfsweise, die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, den Beklagten oder die Beigeladene zu 2) unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Gewährung einer Rente nach einer MdE um 40 v.H. ab 01.01.1992 zu verurteilen.

Er hat sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils gestützt.

Die Beigeladene zu 2) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Leistung von Rente zu verurteilen, weiter hilfsweise, die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) sei Soldaten der NVA wegen eines Wehrdienstunfalles im Wege der Härteregelung nach § 89 BVG Versorgung zu gewähren, wenn der Wehrdienst aufgrund gesetzlicher Pflicht geleistet worden sei. Wenn eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG bzw. § 81 SVG vorliege, sei nach diesen Gesetzen grundsätzlich Versorgung zu gewähren, da als möglicher Versicherungsgrund im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 RVO ausschließlich das Wehrdienst- oder Soldatendienstverhältnis zum Staate vorliege und dann Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe. Zuständig für einen Unfall des Klägers im Jahre 1974 als Soldat der NVA sei entweder der Beklagte oder die Beigeladene zu 1).

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beigeladene zu 2) zur Gewährung einer Rente zu verurteilen, weiter hilfsweise, die Klage insgesamt in vollem Umfange abzuweisen.

Er hat vorgetragen, im Termin zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG Köln sei ein gegen ihn - den Beklagten - gerichteter Antrag von keinem der Beteiligten mehr gestellt worden. Soweit Versorgung nach dem BVG begehrt worden sei, sei daher von einer Klagerücknahme auszugehen. Das angefochtene Urteil enthalte zudem bezüglich des Landes Nordrhein-Westfalen keinen Urteilsausspruch.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Beschädigtenakten des Beklagten (Grundlisten-Nr. AL 20/89) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beigeladenen zu 1) ist begründet.

Das SG Köln hat zu Unrecht die Beigeladene zu 1) zur Leistung von Verletztenrente verurteilt.

Zwar steht dem Kläger - wie das SG Köln richtig ausgeführt hat - ein Anspruch auf Leistungen nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Zur Leistung verpflichtet ist jedoch die Beigeladene zu 2). Aus diesem Grunde schon kommt eine Leistungsverpflichtung des Beklagten nicht in Betracht.

Daß der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr dessen Verurteilung, sondern lediglich die der Beigeladenen zu 1) beantragt hat, stünde einer Inanspruchnahme des Beklagten nicht entgegen. Denn dem Kläger kommt es nach seinem Begehren nicht auf Entschädigung gerade nach unfallrechtlichen Vorschriften und auch nur von der Beigeladenen zu 1) an, sondern auf sozialrechtliche Eingliederung nach den in der Bundesrepublik geltenden Entschädigungsgrundsätzen.

Die Voraussetzung für die Gewährung von Versorgung im Wege des Härteausgleichs gemäß § 82 Abs. 2, § 89 Abs. 1, §§ 1, 31 BVG durch den vom Kläger zunächst in Anspruch genommen Beklagten sind jedoch deshalb zu verneinen, weil dem Kläger die in der ehemaligen DDR geleistete Unfallrente weiter zu zahlen ist. Nach den genannten Vorschriften über den Härteausgleich kann trotz fehlender Vertriebeneneigenschaft ehemaligen Wehrpflichtigen der früheren DDR Versorgung im Wege des versorgungsrechtlichen Härteausgleichs gewährt werden (Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - BMA - vom 08.10.1991 - VI a 1 -52506 - in: BArbBl. 1991, Nr. 12/81; BSG, Urteil vom 18.06.1996 - 9 RV 6/94 - in: SozR 3-5050 § 5 FRG Nr. 2), weil wegen der Umstände des Einzelfalles, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen hat, sich die Gesetzesanwendung in einer dem Zweck der begehrten, aber abgelehnten Versorgung widersprechenden Weise auswirkt, und dies besonders unbillig ist (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVG 7/93 in: NJW 1996, 1620). Nach dem Rundschreiben des BMA vom 08.10.1991 (BArbBl. a.a.O.) können Wehrpflichtige der damaligen NVA, die vor dem 19.05.1990 in die damalige Bundesrepublik übergesiedelt sind, nach wie vor Versorgung nach § 82 Abs. 2 BVG in Verbindung mit § 89 Abs. 1 BVG erhalten, weil die geforderten Voraussetzungen vorliegen und keine Weiterzahlung der aus der gleichen Ursache gewährten Unfallrente der ehemaligen DDR erfolgt. In dem Falle also, in dem - wie beim Kläger - die aus der gleichen Ursache in der damaligen DDR geleistete Unfallrente weiter zu zahlen ist, entfällt damit im Umkehrschluß die für die Gewährung von Härteausgleich geforderte Unbilligkeit. Denn die Härteausgleichsregelung ist gegenüber dem Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung subsidiär (BSG, Urteil vom 25.10.1989 - 2 RU 40/86 - in: SGb 11/90, S. 465 f).

Der zuletzt durch den vom FDGB erteilte Änderungsbescheid vom 27.09.1988 begründete Anspruch des Klägers auf Leistung einer Unfallteilrente nach einer MdE um 40 v.H. ab 01.06.1988 besteht weiter. Denn der Bescheid ist weder wirksam aufgehoben oder abgeändert worden, noch anderweitig erloschen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des 4. Senats des BSG bleiben gemäß Art. 19 Satz 1 und 3 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.08.1990 (Einigungsvertrag) vor dem Wirksamwerden des Beitritts (03.10.1990) ergangene Verwaltungsakte der DDR über den 02.10.1990 hinaus wirksam und im Sinne des § 77 SGG bindend (Urteile vom 27.01.1993 - 4 RA 40/92 - in: SozR 3-8570 § 10 Nr. 1; vom 14.06.1995 - 4 RA 41/94 - in: BSGE 76, 136 ff; vom 18.09.1996 - 5/4 RA 27/94 in: ASP 1996, Nr. 11/12, 5; vom 29.04.1997 - 4 RA 98/95 in: D-Spezial 1997, Nr. 26,8; vom 18.07.1996 - 4 RA 67/94 - in: Breithaupt 1997, S. 236 ff; vom 20.07.1997 - 4 RA 60/96 in: SozR 1997, 519; vom 11.05.1995 - 2 RU 24/94 in: SozR 3-8100 Art. 19 Einigungsvertrag).

Die Beurteilung, ob das Verhalten eines Organs der ehemaligen DDR oder ihrer Untergliederungen einen "Verwaltungsakt" im Sinne von Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages darstellt, erfolgt aus schließlich anhand der Maßstäbe des Bundesrechts. Das gilt auch für die Beurteilung, ob ein Verwaltungsakt im Zeitpunkt des Unterganges der DDR mit Ablauf des 02.10.1990 wirksam war und deshalb mit Beginn des 03.10.1990 wirksam bleiben konnte.

Der unter Berücksichtigung des § 220 Abs. 4 des Arbeitsgesetzbuches der DDR (GBA) vom 16.06.1977 (GBl. der DDR I S. 185) in Verbindung mit § 11 Abs. 2 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO I) vom 17.11.1977 (GBl. der DDR I S. 373) ergangene Änderungsbescheid des FDGB, durch den die Leistung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in der DDR erfolgte (§ 1 Abs. 1 SVO I), stellt einen Verwaltungsakt dar, der der Regelung des Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages unterfällt (siehe dazu Urteil des BSG vom 18.07.1996 a.a.O.).

Eine wirksame Aufhebung oder Abänderung des Bewilligungsbescheides ist nicht erfolgt. Die Zahlung der Rente wurde mit dem 30.06.1989 eingestellt.

Für die Aufhebung von Leistungsbescheiden finden seit dem 01.01.1991 die Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) Anwendung. Für die Zeit davor gelten die Vorschriften der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung - Rentenverordnung - vom 23.11.1979 (GBl. der DDR I Nr. 43 S. 401) in Verbindung mit der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung vom 23.11.1979 (GBl. der DDR I Nr. 43, S. 413), die ebenso wie das GBA und die SVO I über den 02.10.1990 hinaus galten (Einigungsvertrag, Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet f Abschnitt III; Sachgebiet J Abschnitt III).

Zwar waren nach Übersiedlung des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 1989 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Weitergewährung einer Unfallrente nicht mehr gegeben, da diese gemäß § 1 Abs. 1 a der Rentenverordnung grundsätzlich nur Bürgern der DDR zustand, die ihren ständigen Wohnsitz in der DDR hatten, vgl. § 74 Abs. 1 Rentenverordnung. Zur rechtswirksamen Beendigung des Leistungsanspruchs war jedoch grundsätzlich erforderlich, daß der Bewilligungsbescheid wirksam aufgehoben wurde. Eine Zahlungseinstellung in Form eines schlichten Verwaltungshandelns, nämlich des gesetzeswidrigen Unterlassens der nach dem weiterhin wirksamen Leistungsbescheid geschuldeten Leistung, reicht nicht aus (BSG, Urteil vom 18.07.1996 a.a.O.).

Zwar erscheint nach der allgemeinen Verwaltungspraxis der DDR eine Beendigung der Rechtswirksamkeit einer staatlichen Verwaltungsentscheidung auch ohne neue Entscheidung möglich. So heißt es in dem 1988 in 2. Auflage erschienenen Lehrbuch "Verwaltungsrecht" (her ausgegeben von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, Potsdam, Babelsberg, Gesamtredaktion: Jochem Bley, Willi Büchner-Uhder, Günther Druckwitz, Heidrun Pohl, Gerhard Schulze), die Rechtswirksamkeit einer staatlichen Verfügung könne sowohl durch "Willenserklärung des zuständigen Organs des Staatsapparates" als auch durch eine "andere rechtserhebliche Tatsache" weg fallen (a.a.O., S. 139). So könne die Rechtswirksamkeit durch "Er löschen" enden (z. B. bei Tod des Adressaten, Ablauf einer Frist oder Verzicht des Berechtigten); die Entscheidung müsse nicht ausdrücklich aufgehoben werden (vgl. dazu auch Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage 1988, § 43 Rdn. 221 m.w.N.).

Demgegenüber enthalten jedoch die maßgebliche Rentenverordnung und die dazu ergangene Durchführungsverordnung speziellere Vorschriften.

Für eine Änderung der Verhältnisse, die zum Wegfall der Leistung führten, war ein Bescheid zu erteilen, der den Zeitpunkt des Wegfalles der Leistung und die dafür maßgeblichen Gründe enthält, vgl. § 72 Abs. 3 Rentenverordnung i.V.m. § 72 c der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung.

Der Leistungsanspruch des Klägers ist auch nicht durch Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gemäß § 10 des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der DDR (Staatsbürgerschaftsgesetz) vom 20.02.1967 (GBl. der DDR I Nr. 2) erloschen. Derartige gesetzliche Regelungen sind weder dem Staatsbürgerschaftsgesetz, der dazu erlassenen Durchführungsverordnung vom 03.08.1967 (Gbl. der DDR II Nr. 92 S. 681), dem Änderungsgesetz vom 29.01.1990 (GBl. der DDR I Nr. 6 S. 339), dem Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsbürgerschaft vom 16.10.1972 (GBl. der DDR I Nr. 18, S. 265), noch der dazu erlassenen Verordnung vom 21.06.1982 zu entnehmen.

Die auf den weiterbestehenden Anspruch des Klägers zu gewährenden Leistungen sind entsprechend den Vorschriften der §§ 1148 ff RVO von der Beigeladenen zu 2) zu erbringen (a.A. LSG Hessen, Urteil vom 09.07.1998 - L 5 V 382/93 -, das bei einem vor dem 01.01.1992 geltend gemachten Eingliederungsbegehren das RÜG nicht für anwendbar hält).

In Art. 30 Abs. 5 Satz 1 des Einigungsvertrages haben es die Vertragsparteien dem bundesdeutschen Gesetzgeber überlassen, die Einzelheiten der Überleitung des Unfallversicherungsrechts auf das Beitrittsgebiet zu regeln.

Dies erfolgt insbesondere durch die in Art. 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Rentenüberleitungsgesetz - RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. 1991 I S. 1606 ff) eingefügten Übergangsvorschriften der §§ 1148 ff RVO. Danach ist mit der jahrzehntelangen Regelung, wo nach auf Übersiedler aus der DDR das FRG anzuwenden war, gebrochen worden. Das RÜG regelt die Konkurrenz von Fremdrentenansprüchen mit Ansprüchen nach dem Unfallversicherungsrecht der DDR neu (BSG, Urteil vom 18.06.1996 a.a.O.). Nach § 1150 Abs. 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO. Dies gilt nach § 1150 Abs. 2 RVO nicht für Unfälle und Krankheiten,

1. die einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären,

2. die mit Wirkung für die Zeit vor dem 01. Januar 1992 als Arbeitsunfälle oder Berufskrankheit nach dem Fremdrentengesetz anerkannt worden sind, es sei denn, der Verletzte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 01. Januar 1992 in das Beitrittsgebiet verlegt.

Mit dieser Regelung soll die Übernahme aller bereits eingetretenen Unfälle und Krankheiten, die nach dem Sozialversicherungsrecht des Beitrittsgebietes versichert waren, in die gesetzliche Unfallversicherung nach dem Dritten Buch der RVO gewährleistet werden. Das soll auch für den Fall gelten, bei dem es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne der RVO - wie im vorliegenden Fall - oder ei ne Berufskrankheit handelt. Die Regelung gewährleistet den erforderlichen Vertrauensschutz bei im übrigen unverändert bleibenden Berechnungsgrundlagen. Ein Vertrauensschutz im Hinblick auf das bisherige Recht besteht nicht, wenn der Versicherungsfall erst nach dem 31.12.1991 eintritt und nach dem neuen Recht kein Versicherungsschutz besteht (vgl. Begründung des Gesetzentwurfes in Bundestags-Drucksache 12/405).

Aufgrund der Überleitung wird über die Frage, ob es sich um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit gehandelt hat, nicht neu entschieden. Im Beitrittsgebiet festgestellte Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten werden in die gesetzliche Unfallversicherung als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten übernommen und weiterhin entschädigt (BSG, Urteil vom 11.05.1995 - 2 RU 24/94 - in SozR 3-8100 Art. 19 Einigungsvertrag).

Der Ausnahmefall des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziffer 1 RVO liegt hier nicht vor, da der Kläger seinen Antrag bereits im Juli 1989 ge stellt hat. Im Hinblick auf § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist der beim Bundesminister der Verteidigung am 03.07.1989 gestellte Antrag wirksam gestellt worden.

Auch der weitere Ausnahmefall des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziffer 2 RVO liegt hier nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt die Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 1 nicht für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die nach dem FRG anerkannt worden sind, welches die Übersiedler aus der ehemaligen DDR in die damalige Bundesrepublik Deutschland erfaßte und eine originäre (§ 7 FRG) Anspruchsprüfung vorsah. Für Arbeitsunfälle, die nach dem FRG anerkannt worden sind, soll der bereits anerkannte Entschädigungsanspruch bestehen bleiben. Das gilt auch für noch nicht abgeschlossene Anerkennungsverfahren, die mit Wirkung für die Zukunft vor dem Stichtag (01.01.1992) nach dem 31.12.1991 zu einem Bescheid führen (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Auflage, September 1993, § 1150 Anm. 1).

Im Falle des Klägers kommt eine Anerkennung nach dem FRG nicht in Betracht. Denn nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a FRG ist ein außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes eingetretener Arbeitsunfall nach bundesrechtlichen Vorschriften zu entschädigen, wenn der Versicherte im Zeitpunkt des Unfalles bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen wäre. Unfälle, gegen die ein Versicherter im Geltungsbereich des FRG nicht versichert gewesen wäre, sind keine Arbeitsunfälle, es sei denn, der Verletzte hätte sich gegen Unfälle dieser Art freiwillig versichern können, § 5 Abs. 2 FRG. Gemäß § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO wäre der Kläger, hätte er 1974 in der Bundesrepublik als Wehrpflichtiger einen Unfall erlitten, versicherungsfrei gewesen. Er hätte sich gegen Unfälle dieser Art auch nicht freiwillig versichern können. In der Bundesrepublik Deutschland hätte er einen Anspruch nach dem BVG geltend machen können.

Nach § 1154 Abs. 1 RVO gilt der durch den FDGB mit Bescheid vom 27.09.1988 zugrunde gelegte Körperschaden von 40 v.H. als MdE im Sinne der RVO. Eine Bemessung des Körperschadens nach § 581 RVO ist nicht vorzunehmen, da es sich im vorliegenden Fall weder um eine erstmalige Feststellung nach dem 31.12.1991, § 1154 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 RVO, noch um einen Fall einer Neufeststellung wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bei einer vor dem 01.02.1992 festgestellten Rente, § 1154 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 RVO, handelt.

Der Leistungsbeginn - wie vom Kläger beantragt: 01.01.1992 - folgt aus § 1156 Abs. 1 RVO.

Die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) als die zur Leistung verpflichtete Berufsgenossenschaft ergibt sich aus § 1159 RVO. Der vom SG Köln unter Berufung auf die Entscheidung des BSG vom 18.06.1996 (a.a.O.) vertretenen Auffassung, die Beigeladene zu 1) sei gemäß § 9 Abs. 2 RVO der zuständige Versicherungsträger, ist nicht zu folgen. Die genannte Entscheidung betraf nämlich einen Soldaten, der bei seinem freiwilligen Wehrdienst in der NVA einen Unfall erlitten hatte und auf den nach der Entscheidung des BSG das FRG und somit auch § 9 Abs. 2 FRG anzuwenden war. Vorliegend handelt es sich jedoch um einen Fall des § 1150 Abs. 1 Satz 1 RVO. Die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) ergibt sich somit aus § 1159 RVO in Verbindung mit der Anlage 1 Kapitel VIII Sachgebiet J Abschnitt III Nr. 1 c Abs. 8 Nr. 2 des Einigungsvertrages. Da nach richtet sich die Zuständigkeit nach Geburtsdaten und innerhalb derer nach Namen. Für den Kläger, der am XX.XX. Geburtstag hat, ist deshalb die Beigeladene zu 2) zuständig.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil der Senat der Rechtssache - nicht zuletzt wegen der abweichenden Entscheidung des LSG Hessen - grundsätzliche Bedeutung zumißt, § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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