S 9 AS 855/05 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AS 855/05 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Ersatz eines neuen Ölbrenners ist jedenfalls dann keine wertsteigernde Erneuerungsmaßnahme, sondern notwendiger Erhaltungsaufwand, wenn der reparaturbedürftige Ölbrenner die übliche Nutzunsdauer überschritten hat und nach einer Reparatur mit weiteren Reparaturen mit Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.
I. Die Antragsgegnerin zu Ziff. 2. wird verpflichtet, der Antragstellerin die Kosten für einen neuen Ölbrenner und dessen Einbau in Höhe von 1094,62 EUR zu zahlen.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Antragsgegnerinnen haben der Antragstellerin deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernah-me der Kosten für einen neuen Ölbrenner und dessen Einbau.

Die Ast ist Bezieherin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Ihr Ehemann wurde als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bei der Berechnung der Leistungen mit be-rücksichtigt. Die Ast und ihr Ehemann sind Eigentümer eines Hauses in A-Stadt.

Am 22.09.2005 beantragte die Ast bei den Antragsgegnerinnen (Ag) die Gewährung eines Darlehens für die Reparatur der Heizanlage. Diesen Antrag zog die Ast allerdings wenige Tage, nämlich am 29.09.2005, zurück, weil die beantragten Reparaturkosten nicht als Dar-lehen, sondern als Leistungen für die Kosten der Unterkunft zu gewähren seien.

Nachdem die Ag über diesen geänderten Antrag bis zum 20.10.2005 nicht entschieden hatten, beantragte die Ast am selben Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Ag verpflichtet werden sollen, der Ast die notwendigen Reparaturkosten für die defekte Heizung in Höhe von 1299,20 EUR zu erstatten.

Dieser Antrag wird wie folgt begründet: Am 20.09.2005 sei die Heizung im Haus der Ast vollkommen ausgefallen. Ein herbeigerufener Fachmann habe festgestellt, dass der Bren-ner der Heizanlage defekt und dieser auszuwechseln sei. Eine Reparatur des Brenners sei sowohl aus "ökonomischer als auch aus umweltpolitischer Sicht" unwirtschaftlich.

Die Ast habe am 29.09.2005 bei den Ag wegen einer Kostenübernahme vorgesprochen. Eine Kostenübernahme sei aber von einem Mitarbeiter der Ag mündlich abgelehnt worden. Trotz Aufforderung durch die Ast hätten die Ag bis zum 20.10.2005 keinen schriftlichen rechtsmittelfähigen Ablehnungsbescheid erlassen. Die Ast könne die Kosten für die zwingend erforderliche Reparatur aus den ihr zur Verfü-gung stehenden Mitteln nicht bestreiten. Ihr sei es wegen der immer kälter werdenden Tage nicht zumutbar, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Die Ag seien auch zur Übernahme der Reparaturkosten nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) verpflichtet. Dem Hilfesuchenden seien nämlich grund-sätzlich auch die Unterkunftskosten für das selbstgenutzte Eigenheim zu ersetzen. Zu die-sen Unterkunftskosten würden alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zählten, gehören. Notwendige Ausgaben seien u.a. der Erhaltungsaufwand und sonstige Aufwendungen zur Bewirtschaftung des Haus- und Grundbesitzes. Hierzu gehöre auch die Reparatur des Ölbrenners.

Mit Bescheid vom 27.10.2005 lehnten es die Ag ab, die Reparaturkosten der Heizanlagen zu übernehmen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II würden Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht, soweit diese angemessen seien. Zum Bedarf für die Unterkunft würden neben der Kaltmiete auch die Betriebskosten gehören. Betriebskosten seien gem. § 1 Abs. 1 Betriebskostenverordnung (BetrKV; BGBl. 2003 Teil I S. 2346) Kosten, die u.a. dem Eigentümer am Grundstück oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes und des Grundstücks laufend entstehen würden. Nicht zu den Betriebskosten würden die Kosten gehören, die während der Nutzungsdauer zur Erhaltung des bestimmungsmäßigen Gebrauchs aufgewandt werden müssten, um die durch Abnutzung, Alterung und Witte-rungseinwirkung entstehenden baulichen oder sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu besei-tigen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrKV). Diese sogenannten Entstandhaltungs- bzw. Instandset-zungskosten würden nicht zu den reinen Verbrauchskosten gehören und können demzufol-ge nicht als Betriebskosten umgesetzt werden. Eine Übernahme der Reparaturkosten für eine Heizanlage sei somit nicht möglich.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat die Ast noch weitere Angebote für den Wechsel des Brenners vorgelegt; danach liegen die Kosten hierfür zwischen 1094,62 EUR und 1412,88 EUR. Auf Anfrage der Kammer haben die Fachfirmen, die diese Angebote abgegeben haben, mitgeteilt, der Aufwand zur Reparatur des Ölbrenners stehe in keinem Verhältnis zu einem neuen, umweltschonenden Brenner, weil auch nach der Reparatur bald wieder neue Repa-raturen anfallen würden. Der Austausch des reparaturbedürftigen Ölbrenners mit einem neuen sei zudem wirtschaftlicher als dessen Reparatur. Im Übrigen würden die Hersteller darauf verweisen, dass nach einer Laufzeit von 10 Jahren sie gesetzlich nicht mehr ver-pflichtet seien, Ersatzteile bereitstellen zu müssen. Die Reparaturkosten würden sich zwi-schen etwa 540 EUR und etwa 650 EUR netto belaufen. Dabei wurde ausdrücklich darauf hinge-wiesen, dass noch weitere Kosten – die noch unvorhersehbar seien – anfallen könnten. Eine Fachfirma hat die Reparatur des Ölbrenners gänzlich abgelehnt.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, der Antragstellerin im Wege der einstwei-ligen Anordnung die notwendigen Reparaturkosten der defekten Heizung in Höhe von 1299,20 EUR zu erstatten.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzuweisen.

Sie halten ihre Rechtsauffassung für zutreffend.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und überwiegend begründet. Die Ast hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Wechsel des defekten Ölbrenners in Höhe von 1094,62 EUR.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhält-nis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig er-scheint (Regelungsanordnung). Eine Regelungsanordnung kann nach allgemeiner Ansicht (vgl. Binder a.a., SGG, Handkommentar, § 86 b Rdnr. 32, 33) nur getroffen werden, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sowie keine Vorwegnahme der Haupt-sache gegeben sind.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die Ast einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit hat. Ein An-ordnungsgrund liegt hingegen dann vor, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist und deshalb ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache der Ast nicht zumutbar ist.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet grundsätzlich dann aus, wenn diese die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Von diesem Grundsatz ist aller-dings dann abzuweichen, wenn nur die Befriedigung des von der Ast geltend gemachten Anspruches in der Lage ist, einen irreparablen Schaden zu verhindern (Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., V Rdnr. 41).

Unter Anwendung dieser Grundsätze sind sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund gegeben.

Die Ast hat mit ausreichender Wahrscheinlichkeit einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Heizung, so dass der Anordnungsanspruch gegeben ist.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hierbei ist zu beachten, dass sich Besonderheiten dann ergeben, wenn der Hilfesuchende Unterkunfts-kosten für eigengenutzte Eigenheime oder Eigentumswohnungen geltend macht. Zu den Unterkunftskosten für eigengenutzte Eigenheime oder Eigentumswohnungen zählen alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Ver-pachtung anzusetzen sind. Zu den notwendigen Ausgaben zählen damit u.a. die Heizkosten wie bei Mietern, der Erhaltungsaufwand und sonstige Aufwendungen zur Bewirtschaftung des Haus- und Grundbesitzes, nicht darunter fallen aber wertsteigernde Erneuerungsmaß-nahmen (vgl. Münder u.a. SGB II, § 22, Rdnr. 20; Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22, Rdnr. 26). Die Abgrenzung von wertsteigernden Erneuerungsmaßnahmen zum Erhaltungsauf-wand ist an der am Kriterium der Notwendigkeit zu messen: Ist die Maßnahme notwendig und entspricht sie den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II), handelt es sich um einen Erhaltungsaufwand. Alle anderen Erneuerungs-maßnahmen sind wertsteigernd.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass es sich bei dem Wechsel des Öl-brenners um einen notwendigen Erhaltungsaufwand und nicht um eine wertsteigernde Er-neuerungsmaßnahme handelt. Zwar sind die Reparaturkosten für sich betrachtet zunächst geringer als ein Wechsel des Ölbrenners. Dabei würde aber nicht beachtet werden, dass – bedingt durch das hohe Alter des reparaturbedürftigen Ölbrenners – in absehbarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit mit weiteren Reparaturen und damit mit weiteren Kosten zu rechnen wäre. Um dies zu vermeiden, ist der Wechsel des Ölbrenners notwendig. Dies entspricht auch den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.

Der Ölbrennerwechsel stellt damit eine notwendige Erhaltungsaufwandsmaßnahme dar.

Die Kosten für diesen notwendigen Erhaltungsaufwand hat die Kammer nach dem güns-tigsten Angebot der Fachfirma Wolfram Kempe GmbH in B-Stadt-E-Stadt vom 07.11.2005 festgelegt. Danach betragen diese Kosten 1094,62 EUR.

Soweit die Ast höhere Reparaturkosten geltend macht, war der Antrag insoweit abzuleh-nen. Der Rechtsauffassung der Ag, wonach die BetrKV im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende anzuwenden sei, folgt die Kammer nicht. Die BetrKV wurde im Gesetz-blatt am 25.11.2003 verkündet und trat am 01.02.2004 in Kraft. Das SGB II wurde am 24.12.2003, also etwa einen Monat später als die BetrKV verkündet und trat am 01.01.2005 in Kraft. Wäre es der Wille des Gesetzgebers gewesen, die BetrKV im Rahmen des SGB II zu berücksichtigen, hätte er dies durch eine entsprechende Verweisung in die Vorschriften über die Grundsicherung für Arbeitsuchende einbeziehen können. Dies ist aber nicht geschehen. Dies aus gutem Grund: Die BetrKV wäre ein Fremdkörper im Recht auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, weil sie ausschließlich danach konzipiert ist, die Rechte des Mieters gegenüber dem Vermieter zu stärken. Dies ergibt sich insbesondere aus § 556 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach sind Betriebskosten nur diejenigen Kosten, die ausschließlich in der BetrKV aufgeführt sind. So gehören z.B. nicht zu den Betriebskosten die Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrKV). Dies würde im Bereich des SGB II dazu führen, dass Hilfesuchende von eigengenutzten Eigenheimen oder Eigentumswohnungen notwendige Reparaturkosten nicht erstattet be-kommen könnten. Eine derartige Einschränkung wäre weder sinnvoll noch gewollt, denn sie würde dazu führen, dass der Hilfebedürftige seine Eigentumswohnung oder selbstge-nutzte Hausgrundstück – welches gem. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II Schonvermögen darstellt – auf Dauer bei notwendigen, höheren Instandhaltungskosten, nicht halten könnte. Die Anwendung der BetrKV auf das SGB II entspricht daher nicht dem gesetzgeberischen Willen.

Zur Leistung verpflichtet ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II der Landkreis Leipziger Land, also die Ag zu Ziff. 2.

Es besteht auch ein Anordnungsgrund, weil eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist. Diese Eilbedürftigkeit resultiert allein schon daraus, dass mit Fortschreiten des Herbstes die Tage und Nächte immer kälter werden und die Ast auf eine Heizung dringend angewie-sen ist.

Durch die einstweilige Anordnung wird die Hauptsache vorweggenommen; dies ist grund-sätzlich verboten. Eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist je-doch zu machen, wenn die ohne die Regelung zu erwartenden Nachteile unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Dies ist hier der Fall. Es ist der Ast nicht zumutbar, weiterhin ohne Heizung wohnen zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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