L 4 B 355/05 ER SO

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 SO 521/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 B 355/05 ER SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Oktober 2005 insoweit aufgehoben, als die Antragsgegnerin darin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, der Antragstellerin aus Sozialhilfemitteln päd¬agogische Betreuung im eigenen Wohnraum auch für die Zeit nach Erlass eines Gesamtplanes zur Durchführung der einzelnen Leistungen der Eingliederungshilfe zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

Gründe:

Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 SGG), ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hätte nicht im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG entscheiden dürfen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, der Antragstellerin (weiterhin) pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53, § 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) in Höhe von 10 Stunden wöchentlich zu gewähren, ohne dies vom Fehlen eines Gesamtplanes zur Durchführung der einzelnen Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 58 SGB XII abhängig zu machen. Der Beschluss des So¬zialgerichts vom 21. Oktober 2005 war daher insoweit aufzuheben. Die weitergehende Beschwerde der Antragsgegnerin ist hingegen unbegründet.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. In § 54 Abs. 1 SGB XII wer¬den die Leistungen der Eingliederungshilfe unter Verweis auf Bestimmungen des SGB IX näher umschrieben. Gemäß § 58 Abs. 1 SGB XII stellt der Träger der Sozialhilfe so frühzeitig wie möglich einen Gesamtplan zur Durchführung der einzelnen Leistungen auf.

Danach gehört die im Jahre 1966 geborene Antragstellerin, für die nach Schwerbehindertenrecht wegen einer schweren geistig-seelischen Erkrankung ein Grad der Behinderung von 90 festgestellt worden ist, zwar zu dem Personenkreis, dem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe gegenüber dem Sozialhilfeträger zukommt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen. Damit ist allerdings noch nicht ausgesprochen, dass die Eingliederungshilfe durch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hier gerade in der von der Antragstellerin gewünschten Form als pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum (§ 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 SGB IX) zu bewilligen wäre. Nach Feststellung des konkreten Hilfebedarfs (§ 9 Abs. 1 und 2 SGB XII) hat der Träger der Sozialhilfe über Art und Maß und die Ausgestaltung der Eingliederungshilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII), in welchem Zusammenhang, da unter Umständen Leistungen verschiedener Träger aufeinander abgestimmt werden müssen, dem Gesamtplan nach § 58 SGB XII besondere Bedeutung zukommt (Beschluss des Senats vom 13.6.2005, L 4 B 135/05 ER SO).

Ein solcher Gesamtplan fehlt bisher im Falle der Antragstellerin. Vielmehr hat die Antragsgegnerin sich bei ihrer Entscheidung über die der Antragstellerin zu bewilligende Eingliederungshilfe (vgl. Bescheide vom 19.4.2005, 2.5.2005 und 22.9.2005) an diversen seit Jahres¬beginn 2005 geltenden Globalrichtlinien zu § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 Nr. 3 und 6 SGB IX orientiert, die einzelne Eingliederungsleistungen betreffen (z.B. päd¬agogische Betreuung im eigenen Wohnraum; Wohnassistenz; personen¬bezogene Lei¬stungen für psychisch kranke/seelisch behinderte Menschen). Diese Globalrichtlinien, die keine Rechtsnormen sind, sondern für die Rechtsanwendung unverbind¬liche norm¬interpretierende Regelungen enthalten und die, soweit es um Art und Maß der Leistungserbringung geht, auch das Ermessen der Behörde lenken sollen, können freilich die nach dem Gesetz erforderliche Bedarfsfeststellung nicht steuern und nicht ersetzen. Sie verweisen vielmehr richtigerweise jeweils darauf, dass vor Gewährung der einzelnen Lei¬stungen der Gesamtplan nach § 58 SGB XII erstellt und fortgeschrieben werden muss (siehe dazu auch Nr. 2.2 der Globalrichtlinien zu § 53 SGB XII vom 21. Dezember 2004). Auch im Falle der Antragstellerin ist daher im Rahmen eines kooperativen Entscheidungsprozesses alsbald unter Beteiligung der in § 58 Abs. 2 SGB XII genannten Stellen ein solcher Plan zu fertigen, der Feststellungen über konkreten Hilfebedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält (vgl. § 36 Abs. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe –) und die hier eventuell in Betracht kommenden Leistungen der Kranken- und Pflegekasse, der auf die Töchter der Antragstellerin bezogenen Jugendhilfe und der Sozialhilfe aufeinander abstimmt. Erst dann wird klar sein, in welcher Weise die Antragstellerin aufgrund der gesetzlichen Regelungen im 6. Kapitel SGB XII, die für die Beurteilung ihrer an den Einzelfall anzupassenden (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) rechtlichen Ansprüche allein maßgeblich sind, gefördert werden muss und kann. Die von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Anhörung von Mitarbeitern des Gesundheitsamtes genügt in diesem Zusammenhang ersichtlich nicht.

All dies rechtfertigt es nach Auffassung des Senats hier, die Antragsgegnerin, die die weitere Verfahrens¬gestaltung insoweit trotz des bereits anhängigen Klageverfahrens S 61 SO 522/05 in der Hand hat, zunächst bis zum Erlass eines Gesamtplanes für verpflichtet zu erklären, die bisherige Hilfe in Form pädagogischer Betreuung im eigenen Wohnraum weiter zu bewilligen. Das erscheint, da zweifelhaft ist, ob die der Antragstellerin mit Bescheid vom 19. April 2005 bewilligte Wohnassistenz ausreichend ist, im Sinne effektiven Rechtsschutzes erforderlich (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.5.2005, 1 BvR 569/05). Andererseits besteht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kein Anlass, für die Zeit nach Erlass des Gesamtplanes bereits jetzt eine Regelung zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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