Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 V 166/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 V 51/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.10.1998 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Sozialgericht Münster zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung von Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Teilversorgung.
Die 1926 geborene Klägerin ist deutsche Volkszugehörige und lebt in T.-M./Rumänien. 1993 beantragte sie erstmalig die Gewährung von Versorgung nach dem BVG. Sie sei 1945 nach Rußland zwangsverschleppt worden und habe sich während der Deportation eine Lungentuberkulose zugezogen. Deswegen habe sie mehrere Wochen im Lagerlazarett verbringen müssen und sei anschließend vorzeitig mit einem Krankentransport in ihre Heimat zurückgeschickt worden. Die sie in der Zeit von 1945 bis 1948 behandelnden Ärzte seien inzwischen verstorben. Das Arbeitsministerium Bukarest bescheinigte die Teilnahme an der "Wiederaufarbeit in der U.R.S.S. im Zeit abschnitt 11.01.1945 bis 22.10.1945".
Nach Auswertung von Behandlungs- und Befundberichten der Ärztinnen Dr. O. und Dr. B., beide Rumänien, und der dort angefertigten Röntgenaufnahmen durch seinen Versorgungsärztlichen Dienst lehnte der Beklagte durch Bescheid (10.06.1994) den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, die geltend gemach ten Gesundheitsstörungen stünden in keinem ursächlichen Zusammen hang mit der Zwangsarbeit. Eine während jener Zeit durchgemachte Lungentuberkulose sei nicht nachgewiesen und auch nicht wahrscheinlich. Ihrem Widerspruch fügte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, unterzeichnet von fünf ehemaligen Lagerinsassen, bei, die ihre Erkrankung an Lungentuberkulose im Lager, die Lazarettbehandlung und die Heimreise mit dem Krankentransport bestätigten. Nach Auswertung weiterer in Rumänien angefertigter Röntgenaufnahmen der Lunge durch den Versorgungsärztlichen Dienst wies der Be klagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid (18.04.1996) zurück. Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Münster verspätet erhobene Klage (Az.: S 4 V 101/96) sah der Beklagte als Antrag auf Überprüfung seiner wegen der verspäteten Klageerhebung bindenden Entscheidung (Bescheid vom 10.06.1994, Widerspruchsbescheid vom 18.04.1996) an. Die Klägerin nahm die Klage zurück.
Der Beklagte ließ weitere 1997 in Rumänien angefertigte Röntgenaufnahmen und den Bericht der rumänischen Ärztin Dr. B. durch seinen Versorgungsärztlichen Dienst beurteilen. Darauf gestützt lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11.08.1997 die Rücknahme des in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 bindend gewordenen Bescheides vom 10.06.1994 mit der Begründung ab, es habe sich bei der erneuten Überprüfung kein Hinweis auf einen floriden, spezifischen oder pneumonischen Lungenprozeß ergeben. Die verstärkte Brustkyphose stehe nicht in ursächlichem Zusammen hang mit der Zwangsarbeit. Zur Begründung ihres Widerspruches beschrieb die Klägerin erneut die Zustände der Deportation/Inhaftierung und ihren Gesundheitszustand nach Rückkehr aus dem Lager. Unterlagen über jene Zeit und einen Entlassungsschein habe sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat abgeben müssen. Nach Auskunft des rumänischen Innenministeriums seien auch Akten bezüglich des Lageraufenthaltes nicht vorhanden. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.12.1997 zurück. Dieser wurde der Klägerin über das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt am 17.01.1998 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit Schreiben vom 15.04.1998, zur Post gegeben am 17.04.1998 und beim SG Münster am 27.04.1998 eingegangen, hat die Klägerin Klage erhoben (Az.: S 10 V 96/98) und zum Nachweis ihrer Behauptung, sie sei 1945 während des Lageraufenthaltes an Lungentuberkulose er krankt, die notariell beglaubigten Erklärungen des P. G., des A. W. und des G. F. D. sowie für die behauptete ärztliche Behandlung wegen Lungentuberkulose nach Rückkehr aus dem Lager die Erklärungen der Witwe bzw. Tochter der Ärzte Dr. A. P. und Dr. N. V. übersandt.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Zurücknahme des Bescheides vom 10.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 ab September 1993 Teilversorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat der Klägerin am 07.07.1998 mitgeteilt:
"Sehr geehrte Frau M ...,
es wird darauf hingewiesen, daß die Klage verspätet erhoben worden ist. Sie erhalten daher Gelegenheit bis zum 17.08.1998 (Eingang hier), die unzulässige Klage zurückzunehmen. Auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides - ohne mündliche Verhandlung - wird hingewiesen. Das gerichtliche Schreiben vom 22.06.1998 sowie der Schriftsatz vom 02.07.1998 sind zur Kenntnisnahme beigefügt."
Das Schreiben vom 22.06.1998 enthielt eine Anfrage des Gerichts an den Beklagten, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Die Einverständniserklärung des Beklagten war in dessen Schriftsatz vom 02.07.1998 enthalten.
Daraufhin hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.07.1998 (es muß heißen: 05.08.1998) wie folgt geantwortet:
"Hiermit möchte ich erklären, daß ich die unzulässige Klage zurücknehme und gleichzeitig mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden bin. In der verstrichenen Zeit hat sich meine Zuversicht verstärkt, daß Sie eine gerechte Entscheidung treffen werden."
Das SG hat den Rechtsstreit als durch Rücknahme erledigt angesehen und der Klägerin mitgeteilt, einer gerichtlichen Entscheidung bedürfe es aufgrund der Klagerücknahme nicht mehr. Die Klägerin hat dem widersprochen. Sie habe die Klage nicht zurücknehmen wollen. Wie hätte sie das auch angesichts der Zeugenaussagen tun können. In ihrer Erklärung, "daß ich die unzulässige Klage zurücknehme" sei versehentlich das Wort "nicht" ausgelassen worden. Da sie innerhalb der Frist den Brief habe absenden müssen, habe sie diesen Fehler in der Eile nicht bemerkt.
Daraufhin hat das SG die Klägerin "auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides - ohne mündliche Verhandlung -" hingewiesen und mit Gerichtsbescheid vom 20.10.1998 festgestellt, daß der Rechtsstreit erledigt sei, weil die Klägerin die Klage zurückgenommen habe. Zwar habe sie gleichzeitig erklärt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein und auf eine gerechte Entscheidung zu hoffen. Dieser Zusatz stelle jedoch die eindeutige Erklärung der Klagerücknahme nicht in Frage. Es könne durchaus sein, daß ein Kläger, dem das deutsche Rechtssystem fremd sei, der Auffassung sei, auch nach einer Klagerücknahme bleibe noch ein wie auch immmer gearteter Raum für eine Entscheidung des Gerichts.
Zur Kostenentscheidung sei dies sogar ausdrücklich im Sozialgerichtsgesetz geregelt. Eine wirksame Rücknahmeerklärung könne nicht widerrufen werden. Ein Widerruf sei nur unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens möglich, die offensichtlich nicht vorlägen und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht würden.
Gegen den ihrer Zustellungsbevollmächtigten Frau Z. am 22.10.1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10.11.1998 Berufung eingelegt und geltend gemacht, als sie sich für die Klagerücknahme entschieden habe, sei sie überzeugt gewesen, nur so könne eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung stattfinden. Sie habe geglaubt, die Klagerücknahme sei eine Voraussetzung für die Gerichtsentscheidung.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.10.1998 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.1997 den Bescheid vom 10.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 zurückzunehmen und ab September 1993 Teilversorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise, den Gerichtsbescheid aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Münster zurückzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung vom 17.03.1999 ist der Vertreter des Beklagten darauf hingewiesen worden, daß der Senat erwägt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuweisen. Hierauf hat der Beklagte von einer Antragstellung abgesehen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Vorprozeßakte des SG Münster S 4 V 101/96 Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden können, weil die Klägerin von diesem Termin mit dem Hinweis benachrichtigt worden ist, daß auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht eine angefochtene Entscheidung durch Urteil auf heben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn das SG hat zu Unrecht die Beendigung des Rechtsstreites S 10 V 96/98 durch Klagerücknahme festgestellt und damit das Begehren der Klägerin, das Verfahren fortzusetzen, abgelehnt. Es hat zu der eigentlichen Sachfrage nicht Stellung genommen, weil es die Vorfrage, ob das Verfahren durch Rücknahme beendet worden ist, unzutreffend entschieden hat. Eine eindeutige Klagerücknahme, die gemäß § 102 Satz 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, enthält der Schriftsatz der Klägerin vom 05.07. (08.) 1998 nicht. Zwar hat sie auf den Hinweis des Gerichts, die Klage sei verspätet erhoben worden und sie erhalte Gelegenheit, die unzulässige Klage zurückzunehmen, ausdrücklich erklärt, daß sie die unzulässige Klage zurücknehme.
Diese Erklärung ist jedoch nicht isoliert zu bewerten. Unter Berücksichtigung der weiteren Erklärungen der Klägerin in dem genannten Schriftsatz und insbesondere des diesem vorausgegangenen Schreibens des Gerichts vom 07.07.1998 läßt ihre Erklärung bei unbefangener Würdigung nicht eindeutig und unzweifelhaft auf ihren Willen zur Rücknahme der Klage schließen (vgl. BGH, Urteil vom 03.04.1996 - Az.: VIII ZR 315/94 - in: SGb 1997, 249; so auch LSG NRW, Urteil vom 01.10.1996 - Az.: L 11 Ka 24/96 -). Bei der Auslegung ihrer Erklärung vom 05.07. (08.) 1998 ist auf den damaligen Zeitpunkt abzustellen. Die von der Klägerin später dargelegten Gründe bzw. Hintergründe sind nicht zu berücksichtigen, denn die Erklärung erhält mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert. Zweifel daran, daß es sich vorliegend um eine prozeßbeendende Erklärung handelt, er geben sich insbesondere aus den weiteren Äußerungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 05.07. (08.) 1998. Im zweiten Halbsatz hat sich die Klägerin nämlich "gleichzeitig mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden" erklärt. Ferner hat sie in demselben Schreiben ihre Zuversicht geäußert, daß das SG eine gerechte Entscheidung treffen werde, und wiederum schriftliche Zeugenaussagen für ihre Erkrankung im russischen Lager beigefügt. Die einander widersprechenden Ausführungen der Klägerin hätten das SG veranlassen müssen, eine entsprechende klärende Rückfrage zu stellen. Das Schreiben des SG vom 07.07.1998 im Zusammenhang mit dem beigefügten Schreiben vom 22.06.1998 und 02.07.1998 war im übrigen auch unklar und für die - unvertretene - Klägerin dadurch auch unverständlich, so daß nur eine Antwort erfolgen konnte, aus der hervorgeht, daß sie die prozessuale Situation nicht verstanden hat. Das SG hatte mit seiner Formulierung "Es wird darauf hingewiesen, daß die Klage verspätet erhoben worden ist. Sie erhalten daher Gelegenheit bis zum 17.08.1998 (Eingang hier), die unzulässige Klage zurückzunehmen", der Klägerin keinerlei Entscheidungsfreiheit, ob sie die Klage zurücknehmen wolle oder nicht, eingeräumt. Es hat ihr lediglich die Gelegenheit gegeben, die unzulässige Klage bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzunehmen. Der sich an den oben zitierten Satz anschließende bloße Hinweis auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides konnte deshalb von der nicht rechtskundigen Erklärungsempfängerin nur so verstanden wer den, daß trotz Rücknahme der unzulässigen Klage, die innerhalb einer Frist zu erfolgen habe, noch eine Entscheidung ergehen könne. Das SG hätte zumindest den Hinweis geben müssen, daß es nur für den Fall, daß die Klage nicht zurückgenommen werde, entscheiden werde und die Möglichkeit bestehe, durch einen Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die seinem Schreiben vom 07.07.1998 beige fügte Anfrage an den Beklagten vom 22.06. und dessen Antwort vom 02.07.1998 mögen dann noch vollends zur Verwirrung der Klägerin beigetragen haben. Das Gericht hatte nämlich nicht sie nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gefragt, sondern den Beklagten. Diese Anfrage hat die Klägerin wohl als an sich gerichtet betrachtet und beantwortet. Sie brauchte jedoch ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gar nicht zu erklären, da das SG sie ja gerade auf die Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hingewiesen hatte. Angesichts der vorstehend dargelegten Unklarheiten hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, der Klägerin die prozessuale Situation verständlich darzulegen und durch eine entsprechende Rückfrage auf die Abgabe einer eindeutigen Erklärung hinzuwirken.
Daneben leidet das sozialgerichtliche Verfahren an ebenfalls die Zurückverweisung rechtfertigenden wesentlichen Mängeln (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das SG hat sowohl seine ihm gemäß § 106 Abs. 1 SGG obliegende Aufklärungspflicht als auch die in § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG normierte Anhörungspflicht verletzt. Die Aufklärungspflicht beinhaltet gerade gegenüber rechtlich nicht bewanderten Klägern eine Fürsorgepflicht, um einen umfassenden Rechtsschutz zu gewährleisten (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, 1998 § 106 Anm. 2). Ein derartiger Verstoß ist anzunehmen, wenn das Gericht nicht die Frage der Wiedereinsetzung klärt, obwohl nach Lage der Sache mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß sie in Betracht kommt (BSG, Beschluss vom 31.07.1985 - Az.: 9 a RVs 5/84 in: SozR § 60 Nr. 3; BSG, Urteil vom 15.03.1962 - Az.: 4 RJ 221/60 - in: BSGE 16, 252).
So liegt der Fall hier. Der Klägerin ist zwar mitgeteilt worden, daß ihre Klage, die gemäß § 87 Abs. 2 SGG innerhalb von drei Monaten nach Zustellung (17.01.1998), d.h. bis Montag, den 20.04.1998 beim SG hätte eingegangen sein müssen (tatsächlicher Eingang: 27.04.1998), verspätet erhoben worden sei. Mit keinem Wort hat das SG jedoch angedeutet, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine verspätete nachgeholte Prozeßhandlung gem. § 67 SGG als rechtzeitig angesehen werden könne. Es hätte die Klägerin fragen müssen, aus welchen Gründen sie die Klage verspätet erhoben hat. Spätestens in seinem Schreiben vom 07.07.1998, in dem es auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hinge wiesen hat, hätte das SG mitteilen müssen, daß Gründe, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten, nicht vorgetragen bzw. erkennbar seien, wobei vorliegend das SG der - unvertretenen - Klägerin auch den Rechtsbegriff "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" hätte erläutern müssen. Daß schon die Klage im abgeschlossenen Verfahren S4 V 101/96 verspätet erhoben und der Klägerin damals mitgeteilt worden war, "Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind nicht erkennbar", kann ihr deswegen nicht entgegengehalten werden.
Seiner ihm durch § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG auferlegten Verpflichtung, die Beteiligten vor Erlaß des Gerichtsbescheides zu hören, ist das SG ebenfalls nicht nachgekommen. Erforderlich ist ein konkreter fallbezogener Hinweis (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.11.1986 - Az.: 1 BvR 706/85 - in: BVerfGE 74, 1 ff.; vgl. auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 105 Rdnr. 10). Ein formularmäßiger Hinweis reicht nicht aus. Der Hinweis des SG "auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid - ohne mündliche Verhandlung -" bezieht sich lediglich auf das beabsichtigte Vorgehen des Gerichts. Eine sogenannte Anhörungsmitteilung enthält er nicht (Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Da jedoch Sinn und Zweck der vorgeschriebenen Anhörung ist, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zum Prozeßstoff zu geben, hätte es zumindest des Hinweises bedurft, daß die Beteiligten noch einmal die Gelegenheit erhalten sollen, sich vor Erlaß der Entscheidung abschließend zu äußern. In dem Zusammenhang hätte das SG auch auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinweisen müssen.
Auf den aufgezeigten Verfahrensmängeln kann der Gerichtsbescheid beruhen. Hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, das Mißverständnis bezüglich ihrer Erklärung vom 05.07. (08.) 1998 aufzuklären, Gründe vorzutragen und glaubhaft zu machen, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten, hätte die Entscheidung des SG möglicherweise anders ausgesehen.
Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene, sondern nur im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und im Hinblick darauf, daß den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll, geboten. Das SG wird zunächst zu klären haben, ob Gründe bestehen, die Wiedereinsetzung der Klage in den vorigen Stand rechtfertigen. Gegebenenfalls wären zur Klärung des schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 BVG, der geltend gemachten Primärschädigung (Lungentuberkulose) und der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dieser und der festgestellten Atemwegserkrankung noch Ermittlungen - Vernehmung der von der Klägerin immer wieder genannten Zeugen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens - durchzufühhren.
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem SG vorbehalten.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung von Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Teilversorgung.
Die 1926 geborene Klägerin ist deutsche Volkszugehörige und lebt in T.-M./Rumänien. 1993 beantragte sie erstmalig die Gewährung von Versorgung nach dem BVG. Sie sei 1945 nach Rußland zwangsverschleppt worden und habe sich während der Deportation eine Lungentuberkulose zugezogen. Deswegen habe sie mehrere Wochen im Lagerlazarett verbringen müssen und sei anschließend vorzeitig mit einem Krankentransport in ihre Heimat zurückgeschickt worden. Die sie in der Zeit von 1945 bis 1948 behandelnden Ärzte seien inzwischen verstorben. Das Arbeitsministerium Bukarest bescheinigte die Teilnahme an der "Wiederaufarbeit in der U.R.S.S. im Zeit abschnitt 11.01.1945 bis 22.10.1945".
Nach Auswertung von Behandlungs- und Befundberichten der Ärztinnen Dr. O. und Dr. B., beide Rumänien, und der dort angefertigten Röntgenaufnahmen durch seinen Versorgungsärztlichen Dienst lehnte der Beklagte durch Bescheid (10.06.1994) den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, die geltend gemach ten Gesundheitsstörungen stünden in keinem ursächlichen Zusammen hang mit der Zwangsarbeit. Eine während jener Zeit durchgemachte Lungentuberkulose sei nicht nachgewiesen und auch nicht wahrscheinlich. Ihrem Widerspruch fügte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, unterzeichnet von fünf ehemaligen Lagerinsassen, bei, die ihre Erkrankung an Lungentuberkulose im Lager, die Lazarettbehandlung und die Heimreise mit dem Krankentransport bestätigten. Nach Auswertung weiterer in Rumänien angefertigter Röntgenaufnahmen der Lunge durch den Versorgungsärztlichen Dienst wies der Be klagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid (18.04.1996) zurück. Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Münster verspätet erhobene Klage (Az.: S 4 V 101/96) sah der Beklagte als Antrag auf Überprüfung seiner wegen der verspäteten Klageerhebung bindenden Entscheidung (Bescheid vom 10.06.1994, Widerspruchsbescheid vom 18.04.1996) an. Die Klägerin nahm die Klage zurück.
Der Beklagte ließ weitere 1997 in Rumänien angefertigte Röntgenaufnahmen und den Bericht der rumänischen Ärztin Dr. B. durch seinen Versorgungsärztlichen Dienst beurteilen. Darauf gestützt lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11.08.1997 die Rücknahme des in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 bindend gewordenen Bescheides vom 10.06.1994 mit der Begründung ab, es habe sich bei der erneuten Überprüfung kein Hinweis auf einen floriden, spezifischen oder pneumonischen Lungenprozeß ergeben. Die verstärkte Brustkyphose stehe nicht in ursächlichem Zusammen hang mit der Zwangsarbeit. Zur Begründung ihres Widerspruches beschrieb die Klägerin erneut die Zustände der Deportation/Inhaftierung und ihren Gesundheitszustand nach Rückkehr aus dem Lager. Unterlagen über jene Zeit und einen Entlassungsschein habe sie nach ihrer Rückkehr in die Heimat abgeben müssen. Nach Auskunft des rumänischen Innenministeriums seien auch Akten bezüglich des Lageraufenthaltes nicht vorhanden. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.12.1997 zurück. Dieser wurde der Klägerin über das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt am 17.01.1998 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit Schreiben vom 15.04.1998, zur Post gegeben am 17.04.1998 und beim SG Münster am 27.04.1998 eingegangen, hat die Klägerin Klage erhoben (Az.: S 10 V 96/98) und zum Nachweis ihrer Behauptung, sie sei 1945 während des Lageraufenthaltes an Lungentuberkulose er krankt, die notariell beglaubigten Erklärungen des P. G., des A. W. und des G. F. D. sowie für die behauptete ärztliche Behandlung wegen Lungentuberkulose nach Rückkehr aus dem Lager die Erklärungen der Witwe bzw. Tochter der Ärzte Dr. A. P. und Dr. N. V. übersandt.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Zurücknahme des Bescheides vom 10.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 ab September 1993 Teilversorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat der Klägerin am 07.07.1998 mitgeteilt:
"Sehr geehrte Frau M ...,
es wird darauf hingewiesen, daß die Klage verspätet erhoben worden ist. Sie erhalten daher Gelegenheit bis zum 17.08.1998 (Eingang hier), die unzulässige Klage zurückzunehmen. Auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides - ohne mündliche Verhandlung - wird hingewiesen. Das gerichtliche Schreiben vom 22.06.1998 sowie der Schriftsatz vom 02.07.1998 sind zur Kenntnisnahme beigefügt."
Das Schreiben vom 22.06.1998 enthielt eine Anfrage des Gerichts an den Beklagten, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Die Einverständniserklärung des Beklagten war in dessen Schriftsatz vom 02.07.1998 enthalten.
Daraufhin hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.07.1998 (es muß heißen: 05.08.1998) wie folgt geantwortet:
"Hiermit möchte ich erklären, daß ich die unzulässige Klage zurücknehme und gleichzeitig mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden bin. In der verstrichenen Zeit hat sich meine Zuversicht verstärkt, daß Sie eine gerechte Entscheidung treffen werden."
Das SG hat den Rechtsstreit als durch Rücknahme erledigt angesehen und der Klägerin mitgeteilt, einer gerichtlichen Entscheidung bedürfe es aufgrund der Klagerücknahme nicht mehr. Die Klägerin hat dem widersprochen. Sie habe die Klage nicht zurücknehmen wollen. Wie hätte sie das auch angesichts der Zeugenaussagen tun können. In ihrer Erklärung, "daß ich die unzulässige Klage zurücknehme" sei versehentlich das Wort "nicht" ausgelassen worden. Da sie innerhalb der Frist den Brief habe absenden müssen, habe sie diesen Fehler in der Eile nicht bemerkt.
Daraufhin hat das SG die Klägerin "auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides - ohne mündliche Verhandlung -" hingewiesen und mit Gerichtsbescheid vom 20.10.1998 festgestellt, daß der Rechtsstreit erledigt sei, weil die Klägerin die Klage zurückgenommen habe. Zwar habe sie gleichzeitig erklärt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein und auf eine gerechte Entscheidung zu hoffen. Dieser Zusatz stelle jedoch die eindeutige Erklärung der Klagerücknahme nicht in Frage. Es könne durchaus sein, daß ein Kläger, dem das deutsche Rechtssystem fremd sei, der Auffassung sei, auch nach einer Klagerücknahme bleibe noch ein wie auch immmer gearteter Raum für eine Entscheidung des Gerichts.
Zur Kostenentscheidung sei dies sogar ausdrücklich im Sozialgerichtsgesetz geregelt. Eine wirksame Rücknahmeerklärung könne nicht widerrufen werden. Ein Widerruf sei nur unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens möglich, die offensichtlich nicht vorlägen und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht würden.
Gegen den ihrer Zustellungsbevollmächtigten Frau Z. am 22.10.1998 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10.11.1998 Berufung eingelegt und geltend gemacht, als sie sich für die Klagerücknahme entschieden habe, sei sie überzeugt gewesen, nur so könne eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung stattfinden. Sie habe geglaubt, die Klagerücknahme sei eine Voraussetzung für die Gerichtsentscheidung.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.10.1998 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.1997 den Bescheid vom 10.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1996 zurückzunehmen und ab September 1993 Teilversorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren, hilfsweise, den Gerichtsbescheid aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Münster zurückzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung vom 17.03.1999 ist der Vertreter des Beklagten darauf hingewiesen worden, daß der Senat erwägt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuweisen. Hierauf hat der Beklagte von einer Antragstellung abgesehen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Vorprozeßakte des SG Münster S 4 V 101/96 Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden können, weil die Klägerin von diesem Termin mit dem Hinweis benachrichtigt worden ist, daß auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht eine angefochtene Entscheidung durch Urteil auf heben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn das SG hat zu Unrecht die Beendigung des Rechtsstreites S 10 V 96/98 durch Klagerücknahme festgestellt und damit das Begehren der Klägerin, das Verfahren fortzusetzen, abgelehnt. Es hat zu der eigentlichen Sachfrage nicht Stellung genommen, weil es die Vorfrage, ob das Verfahren durch Rücknahme beendet worden ist, unzutreffend entschieden hat. Eine eindeutige Klagerücknahme, die gemäß § 102 Satz 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, enthält der Schriftsatz der Klägerin vom 05.07. (08.) 1998 nicht. Zwar hat sie auf den Hinweis des Gerichts, die Klage sei verspätet erhoben worden und sie erhalte Gelegenheit, die unzulässige Klage zurückzunehmen, ausdrücklich erklärt, daß sie die unzulässige Klage zurücknehme.
Diese Erklärung ist jedoch nicht isoliert zu bewerten. Unter Berücksichtigung der weiteren Erklärungen der Klägerin in dem genannten Schriftsatz und insbesondere des diesem vorausgegangenen Schreibens des Gerichts vom 07.07.1998 läßt ihre Erklärung bei unbefangener Würdigung nicht eindeutig und unzweifelhaft auf ihren Willen zur Rücknahme der Klage schließen (vgl. BGH, Urteil vom 03.04.1996 - Az.: VIII ZR 315/94 - in: SGb 1997, 249; so auch LSG NRW, Urteil vom 01.10.1996 - Az.: L 11 Ka 24/96 -). Bei der Auslegung ihrer Erklärung vom 05.07. (08.) 1998 ist auf den damaligen Zeitpunkt abzustellen. Die von der Klägerin später dargelegten Gründe bzw. Hintergründe sind nicht zu berücksichtigen, denn die Erklärung erhält mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert. Zweifel daran, daß es sich vorliegend um eine prozeßbeendende Erklärung handelt, er geben sich insbesondere aus den weiteren Äußerungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 05.07. (08.) 1998. Im zweiten Halbsatz hat sich die Klägerin nämlich "gleichzeitig mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden" erklärt. Ferner hat sie in demselben Schreiben ihre Zuversicht geäußert, daß das SG eine gerechte Entscheidung treffen werde, und wiederum schriftliche Zeugenaussagen für ihre Erkrankung im russischen Lager beigefügt. Die einander widersprechenden Ausführungen der Klägerin hätten das SG veranlassen müssen, eine entsprechende klärende Rückfrage zu stellen. Das Schreiben des SG vom 07.07.1998 im Zusammenhang mit dem beigefügten Schreiben vom 22.06.1998 und 02.07.1998 war im übrigen auch unklar und für die - unvertretene - Klägerin dadurch auch unverständlich, so daß nur eine Antwort erfolgen konnte, aus der hervorgeht, daß sie die prozessuale Situation nicht verstanden hat. Das SG hatte mit seiner Formulierung "Es wird darauf hingewiesen, daß die Klage verspätet erhoben worden ist. Sie erhalten daher Gelegenheit bis zum 17.08.1998 (Eingang hier), die unzulässige Klage zurückzunehmen", der Klägerin keinerlei Entscheidungsfreiheit, ob sie die Klage zurücknehmen wolle oder nicht, eingeräumt. Es hat ihr lediglich die Gelegenheit gegeben, die unzulässige Klage bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzunehmen. Der sich an den oben zitierten Satz anschließende bloße Hinweis auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides konnte deshalb von der nicht rechtskundigen Erklärungsempfängerin nur so verstanden wer den, daß trotz Rücknahme der unzulässigen Klage, die innerhalb einer Frist zu erfolgen habe, noch eine Entscheidung ergehen könne. Das SG hätte zumindest den Hinweis geben müssen, daß es nur für den Fall, daß die Klage nicht zurückgenommen werde, entscheiden werde und die Möglichkeit bestehe, durch einen Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die seinem Schreiben vom 07.07.1998 beige fügte Anfrage an den Beklagten vom 22.06. und dessen Antwort vom 02.07.1998 mögen dann noch vollends zur Verwirrung der Klägerin beigetragen haben. Das Gericht hatte nämlich nicht sie nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gefragt, sondern den Beklagten. Diese Anfrage hat die Klägerin wohl als an sich gerichtet betrachtet und beantwortet. Sie brauchte jedoch ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gar nicht zu erklären, da das SG sie ja gerade auf die Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hingewiesen hatte. Angesichts der vorstehend dargelegten Unklarheiten hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, der Klägerin die prozessuale Situation verständlich darzulegen und durch eine entsprechende Rückfrage auf die Abgabe einer eindeutigen Erklärung hinzuwirken.
Daneben leidet das sozialgerichtliche Verfahren an ebenfalls die Zurückverweisung rechtfertigenden wesentlichen Mängeln (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Das SG hat sowohl seine ihm gemäß § 106 Abs. 1 SGG obliegende Aufklärungspflicht als auch die in § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG normierte Anhörungspflicht verletzt. Die Aufklärungspflicht beinhaltet gerade gegenüber rechtlich nicht bewanderten Klägern eine Fürsorgepflicht, um einen umfassenden Rechtsschutz zu gewährleisten (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, 1998 § 106 Anm. 2). Ein derartiger Verstoß ist anzunehmen, wenn das Gericht nicht die Frage der Wiedereinsetzung klärt, obwohl nach Lage der Sache mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß sie in Betracht kommt (BSG, Beschluss vom 31.07.1985 - Az.: 9 a RVs 5/84 in: SozR § 60 Nr. 3; BSG, Urteil vom 15.03.1962 - Az.: 4 RJ 221/60 - in: BSGE 16, 252).
So liegt der Fall hier. Der Klägerin ist zwar mitgeteilt worden, daß ihre Klage, die gemäß § 87 Abs. 2 SGG innerhalb von drei Monaten nach Zustellung (17.01.1998), d.h. bis Montag, den 20.04.1998 beim SG hätte eingegangen sein müssen (tatsächlicher Eingang: 27.04.1998), verspätet erhoben worden sei. Mit keinem Wort hat das SG jedoch angedeutet, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine verspätete nachgeholte Prozeßhandlung gem. § 67 SGG als rechtzeitig angesehen werden könne. Es hätte die Klägerin fragen müssen, aus welchen Gründen sie die Klage verspätet erhoben hat. Spätestens in seinem Schreiben vom 07.07.1998, in dem es auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hinge wiesen hat, hätte das SG mitteilen müssen, daß Gründe, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten, nicht vorgetragen bzw. erkennbar seien, wobei vorliegend das SG der - unvertretenen - Klägerin auch den Rechtsbegriff "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" hätte erläutern müssen. Daß schon die Klage im abgeschlossenen Verfahren S4 V 101/96 verspätet erhoben und der Klägerin damals mitgeteilt worden war, "Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind nicht erkennbar", kann ihr deswegen nicht entgegengehalten werden.
Seiner ihm durch § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG auferlegten Verpflichtung, die Beteiligten vor Erlaß des Gerichtsbescheides zu hören, ist das SG ebenfalls nicht nachgekommen. Erforderlich ist ein konkreter fallbezogener Hinweis (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.11.1986 - Az.: 1 BvR 706/85 - in: BVerfGE 74, 1 ff.; vgl. auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 105 Rdnr. 10). Ein formularmäßiger Hinweis reicht nicht aus. Der Hinweis des SG "auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid - ohne mündliche Verhandlung -" bezieht sich lediglich auf das beabsichtigte Vorgehen des Gerichts. Eine sogenannte Anhörungsmitteilung enthält er nicht (Bundesverfassungsgericht a.a.O.). Da jedoch Sinn und Zweck der vorgeschriebenen Anhörung ist, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zum Prozeßstoff zu geben, hätte es zumindest des Hinweises bedurft, daß die Beteiligten noch einmal die Gelegenheit erhalten sollen, sich vor Erlaß der Entscheidung abschließend zu äußern. In dem Zusammenhang hätte das SG auch auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinweisen müssen.
Auf den aufgezeigten Verfahrensmängeln kann der Gerichtsbescheid beruhen. Hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, das Mißverständnis bezüglich ihrer Erklärung vom 05.07. (08.) 1998 aufzuklären, Gründe vorzutragen und glaubhaft zu machen, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten, hätte die Entscheidung des SG möglicherweise anders ausgesehen.
Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene, sondern nur im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und im Hinblick darauf, daß den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll, geboten. Das SG wird zunächst zu klären haben, ob Gründe bestehen, die Wiedereinsetzung der Klage in den vorigen Stand rechtfertigen. Gegebenenfalls wären zur Klärung des schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 BVG, der geltend gemachten Primärschädigung (Lungentuberkulose) und der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dieser und der festgestellten Atemwegserkrankung noch Ermittlungen - Vernehmung der von der Klägerin immer wieder genannten Zeugen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens - durchzufühhren.
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem SG vorbehalten.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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NRW
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