S 14 RA 497/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 14 RA 497/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 1 Abs. 1 (Satz 2) AAÜG ist verfassungskonform (Fortführung von SG Dresden, Urteile vom 22. September 2003 - S 14 RA 775/03 und 21. Oktober 2003 - S 14 RA 882/02).
2. Der (persönliche) Geltungsbereich des AAÜG ist nicht „verfassungskonform auszudehnen“ oder „verfassungskonform erweiternd auszulegen“ (Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des BSG, z.B. Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R, B 4 RA 41/01 R, B 4 RA 42/01 R und B 4 RA 3/02 R, 6. Mai 2004 - B 4 RA 49/03 R, 26. Oktober 2004 - B 4 RA 37/04 R und B 4 RA 40/04 R sowie 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R).
3. Die „Ausdehnung“ bzw. „erweiternde Auslegung“ des § 1 Abs. 1 (Satz 2) AAÜG durch das BSG ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar (Abgrenzung zu BVerfG, Beschlüsse vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 und 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a.).
a) Denn sie ist keine verfassungskonforme Auslegung, sondern eine darüber hinausgehende unzulässige Rechtsfortbildung.
b) Das BSG hätte den von ihm unterstellten Wertungswiderspruch entweder hinnehmen oder § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlegen müssen.
c) Das BSG ist nicht befugt, aufgrund eigener Gerechtigkeits- und Wertstellungen gesetzgeberische Funktionen zu übernehmen.
d) Diese Rechtsfortbildung überschreitet die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben. Denn das BSG hat weder die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert noch ist es den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt. Damit hat sich das BSG in die Rolle des Gesetzgebers begeben und sich der Bindung an Gesetz und Recht entzogen.
e) Dieser gesetzes- und verfassungswidrige Zustand verschärft sich noch durch weitere besonders geeignete Momente.
f) Das Monopol der Verwerfungskompetenz des BVerfG wurde beeinträchtigt.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit der Klägerin zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 zum Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG) sowie das in diesen Zeiten tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt festzustellen.

Der am geborenen Klägerin wurde vom Rat der Sektion Chemie der K ...Universität L ... mit Urkunde vom der akademische Grad Diplom-Chemiker verliehen. Vom bis 30. Juni 1990 arbeitete die Klägerin im Volkseigenen Betrieb Kraftwerk. Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf die Beurteilung vom und auf den Vortrag der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung verwiesen (Blatt 45 der Verwaltungsakte und 49 der Gerichtsakte).

Von bis Juni 1990 gehörte die Klägerin der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an.

Eine Versorgungszusage wurde ihr nicht erteilt.

Die Klägerin bezieht noch keine (Renten-) Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Am 12. Juni 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überführung von Versorgungsanwartschaften aufgrund der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2002 lehnte die Beklagte die Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab. Eine Versorgungsanwartschaft sei nicht entstanden. Weder habe eine Versorgungszusage zu Zeiten der DDR bestanden noch habe die Klägerin am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei.

Dagegen erhob die Klägerin am 1. August 2002 Widerspruch. Sie habe die vom Bundesso-zialgericht (BSG) benannten drei Voraussetzungen erfüllt. Denn sie sei berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplomchemiker zu führen und habe entsprechende Tätigkeiten in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie ausgeübt.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Als Diplomchemiker sei sie nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 12. März 2003.

Die Klägerin ist der Auffassung, die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und nicht die Berufs-bezeichnung sei entscheidend. Eine verfassungsrechtliche Klärung sei insoweit bislang nicht erfolgt. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit Beschluss vom 4. August 2004 (1 BvR 1557/01) die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Als Naturwissenschaftler habe sie Tätigkeiten zu den gleichen Bedingungen verrichtet wie ein Inge-nieur. Diplomchemiker seien in der Systematik der Berufe von November 1950 der Be-rufsgruppe der Ingenieure und Techniker zugeordnet gewesen. Entsprechendes müsse da-her für die Versorgungsordnung von 1950 gelten. Klageziel sei die Ausschöpfung des Rechtsweges, bei Notwendigkeit bis zum BVerfG.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2002 zu verpflichten, die Zeiten der Beschäftigung vom 1. Juni 1973 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 des AAÜG sowie das dabei erzielte Arbeitsentgelt festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig. Auf die ständige Rechtsprechung des BSG werde verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn die angefochtenen Entscheidungen der Beklag-ten sind im Ergebnis rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit (iVm) Abs. 2 (und Abs. 1 Satz 1 bis 3) AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu dem Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG sowie des dabei erzielten Arbeitsent-geltes. Denn § 8 AAÜG ist nicht anwendbar, da dieses Gesetz (AAÜG) für die Klägerin nicht gilt (hierzu I.). Der (persönliche) Geltungsbereich des AAÜG ist entgegen der Recht-sprechung des BSG nicht "verfassungskonform auszudehnen" oder "verfassungskonform erweiternd auszulegen". Denn § 1 Abs. 1 (Satz 2) AAÜG ist verfassungskonform (hierzu unter II.). Die "Ausdehnung" bzw. "erweiternde Auslegung" durch das BSG ist mit dem Grundgesetz (GG) nicht vereinbar (hierzu unter III.). Der Zulassung der Revision bedurfte es trotz der Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des BSG in diesem Verfahren nicht (hierzu unter IV.).

I. Das AAÜG ist am 1. August 1991 in Kraft getreten, vgl. Art. 3 und Art. 42 Abs. 8 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversiche-rung vom 25. Juli 1991, BGBl. I Nr. 46 S. 1606ff.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz nur für Ansprüche und Anwartschaften (Versorgungsberechtigungen), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderver-sorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet (vgl. § 18 Abs. 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB) erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungs-systeme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungs-system vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als nicht eingetreten. § 1 Abs. 1 AAÜG wurde durch die Gesetze vom 11. November 1996 (AAÜG-Änderungsgesetz - AAÜG-ÄndG), BGBl. I Nr. 57 S. 1674ff , 27. Juli 2001 (2. AAÜG-Änderungsgesetz - 2. AAÜG-ÄndG), BGBl. I Nr. 40 S. 1939ff und 21. Juni 2005 (Erstes Gesetz zur Änderung des AAÜG), BGBl. I Nr. 35, S. 1672f weder geändert und ergänzt (1. und 2. AAÜG-ÄndG) noch nur geändert (Erstes Gesetz zur Änderung des AAÜG).

Anspruch (vgl. hierzu auch die Legaldefinition in § 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch) im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (sog. Versorgungsanspruch bzw. Anspruch auf Ver-sorgung = Vollrecht) ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein Recht, vom Ver-sorgungsträger (wiederkehrend) Leistung, nämlich Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verlangen (Zahlungsanspruch aus einem Recht auf Versorgung). Unter Anwartschaft als eine Vorstufe bei der Entstehung eines Vollrechtes versteht das BSG insoweit eine Rechts-position, bei der nur noch der Versorgungsfall eintreten mußte, damit sie zum Vollrecht erstarkte (sog. Versorgungsanwartschaft bzw. Anwartschaftsrecht auf Versorgungsleistun-gen im o.g. Sinne). Vgl. wegen der weiteren Einzelheiten hierzu zB BSG, Urteile vom 20. Dezember 2001 - B 4 RA 6/01 R - SozR 3-8570 § 8 Nr. 7, 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - und - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 und 7 sowie 6. Mai 2004 - B 4 RA 55/03 R - JURIS.

Unter Berücksichtigung dessen konnte für die Klägerin am 1. August 1991 ein Versor-gungsanspruch nicht bestehen. Denn ungeachtet der (sonstigen) rechtlichen Voraussetzun-gen hierfür war bei ihr bis zum Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme (mit Wirkung zum 30. Juni 1990, vgl. sogleich) jedenfalls noch kein Versorgungsfall (aufgrund Invalidität bzw. Vollendung des 65. Lebensjahres) eingetreten.

Die Klägerin verfügte am 1. August 1991 ebenso weder über eine bestehende (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG) noch (gesetzlich) fingierte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG) Anwartschaft.

Nach dem am 1. August 1991 geltenden bundesdeutschen Recht bestand eine Versor-gungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nach der Rechtsprechung des BSG nur für Personen: - die vor dem 1. Juli 1990 durch einen nach Art. 19 Satz 1 des Vertrages zwischen der BRD und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungs-vertrag - EV) vom 31. August 1990, BGBl. II, S. 889, bindend gebliebenen Ver-waltungsakt (im bundesrechtlichen Sinne) der DDR oder - später durch eine Rehabilitierungsentscheidung (im Sinne des Art. 17 EV) wieder in ein Versorgungssystem einbezogen waren oder - denen vor dem 1. Juli 1990 einmal eine Versorgungszusage erteilt, diese aber durch einen weiteren Verwaltungsakt der DDR wieder aufgehoben worden war und der Aufhebungsakt nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EV unbeachtlich geworden ist, oder - die auch ohne Versorgungszusage als einbezogen gelten, weil in dem betreffenden Versorgungssystem für sie ein besonderer Akt der Einbeziehung nicht vorgesehen war oder - denen vor dem 1. Juli 1990 durch eine Individualentscheidung (Einzelentschei-dung, zB aufgrund eines Einzelvertrages) eine Versorgung in einem bestimmten System zugesagt worden war, obgleich sie von dessen abstrakt-generellen Rege-lungen nicht erfaßt waren.

Die (tatsächliche) Anknüpfung an den 1. Juli 1990 ergibt sich aus den Regelungen des EV. Denn durch Art. 9 Abs. 2 EV iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 iVm § 22 Abs. 1 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenni-veau der BRD und zu weiteren rechtlichen Regelungen der DDR vom 28. Juni 1990, DDR-GBl. I Nr. 38, S. 495, wurde bekräftigt, daß Neueinbeziehungen in die Zusatzversorgungs-systeme seit dem 1. Juli 1990 (Beginn der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion) nicht mehr wirksam erfolgen konnten (Verbot der Neueinbeziehungen).

Eine nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG (folglich: gesetzlich) unterstellte Anwartschaft haben nur diejenigen, deren Versorgungsanwartschaft zum 1. Juli 1990 nicht mehr bestand, weil sie diese nach den Versorgungsregelungen der DDR schon früher und vor dem Versor-gungsfall verloren hatten. Dies setzte eine erfolgte Einbeziehung in ein Versorgungssystem vor dem o.g. Stichtag nach den damaligen Gegebenheiten in der DDR voraus.

Vgl. ausführlicher zum Vorstehenden die ständige Rechtsprechung des BSG, zB Urteile vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R - SozR 3-8570 § 5 Nr. 4, 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und - B 4 RA 41/01 R - aaO, jeweils mwN.

Nach diesen Kriterien hatte die Klägerin am 1. August 1991 keine Versorgungsanwart-schaft. Denn eine Versorgungszusage ist ihr nicht erteilt worden. Sie gehörte vor allem nicht aufgrund einer Einzelentscheidung dem Kreis der Versorgungsberechtigten an. Des weiteren ist der Klägerin auch vor dem 1. Juli 1990 keine Versorgung zugesagt worden, die später (rechtswidrig) aufgehoben oder nach den Regeln der Versorgungssysteme (rechtmäßig) entfallen wäre. Schließlich liegt ebenso keine sie insoweit begünstigende Rehabilitierungsentscheidung vor.

Nach dem Gesetz (§ 1 Abs. 1 iVm § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG) und der Rechtsprechung des BSG hierzu hat die Klägerin somit keinen Anspruch auf die begehrten Feststellungen.

Soweit sich die Klägerin zur Begründung ihres Begehrens auf die (auch) sie grundsätzlich begünstigende "verfassungskonforme ausdehnende Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG" bzw. "verfassungskonforme erweiternde Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG" durch das BSG stützt, folgt dem die Kammer nicht. Denn § 1 Abs. 1 (Satz 2) AAÜG ist verfas-sungskonform (hierzu unter II.) und die o.g. (weitere) Auslegung durch das BSG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar (hierzu unter III.). Dessen ungeachtet hat die Klage selbst unter Berücksichtigung dieser Auslegung keinen Erfolg (hierzu unter IV.). Aus diesem Grund beschränkt sich die Kammer in diesem Verfahren unter II. und III. auf die Darstellung der Grundzüge der die Entscheidung tragenden Begründung.

II. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG hat § 1 Abs. 1 AAÜG den Kreis der einbezogenen Personen gegenüber dem EV in begrenztem Umfang erweitert und soll zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches "verfassungskonform ausdehnend" auszulegen sein. Zu der Entwicklung und den Hintergründen der Rechtsprechung des BSG zu §§ 1, 5 AAÜG wird zB auf das Urteil der erkennenden Kammer vom 22. September 2003 - S 14 RA 775/03 - JURIS verwiesen.

Nach den Urteilen des BSG vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - aaO und B 4 RA 42/01 R - JURIS bestehe der Wertungswiderspruch in einer nach den bundesrechtlichen Kriterien des Art. 3 Abs. 1 GG sachlich nicht zu rechtfertigenden, weil DDR-Willkür in den der bundesrechtlichen Maßstabsnormen fortführenden Unterscheidung innerhalb der Vergleichsgruppe der am 30. Juni 1990 Nichteinbezogenen. Nichteinbezogene, die früher einmal einbezogen waren, aber ohne rechtswidrigen Akt der DDR nach den Regeln der Versorgungssysteme ausgeschieden waren, seien anders behandelt worden als am 30. Juni 1990 Nichteinbezogene, welche nach den Regeln zwar alle Voraussetzungen für die Ein-beziehung an diesem Stichtag erfüllt hatten, aber im Regelfall aus Gründen, die bundes-rechtlich nicht anerkannt werden dürfen (Art. 3 Abs. 3 GG), nicht einbezogen waren. Des-wegen sei § 1 Abs. 1 AAÜG verfassungskonform ausdehnend so auszulegen, daß eine Versorgungsanwartschaft auch dann bestehe, wenn jemand aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 31. Juli 1991 gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte, so zB BSG, Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - und B 4 RA 42/01 R - aaO.

Im weiteren Verlauf konkretisierte das BSG die Rechtsfortbildung des § 1 Abs. 1 AAÜG. So könne das AAÜG anwendbar sein, wenn "nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG oder in dessen verfassungskonformer erweiternder Auslegung am Beginn des 1. August 1991 erstmals durch das AAÜG nach den am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Verhältnissen eine fiktive Versorgungsberechtigung gewährt worden wäre", vgl. Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 49/03 R - JURIS. Vgl. weiter hierzu zB BSG, Urteile vom 26. Oktober 2004 - B 4 RA 37/04 R - JURIS und - B 4 RA 40/04 R - SozR 4-8570 § 5 Nr. 6 sowie 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R - JURIS, jeweils mwN.

Kurzgefaßt soll § 1 Abs. 1 AAÜG somit nach der Rechtsprechung des BSG mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein, weil die gesetzliche Normierung des persönlichen Geltungsbe-reiches des AAÜG eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung innerhalb der am 30. Juni 1990 nicht (mehr) in ein Zusatzversorgungssystem Einbezogenen bewirke. Dieser aufgestellte Leitsatz entbehrt einer methodisch nachvollziehbaren Begründung und ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG im Ergebnis nicht überzeugend.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Dabei war dem Gesetzgeber bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wieder-vereinigung ein besonders großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Ist eine Regelung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu überprüfen, die Bestandteil der gesetzlichen Überleitung von Renten aus einem System der Rentenversicherung in ein anderes System ist, so genügt es den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Überleitung ein sach-gerechtes Konzept zugrunde liegt und sich die zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellte Regelung in dieses Konzept einfügt. Es ist durch den Gleichheitssatz nicht geboten, einzel-ne aufgrund konkreter individueller Rentenbiographien nachteilige Regelungen isoliert einer Prüfung dahingehend zu unterwerfen, ob sie gemessen an diesem Maßstab im Vergleich zu anderen vom Systemwechsel betroffenen Normadressaten gerechtfertigt sind. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, das in einem so komplexen Zusammenhang wie dem Wechsel eines Rentenversicherungssystems eine Gesamtbetrachtung der Vor- und Nachteile dieses Wechsels den gleichheitsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes angemessen ist. Dies gilt in ganz besonderer Weise, wenn der Systemwechsel durch die einzigartige Aufgabe der juristischen Bewältigung der Wiederherstellung der Deutschen Einheit veranlaßt gewesen ist. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, eine Ungleichbehandlung von Bürgern, die durch Normsetzung oder Verwaltungspraxis der DDR entstanden ist, zu überprüfen und gegebenenfalls zu beseitigen. Vgl. zum Vorstehenden BVerfG, zB Ur-teil vom 28. April 1999 - 1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95 - SozR 3-8570 § 6 Nr. 3 sowie die Beschlüsse vom 6. August 2002 - 1 BvR 586/98, 13. Dezember 2002 - 1 BvR 1144/00 -, 15. Januar 2004 - 1 BvR 936/97 -, 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 -, 11. Mai 2005 - 1 BvR 368/97 u.a. - und 30. August 2005 - 1 BvR 616/99 - jeweils zB http://www.bverfg.de.

Die o.g. Entscheidungen des BSG lassen im Rahmen der Beurteilung der Vereinbarkeit des § 1 Abs. 1 AAÜG mit Art. 3 Abs. 1 GG jegliche Argumentation unter Würdigung der vorstehenden Kriterien missen. Die o.g. These des BSG wird auch sonst im Schrifttum und der Rechtsprechung im wesentlichen nicht hinterfragt. Die der Kammer insoweit bekannte Ausnahme ist die Rechtsprechung der 13. Kammer des Sozialgerichts (SG) Leipzig, vgl. zB Urteile vom 10. April 2003 - S 13 RA 849/01 - und 7. April 2004 - S 13 RA 1178/02 - jeweils (leider) nicht veröffentlicht.

Das BVerfG hat ebenso bisher nicht ausdrücklich entschieden, ob § 1 Abs. 1 AAÜG verfassungswidrig und (daher) § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erweiternd auszulegen ist. Im Beschluß vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 - SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 hat sich das BVerfG insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG "nur" unter dem Blickwinkel des Gebotes der gleichen Rechtsanwendung bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der willkürfreien Auslegung der Versorgungstexte befaßt. Darum geht es hier nicht. Zum grundsätzli-chen (grundrechtlichen) Ansatz des BSG ist bisher keine Rechtsprechung des BVerfG verlautbart oder auf sonstiger Art und Weise bekannt geworden. Denn die weiteren Beschlüsse des BVerfG vom 8. September 2004 - 1 BvR 1697/02 -, - 1 BvR 2359/02 -, - 1 BvR 1094/03 - und - 1 BvR 1735/03 - nicht veröffentlicht (soweit bekannt), verweisen im wesentlichen nur auf den Beschluss vom 4. August 2004.

Nichts anderes gilt im Ergebnis unter Würdigung des nach der hier verkündeten Entscheidung als Ausgangsinstanz zur Kenntnis erhaltenen Beschlusses vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. - ebenso (bisher ?) nicht veröffentlicht, soweit bekannt. Im Gegenteil. Abgesehen von der Wiederholung der bisherigen Ausführungen führt das BVerfG u.a. fol-gendes aus: "Die Anwendung der Stichtagsregelung auf die Fälle des vom BSG entwickelten fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in ein System der Zusatzversorgung bewirkt keine dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG widersprechen-de nachteilige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen, die von der Rege-lung der gesetzlich fingierten Anwartschaft in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG Nutzen gezogen haben. Das BSG war durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten, diese Sonderregelung, die wenige betraf, auf alle diejenigen zur Anwendung zu bringen, die zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch im Sinne der dargestellten höchstrichterlichen Recht-sprechung erfüllten. Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfaßte Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausschei-dens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der DDR rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrucks 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der DDR zu keinem Zeitpunkt inne. Er hatte, wenn er die Voraussetzungen für einen fiktiven Anspruch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG erfüllte, lediglich eine Chance oder Aussicht, die durch die entsprechenden Versorgungsordnungen der DDR er-öffnet war und erst durch die gesamtdeutsche Rechtsprechung realisiert wurde. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Ren-tenrecht der DDR der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Ver-pflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Perso-nenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtli-chen Renteneinheit zu untersagen. Dies gilt unbeschadet dessen, daß - wie die vor-liegenden Verfahren zeigen - die Anwendung des Stichtags 30. Juni 1990 mit erheblichen Härten verbunden ist." Darauf ist sogleich zurückzukommen.

Das BSG begründet in den o.g. Entscheidungen nicht, aus welchen Gründen § 1 Abs. 1 AAÜG (das Gesetz) den persönlichen Geltungsbereich auch auf alle zu irgendeinem Zeit-punkt vor der und nicht notwendig noch zum Zeitpunkt der Schließung der (Zusatz-) Ver-sorgungssysteme darin Einbezogenen erweitert hat. Das dem Gesetz insoweit zugrunde liegende Konzept hat das BSG jedoch in anderen Zusammenhängen nach Auffassung der Kammer zutreffend dargestellt. Insoweit wird zunächst auszugsweise insbesondere auf die (Leit-) Entscheidung des BSG vom 27. Januar 1993 - 4 RA 40/92 - SozR 3-8570 § 10 Nr. 1 zum AAÜG verwiesen: "Hauptthema der Regelungen des AAÜG ist, wie Ansprüche und Anwartschaften aus (Zusatz- und Sonder-) Versorgungszusagen früherer Arbeitgeber in der DDR, die von deren Funktionsnachfolgern (Art. 13, 14 EV) nicht aufgehoben worden sind (Art. 19 Satz 2 EV), in nach den Vorschriften des SGB VI berechnete Renten über-führt, dh in solche umgewandelt und durch sie ersetzt werden sollen ... Hauptziel der Vorschriften des AAÜG ist dabei, alle Anspruchselemente auszusondern, die nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern sachfremd auf po-litischer Begünstigung durch das Regime beruhen. Im Hintergrund steht, daß Ver-sorgungssysteme in der DDR nur für einen Teil der Erwerbstätigen geschaffen wurden, nämlich zum einen für dem Regime besonders nützliche Beschäftigungen, zum anderen für Beschäftigungen mit besonderen qualitativen Anforderungen im technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich, wobei die berufsständischen Versorgungseinrichtungen im früheren Geltungsbereich des Grundgesetzes, die für die entsprechenden Berufstätigkeiten eingerichtet worden sind, als Vorbild dienten ... Das AAÜG differenziert (im Vergleich mit der von Versorgungssystemen nicht er-faßten Arbeitswelt in der DDR) in einer dreistufigen Typik zwischen Versorgungs-ansprüchen, die auf qualitativ herausgehobene Arbeit und Leistung beruhen, sol-chen, die nur zT Gegenwert für Arbeit und Leistung sind, und denjenigen, die allein wegen der besonders regimenützlichen Tätigkeit gewährt wurden: ..."

Später führte das BSG zu § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG u.a. im Urteil vom 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R - JURIS folgendes aus: "Selbst wenn die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwart-schaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als nicht eingetreten, und zwar unabhängig davon, aus welchem Grunde der Rechtsverlust eingetreten ist. Das Gesetz stellt damit in erster Linie sicher, daß auch derjenige den Begrenzungen der §§ 6 und 7 AAÜG nicht entgehen und die zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht ‚ungeschehen machen’ kann, der vor Eintritt des Versicherungsfalles die frü-here Beschäftigung wieder aufgegeben, sich vom (Versorgungs-) System gelöst hat, und er damit nach dem Recht der DDR als ‚nicht zum Sonder- oder Zusatzversor-gungssystem gehörig’ behandelt worden wäre." Entsprechendes teilte das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R - aaO mit.

In der bisherigen Rechtsprechung des BSG und BVerfG sind nicht andeutungsweise Hin-weise auf verfassungsrechtlich begründete Bedenken an der durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG bewirkten Erfassung der Personen, deren Versorgungsanwartschaften zum Zeit-punkt der Schließung der (Zusatz-) Versorgungssysteme nicht mehr bestanden, erkennbar. Das verwundert die Kammer nicht. Denn diese Norm fügt sich in das sachgerechte (im Sinne von: verfassungsrechtlich vertretbare) Konzept der Rentenüberleitung ein. Dieses Konzept hat das BVerfG in seinen wesentlichen Zügen verfassungsrechtlich gebilligt, so zuletzt zB BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. - mwN. Die verfassungsrechtlich teilweise nicht zulässigen Typisierungen im oben nur rudimentär an-gedeuteten Sinne (im Rahmen der sog. Entgeltbegrenzungen), vgl. hierzu aus jüngster Zeit einerseits BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 - 1 BvR 1070/02 - und andererseits BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvL 3/98 u.a. - jeweils http://www.bverfg.de ändern an der Vereinbarkeit des Rentenüberleitungskonzepts mit dem Grundgesetz dem Grunde nach nichts.

Das Konzept der Rentenüberleitung sah eine Erweiterung des persönlichen Geltungsberei-ches des AAÜG auf Personen, die vor dem 1. Juli 1990 nie in ein Zusatzversorgungssys-tem konkret einbezogen waren, nicht vor. Weder dem Gesetz noch den Materialien hierzu können entsprechende Anhaltspunkte entnommen werden. Der Kammer sind dem entspre-chend bisher nicht einmal andeutungsweise Hinweise bekannt geworden, daß ein am 1. Juli 1990 nicht und davor nie Einbezogener vor den ersten Entscheidungen des BSG im 1998 - zu § 5 AAÜG bei vom Gesetz (§ 1 Abs. 1 AAÜG) erfaßten Personen - zum hier streitigen Themenkomplex ernsthaft darüber nachgedacht hat, entsprechende Begehren zu artikulie-ren. Der Kammer sind auch sonst keine Gründe bekannt, die eine Einfügung der o.g. "aus-dehnenden" bzw. "erweiternden" Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG durch das BSG in das gesetzliche Rentenüberleitungskonzept rechtfertigen könnten. Diese Rechtsfortbil-dung ist mit diesem Konzept schlicht nicht zu vereinbaren. Unter Würdigung der ständigen Rechtsprechung des BVerfG bestehen somit bereits unter diesem Gesichtspunkt (sachge-rechtes Konzept der Rentenüberleitung und nahtlose Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG) gegen die Vereinbarkeit der zuletzt genannten Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG keine Bedenken.

Die vom BSG veröffentlichte und oben benannte Begründung zur o.g. Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG überzeugt ungeachtet des Vorstehenden auch aus sonstigen Gründen nicht. Denn der vom BSG insoweit festgestellte Wertungswiderspruch besteht nach Auf-fassung der Kammer so nicht. Unter einem Wertungswiderspruch wird insoweit die "unter-schiedliche Bewertung wertungsmäßig gleichliegender Tatbestände", so zB Larenz, Me-thodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, Seite 334, verstanden.

Das BSG meint einen derartigen Widerspruch in der sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung innerhalb der Vergleichsgruppe der am 30. Juni 1990 Nichteinbezo-genen zu sehen. Dem folgt die Kammer nicht. Die Bildung der Vergleichsgruppe erfolgte bereits ohne näher zu differenzieren. Denn zum einen unterschied sich die Gruppe der am 30. Juni 1990 Nichteinbezogenen dadurch, daß ein Teil hiervon zuvor bereits Rechtspositi-onen erworben und nach den damaligen Gegebenheiten (rechtmäßig) verloren hatte. Das BVerfG spricht insoweit von "rechtlich gesicherten Anwartschaften" im Vergleich zu "le-diglich eine Chance oder Aussicht", vgl. zuletzt zB Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. -. Diese Personengruppe wird von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfaßt. Zum anderen unterschied sich die o.g. Gruppe dadurch, daß ein Teil hiervon der FZR beigetre-ten ist und entsprechende Beiträge zahlte, vgl. hierzu zB die Verordnung über die Verbes-serung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung und der Leistungen der Sozialversiche-rung bei Arbeitsunfähigkeit vom 10. Februar 1971, DDR-GBl. II Nr. 17, Seite 121ff sowie die Verordnung über die freiwillige Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung vom 17. November 1977 (FZRVO 1977), DDR-GBl. I Nr. 35, Seite 395ff. Der letztgenannte Teil konnte, mußte aber nicht mit dem erstgenannten Teil der Gruppe identisch sein. Die Gründe für den Beitritt zur FZR konnten vielfältiger Natur sein. Er konnte zB erfolgt sein, weil die "Chance oder Aussicht" auf Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem eher unrealistisch gewesen ist. Andererseits entsprach es spätestens seit 1972 den Gegebenhei-ten in der DDR, zumindest bei Einbeziehung in einige Zusatzversorgungssysteme auf ei-nen Beitritt zur FZR und eine bestimmte Beitragszahlung zu achten. Auf III. 3 Satz 1f der Richtlinie zum Abschluß von Altersversorgungen der Intelligenz vom 26. Juli 1972 (in der DDR nicht veröffentlicht), § 28 der FZRVO 1977 sowie § 4 b) und c) der Anordnung über die zusätzliche Versorgung für verdienstvolle Vorsitzende von Produktionsgenossenschaf-ten und Leiter kooperativer Einrichtungen der Landwirtschaft vom 31. Dezember 1987 (ebenso in der DDR nicht veröffentlicht) wird hierzu beispielhaft verwiesen. Die Anwen-dung des durch Rechtsfortbildung des BSG erweiterten persönlichen Geltungsbereiches des BSG ohne Spezifizierung innerhalb der o.g. Vergleichsgruppe bewirkte im übrigen die nicht selten geltend gemachte Ungleichbehandlung der nunmehr kraft Richterrecht Einbe-zogenen mit FZR-Beitritt im Vergleich zu den ebenso Einbezogenen ohne FZR-Beitritt. Denn der Beitritt in die FZR sei nunmehr ohne Nutzen. Die entsprechenden Beiträge seien daher entweder zusätzlich zu berücksichtigen oder zu erstatten, vgl. beispielhaft hierzu nur Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. August 2001 - L 4 RA 71/01 - JURIS. Die Kammer enthält sich hier einer Bewertung dieser Begehren. Sie sind Folge der Bildung einer Vergleichsgruppe durch das BSG, die nicht vergleichbar ist.

Wiederum ungeachtet des Vorstehenden rechtfertigt einer der vorgenannten Unterschiede innerhalb der vom BSG gebildeten Vergleichsgruppe die ungleiche Behandlung durch das AAÜG. Denn die am 30. Juni 1990 nicht mehr Einbezogenen hatten zuvor "rechtlich gesi-cherte Anwartschaften" erworben. An dieses Differenzierungskriterium knüpft § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG aus ebenso bereits oben genannten Gründen an. Das Ziel des Gesetzes ist insoweit legitim (gewesen). Denn es ist Bestandteil des sachgerechten Konzeptes der Ren-tenüberleitung (gewesen). Unter dem genannten Gesichtspunkt ("keine Ausnahme vor dem Überprüfungsprogramm des AAÜG selbst bei Rechtsverlust in der DDR") war die Erfas-sung der am 30. Juni 1990 nicht mehr in ein Versorgungssystem Einbezogenen durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG folgerichtig. Soweit das BSG u.a. aufgrund dieser "Erweiterung" des von der Rentenüberleitung erfaßten Personenkreises durch das AAÜG einen Wertungswi-derspruch sieht, ist es nicht gehindert, § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG nach verfassungsrechtli-cher Würdigung ggf. nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG mit dem Ziel der "Unverein-barkeits- bzw. Nichtigkeitserklärung" vorzulegen. In Bezug auf den vorstehenden Hinweis auf Art. 100 GG setzt die Kammer im übrigen auf der Grundlage der herkömmlichen Me-thoden die angenommene Unzulässigkeit einer verfassungskonformen restriktiven Ausle-gung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG durch jedes Gericht voraus (weiter hierzu sogleich).

Soweit das BSG weiterhin meint, die am 30. Juni 1990 Nichteinbezogenen wurden (wer-den) im Vergleich zu den zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Einbezogenen "im Regelfall aus Gründen, die bundesrechtlich nicht anerkannt werden dürfen (Art. 3 Abs. 3 GG)" in "sach-lich nicht zu rechtfertigenden(r), weil DDR-Willkür ... fortführenden(r) Unterscheidung" anders behandelt, ist dies eine weitere nicht begründete Behauptung. Soweit das BSG da-mit meinen sollte, die Einbeziehung in ein Versorgungssystem vor dem 1. Juli 1990 beruhe im Regelfall "nicht auf volkswirtschaftlich sinnvoller Arbeit, sondern sachfremd auf politi-scher Begünstigung durch das Regime" ist diese weitere These nicht zuletzt vor dem Hin-tergrund der Rechtsprechung des BVerfG zu den verfassungsrechtlich unzulässigen Typi-sierungen einiger sog. Entgeltbegrenzungen durch das AAÜG, vgl. hierzu zB Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95 - und Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvL 3/98 u.a. - jeweils aaO, nicht überzeugend.

Schließlich und ebenso ungeachtet des bisher Ausgeführten ist selbst ein, wie vom BSG hier angenommener, Wertungswiderspruch nicht stets zu vermeiden. Wertungswidersprü-che können durch Auslegung nicht immer und müssen auch nicht wie Normwidersprüche beseitigt werden. Die Vermeidung eines Wertungswiderspruches ist ein rechtsethisches Postulat, das nur annäherungsweise zu verwirklichen ist. Vgl. ausführlicher hierzu zB La-renz, aaO, Seite 334f, mwN. Die o.g. Rechtsprechung des BSG zu § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist keine verfassungskonforme Auslegung, sondern eine darüber hinausgehende unzulässige Rechtsfortbildung (dazu ausführlicher unter III.). Das BSG hätte somit den von ihm angenommenen Wertungswiderspruch entweder hinnehmen oder die Norm dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlegen müssen. Denn das BSG ist nicht befugt, auf-grund eigener Gerechtigkeits- und Wertstellungen gesetzgeberische Funktionen zu über-nehmen.

§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist den bisherigen Ausführungen folgend mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Einer verfassungskonformen Auslegung bedurfte es insoweit nicht. Sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der Klägerin sind ebenso nicht verletzt.

Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Denn der Schutz(bereich) des Art. 14 Abs. 1 GG erstreckt sich allein auf die nach Maßgabe des EV ausgestalteten und als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und An-wartschaften, ebenso ständige Rechtsprechung des BVerfG seit dem (Leit-) Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 - SozR 3-8570 § 10 Nr. 3, vgl. zB auch die Be-schlüsse vom 2. Juli 2002 - 1 BvR 2544/95 - und 13. Dezember 2002 - 1 BvR 1144/00 - jeweils zB http://www.bverfg.de. Eine derartige Ausgestaltung als subjektives vermö-genswertes Recht im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ist für in der DDR aufgrund mangelnder Einbeziehung in ein Versorgungssystem nicht erworbener Ansprüche und Anwartschaften durch den EV gerade nicht erfolgt.

Weiterhin kann sich die Klägerin ebenso nicht auf einen vertrauensschützenden Tatbe-stand, vgl. hierzu vor allem die Anknüpfungspunkte in den Urteilen des BSG vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R - aaO, 12. Juni 2001 - B 4 RA 107/00 R - JURIS und - B 4 RA 117/00 R - SozR 3-8570 § 5 Nr. 6, im Zusammenhang mit der beitrittsbedingten Renten-überleitung berufen. Denn der EV sah bestandsschützende Regelungen nur für Personen mit erworbenen Ansprüchen und Anwartschaften vor. Der Erwerb derartiger Rechte setzte den Vorgaben des EV entsprechend die konkrete Einbeziehung in ein Versorgungssystem bis zum 30. Juni 1990 voraus. Daran fehlt es hier.

III. Die "Ausdehnung" bzw. "erweiternde Auslegung" des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG durch das BSG ist nicht verfassungskonform. Denn diese Rechtsfortbildung überschreitet die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG erge-ben.

Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinn strikter Trennung der Funktionen und Mono-polisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist, so schließt es doch jedenfalls aus, daß die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Damit wäre es unerträglich, wenn sich die Ge-richte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, also objektiv betrachtet sich der Bindung an Gesetz und Recht entziehen würden. Diese Verfas-sungsgrundsätze verbieten es dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln. Der Richter darf sich dabei allerdings nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Entscheidend ist, ob bei der Rechtsfortbildung die gesetz-geberische Grundentscheidung respektiert und den anerkannten Methoden der Gesetzes-auslegung gefolgt worden ist. Vgl. zum Vorstehenden beispielhaft aus der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zB Beschluss vom 12. November 1997 - 1 BvR 479/92 u.a. - BVerfGE 96, 375ff mit mwN.

Das BSG hat mit der o.g. Rechtsfortbildung weder die gesetzgeberische Grundentschei-dung respektiert noch ist es den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt. Damit hat sich das BSG in die Rolle des Gesetzgebers begeben und sich der Bindung an Gesetz und Recht entzogen.

Das o.g. Verbot der Neueinbeziehungen als eine Grundentscheidung des DDR-Gesetz-gebers, an die der bundesdeutsche Gesetzgeber verfassungsrechtlich zulässig bei der Ren-tenüberleitung aufgrund des Beitrittes der DDR zur BRD angeknüpft hat, ist verfassungs-gemäß, vgl. hierzu zuletzt zB BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04 - aaO. "Eine nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssys-teme getroffenen Entscheidungen der DDR ... ist bundesrechtlich nicht erlaubt, auch so-weit sie in sich willkürlich sind ... Der EV hat grundsätzlich nur die Übernahme zum 3. Oktober 1990 bestehender Versorgungsansprüche und -anwartschaften von ‚Einbezogenen’ in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten ... Das Verbot der Neueinbeziehungen auf Grund von ‚DDR-Versorgungsregelungen’ ist ver-fassungsgemäß. Eine Erweiterung des einbezogenen Personenkreises durch vollziehende Gewalt oder Rechtsprechung über die in § 1 Abs. 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation hinaus wäre hingegen verfassungswidrig (Art. 20 Abs. 3 GG). Die genannten Vorschriften sind in sich verfassungsgemäß, weil der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkür anknüpfen konnte." Diesen Ausführungen des BSG, hier wiedergegeben aus dem Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - aaO, hat die Kammer nichts wesentliches hinzuzufügen. Die "in § 1 Abs. 1 AAÜG selbst angelegte Modifikation" rechtfertigt auch unter Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG (Art. 1 Abs. 3 GG) nicht eine darüber hinausgehende "ausdehnende" oder "erweiternde" Auslegung. Darauf wurde bereits unter II. eingegangen.

Die o.g. Rechtsfortbildung ist mit den herkömmlichen Methoden der Gesetzesauslegung nicht vereinbar. Sinn der verfassungskonformen Auslegung soll sein, aus Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzu-erhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat, so zB Sachs in: Sachs, Grundgesetz, 3. Auflage 2003, Einführung Rn 55 mwN. Für die Kammer gilt das "Gebot der verfassungskonformen Auslegung" auch für die Fachgerichte, anders wohl (zunächst?) Stern, Das Staatsrecht der BRD, Band I, Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Auflage 1984, Seite 136 bei gleichzeitiger Differenzierung zwischen "verfassungsorientierter Auslegung" und "verfassungskonformer Auslegung". Vgl. näher zu die-sem Unterschied zB Simon, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, EuGRZ 1974, Seite 85, 86. Sie ist von jedem Rechtsanwender gefordert, so (später, unter dem Einfluß des mitwirkenden Sachs?) auch Stern, aaO, Band III/2, Allgemeine Lehren der Grundrech-te, 1. Auflage 1994, Seite 90. Dies ergibt sich (de facto nicht zuletzt) auch aus der Recht-sprechung des BVerfG zur Unzulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 GG, wenn der ver-meintliche Verfassungsverstoß durch verfassungskonforme Auslegung vermieden werden kann, vgl. hierzu zB Sachs, aaO, Rn 53 mwN.

Entscheidungserheblich sind hier insbesondere die Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung. Simon, aaO, Seite 89f führt hierzu (bezogen auf das Verfassungsgericht als auslegende Instanz) u.a. aus: "Die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch Normgebung gehört zweifellos zu den bevorzugten Aufgaben des vom Volk unmittelbar legitimierten demokratischen Gesetzgebers ... kann die verfassungskonforme Auslegung den Funktionsbereich des Gesetzge-bers tangieren ... Die Gefahr ... wird um so größer, je weiter sich ... Auslegung von dem entfernt, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte. Wenn das ... nicht mehr nachprüft, was der Ge-setzgeber geregelt hat, sondern was er hätte (Anmerkung: Hervorhebungen im O-riginal) regeln können, und wenn dann die eigene Auslegung ... als verfassungsmä-ßige Auslegung präsentiert wird, ... geht ein wesentlicher Vorteil gewaltenteilender Verfassungssysteme verloren, nämlich der Vorteil, daß Entscheidungen eines Staat-sorganes durch ein anderes Staatsorgan als kritisches Gegenüber kontrolliert wer-den ... die verfassungskonforme Auslegung dürfe keinesfalls das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen. Als unzulässig abgelehnt wurde daher eine Auslegung, die eine Änderung des Gesetzes bewirkt und an die Stelle einer gesetzlichen Vorschrift inhaltlich eine andere setzt oder die den norma-tiven Regelungsinhalt des Gesetzes erst schafft oder neu bestimmt."

Nach Löwer in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II, § 56 Rn 11 mwN aus der Rechtsprechung des BVerfG, sind die Grenzen der verfassungskonformen Ausle-gung "markiert durch den ‚Wortlaut und Sinn’ des Gesetzes oder durch das ‚gesetzgeberi-sche Ziel’, durch das Verbot der grundlegenden Neubestimmung des normativen Gehalts des geprüften Gesetzes." Und weiter: "Wird aus dem (zulässigen) ‚minus’ ein ‚aliud’, überschreitet das Gericht seine funktionell-rechtliche Grenzen." Starck, aaO, Band VII, § 164 Rn 31 führt hierzu aus: "Bei jeder verfassungskonformen Gesetzesauslegung muß beachtet werden, daß die Gerichte die Gesetze durch Auslegung nicht so verändern, daß die Gesetzgebung durch eine Auslegungsentscheidung eines Gerichts korrigiert wird, also andere gesetzespolitische Entscheidungen vom Richter unmittelbar aus dem Grundgesetz abgeleitet und in das zu interpretierende Gesetz hineingelegt werden. Geht das Gericht zu weit, so schlägt die Achtung des Gesetzgebers, die durch die verfassungskonforme Ausle-gung gesichert werden soll, unversehens in eine Bevormundung des Gesetzgebers durch das auslegende Gericht um." Larenz, aaO, Seite 340, formuliert dies zB so: "Die verfas-sungskonforme Auslegung darf sich, wenn sie Auslegung bleiben will, nicht über die Grenzen hinwegsetzen, die sich aus dem möglichen Wortsinn und dem Bedeutungszu-sammenhang des Gesetzes ergeben."

§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG lautet wie folgt: Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten. Nach der vom BSG vorgenommenen erweiternden Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG "ist darauf abzu-stellen, ob der Betroffene nach den tatsächlichen Gegebenheiten bei Schließung der Zu-satzversorgungssysteme (30. Juni 1990) einen ‚Anspruch’ auf Erteilung einer Versor-gungszusage gehabt hätte", so aus jüngster Zeit zB Urteil vom 10. Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R - aaO. Welcher Wortsinn im Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG geborgen ist, wurde bereits unter II. ausgeführt. Das BSG hat den Regelungsinhalt des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG neu bestimmt. Die Rechtsfolgenanordnung ist zwar identisch ("das AAÜG gilt"), aber der vom BSG konstruierte Tatbestand hat mit dem Inhalt der Gesetzesfassung nichts mehr gemein. Das BSG korrigiert die gesetzgeberische Entscheidung, Versorgungsanwart-schaften nur für Personen zu überführen, die in der DDR vor dem 1. Juli 1990 konkret ein-bezogen waren oder am 1. Juli 1990 noch einbezogen gewesen sind. Das o.g. Verbot der Neueinbeziehungen wird damit durchbrochen. Es handelt sich dabei um nichts anderes als um Rechtsfindung gegen das Gesetz. Dieser gesetzes- und verfassungswidrige Zustand verschärft sich noch durch weitere besonders geeignete Momente.

Das durch verfassungskonforme Auslegung vom Normanwender fortgebildete Gesetz muß seinerseits allen grundgesetzlichen Anforderungen genügen. Es muß insbesondere inhalt-lich klar und bestimmt sein, so zB Sachs, aaO, Rn 55. Nach dem BSG soll sich der von ihm entwickelte fiktive "Anspruch auf Versorgungszusage nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme" bestimmen, vgl. zB Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - aaO. Welche Normen welchen Inhaltes sich hinter diesen "Regelungen" verbergen sollen, bestimmt das BSG gleich noch mit, aber weder abschlie-ßend noch positiv. Insbesondere in Bezug auf die in Nr. 1 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 2 AAÜG genannte Versorgungsordnung entscheidet das BSG nach eigenen Kriterien, wel-chen "Regelungen" der DDR tatsächliche oder rechtliche Bedeutung beizumessen sein soll, vgl. hierzu bereits Urteil vom 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R - aaO. Für das Sprach-verständnis der vom BSG ausgewählten "Texte" soll es dann wiederum auf den "Sprach-gebrauch der DDR" am 30. Juni 1990 ankommen, an den der Bundesgesetzgeber am 3. Oktober 1990 angeschlossen habe, vgl. zB Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - aaO. Im o.g. Versorgungssystem beispielhaft bleibend stellt das BSG sodann weiter eine gedankliche Hilfskonstruktion für die Beschreibung des in seiner Vorstellung existierenden ("fiktiven", deutsch: eingebildeten, erdichteten, vgl. zB Duden, Band 5, Das Fremdwörter-buch) Anspruches auf. Dieser soll von drei Voraussetzungen abhängen. Zugleich räumt das BSG ein, diese Voraussetzungen des "fiktiven Anspruches" nicht konkret bestimmen zu können, vgl. zB Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/02 R - aaO: "Der Text dieser Vor-schriften verlautbart zwar nicht abschließend die Kriterien, nach denen - positiv - bestimmt werden könnte, ob ein bestimmter Betrieb ein volkseigener Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen) ist. Er läßt jedoch hinreichend deutlich erkennen, welche Betriebstypen keines-falls ... zugeordnet waren." Die Kammer sieht von weiteren Erörterungen auf der Ebene der Texte der Versorgungsordnungen ab, vgl. weiter zu "Wertungswidersprüchen" auf-grund der Auslegung des BSG zB SG Leipzig, Urteile vom 10. April 2003 - S 13 RA 849/01 - und 7. April 2004 - S 13 RA 1178/02 -. Denn die o.g. Ausführungen verdeutli-chen bereits hinreichend den Mangel an Bestimmtheit der Voraussetzungen des vom BSG geschaffenen fiktiven Anspruches.

Diese mangelnde Bestimmtheit bewirkt weiterhin eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit. Dies gilt im besonderen Maße vor dem Hintergrund der Entscheidung des BSG vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS. Danach "ist die Frage, ob eine bestimmte Haupttatsache vorliegt, niemals eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Rechtsfrage, sondern eine unter Ausschöpfung der geeigneten und erforderlichen Beweismittel durch Beweis-würdigung zu beantwortende Tatsachenfrage." Spätestens seit dem lassen zumindest die Landessozialgerichte in entsprechenden Verfahren nahezu keine Revisionen zum BSG mehr zu. Folglich bilden diese Gerichte den Maßstab, wie die o.g. "Regelungen" der Ver-sorgungstexte anzuwenden sind. Eine länderspezifische und inhaltliche divergierende Rechtsprechung ist somit nicht nur zu befürchten, sondern der Kammer bereits bekannt.

Des weiteren ist die o.g. Rechtsfortbildung des BSG mit dem Vorrang des Gesetzes auch aus anderen Gründen nicht vereinbar. Art. 9 Abs. 2 iVm Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Ziffer 9 f) EV ermächtigte die Bundesregierung, "durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zu den Maßgaben nach Buchstaben a) bis e) zu bestimmen." Davon hat die Bundesregierung keinen Gebrauch gemacht. Die Überfüh-rung der Ansprüche und Anwartschaften aus den Versorgungssystemen erfolgte vielmehr durch ein formelles Gesetz, das AAÜG. Der Gesetzgeber verdeutlichte damit "die Wesent-lichkeit" des zu normierenden Bereiches. Änderungen dieses Gesetzes sind demzufolge auch nur dem Gesetzgeber und nicht richterlicher Rechtsfortbildung vorbehalten. Dies gilt vor allem, wenn die richterliche Rechtsfortbildung weitreichende Folgen, insbesondere finanzieller Art, bewirkt.

Die Erweiterung des persönlichen Geltungsbereiches des AAÜG durch die o.g. Rechtsfort-bildung des BSG führt zu derartigen Folgen. Denn "die finanziellen Konsequenzen für die RV-Träger und aufgrund der Erstattungsregelungen für Bund und Länder sind zwar nur grob zu schätzen. Sie dürften aber in den nächsten 20 Jahren mindestens zwei bis drei Mil-liarden Euro betragen.", vgl. Ganske-Gerhardt, 30.6.1990 - Ein Stichtag und seine Auswir-kungen, DAngVers 8/2005, Seite 361, 370 und weitergehend hierzu zB Seitz, Die Leistun-gen der neuen Länder im Rahmen des AAÜG - Bestimmungsgründe und Belastungsdyna-mik, Gutachten im Auftrag der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, August 2003. Die Aufwendungen "aufgrund der Überführung nach diesem Gesetz" sind nach § 15 AAÜG vom Bund und den Ländern im Beitrittsgebiet nach den dort bestimmten Einzelheiten zu erstatten. Sie werden somit letzt-lich von den Steuerzahlenden in den o.g. Gebieten getragen. Dies könnte auch für die Aufwendungen gelten, die in Folge der o.g. richterlichen Rechtsfortbildung des BSG ent-standen sind und entstehen. Die dadurch verursachte "Erweiterung" (Intensivierung) der Eingriffe in die Grundrechte der o.g. Steuerzahlenden beruhen insoweit nicht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung und sind somit ebenso verfassungswidrig. Das BSG greift damit weiterhin in das Finanzwesen (vgl. hierzu Abschnitt X des Grundgesetzes) des Staa-tes und seiner Untergliederungen ein, ohne hierzu ermächtigt zu sein.

Ferner schafft das BSG durch die o.g. Rechtsfortbildung entgegen dem Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB Erstes Buch neue Rechte. Derartiges ist "den Organen der gesetzgebenden Gewalt und ihrem Gesetz vorbehalten", zutreffend (in einem anderen Zusammenhang) BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 - B 4 RA 29/03 R - SozR 4-2600 § 46 Nr. 1.

Die Überschreitung der Befugnis des BSG, die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, entzieht dem BVerfG die Kompetenz, diese Norm ggf. allgemeinver-bindlich für ungültig zu erklären. Diese Umgehung des von Verfassungs wegen vorgese-henen Verfahrens der richterlichen Normprüfung ist mit Art. 100 Abs. 1 GG nicht verein-bar. Nach dem Verständnis der Kammer von den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung konnte das BSG unter Berücksichtigung dessen Ansatzes nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sein, § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG zur Entscheidung über die Gültigkeit dieser Norm dem BVerfG vorzulegen. Die statt dessen vorgenommene Rechtsfortbildung gegen das Gesetz beeinträchtigt das Monopol der Verwerfungskompetenz des BVerfG. Das gesamte Normprüfungsverfahren des Grundgesetzes gerät damit in diesem Bereich aus dem Gefüge. Dies beruht auf folgenden Erwägungen.

Der Gesetzgeber kann nur durch ein weiteres Änderungs- und / oder Ergänzungsgesetz versuchen, die o.g. Rechtsfortbildung des BSG zu "beseitigen". Entsprechende Erfahrun-gen sind insoweit bereits vorhanden, vgl. zB das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21. Juli 2004, BGBl. I Nr. 38, Seite 1791ff. Inwieweit die vorgenannten Bemühungen Bestand haben werden, ist in diesem Verfahren nicht von entscheidender Bedeutung. Im hier streitigen Rechtsbereich fehlt es nach Kenntnis der Kammer bereits an einem entsprechenden mehrheitlichen Wil-len der zuständigen Gesetzgebungsorgane. Gründe hierfür sollen u.a. sein: mangelndes Interesse der von der o.g. Erstattungspflicht nicht unmittelbar betroffenen sog. alten Bun-desländer, die politische Sensibilität des Themas, die Erfahrungen mit den bisherigen Än-derungen des AAÜG sowie nicht zuletzt die nicht gänzlich unerwünschte "verdeckte" und zusätzliche Finanzierung der Aufwendungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversiche-rung durch die steuerzahlenden Bürger. Bei Vorlage des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG durch das BSG und anschließender Entscheidung des BVerfG im Sinne des BSG müßte unter Umständen das zuständige Staatsorgan, der Gesetzgeber, darüber entscheiden, woran das BSG scheitert, nämlich über eine hinreichend bestimmte Anspruchsgrundlage für die am 30. Juni 1990 nicht und zuvor noch nie Einbezogenen. Dieses Gesetz könnte dann wieder-um Gegenstand der richterlichen Normprüfung sein. Die o.g. Rechtsfortbildung des BSG versperrt diesen Weg.

Die "ausdehnende" bzw. "erweiternde" Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist damit nicht verfassungskonform, sondern verfassungswidrig.

IV. Der Zulassung der Revision bedurfte es nicht. Die Kammer weicht zwar von der stän-digen Rechtsprechung des BSG ab. Aber selbst unter Berücksichtigung des "ausgedehn-ten" bzw. "erweiterten" persönlichen Geltungsbereiches des AAÜG sind die angefochte-nen Entscheidungen der Beklagten rechtmäßig. Denn sie erfüllt als Diplom-Chemikerin die sog. persönliche Voraussetzung nicht. Insoweit wird auf die ständige Rechtsprechung des BSG verwiesen, vgl. zB Urteil vom 12. Juni 2001 - B 4 RA 107/00 R - aaO, 9. April 2002 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 8, 10. April 2002 - B 4 RA 32/01 R - und 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 - jeweils JURIS.

Somit beruht die Entscheidung der Kammer nicht nur auf der Abweichung von der Recht-sprechung des BSG. Die (Sprung-) Revision war daher nicht zuzulassen, vgl. hierzu § 161 Abs. 2 Satz 1 iVm § 160 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie bleibt späteren Ent-scheidungen vorbehalten, in denen die Abweichung entscheidungserheblich ist. Dies ist angesichts des Bestandes (Mai 2005 = 1286, so die Pressemitteilung des erkennenden Ge-richts vom 20. Mai 2005) und laufenden Einganges entsprechender Verfahren nicht ausge-schlossen.

Die Kammer hat sich dennoch entschieden, die bisherige eigene Rechtsprechung fortzu-führen. Bis zu den beiden Entscheidungen vom heutigen Tag (ebenso S 14 RA 1137/02) hat es die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen, ob es der o.g. Aus-legung des BSG folgt, vgl. zB Urteil vom 22. September 2003 - S 14 RA 775/03 - und 21. Oktober 2003 - S 14 RA 882/02 - jeweils JURIS. Daran hält die Kammer nicht mehr fest. Denn sie ist nur "an Gesetz und Recht gebunden" bzw. "nur dem Gesetze unterworfen", vgl. Art. 20 III und Art. 97 Abs. 1 GG. Eine rechtliche Bindung der Kammer an die Recht-sprechung des BSG ist im geltenden Recht nicht vorgesehen. Nach den mehrjährigen Er-fahrungen der Kammer mit entsprechenden Begehren ist es geboten, die hier in Grundzü-gen angeführten Bedenken gegen die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Rechtsprechung des BSG zu artikulieren. Denn der Kammer ist es leid, an dem allseits und teilweise bislang selbst geübten Pragmatismus weiter teilzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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