L 11 B 548/05 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 SO 312/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 548/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 06.09.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Schulden gemäß § 34 Abs 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der Antragsteller zu 1 (ASt 1) erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 757,01 EUR. Die Antragstellerin zu 2 (ASt 2) erhielt bis zum 31.07.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese Leistungen stellte die zuständige Arbeitsgemeinschaft ab dem 01.08.2005 ein, weil sich die ASt 2 wiederholt geweigert habe, ihre Erwerbsfähigkeit durch ein amtsärztliches Gutachten feststellen zu lassen. Wegen ungeklärter Vermögensverhältnisse hat die Antragsgegnerin (Ag) über den Antrag des ASt 1 auf Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII noch nicht entschieden. Die erforderlichen Angaben über Konten, einen Bausparvertrag und ein Wertpapierdepot habe der ASt 1 trotz Aufforderung unter Hinweis auf die Folgen einer fehlenden Mitwirkung bisher nicht gemacht.

Gegen die ASt ist wegen Mietrückständen in Höhe von seinerzeit 6.837,42 EUR seit Oktober 2003 am 18.05.2005 Räumungsklage erhoben worden. Die Mietrückstände beruhten im Wesentlichen auf Mietkürzungen, zu deren Nachzahlung die ASt verpflichtet sind.

Die ASt beantragten bei der Ag im Februar 2005 die Übernahme der Mietschulden wegen Kündigung ihres Mietverhältnisses. Die Ag forderte mit Schreiben vom 24.05.2005, vom 07.06.2005 und vom 09.08.2005 die zur Bearbeitung fehlenden Unterlagen an und wies erneut auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung hin.

Am 16.08.2005 beantragten die ASt beim Sozialgericht München (SG), die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die aufgelaufenen Mietrückstände in Höhe von 6.837,00 EUR auszugleichen.

Die Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.

Eine Übernahme der Mietschulden sei wegen ungeklärter Vermögensverhältnisse der ASt nicht möglich. Die ASt 2 erhalte derzeit keine Leistungen nach dem SGB II mehr. Den zurückbehaltenen Mietzins hätten die ASt entgegen dem Rat der Regierung von Oberbayern nicht zurückgelegt, sondern verbraucht.

Mit Beschluss vom 06.09.2005 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. § 34 Abs 1 SGB II greife nicht, weil die ASt trotz mehrfacher Aufforderung und langwieriger Ermittlungen der Ag die Vermögensverhältnisse nicht offen gelegt hätten und die zur Bearbeitung ihres Antrages erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht hätten. Die ASt hätten in der Vergangenheit Sozialleistungen zur Bezahlung der Miete erhalten, diese aber anderweitig ausgegeben. Unklar sei, ob die ASt überhaupt leistungsberechtigt nach dem SGB II oder nach dem SGB XII seien.

Hiergegen wenden sich die ASt mit ihrer zur Niederschrift beim Bayer. Landessozialgericht eingereichten Beschwerde vom 30.09.2005.

Sie beantragen, den Beschluss des SG vom 06.09.2005 aufzuheben und die Ag zu verpflichten, die zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietrückstände auszugleichen, um die rechtswidrige Zwangsräumung, über die am 17.10.2005 entschieden werde, zu verhindern.

Der Vorwurf der mangelnden Mitwirkung sei nicht nachvollziehbar. Sie hätten stets durch Vorlage diverser Schreiben ihre finanziellen Verhältnisse darzulegen versucht, so z.B. auch jetzt durch das Schreiben der Gerichtsvollzieherin K. vom 01.08.2005, Schreiben des Sozialreferats vom 26.08.2005, Schreiben der C.-Bank vom 12.05.2005, der H.-Bank vom 29.08.2005 und der Kontoinformation vom 01.06.2005. Zudem legten die ASt ein ärztliches Attest vom 23.08.2005 vor, wonach beim ASt 1 "die Situation zur Gewährung eines Mehrraumbedarfes gegeben" sei.

Die Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Mietschulden der ASt seien zwischenzeitlich auf etwa 10.000,00 EUR angewachsen. Eine Übernahme durch die Ag sei schon deshalb nicht möglich, weil die künftige Zahlung der Miete und damit die Erhaltung des Wohnraumes für die ASt nicht gesichert sei. Die Vermögenssituation der ASt sei weiterhin ungeklärt, insbesondere fehle noch die Vorlage des Bausparvertrages und der Wertpapierdepot-Auszüge. Zudem sei der Vermieter aus Gründen, die im Verhalten der ASt liegen, nicht mehr bereit, das Mietverhältnis fortzusetzen. Aus einem Vermerk vom 08.12.2005, aufgenommen durch das Sozialbürgerhaus des Sozialreferats, ergibt sich, dass Beschwerden von Nachbarn der ASt vorlägen, wobei angegeben wurde, der ASt 1 bedrohe Kinder auf den Spielplätzen mit einer Pistole. Die ASt 2 erfülle die Voraussetzungen von Leistungen nach dem SGB XII nicht. Sie sei nicht auf Dauer voll erwerbsgemindert. Termine zu einer entsprechenden amtsärztlichen Untersuchung habe sie beim Rentenversicherungsträger und beim Gesundheitsamt bislang nicht wahrgenommen. Bei einer Vorsprache der ASt am 28.11.2005 habe die ASt 2 im Gegensatz zu ihrem Mann gefasst und geistig klar gewirkt. Sie äußerte, sie halte den psychischen Druck des Ehemannes nicht mehr aus und würde am Tag der Räumung mit dem Zug nach Ungarn zu Bekannten fahren; sie wolle weg von ihrem Mann. Der ASt 1 meinte dazu, seine Frau sei krank. Ein Betreuungsangebot der Ag und die Aufnahme in ein Clearing-Haus lehnten die ASt ab.

Wegen der weitern Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der bisher angelaufenen Mietschulden der ASt zu verpflichten.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74 und vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Auflage 2005, RdNr 643).

Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass die ASt Angaben zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sie ihr Begehren stützen - glaubhaft machen können (§ 86 b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Auflage 2005, § 86 b RdNr 41).

Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. dazu i.E. BVerfG vom 12.05.2005 NDV-RD 2005, 59), zeigt sich, dass den ASt kein Anordnungsanspruch zur Seite steht.

Dabei ist es für die hier zu entscheidende Frage unerheblich, ob die ASt 2 leistungsberechtigt im Sinne des SGB II ist und ob sie die hier geltend gemachten Mietrückstände gemäß § 34 Abs 1 SGB XII neben den Leistungen nach dem SGB II geltend machen kann (§ 5 Abs 2 Satz 2 SGB II).

Die Voraussetzungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen nach § 34 SGB XII liegen bei den ASt nämlich nicht vor. Nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB XII können Schulden von der Ag nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Ag soll solche Mietrückstände übernehmen, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (§ 34 Abs 1 Satz 2 SGB XII).

Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen im Falle der ASt offensichtlich nicht (mehr) vor, weil es im hier anhängigen Eilverfahren auf Grund der Ermittlungen der Ag hinreichend feststeht, dass auch bei Übernahme etwaiger Mietschulden durch die Ag die ASt in ihrer bisherigen Wohnung nicht verbleiben können. Die Übernahme der Mietschulden kann zur Überzeugung des Senats deshalb nicht mehr zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage dienen, sie ist mithin auch nicht geeignet, eine etwaige drohende Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Die ASt sind bereits zur Räumung der Wohnung verurteilt. Die Frist des § 569 Abs 3 Nr 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist verstrichen. Der Räumungstermin ist für den 10.01.2006 anberaumt und der Vermieter ist auf Grund des Verhaltens des ASt 1 unter keinen Umständen mehr bereit, das Mietverhältnis fortzusetzen.

Bei dieser Sachlage führt auch eine abschließende Güter- und Folgenabwägung zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat hält es für zureichend und interessensgerecht, wenn die Ag den ASt - und den Familienmitgliedern - die Möglichkeit einräumt, in dem im Oktober 2005 neu eröffneten Clearing-Haus unterzukommen und dort ein halbes Jahr intensiv sozialpädagogisch betreut zu werden, damit sie eine neue Wohnperspektive erhalten. Im Anschluss hieran wird die Ag den ASt behilflich sein, einen neuen und angemessenen Wohnraum zu finden.

Die Beschwerde hat deshalb insgesamt keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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