Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 17 (3) SB 111/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 97/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Aachen zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1960 geborene Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 30.
Mit Bescheid vom 12.10.1995 stellte der Beklagte bei ihm folgende Funktionsstörungen mit einem GdB von 80 fest:
1. Entfernung des rechten Hodens wegen einer Gewebeveränderung
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule.
In der dem Bescheid zugrunde liegenden gutachtlichen Stellungnahme des beratenden Arztes des Beklagten waren die Funktionsstörung zu 1) mit einem GdB von 80 und die zu 2) mit einem solchen von 10 bewertet worden.
Im Dezember 2000 leitete der Beklagte von Amts wegen ein Neufeststellungsverfahren ein. Er holte von den behandelnden Ärzten (Arzt für Urologie Dr. Nxxx; Ärzte für Neurologie/Psychotherapie Dres. Hxxxxx/Dxxxxxxr; Arzt für Orthopädie Dr. Schxxxxxxxx; Arzt für Innere Medizin Dr. Kxxxxx) Befundberichte ein und ließ diese gutachtlich auswerten. Nachdem dem Kläger Gelegenheit zur Anhörung gegeben worden war, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2002 und Widerspruchsbescheid vom 12.03.2002 den GdB mit 30 unter Berücksichtigung folgender Behinderungen fest:
1. Entfernung des rechten Hodens wegen einer Gewebeveränderung, Auswirkungen
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule
3. Funktionsstörung der linken oberen Gliedmaße.
Hinsichtlich der Beeinträchtigung zu 1) ging der Beklagte vom Ablauf der Heilungsbewährung aus. In den dem Bescheid zugrunde liegenden beratungsärztlichen Stellungnahmen waren der Funktionsstörung zu 1) ein GdB von 30 und den Funktionsstörungen zu 2) und 3) jeweils ein GdB von 10 beigemessen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2002 Klage erhoben und zu deren Begründung ausgeführt, allein der Zeitablauf berechtige nicht zur Herabsetzung des GdB. Im übrigen vermisse er eine Auseinandersetzung des Beklagten mit den eingeholten Befundberichten. Er befinde sich in ärztlicher Behandlung bei dem Neurologen/Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Dxxxxxxx; eine psychotherapeutische Behandlung werde nicht durchgeführt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2002 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten (Dres. Dxxxxxxx/Hxxxxx und Dr. Nxxxx). Dr. Dxxxxxxx, der den Kläger zuletzt im Mai 2002 behandelt hatte, hat als im Frühjahr 2002 neu hinzugekommene Erkrankungen "sensible Ulnarisschädigung distal links, Karpaltunnelsyndrom links" diagnostiziert und ausgeführt, da deren Behandlung noch nicht abgeschlossen sei, bedingten sie noch keinen GdB. Das SG hat diese Berichte dem Klägerbevollmächtigten mit Verfügung vom 03.06.2002 zur Stellungnahme binnen 4 wochen übersandt. Eine Reaktion hierauf ist nicht erfolgt. In der mündlichen Verhandlung am 30.08.2002 hat der Kläger die ärztliche Bescheinigung des Dr. K ... vom 21.08.2002 und den radiologischen Bericht des Dr. L ... vom 19.04.2001, der sich bereits in den Verwaltungsakten befand, überreicht. Dr. Kxxxxx hat eine schwere Periarthritis humero scapularis links, eine sensible N. ulnaris Schädigung am linken Unterarm, ein Karpaltunnelsyndrom links und einen z.N. Hodenkarzinom beschrieben.
Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen noch zu benennenden Arzt gutachtlich zu hören, der insbesondere auf die Ulnarisschädigung, das Karpaltunnelsyndrom sowie den unter Berücksichtigung dieser Erkrankungen bedingten Gesamt-GdB eingehen solle, hat das SG mit Beschluss ohne Begründung abgelehnt. Die Klage hat es mit Urteil vom 30.08.2002 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, hinsichtlich der Entfernung des linken Hodens sei nach Ablauf von 5 Jahren von einer Heilungsbewährung auszugehen, da es - wie den eingeholten Befundberichten zu entnehmen sei - nicht zu Rezidiven gekommen sei. Unter Berücksichtigung der sich aus den Befundberichten ergebenden tatsächlichen Gesundheitsstörungen (erektile Dysfunktion, retrograde Ejakulation mit daraus relultierender Zeugungsunfähigkeit, Osteoporose aufgrund Testoronmangels und rezidivierende Nierenkoliken bei Kristallurie und Hyperurikämie) komme unter Zugrundelegung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) 1996 für die Entfernung des rechten Hodens und dessen Auswirkungen ein höherer GdB als 30 nicht in Betracht. Außergewöhnliche psychische Störungen, die zusätzlich zu berücksichtigen seien, seien nicht anzunehmen, da sich die psychischen Störungen nach Angaben des Dr. Dxxxxxxx in neuerer Zeit gebessert hätten und der Kläger sich nach seinen eigenen Angaben nicht in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Das von dem behandelnden Orthopäden Dr. Sch ... beschriebene Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen sei als Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Mittelgradige Auswirkungen habe der behandelnde Arzt nicht beschrieben und seien vom Kläger auch nicht geklagt worden. Es könne offenbleiben, ob die Funktionsstörungen der oberen Gliedmaße einen Einzel-GdB von 10 - so der Beklagte - oder einen GdB von 20 - so der Internist Dr. K ... - bedingten, denn leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingten, führten nach den AHP - von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen - nicht zur Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; das gelte vielfach auch für leichte Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20. Auch unter Berücksichtigung der Diagnosen und der Beurteilung des Internisten Kxxxxx sei deshalb der durch die Auswirkungen der Hodenentfernung bedingte GdB von 30 nicht zu erhöhen.
Auch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils enthalten keine Begründung für die Ablehnung des gemäß § 109 SGG gestellten Antrages.
Gegen das am 10.09.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.10.2002 Berufung eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, bei dem bestehenden Sachverhalt habe er weder grob nachlässig noch in Verschleppungsabsicht gehandelt, wenn er erst in der mündlichen Verhandlung den Antrag gemäß § 109 SGG gestellt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 abzuändern und den Bescheid vom 18.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2002 aufzuheben, hilfsweise, gemäß § 109 SGG von einem noch zu benennenden Arzt ein Gutachten einzuholen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zu verweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und die Entscheidung des SG auf diesem Verfahrensstoß beruhen kann. Verfahrensmangel ist u.a. ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn das SG hat den Amtsermittlungsgrundsatz und damit eine zwingende Verfahrensvorschrift verletzt. Der Verstoß gegen das in § 103 SGG normierte Gebot der Sachaufklärung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel da (BSG, Urteil vom 24.11.1977 - 9 RV 64/74 - SozR 1500 § 103 Nr. 16; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 103 Rn. 20), der zur Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG führen kann.
Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen (Satz 1). Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (Satz 2). Das Gericht muss alle Tatsachen ermitteln, die für die Entscheidung wesentlich, d.h. entscheidungserheblich sind. Bei einer Anfechtungsklage - um eine solche handelt es sich vorliegend - gehören dazu alle Tatsachen, von denen die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes abhängt.
Nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Verwaltungsverfahren - i.V.m. §§ 3 und 4 Schwerbehindertengesetz bzw. ab 01.07.2001 §§ 2, 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisses, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X ist auch eine Änderung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Klägers seit Erlass des bindenden Bescheides zu sehen. Die Prüfung einer solchen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse setzt im wesentlichen einen Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erlass des letzten bindenden Bescheides vorgelegen haben, und denen voraus, die im Zeitpunkt der beabsichtigten oder gebotenen Änderung (GdB - Feststellung) vorliegen. Im Falle der Anfechtungsklage ist auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Beklagten - hier März 2002 (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2002) - abzustellen (BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 12/95 -; Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - SozR 3-3870 § 3 Nr. 7), das heißt, es sind zunächst die Funktionsstörungen und deren Auswirkungen in diesem Zeitpunkt festzustellen.
Die dazu angestellten Ermittlungen des SG sind nicht ausreichend. Es hätte seine Entscheidung nicht allein auf die eingeholten Befundberichte stützen dürfen. Zwar mag die Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte im Einzelfall zu zutreffenden Ergebnissen führen; Befundberichte können auch Grundlage von Vergleichsvorschlägen sein, sie rechtfertigen es aber grundsätzlich nicht, von einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten nach § 106 SGG abzusehen. Denn Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten (§§ 402 ff Zivilprozessordnung - ZPO -) grundsätzlich nur einen minderen Beweiswert. Es besteht ein grundlegender Unterschied in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen behandelnden Arztes. Dieser steht zu seinem Patienten in einer durch ein besonderes Vertrauensverhältnis, aber auch in einer gleichermaßen durch pekuniäre Interessen geprägten Beziehung. Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§§ 410 ZPO). Eine Verletzung dieser Pflichten kann erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§§ 153, 154, 163 Abs. 1 Strafgesetzbuch - StGB -). Deswegen kommt der Sachverständigenbeurteilung grundsätzlich der höhere Beweiswert zu (Senatsbeschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB -). Hiervon kann nur in eindeutigen Konstellationen, z.B. bei Mitteilung schlichter meßtechnischer Daten oder Verwertung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten abgesehen werden. Das SG hätte sich demzufolge angesichts der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gemachten Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers gedrängt fühlen müssen, weitere Befundberichte und Gutachten ggf. von Fachärzten einzuholen (hierzu Bayer. LSG, Urteil vom 08.03.2000 - L 18 SB 110/99 -), wobei den behandelnden Ärzte zunächst gezielte Fragen hinsichtlich der im fraglichen Zeitraum geklagten Beschwerden, der erhobenen Befunde und etwa durchgeführten bzw. angeordneten Therapien hätten gestellt werden müssen.
Zwar hat das SG zu Recht unter Berücksichtigung der AHP Nr. 26.13 (S. 112) für die 1994 operierte Hodengeschwulst rechts den Eintritt einer Heilungsbewährung bejaht mit der Folge, dass der GdB nur unter Beachtung der tatsächlich vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bewerten ist. Daneben sind jedoch die im maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden, auch neu hinzugetretenen Funktionsstörungen in die Einschätzung des GdB einzubeziehen. So sind sowohl in den im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren eingeholten Befundberichten eine depressive Reaktion/posttraumatische Belastungsstörung (Dres. Hxxxxx/Dxxxxxxx), ein Halswirbelsäulensyndrom, Schultergelenksbeschwerden i.S. eines Rotatorenmanschettensyndroms der linken Schulter (Dr. Schxxxxxxxx) bzw. eine Periathritis humero scapularis links (Dr. Kxxxxx, Dr. Lxxx), eine Ulnarisschädigung sowie ein Karpaltunnelsyndrom links (Dr. Hxxxxx) dokumentiert worden. Dass diese Gesundheitsstörungen im März 2002 nicht mehr bzw. noch nicht vorgelegen haben, lässt sich den Berichten nicht entnehmen, ebenso nicht, ob und inwieweit diese zu Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geführt haben. Insbesondere hätte das SG bei seiner Entscheidung nicht die Beurteilung des behandelnden Internisten Dr. Kxxxxx hinsichtlich der für ihn fachfremden Gesundheitsstörungen berücksichtigen dürfen.
Ebensowenig lässt der Umstand, dass sich der Kläger nicht in psychotherapeutischer Behandlung befunden hat, zwingend den Schluss zu, dass im Zeitpunkt der Herabsetzung keine psychischen Störungen vorgelegen haben, die über die dem Ausmaß der organischen Veränderungen entsprechenden üblichen seelischen Begleiterscheinungen hinausgehen. Das lässt sich insbesondere nicht aus der Angabe des behandelnden Arztes Dr. Dxxxxxxx, die alte Symptomatik (wohl Z.n. Hodenkarzinom, posttraumatische Belastungen) habe sich gebessert, herleiten (Bericht vom 22.05.2002).
Auch lassen sich aufgrund der eingeholten Befundberichte nicht das Ausmaß und die Auswirkungen der orthopädisch/chirurgischen Gesundheitsstörungen bezogen auf den Herabsetzungszeitraum feststellen. Darüber, dass es sich bei dem von dem behandelnden Orthopäden Dr. Schxxxxxxxx im Mai 2001 beschriebenen Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen nur um leichtgradige Veränderungen gehandelt hat und diese auch nur in diesem Ausmaß im Zeitpunkt der Herabsetzung (März 2002) bestanden haben, lässt sich ebenfalls aufgrund der vorliegenden Berichte keine Feststellung treffen.
Das gilt ebenso für die bereits von Dr. Schxxxxxxxx im Mai 2001 diagnostizierten Schulterbeschwerden links, die als Ausdruck eines Rotatorenmanschettensyndroms bzw. einer Periarthritis humero scapularis bewertet wurden.
Hinsichtlich der dokumentierten Gesundheitsstörungen "sensible Ulnarisschädigung links sowie Karpaltunnelsyndrom links" wären ebenfalls weitere Ermittlungen angezeigt gewesen. Der von Dr. Dxxxxxxx angegebene Zeitpunkt des Eintritts dieser Gesundheitsstörungen - Frühjahr 2002 - spricht dafür, dass sie bereits im März 2002 vorgelegen haben. Dass es sich dabei lediglich um vorübergehende Erkrankungen gehandelt hat, die bei der Einschätzung des GdB außer Acht zu lassen gewesen wären, ist angesichts der Ausführungen des Dr. Kxxxxx in seiner Bescheinigung vom 21.08.2002 zweifelhaft und hätte weiterer Ermittlungen bedurft.
Die Ablehnung des gemäß § 109 SGG gestellten Antrages und deren fehlende Begründung waren - unter Zugrundelegung des Standpunktes des SG, weitere Ermittlungen seien nicht geboten gewesen - ebenfalls verfahrensfehlerhaft (BSG, Urteil vom 09.10.1969 - 10 RV 516/68 -, KOV 1970/72 ff; Urteil vom 31.01.1973 - 9 RV 362/72 - KOV 1974/15; Beschluss vom 23.09.1997 - 2 BU 177/97, SozR 3 - 1500 § 109 SGG Nr. 2; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 109 Rn. 17). Die Begründung ist nicht deswegen entbehrlich, weil ein Beschluss nach § 109 Abs. 1 SGG nicht gesondert anfechtbar ist (§ 172 Abs. 2 SGG). Denn der Beschluss kann mit der Berufung angefochten werden (Meyer-Ladewig a.a.O., § 109 Rn. 20 ).
Gemäß § 109 SGG muss auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Das Gericht kann gemäß § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag nur ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Es kann insbesondere von der Einholung des Gutachtens nicht absehen, weil es dessen Einholung nicht für notwendig oder den Sachverständigen nicht für geeignet hält (BSG, Beschluss vom 23.09.1997 - 2 BU 177/97 -, a.a.O.).
Welche Gründe das SG zur Ablehnung des Antrages bewogen haben, ist mangels einer Begründung des Beschlusses bzw. in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht zu erkennen. Ebensowenig sind Ablehnungsgründe offensichtlich. Insbesondere ergeben sich weder Verschleppungsabsicht noch grobe Nachlässigkeit aus dem Prozessverlauf. Denn der Kläger konnte allein aufgrund des Ergebnisses der vom SG durchgeführten Ermittlungen nicht davon ausgehen, dass dieses den Rechtsstreit für entscheidungsreif i.S.d. Klageabweisung gehalten hat.
Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das SG nach der gebotenen Durchführung weiterer Ermittlungen bzw. des gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage gelangt wäre. Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene, sondern nur im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens im Hinblick darauf, dass den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll, geboten.
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem SG vorbehalten.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Der 1960 geborene Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 30.
Mit Bescheid vom 12.10.1995 stellte der Beklagte bei ihm folgende Funktionsstörungen mit einem GdB von 80 fest:
1. Entfernung des rechten Hodens wegen einer Gewebeveränderung
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule.
In der dem Bescheid zugrunde liegenden gutachtlichen Stellungnahme des beratenden Arztes des Beklagten waren die Funktionsstörung zu 1) mit einem GdB von 80 und die zu 2) mit einem solchen von 10 bewertet worden.
Im Dezember 2000 leitete der Beklagte von Amts wegen ein Neufeststellungsverfahren ein. Er holte von den behandelnden Ärzten (Arzt für Urologie Dr. Nxxx; Ärzte für Neurologie/Psychotherapie Dres. Hxxxxx/Dxxxxxxr; Arzt für Orthopädie Dr. Schxxxxxxxx; Arzt für Innere Medizin Dr. Kxxxxx) Befundberichte ein und ließ diese gutachtlich auswerten. Nachdem dem Kläger Gelegenheit zur Anhörung gegeben worden war, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2002 und Widerspruchsbescheid vom 12.03.2002 den GdB mit 30 unter Berücksichtigung folgender Behinderungen fest:
1. Entfernung des rechten Hodens wegen einer Gewebeveränderung, Auswirkungen
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule
3. Funktionsstörung der linken oberen Gliedmaße.
Hinsichtlich der Beeinträchtigung zu 1) ging der Beklagte vom Ablauf der Heilungsbewährung aus. In den dem Bescheid zugrunde liegenden beratungsärztlichen Stellungnahmen waren der Funktionsstörung zu 1) ein GdB von 30 und den Funktionsstörungen zu 2) und 3) jeweils ein GdB von 10 beigemessen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 11.04.2002 Klage erhoben und zu deren Begründung ausgeführt, allein der Zeitablauf berechtige nicht zur Herabsetzung des GdB. Im übrigen vermisse er eine Auseinandersetzung des Beklagten mit den eingeholten Befundberichten. Er befinde sich in ärztlicher Behandlung bei dem Neurologen/Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Dxxxxxxx; eine psychotherapeutische Behandlung werde nicht durchgeführt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2002 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten (Dres. Dxxxxxxx/Hxxxxx und Dr. Nxxxx). Dr. Dxxxxxxx, der den Kläger zuletzt im Mai 2002 behandelt hatte, hat als im Frühjahr 2002 neu hinzugekommene Erkrankungen "sensible Ulnarisschädigung distal links, Karpaltunnelsyndrom links" diagnostiziert und ausgeführt, da deren Behandlung noch nicht abgeschlossen sei, bedingten sie noch keinen GdB. Das SG hat diese Berichte dem Klägerbevollmächtigten mit Verfügung vom 03.06.2002 zur Stellungnahme binnen 4 wochen übersandt. Eine Reaktion hierauf ist nicht erfolgt. In der mündlichen Verhandlung am 30.08.2002 hat der Kläger die ärztliche Bescheinigung des Dr. K ... vom 21.08.2002 und den radiologischen Bericht des Dr. L ... vom 19.04.2001, der sich bereits in den Verwaltungsakten befand, überreicht. Dr. Kxxxxx hat eine schwere Periarthritis humero scapularis links, eine sensible N. ulnaris Schädigung am linken Unterarm, ein Karpaltunnelsyndrom links und einen z.N. Hodenkarzinom beschrieben.
Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen noch zu benennenden Arzt gutachtlich zu hören, der insbesondere auf die Ulnarisschädigung, das Karpaltunnelsyndrom sowie den unter Berücksichtigung dieser Erkrankungen bedingten Gesamt-GdB eingehen solle, hat das SG mit Beschluss ohne Begründung abgelehnt. Die Klage hat es mit Urteil vom 30.08.2002 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, hinsichtlich der Entfernung des linken Hodens sei nach Ablauf von 5 Jahren von einer Heilungsbewährung auszugehen, da es - wie den eingeholten Befundberichten zu entnehmen sei - nicht zu Rezidiven gekommen sei. Unter Berücksichtigung der sich aus den Befundberichten ergebenden tatsächlichen Gesundheitsstörungen (erektile Dysfunktion, retrograde Ejakulation mit daraus relultierender Zeugungsunfähigkeit, Osteoporose aufgrund Testoronmangels und rezidivierende Nierenkoliken bei Kristallurie und Hyperurikämie) komme unter Zugrundelegung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) 1996 für die Entfernung des rechten Hodens und dessen Auswirkungen ein höherer GdB als 30 nicht in Betracht. Außergewöhnliche psychische Störungen, die zusätzlich zu berücksichtigen seien, seien nicht anzunehmen, da sich die psychischen Störungen nach Angaben des Dr. Dxxxxxxx in neuerer Zeit gebessert hätten und der Kläger sich nach seinen eigenen Angaben nicht in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Das von dem behandelnden Orthopäden Dr. Sch ... beschriebene Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen sei als Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Mittelgradige Auswirkungen habe der behandelnde Arzt nicht beschrieben und seien vom Kläger auch nicht geklagt worden. Es könne offenbleiben, ob die Funktionsstörungen der oberen Gliedmaße einen Einzel-GdB von 10 - so der Beklagte - oder einen GdB von 20 - so der Internist Dr. K ... - bedingten, denn leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingten, führten nach den AHP - von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen - nicht zur Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; das gelte vielfach auch für leichte Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20. Auch unter Berücksichtigung der Diagnosen und der Beurteilung des Internisten Kxxxxx sei deshalb der durch die Auswirkungen der Hodenentfernung bedingte GdB von 30 nicht zu erhöhen.
Auch die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils enthalten keine Begründung für die Ablehnung des gemäß § 109 SGG gestellten Antrages.
Gegen das am 10.09.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.10.2002 Berufung eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen, bei dem bestehenden Sachverhalt habe er weder grob nachlässig noch in Verschleppungsabsicht gehandelt, wenn er erst in der mündlichen Verhandlung den Antrag gemäß § 109 SGG gestellt habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 abzuändern und den Bescheid vom 18.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2002 aufzuheben, hilfsweise, gemäß § 109 SGG von einem noch zu benennenden Arzt ein Gutachten einzuholen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses Gericht zu verweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und die Entscheidung des SG auf diesem Verfahrensstoß beruhen kann. Verfahrensmangel ist u.a. ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn das SG hat den Amtsermittlungsgrundsatz und damit eine zwingende Verfahrensvorschrift verletzt. Der Verstoß gegen das in § 103 SGG normierte Gebot der Sachaufklärung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel da (BSG, Urteil vom 24.11.1977 - 9 RV 64/74 - SozR 1500 § 103 Nr. 16; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 103 Rn. 20), der zur Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG führen kann.
Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen (Satz 1). Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (Satz 2). Das Gericht muss alle Tatsachen ermitteln, die für die Entscheidung wesentlich, d.h. entscheidungserheblich sind. Bei einer Anfechtungsklage - um eine solche handelt es sich vorliegend - gehören dazu alle Tatsachen, von denen die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes abhängt.
Nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Verwaltungsverfahren - i.V.m. §§ 3 und 4 Schwerbehindertengesetz bzw. ab 01.07.2001 §§ 2, 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisses, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X ist auch eine Änderung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Klägers seit Erlass des bindenden Bescheides zu sehen. Die Prüfung einer solchen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse setzt im wesentlichen einen Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erlass des letzten bindenden Bescheides vorgelegen haben, und denen voraus, die im Zeitpunkt der beabsichtigten oder gebotenen Änderung (GdB - Feststellung) vorliegen. Im Falle der Anfechtungsklage ist auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Beklagten - hier März 2002 (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2002) - abzustellen (BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 12/95 -; Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - SozR 3-3870 § 3 Nr. 7), das heißt, es sind zunächst die Funktionsstörungen und deren Auswirkungen in diesem Zeitpunkt festzustellen.
Die dazu angestellten Ermittlungen des SG sind nicht ausreichend. Es hätte seine Entscheidung nicht allein auf die eingeholten Befundberichte stützen dürfen. Zwar mag die Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte im Einzelfall zu zutreffenden Ergebnissen führen; Befundberichte können auch Grundlage von Vergleichsvorschlägen sein, sie rechtfertigen es aber grundsätzlich nicht, von einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten nach § 106 SGG abzusehen. Denn Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten (§§ 402 ff Zivilprozessordnung - ZPO -) grundsätzlich nur einen minderen Beweiswert. Es besteht ein grundlegender Unterschied in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen behandelnden Arztes. Dieser steht zu seinem Patienten in einer durch ein besonderes Vertrauensverhältnis, aber auch in einer gleichermaßen durch pekuniäre Interessen geprägten Beziehung. Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§§ 410 ZPO). Eine Verletzung dieser Pflichten kann erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§§ 153, 154, 163 Abs. 1 Strafgesetzbuch - StGB -). Deswegen kommt der Sachverständigenbeurteilung grundsätzlich der höhere Beweiswert zu (Senatsbeschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB -). Hiervon kann nur in eindeutigen Konstellationen, z.B. bei Mitteilung schlichter meßtechnischer Daten oder Verwertung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten abgesehen werden. Das SG hätte sich demzufolge angesichts der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gemachten Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers gedrängt fühlen müssen, weitere Befundberichte und Gutachten ggf. von Fachärzten einzuholen (hierzu Bayer. LSG, Urteil vom 08.03.2000 - L 18 SB 110/99 -), wobei den behandelnden Ärzte zunächst gezielte Fragen hinsichtlich der im fraglichen Zeitraum geklagten Beschwerden, der erhobenen Befunde und etwa durchgeführten bzw. angeordneten Therapien hätten gestellt werden müssen.
Zwar hat das SG zu Recht unter Berücksichtigung der AHP Nr. 26.13 (S. 112) für die 1994 operierte Hodengeschwulst rechts den Eintritt einer Heilungsbewährung bejaht mit der Folge, dass der GdB nur unter Beachtung der tatsächlich vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bewerten ist. Daneben sind jedoch die im maßgeblichen Zeitpunkt bestehenden, auch neu hinzugetretenen Funktionsstörungen in die Einschätzung des GdB einzubeziehen. So sind sowohl in den im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren eingeholten Befundberichten eine depressive Reaktion/posttraumatische Belastungsstörung (Dres. Hxxxxx/Dxxxxxxx), ein Halswirbelsäulensyndrom, Schultergelenksbeschwerden i.S. eines Rotatorenmanschettensyndroms der linken Schulter (Dr. Schxxxxxxxx) bzw. eine Periathritis humero scapularis links (Dr. Kxxxxx, Dr. Lxxx), eine Ulnarisschädigung sowie ein Karpaltunnelsyndrom links (Dr. Hxxxxx) dokumentiert worden. Dass diese Gesundheitsstörungen im März 2002 nicht mehr bzw. noch nicht vorgelegen haben, lässt sich den Berichten nicht entnehmen, ebenso nicht, ob und inwieweit diese zu Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geführt haben. Insbesondere hätte das SG bei seiner Entscheidung nicht die Beurteilung des behandelnden Internisten Dr. Kxxxxx hinsichtlich der für ihn fachfremden Gesundheitsstörungen berücksichtigen dürfen.
Ebensowenig lässt der Umstand, dass sich der Kläger nicht in psychotherapeutischer Behandlung befunden hat, zwingend den Schluss zu, dass im Zeitpunkt der Herabsetzung keine psychischen Störungen vorgelegen haben, die über die dem Ausmaß der organischen Veränderungen entsprechenden üblichen seelischen Begleiterscheinungen hinausgehen. Das lässt sich insbesondere nicht aus der Angabe des behandelnden Arztes Dr. Dxxxxxxx, die alte Symptomatik (wohl Z.n. Hodenkarzinom, posttraumatische Belastungen) habe sich gebessert, herleiten (Bericht vom 22.05.2002).
Auch lassen sich aufgrund der eingeholten Befundberichte nicht das Ausmaß und die Auswirkungen der orthopädisch/chirurgischen Gesundheitsstörungen bezogen auf den Herabsetzungszeitraum feststellen. Darüber, dass es sich bei dem von dem behandelnden Orthopäden Dr. Schxxxxxxxx im Mai 2001 beschriebenen Halswirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen nur um leichtgradige Veränderungen gehandelt hat und diese auch nur in diesem Ausmaß im Zeitpunkt der Herabsetzung (März 2002) bestanden haben, lässt sich ebenfalls aufgrund der vorliegenden Berichte keine Feststellung treffen.
Das gilt ebenso für die bereits von Dr. Schxxxxxxxx im Mai 2001 diagnostizierten Schulterbeschwerden links, die als Ausdruck eines Rotatorenmanschettensyndroms bzw. einer Periarthritis humero scapularis bewertet wurden.
Hinsichtlich der dokumentierten Gesundheitsstörungen "sensible Ulnarisschädigung links sowie Karpaltunnelsyndrom links" wären ebenfalls weitere Ermittlungen angezeigt gewesen. Der von Dr. Dxxxxxxx angegebene Zeitpunkt des Eintritts dieser Gesundheitsstörungen - Frühjahr 2002 - spricht dafür, dass sie bereits im März 2002 vorgelegen haben. Dass es sich dabei lediglich um vorübergehende Erkrankungen gehandelt hat, die bei der Einschätzung des GdB außer Acht zu lassen gewesen wären, ist angesichts der Ausführungen des Dr. Kxxxxx in seiner Bescheinigung vom 21.08.2002 zweifelhaft und hätte weiterer Ermittlungen bedurft.
Die Ablehnung des gemäß § 109 SGG gestellten Antrages und deren fehlende Begründung waren - unter Zugrundelegung des Standpunktes des SG, weitere Ermittlungen seien nicht geboten gewesen - ebenfalls verfahrensfehlerhaft (BSG, Urteil vom 09.10.1969 - 10 RV 516/68 -, KOV 1970/72 ff; Urteil vom 31.01.1973 - 9 RV 362/72 - KOV 1974/15; Beschluss vom 23.09.1997 - 2 BU 177/97, SozR 3 - 1500 § 109 SGG Nr. 2; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 109 Rn. 17). Die Begründung ist nicht deswegen entbehrlich, weil ein Beschluss nach § 109 Abs. 1 SGG nicht gesondert anfechtbar ist (§ 172 Abs. 2 SGG). Denn der Beschluss kann mit der Berufung angefochten werden (Meyer-Ladewig a.a.O., § 109 Rn. 20 ).
Gemäß § 109 SGG muss auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Das Gericht kann gemäß § 109 Abs. 2 SGG einen Antrag nur ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Es kann insbesondere von der Einholung des Gutachtens nicht absehen, weil es dessen Einholung nicht für notwendig oder den Sachverständigen nicht für geeignet hält (BSG, Beschluss vom 23.09.1997 - 2 BU 177/97 -, a.a.O.).
Welche Gründe das SG zur Ablehnung des Antrages bewogen haben, ist mangels einer Begründung des Beschlusses bzw. in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht zu erkennen. Ebensowenig sind Ablehnungsgründe offensichtlich. Insbesondere ergeben sich weder Verschleppungsabsicht noch grobe Nachlässigkeit aus dem Prozessverlauf. Denn der Kläger konnte allein aufgrund des Ergebnisses der vom SG durchgeführten Ermittlungen nicht davon ausgehen, dass dieses den Rechtsstreit für entscheidungsreif i.S.d. Klageabweisung gehalten hat.
Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das SG nach der gebotenen Durchführung weiterer Ermittlungen bzw. des gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage gelangt wäre. Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene, sondern nur im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens im Hinblick darauf, dass den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll, geboten.
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens bleibt dem SG vorbehalten.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
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