L 10 SB 101/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 14 SB 38/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 101/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Köln zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1949 geborene Klägerin begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Mit Bescheid vom 05.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1998 stellte der Beklagte bei ihr einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Dieser Entscheidung lagen die gutachtlichen Stellungnahmen vom 20.10.1997 und 03.02.1998 zugrunde, mit denen eine "Funktionsstörung der Wirbelsäule bei Verschleiß und Bandscheibenschaden" sowie eine "Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen bei Verschleiß der Gelenke und venösen Durchblutungsstörungen" mit einem GdB von jeweils 30 sowie eine "Migräne" mit einem GdB von 20 bewertet wurden.

Ein Änderungsantrag der Klägerin blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 31.08.1998 und Widerspruchsbescheid vom 05.02.1999). Dabei ging der Beklagte davon aus, dass zwar als weitere Funktionsbeeinträchtigung eine "Seelische Störung", die zuvor mit einem GdB von 10 bewertet worden war (gutachtliche Stellungnahme vom 22.01.1999), zu berücksichtigen, diese Änderung aber nicht wesentlich sei.

Am 17.08.1999 beantragte die Klägerin erneut, einen höheren GdB festzustellen; es seien ständige Ohrgeräusche, Hörminderung, Schilddrüsenfunktionsstörung, Bandscheibenvorwölbungen, Wirbelkörperverschleiß, Coxarthrose, Migräne, Postthrombotisches Syndrom sowie ein Knick-Senk-Spreizfuss zu berücksichtigen.

Nach Einholung von Befundberichten (Arzt für Orthopädie Dr. Kxxxxxx, HNO-Arzt R ..., Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Gxxxxx) lehnte der Beklagte den Antrag mit auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestütztem Bescheid vom 11.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2000 ab. Es seien zwar zusätzlich die Funktionsstörungen "Schwerhörigkeit, Ohrgeräusche" und "arterielle Durchblutungsstörung" zu berücksichtigen, eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin sei aber nicht eingetreten. Den neu aufgeführten Gesundheitsstörungen war zuvor (gutachtliche Stellungnahmen vom 28.09.1999 und vom 15.12.1999) jeweils ein GdB von 20 zugemessen worden.

Mit ihrer Klage vom 07.02.2000 hat die Klägerin u.a. vorgetragen, bereits aufgrund der zusätzlich festgestellten Gesundheitsstörungen sei ein GdB von mindestens 50 angemessen. Im Übrigen sei die "seelische Störung" zu gering bewertet, da die oftmals unerträglichen, dauerhaften Schmerzzustände nicht genügend berücksichtigt worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.1999 und des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2000 zu verurteilen, bei ihr ab 17.08.1999 das Vorliegen eines GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) Köln hat Befundberichte (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Lxxxx und Hautarzt Dr. Kxxx) sowie vier Gutachten eingeholt.

Der Arzt für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. Hxxxxxxx (Gutachten vom 27.04.2001) hat seit zwei Jahren bestehende, anhaltende, vornehmlich rechtsseitige Ohrgeräusche mit einem GdB von 10 beschrieben. In seinem Gutachten vom 04.06.2001 hat der Hautarzt und Allergologe Dr. Fxxxxx im Bescheid vom 05.11.1997 nicht aufgeführten bzw. berücksichtigten Hauterkrankungen und etwaigen allergischen Problemen einen GdB von 20 zugemessen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Hxxxxxx (Gutachten vom 13.11.2001) hat ausgeführt, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit November 1997 wesentliche Änderungen eingetreten seien: Mittlerweile bestehe eine neurotisch-depressive Fehlhaltung mit somatoformer Schmerzstörung, die unter Berücksichtigung des Tinnitus einen GdB von 20 bedinge. Das (anamnestisch) hinzugetretene Restless-legs-Syndrom rufe einen GdB von 10 hervor; die (anamnestische) Migräne sei weiterhin mit einem GdB von 20 zu bewerten. Der Orthopäde Dr. Schxxxxxr hat in seinem Gutachten vom 13.12.2001 dem Wirbelsäulensyndrom einen GdB von 30 zugemessen. Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits hat er mit einem GdB von 10 belegt, ebenso ein Fibromyalgie-Syndrom. Er hat angeregt, den Sachverständigen Hxxxxxx zu befragen, ob die Leidensbezeichnung "Migräne-Symptomatik" tatsächlich aufrecht erhalten werde, da diese lediglich anamnestisch erfasst worden und nicht mit dauerhaften neurologisch-pathologischen Symptomen behaftet gewesen sei. Auch eine Restless-legs-Symptomatik sei ihm von der Klägerin nicht geschildert worden. Insgesamt sei ein GdB von 40 angemessen. Wesentliche Änderungen im Vergleich zum Bescheid vom 05.11.1997 bestünden darin, dass die Bewertung der Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen nicht mehr aufrechterhalten werden könne; ferner seien neue Leidensbezeichnungen des HNO-ärztlichen und dermatologischen sowie auch des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes eingeführt worden.

Mit Schreiben vom 14.01.2002 hat das SG bei der Klägerin angefragt, ob die Klage noch aufrechterhalten werde. Nach Zustellung der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angeregt, ein psychosomatisches Zusatzgutachten einzuholen, da ihre Gesundheitsentwicklung den Verdacht nahe lege, dass die beschriebenen Schmerzzustände zumindest auch psychosomatisch bedingt seien. Hilfsweise werde ein Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt. Ferner hat sie ein Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. Schxxx eingereicht, nach dem bei ihr u.a. ein primäres Fibromyalgiesyndrom und aufgrund des chronisch-rezidivierenden Verlaufscharakters der Erkrankung sowie deren Therapieresistenz gegen über angewendeten therapeutischen Maßnahmen ein derart geringes Restleistungsvermögen bestehe, dass keine gewinnbringenden Tätigkeiten in irgend einer Weise mehr ausgeführt werden können.

Die 14. Kammer des SG hat die Klage mit Urteil vom 27.03.2002 abgewiesen.

Mit Schreiben vom 08.10.2002 wurde den Beteiligten die nicht von der Vorsitzenden der 14. Kammer unterschriebene Sitzungsniederschrift vom 27.03.2002 zugestellt. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass die Vorsitzende seit längerem arbeitsunfähig erkrankt und nicht abzusehen sei, wann diese ihren Dienst wieder aufnehme; eine Abfassung des Urteils sei somit zur Zeit nicht möglich.

Die Klägerin hat am 21.10.2002 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen in erster Instanz weiterverfolgt. Sie trägt u.a. vor, es erscheine sinnvoll, die Sache an das SG zurückzuverweisen, da nicht absehbar sei, wann die Vorsitzende der 14. Kammer ihren Dienst wieder aufnehme.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2000 zu verurteilen, bei ihr ab August 1999 einen GdB von 50 festzustellen, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Köln zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 zurückzuweisen, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Köln zurückzuverweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die fristgemäß eingelegte und auch sonst zulässige Berufung ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Auch wenn die Sitzungsniederschrift vom 27.03.2002 nicht von der Vorsitzenden unterschrieben wurde, steht für den Senat als sicher fest, dass die Klage der Klägerin mit am 27.03.1998 verkündetem Urteil abgewiesen wurde. Dies ergibt sich aus den Erklärungen des Bevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Senat im Termin vom 18.12.2002 sowie daraus, dass die Sitzungsniederschrift von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gefertigt und unterzeichnet worden ist.

Das Urteil wurde mit Verkündung existent und mit Rechtsmittel anfechtbar; denn die Zustellung des Urteils ist keine Bedingung für die Zulässigkeit der Berufung, sondern lediglich Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Berufungsfrist (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1983, 2 RU 3/82, SozR 2220 § 539 Nr. 88 m.w.N.; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage, § 135 Rdnr. 3).

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.

Verfahrensmangel im Sinn dieser Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (Senatsurteile vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -; Urteil des 6. Senats des LSG NRW vom 11.07.1995 - L 6 Vs 67/95 -; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 159 Rdn. 3 mwN; Zeihe, SGG, § 159 Rdn. 2a, 8a ).

Gleichermaßen kommt eine Zurückverweisung bei Verstößen gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung (Zeihe, aaO Rdn. 8d) oder bei unzureichender Begründung der angefochtenen Entscheidung (vgl. Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002, a.a.O., Urteil des 7. Senats LSG NRW vom 14.05.1998 - L 7 SB 146/97 -) in Betracht.

Solche Mängel liegen hier vor.

Das angefochtene Urteil verstößt insbesondere gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften der §§ 134 Satz 1, 135 SGG, die unter anderem bestimmen, dass das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen vom Vorsitzenden zu unterschreiben und den Beteiligten zuzustellen ist. Auch liegt - u.a. - ein Verstoß gegen die §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128 Abs. 1 SGG vor, nach denen ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten muss und die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

Eine vollständige Heilung dieser Mängel kommt nicht mehr in Betracht. Eine nachträgliche Abfassung des Urteils, Unterschriftsleistung der mitwirken den Kammervorsitzenden und Zustellung dieses Urteils sind ggf. tatsächlich noch möglich; jedoch würden dann weiterhin die schriftlichen Urteilsgründe fehlen. Seit der mündlichen Verhandlung sind nämlich bereits nahezu neun Monate vergangen. Nach Ablauf dieser Zeit ist nicht mehr gewährleistet, dass eine Urteilsbegründung den Verlauf der mündlichen Verhandlung sowie das Beratungsergebnis zutreffend wiedergibt. Auch bei einer nachträglichen schriftlichen Absetzung und Ausfertigung der Urteilsgründe bliebe zumindest ein wesentlicher Verfahrensmangel bestehen. Denn die mit der schriftlichen Urteilsabfassung erstrebte Sicherung der Beurkundungsfunktion ist so lange Zeit nach Verkündung des Urteils nicht mehr erreichbar (s. dazu z.B. BSG, Urteil vom 22.09.1993, 12 RK 39/93, SozR3-1750 § 551 Nr. 5; BSG, Urteil vom 22.09.1993, 12 RK 93/92, Die Beiträge 1994, 224; BSG, Urteil vom 03.03.1994, 1 RK 6/93, SozR3-1750 § 551 Nr. 7; BSG, Urteil vom 10.03.1994, 12 RK 47/93, Die Beiträge 1994, 508; BSG, Urteil vom 06.03.1996, 9 RVg 3/94). Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat mit Beschluss vom 27.04.1993 (GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603 = ZIP 1993, 1341) einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten entschieden, dass selbst ein Urteil, das formal vollständig ist, als nicht mit Gründen versehen gilt, wenn es nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt ist. Damit stellt die Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe nach Ablauf von mehr als fünf Monaten einen so erheblichen und nicht heilbaren Verfahrensmangel dar, dass vorliegend von dem Versuch, von dem SG eine nachträgliche Urteilsbegründung mit Unterschriftsleistung einzuholen, abzusehen war.

Der Senat macht von dem ihm durch § 159 SGG eingeräumten Ermessen zur Zurückverweisung unter Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits und dem Verlust einer Instanz - hier der erneuten Eröffnung des erstinstanzlichen Verfahrens - andererseits Gebrauch.

a) Wenn auch der Wille der Beteiligten nicht den Gang des Verfahrens bestimmt, berücksichtigt der Senat dennoch, dass die Klägerin, deren Interesse auf eine sachlich-inhaltlich und formell richtige Entscheidung in angemessener Zeit gerichtet ist, eine Zurückverweisung für sinnvoll erachtet und auch anregt.

b) Welche Umstände des Einzelfalles das SG bewogen haben, die Klage abzuweisen, ist mangels dokumentierter Entscheidungsgründe nicht ersichtlich. Zwar mag dem Schreiben des SG vom 14.01.2002, mit dem bei der Klägerin angefragt wurde, ob sie die Klage noch aufrechterhalte, ansatzweise zu entnehmen sein, worauf das SG seine Entscheidung letztlich stützt. Die zum Urteilsausspruch führenden Erwägungen müssen jedoch den Entscheidungsgründen zu entnehmen sein. Das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein; insoweit notwendige Ausführungen können nicht schon durch Bezugnahme auf andere Unterlagen ersetzt werden. Zum Mindestinhalt eines Urteils gehört die Angabe der angewandten Rechtsnorm und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe. Diese Anforderungen können nicht durch Heranziehung des übrigen Akteninhalts erfüllt werden (vgl. Senatsurteil vom 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -). Der dem Schreiben vom 14.01.2002 zu entnehmende Hinweis auf die Auffassung des SG ist mithin nicht geeignet, eine Urteilsbegründung zu ersetzen. Liegen aber die für die richterliche Entscheidung leitenden Gründe nicht vor, kann der Senat das Urteil inhaltlich nicht überprüfen.

c) Der Rechtsstreit ist derzeit nicht entscheidungsreif.

Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis wäre der Rechtsstreit auch bei rechtzeitiger Abfassung des Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden; denn das SG hätte sich zu weiterer Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen. Es hat den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Auf die eingeholten Gutachten, zumindest in der derzeit vorliegenden Form, hätte die Klageabweisung nicht gestützt werden dürfen.

aa) Das SG hätte unter Berücksichtigung der von ihm in der Beweisanordnung vom 20.03.2001 zutreffend wiedergegebenen Anspruchsgrundlage der Frage weiter nachgehen müssen, ob und inwieweit in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit Erlass der letzten bindenden Feststellungen des Beklagten eine wesentliche Änderung eingetreten und ob und inwieweit darauf beruhend auch der seinerzeit mit 40 festgestellte GdB zu ändern ist.

Rechtsgrundlage des Verfahrens ist § 48 SGB X i.V.m. §§ 3 und 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. ab 01.07.2001 §§ 2, 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X ist auch eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit Erlass des letzten bindenden Bescheides zu sehen. Die Prüfung einer solchen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse setzt im Wesentlichen einen Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen, die bei Erlass des letzten bindenden Bescheides vorgelegen haben, und denen voraus, die nun mehr - bzw. im Zeitpunkt der beabsichtigten oder gebotenen Änderung der GdB-Feststellung - vorliegen.

Hinsichtlich dieses Fragenkomplexes gelangen die Sachverständigen in ihren Gutachten zwar zu dem Ergebnis, dass wesentliche - im Einzelnen beschriebene - Änderungen in dem Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten sind. Inwieweit und aus welchen Gründen aber daraus eine bzw. keine Erhöhung des Ausmaßes der 1997 mit einem GdB von 40 beurteilten Gesamt-Beeinträchtigung resultiert, ist keinem Gutachten zu entnehmen.

bb) Bereits aus dem Gesetz - § 4 Abs. 3 SchwbG bzw. ab 01.07.2001 § 69 Abs. 3 SGB IX - folgt im Übrigen, dass bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist, wobei die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, insbesondere in ihrer Nr. 19, weitere Beurteilungsvorgaben enthalten. Nur bei deren Beachtung wird ein sachgerechtes Ergebnis erzielt werden können. Voraussetzung ist dabei, dass das Ausmaß der Beeinträchtigung einer jeden einzelnen Gesundheitsstörung und der daraus resultierende GdB annährend sicher bestimmt und dann geprüft wird, inwieweit die durch die schwerwiegendste Gesundheitsstörung bedingte Beeinträchtigung durch die Auswirkungen der zusätzlichen Gesundheitsstörung erhöht wird. Dies gilt auch, wenn zusätzliche, neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen sind.

In keinem der Gutachten wird dazu auch nur in annähernd ausreichendem Umfang Stellung genommen. Allein der Sachverständige Dr. Schxxxxxx gibt zwar eine Bewertung des Gesamt-GdB ab; eine Begründung dafür enthält sein Gutachten aber nicht.

Ungeachtet dessen vermag der Senat auch den Gutachten hinsichtlich der Einzelbewertungen z.B. des Tinnitus keine Begründung zu entnehmen.

cc) Dr. Sch ... weist in seinem Gutachten darauf hin, dass zwischen seiner Beurteilung und der des Sachverständigen Honcamp Differenzen bestehen, und hat deshalb dessen ergänzende Befragung angeregt. Es ist nicht erkenntlich, in welcher Form das SG trotz der aufgezeigten unterschiedlichen Bewertungen ohne eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Hxxxxxx sachgerecht hätte entscheiden können.

dd) Auch aus dem von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attest des Dr. Sch ... ergibt sich weiterer Aufklärungsbedarf. Soweit Dr. Schxxx einen chronisch-rezidivierenden Verlaufscharakter der bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen sowie deren Therapieresistenz gegenüber angewendeten therapeutischen Maßnahmen bescheinigt und ausführt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin soweit herabgesunken sei, dass sie keinerlei gewinnbringende Tätigkeiten mehr ausführen könne, zieht er damit insbesondere die Bewertung des Fibromyalgiesyndroms in Zweifel. Das SG hätte sich auch insoweit gedrängt fühlen müssen, diesen Einwendungen der Klägerin zumindest durch Einholung einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme nachzugehen. Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige Dr. Schxxxxxx in seiner Begründung des GdB von 10 Bewertungsmaßstäbe herangezogen hat (Analogie zu entzündlich-rheumatischen Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule), die nicht ohne weiteres mit der Rechtsprechung zum Fibromyalgie-Syndrom übereinstimmen (s. dazu z.B. Urteil des BSG vom 27.02.2002 - B 9 SB 6/01 R -; Urteil des LSG NRW vom 12.03.2002 - L 6 SB 137/01 -).

ee) Diese Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das SG bei ordnungsgemäßer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung eine andere Entscheidung getroffen hätte.

d) Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene Zurückverweisung ist angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und im Hinblick darauf, dass den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz - zur sachgerechten Aufklärung des Sachverhalts - erhalten bleiben soll, geboten, zumal die Klägerin ihre Berufung auch auf Verfahrensmängel stützt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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