L 3 RA 13/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 25/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 13/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 33/03 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (mit Zugangsfaktor 1,0) gewähren muss.

Der im August 1941 geborene Kläger war zuletzt bei der ... in ... (Arbeitgeberin) versicherungspflichtig beschäftigt. Mit Schreiben vom 17. August 1994 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31. August 1996 unter Bezugnahme auf einen Sozialplan vom 07. Juni 1994. Der Kläger erhielt vom 01. September 1996 bis zum 30. April 1999 Arbeitslosengeld und war anschließend bis zum 18. Mai 2001 ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet.

Mit Bescheid vom 24. Juli 2001 gewährte ihm die Beklagte ab dem 01. September 2001 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und minderte den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,168 für 56 Kalendermo nate (je Monat 0,003) auf 0,832. Bei der Rentenberechnung be rücksichtigte sie deshalb anstelle von 61,8422 Entgeltpunkten nur 51,4527 Entgeltpunkte.

Dagegen erhob der Kläger am 09. August 2001 Widerspruch und führte zur Begründung aus, die Bevorzugung von Versicherten in der Montanindustrie und die Stichtagsregelung in § 237 Abs. 4 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verstießen gegen Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG).

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2002, der am 16. Januar 2002 als Einschreiben zur Post gegeben und den Klägerbevollmächtigten am 17. Januar 2002 zugestellt worden ist, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil der Klä ger die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung in § 237 Abs. 4 SGB VI nicht erfülle.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 26. Februar 2002 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und vor getragen, der Gesetzgeber benachteilige Angestellte aus der Chemiebranche ungerechtfertigt gegenüber Arbeitnehmern im Berg bau. Beide Personengruppen hätten in gleicher Weise darauf ver traut, dass sie die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosig keit ungekürzt in Anspruch nehmen könnten. Im Vertrauen auf den Fortbestand dieser Regelung habe seine Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat einen Sozialplan vereinbart. Aufgrund dieses Sozialplans sei er gekündigt worden. Der Gesetzgeber habe offenbar übersehen, dass zahlreiche (Groß-)Unternehmen auf der Grundlage des alten Rentenrechts mit ihren Arbeitnehmern Vereinbarungen getroffen hätten, die ihnen das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ohne Verlust ihres Sozialstatus ermöglichten. Im Übrigen sei die Stichtagsregelung nicht nachvollziehbar.

Mit Beschluss vom 22. Oktober 2002 hat das SG dem Kläger wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Klage mit Urteil vom 25. Februar 2003 ab gewiesen: Die Beklagte habe den Zugangsfaktor zutreffend gekürzt und die Altersrente auf dieser Basis korrekt berechnet. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung lägen nicht vor, weil der Kläger nach dem Stichtag (14. Februar 1941) geboren, nicht aus einem Betrieb der Montanindustrie aus geschieden und keine 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt habe. Diese Bestimmung verstoße weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes. Am 14. Februar 1996 habe das Bundeskabinett das Eckpunktepapier beschlossen, das der späteren gesetzlichen Vertrauensschutzregelung zugrunde liege. Von diesem Tag an hätten alle Versicherten, die jünger als 55 Jahre gewesen seien, nicht mehr auf den Fortbestand der bisherigen gesetzlichen Vorschriften vertrauen können. Der Stichtag orientiere sich an dem Ziel des Gesetzgebers, die er hebliche Ausweitung der Frühverrentungspraxis schnell und ef fektiv einzudämmen. Härten, die mit der notwendigen Stichtags- regelung verbunden seien, müsse der Kläger hinnehmen. Die Besserstellung von Beschäftigten der Montanindustrie beruhe auf europäischem Gemeinschaftsrecht und sei deshalb verfassungs-rechtlich gerechtfertigt. Auch ein Verstoß gegen Art. 14 GG läge nicht vor, weil der Kläger die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu einem späteren Zeitpunkt ungekürzt hätte in Anspruch nehmen können.

Nach Zustellung des Urteils am 13. März 2003 hat der Kläger dagegen am 18. März 2003 Berufung eingelegt: Es sei nicht vertretbar, dass der Gesetzgeber als Stichtag das Datum gewählt habe, an dem das Bundeskabinett ein Eckpunktepapier beschlossen habe. Das Eckpunktepapier habe nur unverbindliche Rahmenvorstellungen enthalten, die am Stichtag noch nicht ausreichend veröffentlicht gewesen seien. Es sei nicht tolerierbar, dass sich der Bürger mit "allen möglichen" Rahmenentwürfen auseinandersetzen müsse, die noch nicht einmal ansatzweise das Stadium der Verbindlichkeit erreicht hätten. Ein Stichtag müsse so gewählt werden, dass die Betroffenen die wesentlichen Änderungen direkt aus dem Gesetz entnehmen könnten. Für den Kläger sei es im Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses bereits zu spät gewesen, im Hinblick auf seine Altersversorgung zu disponieren. Deshalb sei es unverhältnismäßig, ihm eine Rentenkürzung von 17,1% (gemeint: 16,8 %) zuzumuten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25. Februar 2003 abzuändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Rentenbescheids vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2002 zu verurteilen, ihm ab dem 01. September 2001 eine ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit dem Zugangsfaktor 1,0 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte (Versicherungsnummer: 11 170841 S 012) verwiesen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), weil sie rechtmäßig sind. Denn er hat nach § 237 Abs. 4 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) keinen Anspruch auf ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Die Beklagte hat die Altersgrenze von 60 Jahren gem. § 237 Abs. 3 Satz 3 SGB VI in Verbindung mit der Anlage 19 zum SGB VI richtigerweise um 56 Monate angehoben. Da der Kläger die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, musste die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a SGB VI um 0,168 (= 56 x 0,003) auf den Faktor 0,832 mindern und die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit um 16,8% kürzen.

Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 SGB VI erfüllt der Kläger nicht. Denn er ist nach dem Stichtag ( ... 1941) geboren (Nr. 1), nicht aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden (Nr. 2) und hat keine 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt (Nr. 3).

Dies verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) noch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Die Kürzungsvorschriften der §§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a), 237 Abs. 3 Satz 3 SGB VI i.V.m. der Anlage 19 zum SGB VI greifen in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie ein. Dieser Eingriff ist aber durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

Der Kläger hat in seinem Versicherungsleben insgesamt 61,8422 Entgeltpunkte erworben. Diesen Wert schützt die Eigentumsgarantie (st. Rspr., BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980, Az.: 1 BvL 17/77 u.a., SozR 7610 § 1587 Nr. 1). Mit der Kürzung auf 51,4527 Entgeltpunkte greift der Gesetzgeber in diese eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition ein (LSG Sachsen-Anhalt, Urteile vom 16. Januar 2003, L 3 RJ 68/01 und L 3 RJ 70/01; offengelassen von LSG Celle-Bremen, Urteil vom 27. Juni 2002, Az.: L 1 RA 239/01). Dies ist allerdings in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise erfolgt.

Inhalt und Schranken der Eigentumsgarantie werden gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt. Inhaltsbestimmende Normen regeln allgemein und abstrakt das Entstehen und den Erwerb von Rechten, ihren rechtlichen Inhalt, ihre Übertragung und ihren Verlust. Demgegenüber sind Schrankenbestimmungen solche Normen, die in Sonderfällen einzelne Rechtspositionen für bestimmte Berechtigte oder in speziellen Situationen wieder zurücknehmen oder umgestalten oder die vollziehende Gewalt hierzu ermächtigen (Bsp.: Anrechnungsvorschriften). Die Kürzungsregelungen enthalten keine Schranken- sondern eine Inhaltsbestimmung des Eigentums, weil sie die wertbestimmenden Faktoren der Altersrente beeinflussen. Mit ihrer Hilfe wird nämlich die Zahl der Entgeltpunkte durch eine Minderung des Rentenartfaktors gekürzt.

Diese Kürzung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums hat der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum. Dies gilt insbesondere für Regelungen, die die Funktions- und Lei stungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller Versicherten und Rentner erhalten, verbessern oder geänderten wirtschaftlichen Bedingungen anpassen. Insoweit umfasst Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken. Sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Leistungen zu kürzen, den Umfang von Ansprüchen oder Anwartschaften zu vermindern oder diese umzugestalten (BVerfG SozR 7610 § 1587 Nr. 1; BSG, Urteil vom 16. Dezember 1999, Az.: B 4 RA 18/99 R, Soziale Sicherheit 2000, 289, 293). Bei neuen Inhaltsbestimmungen für bereits entstandene Rechte und Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung muss der Gesetzgeber das Verbot einer belastenden Rückwirkung von Rechtsfolgen beachten. Außerdem muss die Inhaltsbestimmung dem Gemeinwohl dienen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (BVerfG, Urteil vom 28. April 1999, Az.: 1 BvL 32/95 u.a., BVerfGE 100, 1, 37f.). Verhältnismäßig sind Eingriffe, die geeignet und erforderlich sind, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, und die für den Betroffenen zumutbar sind, weil sie ihn nicht übermäßig belasten. Diese Anforderungen sind erfüllt.

Mit § 237 Abs. 3 SGB VI in Verbindung mit der Anlage 19 zum SGB VI verstößt der Gesetzgeber nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Eine echte Rückwirkung liegt nämlich nur vor, wenn der Gesetz geber in Tatbestände eingreift, die bereits in der Vergangenheit abgewickelt worden sind (BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1986, Az.: 1 BvR 461/85, BVerfGE 72, 175, 197). Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Denn § 237 Abs. 3 SGB VI entfaltet Rechtswirkungen erst ab seinem Inkrafttreten.

Allerdings kommt der Norm unechte Rückwirkung zu, weil sie auf das Versicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten einwirkt, das in der Vergangenheit begründet worden ist (LSG NW, Urteil vom 25. Oktober 2002, Az.: L 4 RA 103/01). Regelungen mit un echter Rückwirkung sind grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich für den Gesetzgeber allerdings aus dem Prinzip der Rechtssicherheit, was für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz bedeutet. Dieses Vertrauen ist dann enttäuscht, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Bürger nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, a.a.O.).

Der Kläger (und die Arbeitgeberin) haben sich bei der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses offenbar an § 41 Abs. 1a SGB VI in seiner bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung (a.F.) orientiert. Danach sollte die Altersgrenze für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit auf 63 Jahre angehoben werden. Dies hätte beim Kläger zu einer Minderung des Zugangsfaktors von 1,0 um 0,108 (= 36 x 0,003) auf 0,892 geführt und damit zu einer Kürzung um 10,8 %. Diese Anhebung der Altersgrenzen und die damit einhergehende Einführung von Abschlägen zog der Gesetzgeber je doch mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl. I, 1461) vor und beschleunigte sie durch kürzere zeitliche Anhebungsabstände, was beim Kläger zu einer Rentenminderung um weitere 6% auf 16,8% geführt hat. Die Vorziehung und Verkürzung der Anhebungsphase wird in der Literatur vereinzelt für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten (Löns in: Kreikebohm, SGB VI, 1997, § 41 Rn. 7): Der Gesetzgeber habe mit der detaillierten Regelung in § 41 Abs. 1 und 2 SGB VI a.F. einen Vertrauenstatbestand in dem Sinne geschaffen, dass die Versicherten mit (weiteren) entwertenden Eingriffen nicht zu rechnen brauchten. Denn Beginn und zeitliche Ausdehnung der Anhebung der Altersgrenzen seien sinn fällig und erklärtermaßen (BT-Drs. 11/4124, 144) darauf gerich tet gewesen, Planungsvorlauf und Planungssicherheit für die Versicherten zu bieten.

Diese verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch. Wird nämlich - wie hier - nur in Rentenanwartschaften einge griffen wird, so ist zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist (BVerfG, Beschluss vom 01. Juli 1981, Az.: 1 BvR 874/77 u.a., BVerfGE 58, 81, 110). Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, dass er im Jahre 2001 die Altersrente wegen Ar beitslosigkeit nach dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht des Rentenreformgesetzes (RRG) 1992 erhalten würde. Denn ein Versicherter kann nicht erwarten und darf mithin auch nicht darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Vorschriften über Leistungen bis zum Eintritt des Versicherungsfalles unverändert fortbestehen (BSG, Urteil vom 18. April 1996, Az.: 4 RA 36/94, Mitteilungen LVA Rheinprovinz 1996, 427, 430). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die letzte einschneidende Änderung des Renten rechts durch das RRG 1992 bei Inkrafttreten der Kürzungsvorschriften gerade 5 Jahre zurücklag (so LSG NW, a.a.O.; LSG Celle-Bremen, Urteil vom 27. Juni 2002, L 1 RA 239/01) und der Kläger im Zeitpunkt seiner Kündigung noch nicht alle Voraussetzungen für einen Rentenbezug (Wartezeit, einjährige Arbeitslosigkeit, Vollendung des 60. Lebensjahres und Antragstellung) erfüllt hatte. Er hatte mithin erst eine - wenn auch schon kon kretisierbare - Anwartschaft auf die (vorzeitige) Rentenleistung erworben, so dass er auf der Skala der in ihrem Vertrauen geschützten Berechtigten nur eine untere Position einnahm. Außerdem hat der Gesetzgeber die Anhebungsphase bereits im September 1996 vorgezogen bzw. verkürzt und damit 5 Jahre bevor die günstigere Regelung des § 41 Abs. 1a SGB VI a.F. überhaupt zugunsten des Klägers eingreifen konnte. Dieser war nämlich erst ab September 2001 von der Verschärfung der Kürzungsrege lungen betroffen. Spätestens mit Erlass des WFG im September 1996 konnte er diese Entwicklung absehen. In diesem fünfjähri gen Zeitraum von September 1996 bis August 2001 hatte er nach Ansicht des Senats hinreichend Zeit, sich auf die neue renten-rechtliche Situation einzustellen. Auf den Fortbestand des § 41 Abs. 1a SGB VI a.F. konnte er bei Rentenbeginn nicht mehr vertrauen (LSG NW, Urteil vom 21. Januar 2003, Az.: L 18 KN 118/02).

Die Kürzungsregelungen waren geeignet, das gesetzgeberische Ziel zumindest zu fördern. Dieser Zweck ging dahin, die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern (BT-Drs. 13/4336, S.1). Spätestens Mitte der 90er Jahre stiegen die Ausgaben der deutschen Rentenversicherer während gleichzeitig die Beitragseinnahmen sanken. Einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung hatten gerade auch die Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit, weil über sie die meisten Frühverrentungen erfolgten. Der Anteil dieser Rentenart am Gesamt-Rentenzugang war von ca. 8% im Jahre 1980 auf ca. 21% im Jahre 1994 angestiegen. Zwischen 1992 (ca. 54.000 Rentenneuzugänge) und 1995 (ca. 294.000 Rentenneuzugänge) stieg die Zahl der Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit dramatisch an. Dies führte zu Kosten in Höhe von rund 22 Mrd. DM je 100.000 Arbeitnehmer bzw. Rentenneuzugänge (vgl. Köhler-Fleischmann, SGb 1999, 587, 589; BSG, Urteil vom 01. Dezember 1999, Az.: B 5 RJ 24/98 R). Nach der Gesetzesbegründung sollten mit dem Vorziehen der Altersgrenzenanhebung Einsparungen in Höhe von ca. 17 Milliarden DM bis 2003 erzielt werden (BT-Drs. 13/4336, S. 3). Die Kürzungsregelungen waren somit geeignet, den finanziellen Verlust der Rentenversicherung zu mildern.

Die angestrebten Einsparungen hätten auch nicht mit weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden können. Denn bei unveränderter Anhebung der Altersgrenzen hätten die genannten Einsparungen nicht erzielt werden können. Ob auch andere gesetzli che Regelungen zu dem gleichen oder zumindest zu einem gleich wertigen Erfolg geführt hätten, ist im Übrigen unbeachtlich, weil die Auswahl der Regelungsinstrumentarien in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1987, Az.: 1 BvR 488/86 u.a., SozR 4100 § 242b Nr. 3; BSG, Urteil vom 18. April 1996, Az.: 4 RA 36/94, SozR 3-2600 § 71 Nr. 1).

Obgleich die Kürzungsregelungen den Kläger erheblich belasten und zu einer Kürzung seiner Rente um 16,8 % geführt haben, sind sie gemessen an der Bedeutung des gesetzgeberischen Ziels einer möglichst rasch greifenden Beendigung der bisherigen Frühverrentungspraxis verbunden mit einer Verbesserung der Finanzlage verhältnismäßig und für den Kläger zumutbar. Denn die Abwägung zwischen seinem Vertrauen auf die Beibehaltung der ihm durch das bisherige Recht eingeräumten Rechtsposition und dem öffentlichen Interesse an deren Veränderung ergibt, dass dem öffentlichen Interesse an Einsparungen und Erhaltung der Flexibilität des Systems der Vorzug einzuräumen ist. Die Konsolidierung und Stabilisierung der Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG ein hohes Gemeinschaftsgut. Hervorzuheben ist außerdem, dass der Gesetzgeber die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für den Kläger nicht gänzlich ab geschafft, sondern lediglich modifiziert hat. Die Anhebung der Altersgrenzen und die damit korrespondierenden Rentenkürzungen erfolgen zudem stufenweise und keinesfalls abrupt. Überdies werden die Kürzungen für rentennahe Jahrgänge durch Übergangs vorschriften und Ausgleichsmöglichkeiten abgemildert: Als Übergangsvorschrift hat der Gesetzgeber § 237 Abs. 4 SGB VI eingeführt, mit dem rentennahe Jahrgänge von der Vorziehung und Beschleunigung der Altersgrenzenanhebung ausgenommen wurden. Die Vorschrift erstreckt sich allerdings nur auf Versicherte, die "bis zum 14. Februar 1941 geboren", also im Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses 55 Jahre oder älter waren. Zu diesem begünstigtem Personenkreis gehört der Kläger nicht. Er hätte je doch die Ausgleichsmöglichkeit des § 187a SGB VI nutzen können, um die Minderung des Rentenzahlbetrags zu vermeiden oder abzumildern. Nach dieser Vorschrift konnte der Kläger durch Zahlung zusätzlicher Beiträge den Rentenzahlbetrag (ausgleichend) erhöhen und damit der zahlbetragssenkenden Wirkung entgegensteuern. Hierfür hätte er z.B. seine Abfindung aus dem Sozialplan oder andere private Mittel verwenden können. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit 1992 nicht mehr darauf vertrauen konnte, auch in Zukunft langfristig ohne Abschläge vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente zu erhalten, weil der Gesetzgeber schon mit dem RRG 1992 mit der Anhebung der Altersrenten begonnen hatte (LSG NW, Urteil vom 21. Januar 2003, Az.: L 18 KN 118/02; LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.; vgl. auch LSG Neubrandenburg, Urteil vom 28. Februar 2001, L 4 RA 65/00 und LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Sep tember 2002, Az.: L 3 RJ 23/01).

Die Kürzungsregelungen sind auch mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar. Art. 3 Abs. 1 GGG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zubehandeln. Damit ist dem Gesetz geber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er bei der Ausgestaltung von Rechtsnormen eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st. Rspr., zuletzt BVerfG, Urteil vom 06. März 2002, Az.: 2 BvL 17/99, SozR 3-1100 Art. 3 Nr. 176; BSG, Urteil vom 03. Juli 2002, Az.: B 5 RJ 22/01 R). Entsprechendes gilt für eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (BVerfG, Beschluss vom 23. März 1994, Az.: 1 BvL 8/85, SozR 3-4100 § 111 Nr. 6). Geht es um die Gleich- oder Ungleichbehandlung von Personengruppen, ergeben sich für den Gesetzgeber je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Schranken, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1995, Az.: 1 BvR 892/88, SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum sind dabei umso engere Grenzen gezogen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten nachteilig auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten auswirken kann. Außerhalb dieses Bereichs lässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber jedoch weit gehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1978, 2 BvL 3/78, BVerfGE 49, 280, 283; BSG, Urteil vom 17. Januar 1991, Az.: 13 RJ 3/91, SozR 3-5750 Art. 2 § 62 Nr. 6).

Bezogen auf die Kürzungsregelungen, die der Kläger angegriffen hat, ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers denkbar groß und nur durch das Willkürverbot begrenzt (vgl. BVerfG SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Denn sie betreffen lediglich die Bemessung von Sozialleistungen; unmittelbare Auswirkungen auf Freiheits rechte des Klägers sind nicht ersichtlich (LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Der Kläger (und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe) wird mit Blick auf § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anders behandelt als diejenigen, die bis zum 14. Februar 1941 geboren sind (Vergleichsgruppe). Im Gegensatz zur Ausgangsgruppe werden die Altersrenten der Vergleichsgruppe - bei sonst identischem Sachverhalt - weniger stark gekürzt, was zu einer Besserstellung der Vergleichsgruppe führt. Diese Ungleichbehandlung aufgrund des Stichtages ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Gesetzgeber kann in den Grenzen des Willkürverbots grundsätzlich frei entscheiden, ob eine begünstigende Regelung erforderlich ist und bis wann sie gelten soll (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980, Az.: 1 BvL 136/78 u.a., BVerfGE 53, 224, 253 f.). Der Gesetzgeber muss dabei nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählen (BVerfG, Beschlüs se vom 19. Februar 1991, Az.: 1 BvR 1231/85, BVerfGE 83, 395, 401 und vom 08. Oktober 1991, Az.: 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 359), vielmehr genügt es, wenn sich "irgendein sachlich vertretbarer zureichender Grund anführen lässt" (BVerfG, Be schlüsse vom 15. Oktober 1985, Az.: 2 BvL 4/83, BVerfGE 71, 39, 58 und vom 08. April 1987, Az.: 2 BvR 908/92 u.a., BVerfGE 75, 108, 157). Eine insofern zulässige Erwägung kann dabei nicht nur im eigentlichen Zweck der betreffenden Regelung liegen, sondern beispielsweise auch in der Praktikabilität der Regelung (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1976, Az.: 1 BvR 631/96 und 1 BvR 24/70, BVerfGE 41, 126, 188; BSG, Urteil vom 27. Juni 1996, Az.: 11 Rar 77/95, SozR 3-4100 § 111 Nr. 14) oder in finanziellen Gesichtspunkten (BVerfG, Urteil vom 07. Juli 1992, Az.: 1 BvL 51/86 u.a., SozR 3-5761 Allg. Nr. 1). Stichtagsregelungen sind trotz der damit verbundenen Härten zulässig (BVerfG, Ur teil vom 08. April 1986, Az.: 1 BvR 1186/83 u.a., BVerfGE 71 364, 397), sofern sich "die Einführung eines Stichtages ...am vorgegebenen Sachverhalt orientiert" (BVerfG, Beschluss vom 01. Juli 1981, Az.: 1 BvR 874/77, SozR 2200 § 1255a Nr. 7). Der Stichtag (Geburtstag bis zum 14. Februar 1941) knüpft an den Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses vom 14. Februar 1996 an und macht den Vertrauensschutz u.A. davon abhängig, dass der Versicherte an diesem Tag das 55. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Der Gesetzgeber hat sich damit eng am vorgegebenen Sach verhalt orientiert (LSG NW, Urteil vom 25. Oktober 2002, Az.: L 4 RA 103/01). Er ging davon aus, dass Versicherte, die das 55. Lebensjahr vollendet oder überschritten hatten, nicht mehr flexibel auf die neue Gesetzeslage reagieren konnten. Dies erscheint keinesfalls sachfremd. Dabei unterstellte er pauschal, dass jüngeren Versicherten noch genügend Zeit verbleibt, ihre weitere Lebensplanung auf die neue Rechtslage einzustellen und mutete ihnen zu, weitere Versicherungszeiten - beispielsweise durch Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses - zu erwerben. Diese Pauschalierung ist praktikabel und im Lichte des Art. 3 GG zulässig. Denn sie erspart den Rentenversicherungsträgern die verwaltungsaufwändige Prüfung, welche Versicherten noch flexibel auf die Neuregelung reagieren konnten und welche nicht. Außerdem ist die Festsetzung eines möglichst frühen Stichtags durch finanzielle Gesichtspunkte gerechtfertigt. Anlass für die Kürzungsregelungen war die erhebliche Ausweitung der Frühverrentungspraxis, die die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenver sicherung mit Kosten belastete, die letztlich nur über höhere Beitragssätze zu finanzieren gewesen wäre. Dies hätte dem Standort Deutschland und die künftige Finanzierbarkeit sozialer Sicherungssysteme gefährdet. Im Hinblick darauf, dass in den Folgejahren geburtenstarke Jahrgänge Frühverrentungsmaßnahmen in Anspruch nehmen konnten, war schnelles Handeln geboten.

Der Kläger (und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe) wird mit Blick auf § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB VI zudem anders behandelt als die Versicherten, die aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind (Vergleichsgruppe). Im Gegensatz zur Ausgangsgruppe werden die Altersrenten der Vergleichsgruppe nur moderat gekürzt, wenn sie bis zum 14. Februar 1944 geboren sind und aufgrund einer Maßnahme nach Artikel 56 § 2 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind. Dies führt zu einer Besserstellung der Vergleichsgruppe. Diese Ungleichbehandlung aufgrund des (späteren) Stichtages ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie auf europäischem Gemeinschaftsrecht beruht (LSG NW, Urteile vom 25. Ok tober 2002, Az.: L 4 RA 103/01 und vom 21. Januar 2003, Az.: L 18 KN 118/02; Klattenhof in: Hauck/Haines, Bd. II, § 237 Rn. 76).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) der Rechtssache zugelassen. Bislang liegt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vor, ob der Gesetzgeber die Anhebung der Altersgrenzen vorziehen und beschleunigen durfte. Die Rechtssache hat auch allgemeine Bedeutung, weil die Kürzungsvorschriften gravierend sind und eine erhebliche Zahl von Versicherten erfassen.
Rechtskraft
Aus
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