L 13 RA 167/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 RA 918/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 167/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1952 geborene Klägerin erlernte zunächst den Beruf der Verkäuferin, war dann als Datentypistin und zuletzt als Sekretärin beschäftigt.

Im Anschluss an ein stationäres Heilverfahren wegen Erkrankungen an der Wirbelsäule stellte die Klägerin am 16.06.1997 Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Ausschlaggebend dafür waren Feststellungen eines Gutachters der Arbeitsverwaltung vom April 1997, wonach wegen eines "schwersten" Schmerzzustandes nach Bandscheibenvorfall keine Vermittelbarkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes gegeben sei.

Nach nervenärztlicher Begutachtung durch die Beklagte (Dr. R. vom 14.09.1997) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.10.1997 die Gewährung einer Rentenleistung ab, da die Klägerin trotz rezidivierender Wurzelreizerscheinungen an der Lendenwirbelsäule Tätigkeiten in ihrem bisherigen Berufsbereich weiterhin vollschichtig ausüben könne. Der Widerspruch der Klägerin wurde nach Durchführung eines weiteren Heilverfahrens und Einholung eines orthopädischen Gutachtens (Dr. K. vom 04.05.1998) mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1998 zurückgewiesen. Die Klägerin sei noch im Stande, leichte Tätigkeiten ohne einseitige Körperhaltung und nicht mit ständigem Sitzen, Stehen oder Gehen bzw. ständigen Zwangshaltungen vollschichtig zu verrichten.

Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Klage hat das Sozialgericht München (SG) mit Urteil vom 08.06.2000 nach Einholung eines Gutachtens des Orthopäden Dr. F. vom 10.09.1999 abgewiesen. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Ihre Erwerbsfähigkeit sei noch nicht in rentenberechtigendem Grade eingeschränkt. Die von Dr. F. festgestellten Gesundheitsstörungen und die hierdurch hervorgerufenen Leistungsbeeinträchtigungen stünden einer vollschichtigen Arbeitsleistung als Datentypistin nicht entgegen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt, weil ihre Erkrankungen eine vollschichtige Tätigkeit als Datentypistin nicht mehr zuließen, wie durch Atteste ihrer behandelnden Ärzte belegt sei. Danach bestünden eine Fibromyalgie sowie ein chronifizierter Wurzelreiz als auch eine depressive psychasthenische Entwicklung. Dr. F. habe ihre Erkrankungen nicht vollständig erfasst.

Das LSG hat zunächst ein Gutachten und später eine Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 18.10.2001/ 15.04.2002 eingeholt. Danach bestehe im wesentlichen ein chronisches Schmerzsyndrom im Sinne einer rezidivierenden Lumboischialgie bei Wurzelirritation L 5 auf S 1 links, außerdem ein Halswirbelsäulensyndrom mit schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit und ein Kopfschmerzsyndrom neben einem depressiven Erschöpfungssyndrom mit phobischer Färbung. Dennoch könne die Klägerin ab Mai 1997 noch unter den üblichen Bedingungen vollschichtig im Umfang von 8 Stunden arbeiten. Dabei dürfe es sich aber nur um leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten und ohne die Notwendigkeit von häufigem Bücken handeln. Bei dieser Einschätzung ist der Sachverständige in seiner weiteren Stellungnahme unter Auseinandersetzung mit Einwänden der Klägerin verblieben. Das LSG hat ein weiteres Gutachten beim Orthopäden Dr. G. (vom 28.06.2002) eingeholt, wonach sich auch nach Würdigung neuerer kernspintomographischer Befunde der Lenden- und Halswirbelsäule gegenüber den Vorgutachten keine andere Beurteilung ergebe. Trotz der degenerativen Prozesse der Hals- und Lendenwirbelsäule bestünden lediglich qualitative und keine quantitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens. Auf Antrag der Klägerin veranlasste der Senat das Gutachten des Neurologen Dr. S. vom 12.12.2002, das mit den bisherigen Begutachtungsergebnissen übereinstimmt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 08.06.2000 sowie des Bescheides der Beklagten vom 22.10.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1998 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 Rente we- gen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Ansicht verblieben, dass der Beruf der Datentypistin zwar nur noch halb- bis untervollschichtig ausgeübt werden, die Klägerin jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein könne. Damit sei sie nicht berufsunfähig, was gleichzeitig auch die Annahme von Erwerbsunfähigkeit ausschließe.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz sowie der Einheitsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Versichertenrente gerichtete Berufung ist statthaft und zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 01.03. 1993 - SGG -). Sie ist auch fristgemäß eingelegt (§§ 151 Abs. 1, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2, 66 Abs. 2 SGG) sowie auch ansonsten zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg.

In der angefochtenen Entscheidung hat das SG zu Recht einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verneint.

Ungeachtet des Vorliegens der allgemeinen Wartezeit und der besonderen persönlichen Voraussetzungen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (besondere Belegungsdichte nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) - insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG in der Fassung der Vereinfachungsnovelle vom 11.01.1993, BGBl. I, 50)- ist die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig oder teilweise erwerbsgemindert.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI i. d. F. des Rentenreformgesetzes 1992 - RRG 92). Wegen des für die beschäftigungslose Klägerin geltenden richterrechtlichen Gewohnheitsrechts zu Arbeitsmarktrenten (Beschluss des Großen Senats des BSG vom 11.12.1996, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr. 13) genügt zwar schon ein Unvermögen zur vollschichtigen Berufsausübung, aber auch daran ist die Klägerin durch ihren Gesundheitszustand nicht gehindert. Zur Beurteilung des zunächst festzustellenden beruflichen Leistungsvermögens stützt sich der Senat auf die Feststellungen aller Sachverständigen, des Orthopäden Dr. F. aus erster Instanz, des Neurologen und Psychiaters Dr. S. und des Neurologen Dr. S. , des Orthopäden Dr. G. sowie der Gutachter im Verwaltungsverfahren Dres. R. und K ...

Auf orthopädischem Gebiet besteht danach ein chronifizierter Wurzelreiz an der Lendenwirbelsäule ohne Zeichen eines sensomotorischen Defizits, abgesehen von einer leichten Fußheber- und Großzehenheberschwäche links. Zusätzlich findet sich ein chronisch rezidivierendes Halswirbelsäulensyndrom, ebenfalls ohne sensomotorische Ausfälle. Das Heben schwerer Lasten, eine Zwangshaltung und häufiges Bücken sind damit nicht mehr möglich. Tätigkeiten, vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels können aber noch vollschichtig ausgeführt werden. Dem widersprechen die vorgelegten Atteste des Hausarztes Dr. S. und des Neurologen Dr. Dr. W. nicht. Keine besonderen Einschränkungen bestehen auf neurologischem Gebiet, außer Beeinträchtigungen durch ein Kopfschmerz-Syndrom. Dies steht auch auf Grund des nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens des Dr. S. fest und bestätigt damit die von der Klägerin in Zweifel gezogenen Gutachtensergebnisse des Dr. S ... Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt ein depressives Erschöpfungssyndrom mit phobischer Färbung vor. Befunde oder Symptome, die die Annahme einer Fibromyalgie rechtfertigten, fand der Sachverständige Dr. S. nicht. Dieser nimmt anders als Dr. S. statt einer Depression mit körperlicher Ausgestaltung das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung an. Im positiven Leistungsprofil eines vollschichtigen Erwerbsvermögens stimmen diese Sachverständigen aber überein. Lediglich Arbeiten unter starkem Zeitdruck, mit erhöhtem Publikumsverkehr oder besonderen Anforderungen an die Nervenkraft sind ausgeschlossen.

Damit kann die Klägerin, die eine Lehre als Verkäuferin erfolgreich abgeschlossen hat, vier Monate als Datentypistin ausgebildet worden ist und von 1977 bis 1994 als Sekretärin in einer Arzneimittelfabrik und anschließend kurzfristig als Sekretärin und Sachbearbeiterin beschäftigt war, weiterhin Tätigkeiten ihres bisherigen Berufs als kaufmännische Angestellte, den sie durch praktische Tätigkeit und die Ausbildung als Einzelhandelskaufmann im Verkauf erlangt hat, ausüben. Der Einwand der Klägerin, als Datentypistin wegen ausschließlicher Tätigkeit am Computer mit ständiger Sitzhaltung nicht arbeiten zu können, steht dem nicht entgegen. Anders als bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit noch im Beschäftigungsverhältnis stehender Versicherter ist nicht auf den letzten Arbeitsplatz abzustellen, sondern auf das gesamte Berufsfeld kaufmännischer Tätigkeiten. Diese Tätigkeiten sind körperlich leicht und werden in geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels verrichtet. Die gesundheitlichen Anforderungen an den Beruf des Bürokaufmannes haben sich, wie berufskundliche Stellungnahmen der Landesarbeitsämter, besonders die den Beteiligten übersandte Auskunft des Landesarbeitsamtes Bayern an das Sozialgericht Würzburg, Az. S 6 RJ 93/99, vom 19.09. 2001 belegen, zwar durch den zunehmenden Einsatz der EDV in den letzten Jahren gewandelt. Durch die komplexen Arbeits- und Informationsmöglichkeiten am Computer besteht immer weniger Gelegenheit einen Haltungswechsel zu vollziehen. Dennoch erfolgt diese Tätigkeit gerade in ihrer Vielfältigkeit, was sich ebenfalls aus der genannten Auskunft ergibt, nicht ausschließlich im Sitzen, wie auch im Rahmen der persönlichen Verteiltzeit nach dem Arbeitszeitgesetz ein Haltungswechsel möglich ist. Somit kann die Klägerin weiterhin ihren bisherigen Beruf ausüben, ist nicht berufsunfähig nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Rechtszustand und genießt insoweit keinen Bestandsschutz (§ 302b SGB VI des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - EMRefG - BGBl I, S. 1827). Aber auch nach der Rechtslage unter Geltung des EMRefG (In-Kraft-Treten zum 01.01.2001, vgl. Art. 24), besteht kein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI i.d.F. des EMRefG besteht ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig ist aber nur, wessen Erwerbsfähigkeit in der maßgeblichen Tätigkeit auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Dies ist bei der Klägerin, die noch acht Stunden ihrem Beruf nachgehen kann, erst recht nicht der Fall.

Bei der gegebenen Möglichkeit zu vollschichtiger Erwerbstätigkeit in ihrem Beruf ist die Klägerin schon nach der Definition dieses Versicherungsfalles nicht erwerbsunfähig. Denn berufs- oder erwerbsunfähig ist nach dem 2. SGB VI-Änderungsgesetz vom 02.05.1996 (BGBl I S. 659) nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§§ 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB VI). Diese Rechtslage ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI i.d.F. EMRefG beibehalten worden, allerdings mit einer Verschärfung der Anspruchsschwelle von 8 auf 6 Stunden. Damit ist die Klägerin auch nicht voll (unter 6 Stunden) oder teilweise (unter 3 Stunden) erwerbsunfähig (§ 43 Abs. 1 Satz 1, Nr.1 und Satz 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI i.d.F. des EMRefG).

Das Risiko, ob ein Versicherter auf eine dem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsstelle vermittelt werden kann, fällt in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung (BSGE 56, 69; 44, 39).

Nach alledem ist daher das Urteil des SG nicht zu beanstanden und die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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