L 15 VG 1/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 VG 1/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 1/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Es wird festgestellt, dass die Berufung des Klägers (L 15 VG 8/01) gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 1. März 2001 zurückgenommen und der Rechtsstreit damit in der Hauptsache erledigt ist. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme streitig.

Der am 1925 geborene Kläger beantragte am 31.08.1995 die Übernahme von Krankenhauskosten nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er sei am 08.07.1995 in seiner Wohnung in T. von seiner Tochter P. und seinem Schwiegersohn L. M. tätlich angegriffen worden und habe sich deshalb in stationäre Behandlung begeben müssen. Nach einer vom Kläger vorgelegten Rechnung des Kreiskrankenhauses T. war der Kläger vom 08.07. bis 28.08.1995 wegen folgender Gesundheitsstörungen in stationärer Behandlung: Prellung rechtes Kniegelenk bei bestehendem Vorschaden, leichte Schädelprellung, Prellung sowie Distorsion der HWS, Prellung bzw. Quetschung der Halsweichteile mit streifiger Kontusionsmarke, Brustkorbprellung rechts, Quetschung mit Blutergussbildung linker Oberarm.

Nach Beiziehung der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft W./Oberpfalz lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 09.11. 1995 den Antrag des Klägers nach dem OEG ab, da nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei, der ursächlich für die geltend gemachten Verletzungen und Schmerzen sei. Die Angaben des Klägers und die seines Schwiegersohnes seien widersprüchlich. Neutrale Zeugen für das Geschehen gebe es nicht.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.1997 zurückgewiesen, nachdem der Beklagte auch die Ermittlungsakten bezüglich eines vom Kläger gegen seine Ehefrau und Tochter eingeleiteten Strafverfahrens beigezogen und ausgewertet hatte. Der Beklagte zog auch die Akte des Amtsgerichts T. (C 370/95) bei. Danach endete ein Zivilrechtsstreit des Klägers gegen seine Tochter und seinen Schwiegersohn auf Schmerzensgeld wegen unerlaubter Handlung sowie Zahlung von Mietrückständen und Räumung einer Wohnung mit Abweisung seiner Klage und Verurteilung des Klägers auf Widerklage, bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM die Behauptung zu unterlassen, er sei am 08.07.1995 von seiner Tochter und deren zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann geschlagen worden (Endurteil des Landgerichts Weiden vom 18.03.1997).

Das anschließend vom Kläger beim Sozialgericht Regensburg anhängig gemachte Klageverfahren endete am 01.03.2001 mit einem die Klage abweisenden Urteil. Das Sozialgericht hielt ebenfalls einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff für nicht nachgewiesen, nachdem die Tochter von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte und ein ärztliches Attest vorgelegt worden war, wonach die Ehefrau des Klägers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr vor Gericht als Zeugin auftreten könne.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 13.08.2001 beim Bayer. Landessozialgericht Berufung eingelegt und weiterhin eine Entschädigung nach dem OEG wegen einer Gewalttat am 08.07.1995 begehrt.

Zu einem für den 11.12.2001 anberaumten Erörterungstermin hat der Kläger gesundheitsbedingt nicht erscheinen können. In der Sitzungsniederschrift ist der Kläger von der Berichterstatterin darauf hingewiesen worden, dass nach Aktenlage nicht klar sei, was sich am 08.07.1995 im einzelnen ereignet habe. Nachdem die Tochter des Klägers sich erneut auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen habe und die Ehefrau an fortgeschrittener Alzheimerkrankheit leide, sei der Sachverhalt offensichtlich nicht mehr objektiv aufzuklären, was nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu seinen Lasten gehe. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass dem Kläger, falls er den Rechtsstreit weiter betreiben wolle, Mutwillenskosten auferlegt werden können.

In der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2002 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers nach nochmaligem entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden in der Sitzungsniederschrift die Berufung zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 06.01.2003, eingegangen am 08.01.2003, hat der Kläger mitgeteilt, dass er mit der Rücknahme seiner Berufung nicht einverstanden sei und diese hiermit anfechte. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 05.02.2003 darauf hingewiesen, dass seines Erachtens die Berufung am 26.11.2002 durch die Bevollmächtigte des Klägers rechtswirksam zurückgenommen worden sei und Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Bevollmächtigung zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig ersichtlich seien wie Anfechtungsgründe gegen diese Prozesshandlung.

Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.

Er beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass die Berufung im Verfahren L 15 VG 8/01 nicht wirksam zurückgenommen wurde, sowie den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 01.03.2001 sowie des Bescheides vom 09.11.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.09.1997 zu verurteilen, ihm wegen des Ereignisses am 08.07.1995 Leistungen nach dem OEG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

festzustellen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 01.03.2001 wirksam zurückgenommen worden und der Rechtsstreit damit in der Hauptsache erledigt ist.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Berufungsakte des vorangegangenen Verfahrens (L 15 VG 8/01) sowie den Inhalt der streitgegenständlichen Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger eingelegte Berufung war zwar gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, der Rechtsstreit L 15 VG 8/01 ist jedoch durch die in der mündlichen Verhandlung am 26.11.2002 erfolgte Berufungsrücknahme in der Hauptsache er- ledigt worden. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 01.03.2001 ist somit rechtskräftig.

Die Zurücknahme der Berufung bewirkt, wenn sie - wie hier - ordnungsmäßig protokolliert wurde (§§ 156 Abs.1, 153 Abs.1, 122 SGG i.V.m. §§ 159, 160 - insbesondere 160 Abs.3 Nr.8 -, 162 Abs.1, 163, 165 Zivilprozessordnung - ZPO -), den endgültigen Verlust des Rechtsmittels der Berufung (§ 156 Abs.2 Satz 1 SGG; BSGE 19, 120). Danach ist ein Antrag auf eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig (BSGE 14, 138; BSG, 25.04.1980, 9 RV 16/97).

Als bedingungsfeindliche Prozesshandlung im Sinne des § 102 SGG kann eine Berufungsrücknahme nicht wegen Willensmängeln, insbesondere Irrtums nach §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angefochten werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rdnr.7c zu § 102). Eine Unzufriedenheit mit der Rücknahme ist ebenfalls kein Anfechtungsgrund. Auch kann die Rücknahmeerklärung nicht mit der Begründung angefochten werden, die von der Bevollmächtigten abgegebene Erklärung habe nicht dem Willen des Klägers entsprochen bzw. sei gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Klägers abgegeben worden. Die vom Kläger am 13.08. 2001 erteilte Vollmacht ermächtigte vielmehr gemäß § 81 ZPO die Bevollmächtigte zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen, wozu auch die Rechtsmittelrücknahme gehört. Solange die Prozessvollmacht besteht, muss der Kläger alle Handlungen und Erklärungen im Rahmen dieser Vollmacht für und gegen sich gelten lassen. Nach erfolgter Bevollmächtigung hätte die erteilte Prozessvollmacht nur durch ausdrückliche, unzweideutige Erklärung (Prozesshandlung), die mit Zugang an den Prozessgegner auch dem Gericht gegenüber wirksam würde, beschränkt werden können (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 24. Auflage, Rdnr.1 zu § 83).

Das durch Berufungsrücknahme rechtskräftig beendete Verfahren könnte nur entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buches der ZPO (§ 179 SGG, §§ 579, 580 ZPO) wieder aufgenommen werden (vgl. BSG vom 24.04.1980 - 9 RV 16/79). Die jeweils dort näher beschriebenen Voraussetzungen, wie z.B. falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, falsches Zeugnis oder Gutachten von Zeugen oder Sachverständigen, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt.

Es ist somit festzustellen, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung im Verfahren L 15 VG 8/01 seit 26.11.2002 erledigt ist (vgl. Meyer-Ladewig, Rdnr.6 zu § 156 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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