Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 71/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 12. Februar 1999 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1965 geborene Klägerin erlernte von August 1983 bis Februar 1987 den Beruf einer Fleischerei-Fachverkäuferin, den sie bis Dezember 1989 ausübte. Vom 27. September 1990 bis 31. Dezember 1992 bezog sie von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit.
Im November 1994 beantragte die Klägerin, ihr erneut eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 3. Juni 1996, Widerspruchsbescheid vom 26. August 1996).
Während des Klageverfahrens beantragte die Klägerin gemäß § 109 SGG die Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. med. von H ... Ohne daß das Sozialgericht (SG) durch förmliche Anordnung dem Antrag stattgegeben hatte, erstattete Dr. med. von H. das Gutachten vom 4. August 1997 und gab auf Anforderung des SG die ergänzende Stellungnahme vom 30. Januar 1998 ab. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, daß die Klägerin leichte körperliche Arbeiten mit im einzelnen genannten Einschränkungen verrichten könne. Sie sei in der Lage, die Tätigkeit einer Telefonistin mit der Möglichkeit der "völligen Schonung" der rechten Hand bei Bedienung der Tastatur mit der linken Hand durchaus sechs Stunden täglich, bei zusätzlichen, betriebsunüblichen Pausen (zB 15 bis 20 Minuten alle zwei Stunden) auch vollschichtig zu verrichten; Tätigkeiten mit teilweiser leichter Mitarbeit der rechten Hand seien nur halbschichtig zumutbar.
Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig; sie könne wegen der Minderbelastbarkeit ihres rechten Handgelenkes zwar nicht mehr den bisherigen Beruf der Fleischerei-Fachverkäuferin ausüben, jedoch noch vollschichtig zumutbare Verweisungstätigkeiten wie die einer Registratorin oder Telefonistin.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach einer in der Berufungsgerichtsakte abgehefteten Kopie teilte das Landessozialgericht (LSG) der Beklagten mit - sog einfachem - Schreiben vom 21. Juli 1998 mit, das Gericht erwäge eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zu treffen. Diese Kopie wies im Briefkopf die Geschäftsstelle des LSG aus und war von einer Verwaltungsangestellten "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnet worden. Das entsprechende Schreiben an die Beklagte war in Ausführung einer Verfügung vom 20. Juli 1998 gefertigt worden; darin war die Geschäftsstelle angewiesen worden, ein gleichlautendes Schreiben an die Beklagte und an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unter Verwendung eines näher bezeichneten "Bausteins" zu senden. Das Namenskürzel unter der Verfügung läßt nicht erkennen, wer die Verfügung getroffen hat. Auf der Verfügung finden sich Vermerke, daß die entsprechenden Schreiben an die Beklagte und an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin abgesandt worden seien. Die Berufungsgerichtsakte enthält nur die genannte Kopie des an die Beklagte gerichteten Schreibens, nicht aber die Kopie eines entsprechenden Schreibens an den - damaligen - Prozeßbevollmächtigten der Klägerin.
Durch Beschluss vom 12. Februar 1999 hat das LSG ohne mündliche Verhandlung durch die drei Berufsrichter die Berufung der Klägerin gegen das SG-Urteil zurückgewiesen. Die Entscheidungsgründe nehmen im wesentlichen auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug.
Mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs iS von Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 SGG. Sie trägt vor, das LSG habe die Berufung ohne mündliche Verhandlung allein durch die Berufsrichter zurückgewiesen, ohne daß sie zuvor gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG gehört worden sei. Bis Mitte September 1998 sei sie im Berufungsverfahren durch Rechtsanwalt H. und anschließend durch ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten vertreten worden. Die Feststellungen des Berufungsgerichts, sie sei mit Schreiben vom 21. Juli 1998 auf eine mögliche Entscheidung durch Beschluss hingewiesen worden, sei unrichtig. Weder sie selbst noch ihr früherer Prozeßbevollmächtigter hätten das Schreiben vom 21. Juli 1998 erhalten. Im übrigen genüge das Anhörungsschreiben nicht den Anforderungen des § 153 Abs 4 SGG, weil es von der Geschäftsstelle des LSG "Auf richterliche Anordnung" versandt worden sei; die Durchführung der Anhörung sei aber richterliche Aufgabe, die nicht auf die Geschäftsstelle delegierbar sei.
Die Entscheidung des LSG beruhe auch auf dem gerügten Verfahrensmangel, weil sie dadurch an einem für die Entscheidung des LSG erheblichen Vortrag gehindert worden sei. Bereits das SG habe die Stellungnahmen des Gutachters Dr. von H. falsch wiedergegeben. Der Gutachter habe ausgeführt, daß - nur - bei der Möglichkeit der "völligen Schonung" der rechten Hand eine Arbeit von sechs Stunden täglich zumutbar
sei; das SG habe diese Aussage dahingehend verändert, daß ein unter vollschichtiger Einsatz bei leichten Arbeiten "ohne besondere" Belastung der rechten Hand, ein vollschichtiger bei zusätzlichen Pausen möglich sei. Das LSG habe in seinem Beschluss das Gutachten um eine weitere Nuance verändert, indem es auf eine "stärkere Belastung" der rechten Hand abgestellt habe. Hätte sie das Anhörungsschreiben vom 21. Juli 1998 erhalten, hätte sie vor der Entscheidung des LSG in Ergänzung ihrer Ausführung in der Berufungsbegründung hierzu sowie zu den Handbelastungen einer Registratorin und Telefonistin ergänzende Ausführungen machen und das LSG unter Beweisantritt zu einer weiteren Beweiserhebung, etwa durch Einholung einer berufskundlichen Stellungnahme, veranlassen können.
Schließlich rüge sie eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Ohne die vorherige Anhörung habe das LSG nicht ohne ehrenamtliche Richter entscheiden dürfen (§§ 33, 153 Abs 4 SGG). Damit liege ein unbedingter Revisionsgrund iS von § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) vor.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Sie ist der Auffassung, das LSG habe in der Sache zutreffend entschieden. Zu den von der Klägerin gerügten Verfahrensmängeln nehme sie nicht Stellung.
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der angefochtene Beschluss des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel, den die Klägerin ordnungsgemäß gerügt hat und auf dem die Entscheidung des LSG beruhen
kann (§§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das LSG hat § 153 Abs 4 SGG und damit Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG verletzt, indem es die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen hat, ohne die Klägerin vorher ordnungsgemäß gehört zu haben.
Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG - außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Regelung gibt dem LSG die Möglichkeit, aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu bearbeiten und trägt zur Entlastung des Berufungsgerichts bei (BT-Drucks 12/1217, S 53 zu Nr 7d). Unverzichtbare Voraussetzung ist jedoch, daß die Beteiligten vorher gehört werden (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG). Damit soll sichergestellt werden, daß durch Wegfall der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör nicht verkürzt wird (BSG, Urteil vom 22. April 1998, SozR 3-1500 § 153 Nr 7).
Das Schreiben des LSG vom 21. Juli 1998 kann diese Funktion schon deshalb nicht erfüllen, weil sich nicht feststellen läßt, daß es der Klägerin bzw ihrem Prozeßbevollmächtigten zugegangen ist. Damit ist nicht weiter darauf einzugehen, ob das Anhörungsschreiben auch inhaltlich den Anforderungen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG genügt hat.
Die Klägerin bestreitet unter Hinweis auf die Erklärung ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten den Zugang des Schreibens. Welche substantiellen Anforderungen an ein solches Bestreiten zu stellen sind, kann hier dahinstehen; denn in jedem Fall muß sich zunächst anhand der Gerichtsakte lückenlos dokumentieren lassen, daß das maßgebliche Schreiben überhaupt an die Beteiligten abgesandt worden ist. Diese "Dokumentationskette" ist vorliegend schon deshalb unterbrochen, weil sich in der Akte des LSG zwar eine Durchschrift des Anhörungsschreibens an die Beklagte, nicht aber an die Klägerin bzw an ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten befindet. Dies ist ein Indiz dafür, daß trotz des Absendevermerks nur ein Anhörungsschreiben an die Beklagte, nicht aber an die Klägerin abgesandt worden ist.
Wenn, wie hier, rechtliches Gehör zu gewähren ist, muß sich das Gericht in jedem Fall vor der Entscheidung davon überzeugen, daß den gesetzlichen Anforderungen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG genügt wurde. Der Senat kann offenlassen, ob das Schreiben des Gerichts, mit dem rechtliches Gehör gewährt wird und dessen Gewährung damit immer zugleich die Einräumung einer angemessenen
Frist zur Stellungnahme mit beinhaltet, formgerecht iS von § 63 SGG zuzustellen ist (so wohl zu vergleichbaren prozessualen Regelungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: BVerwG, Beschluss vom 17. November 1994, 1 B 42/94, Buchholz 310 § 130a Nr 11; Beschluss vom 21. Dezember 1987, 9 C 86/87, BayVBl 1988, 350; Beschluss vom 23. November 1981, 8 C 25/81, Buchholz 312 EntlG Nr 28; Beschluss vom 13. Dezember 1979, 7 C 76/78, Buchholz EntlG Nr 12 = NJW 1980, 1810). Denn jedenfalls "obliegt der Nachweis", daß rechtliches Gehör gewährt wurde, dem Gericht. Ist das Anhörungsschreiben vom Gericht formlos, also unter Verzicht auf die Kontrollmöglichkeiten durch eine Zustellungsurkunde oder ein Empfangsbekenntnis oder durch eingeschriebenen Brief, übermittelt worden, steht bei fehlender Erwiderung und unterbliebener mündlichen Verhandlung nicht fest, daß alle Verfahrensbeteiligten vor Ergehen der Endentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatten (vgl zu rechtlich vergleichbaren Konstellationen: BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1995, 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschluss vom 9. Oktober 1973, BVerfGE 36, 85; Beschluss vom 16. November 1972, BVerfGE 34, 157). Kann ein derartiger "Nachweis" nicht geführt werden, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor.
Da die Klägerin auf das Anhörungsschreiben vom 21. Juli 1998 - unterstellt, dieses ist an sie abgesandt worden - nicht erwidert hat, hätte sich das LSG demnach vor seiner Entscheidung Gewißheit darüber verschaffen müssen, daß das Schreiben der Klägerin zugegangen ist. Dies ist unterblieben. Es ist daher zwingend davon auszugehen, daß der Klägerin rechtliches Gehör iS von § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht gewährt worden ist.
Der angefochtene Beschluss kann auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich das LSG durch die von der Klägerin vorgetragenen ergänzenden Darlegungen zu weiteren Ermittlungen hätte bewegen lassen, was wiederum zu einer für sie günstigen Entscheidung hätte führen können. In Anbetracht des zulässig und begründet gerügten Verfahrensmangels kann der Senat offenlassen, ob auch die Anhörungsmitteilung - wäre sie denn zugegangen - schon deshalb fehlerhaft gewesen wäre, weil sie - jedenfalls wenn man das Schreiben an die Beklagte zugrunde legt - nicht vom Berichterstatter unterschrieben worden ist (vgl hierzu BVerwG, Beschluss vom 17. November 1994, aaO; ferner Behn, Sozialgerichtliche Rechtsprechung zu § 153 Abs 4 SGG, SozVers 1998, 172, 173 mwN). Ebenso kann dahinstehen, ob auch der weitere gerügte Mangel einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts greift.
Da der berufungsgerichtliche Verfahrensmangel im Revisionsverfahren wegen der hier fehlenden Möglichkeit einer ergänzenden Sachaufklärung (§ 163 SGG) nicht geheilt werden kann, ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1965 geborene Klägerin erlernte von August 1983 bis Februar 1987 den Beruf einer Fleischerei-Fachverkäuferin, den sie bis Dezember 1989 ausübte. Vom 27. September 1990 bis 31. Dezember 1992 bezog sie von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit.
Im November 1994 beantragte die Klägerin, ihr erneut eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren. Nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 3. Juni 1996, Widerspruchsbescheid vom 26. August 1996).
Während des Klageverfahrens beantragte die Klägerin gemäß § 109 SGG die Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. med. von H ... Ohne daß das Sozialgericht (SG) durch förmliche Anordnung dem Antrag stattgegeben hatte, erstattete Dr. med. von H. das Gutachten vom 4. August 1997 und gab auf Anforderung des SG die ergänzende Stellungnahme vom 30. Januar 1998 ab. Der Gutachter gelangte zu der Beurteilung, daß die Klägerin leichte körperliche Arbeiten mit im einzelnen genannten Einschränkungen verrichten könne. Sie sei in der Lage, die Tätigkeit einer Telefonistin mit der Möglichkeit der "völligen Schonung" der rechten Hand bei Bedienung der Tastatur mit der linken Hand durchaus sechs Stunden täglich, bei zusätzlichen, betriebsunüblichen Pausen (zB 15 bis 20 Minuten alle zwei Stunden) auch vollschichtig zu verrichten; Tätigkeiten mit teilweiser leichter Mitarbeit der rechten Hand seien nur halbschichtig zumutbar.
Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig; sie könne wegen der Minderbelastbarkeit ihres rechten Handgelenkes zwar nicht mehr den bisherigen Beruf der Fleischerei-Fachverkäuferin ausüben, jedoch noch vollschichtig zumutbare Verweisungstätigkeiten wie die einer Registratorin oder Telefonistin.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach einer in der Berufungsgerichtsakte abgehefteten Kopie teilte das Landessozialgericht (LSG) der Beklagten mit - sog einfachem - Schreiben vom 21. Juli 1998 mit, das Gericht erwäge eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zu treffen. Diese Kopie wies im Briefkopf die Geschäftsstelle des LSG aus und war von einer Verwaltungsangestellten "Auf richterliche Anordnung" unterzeichnet worden. Das entsprechende Schreiben an die Beklagte war in Ausführung einer Verfügung vom 20. Juli 1998 gefertigt worden; darin war die Geschäftsstelle angewiesen worden, ein gleichlautendes Schreiben an die Beklagte und an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unter Verwendung eines näher bezeichneten "Bausteins" zu senden. Das Namenskürzel unter der Verfügung läßt nicht erkennen, wer die Verfügung getroffen hat. Auf der Verfügung finden sich Vermerke, daß die entsprechenden Schreiben an die Beklagte und an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin abgesandt worden seien. Die Berufungsgerichtsakte enthält nur die genannte Kopie des an die Beklagte gerichteten Schreibens, nicht aber die Kopie eines entsprechenden Schreibens an den - damaligen - Prozeßbevollmächtigten der Klägerin.
Durch Beschluss vom 12. Februar 1999 hat das LSG ohne mündliche Verhandlung durch die drei Berufsrichter die Berufung der Klägerin gegen das SG-Urteil zurückgewiesen. Die Entscheidungsgründe nehmen im wesentlichen auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug.
Mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs iS von Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 SGG. Sie trägt vor, das LSG habe die Berufung ohne mündliche Verhandlung allein durch die Berufsrichter zurückgewiesen, ohne daß sie zuvor gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG gehört worden sei. Bis Mitte September 1998 sei sie im Berufungsverfahren durch Rechtsanwalt H. und anschließend durch ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten vertreten worden. Die Feststellungen des Berufungsgerichts, sie sei mit Schreiben vom 21. Juli 1998 auf eine mögliche Entscheidung durch Beschluss hingewiesen worden, sei unrichtig. Weder sie selbst noch ihr früherer Prozeßbevollmächtigter hätten das Schreiben vom 21. Juli 1998 erhalten. Im übrigen genüge das Anhörungsschreiben nicht den Anforderungen des § 153 Abs 4 SGG, weil es von der Geschäftsstelle des LSG "Auf richterliche Anordnung" versandt worden sei; die Durchführung der Anhörung sei aber richterliche Aufgabe, die nicht auf die Geschäftsstelle delegierbar sei.
Die Entscheidung des LSG beruhe auch auf dem gerügten Verfahrensmangel, weil sie dadurch an einem für die Entscheidung des LSG erheblichen Vortrag gehindert worden sei. Bereits das SG habe die Stellungnahmen des Gutachters Dr. von H. falsch wiedergegeben. Der Gutachter habe ausgeführt, daß - nur - bei der Möglichkeit der "völligen Schonung" der rechten Hand eine Arbeit von sechs Stunden täglich zumutbar
sei; das SG habe diese Aussage dahingehend verändert, daß ein unter vollschichtiger Einsatz bei leichten Arbeiten "ohne besondere" Belastung der rechten Hand, ein vollschichtiger bei zusätzlichen Pausen möglich sei. Das LSG habe in seinem Beschluss das Gutachten um eine weitere Nuance verändert, indem es auf eine "stärkere Belastung" der rechten Hand abgestellt habe. Hätte sie das Anhörungsschreiben vom 21. Juli 1998 erhalten, hätte sie vor der Entscheidung des LSG in Ergänzung ihrer Ausführung in der Berufungsbegründung hierzu sowie zu den Handbelastungen einer Registratorin und Telefonistin ergänzende Ausführungen machen und das LSG unter Beweisantritt zu einer weiteren Beweiserhebung, etwa durch Einholung einer berufskundlichen Stellungnahme, veranlassen können.
Schließlich rüge sie eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Ohne die vorherige Anhörung habe das LSG nicht ohne ehrenamtliche Richter entscheiden dürfen (§§ 33, 153 Abs 4 SGG). Damit liege ein unbedingter Revisionsgrund iS von § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) vor.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 12. Februar 1999 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Sie ist der Auffassung, das LSG habe in der Sache zutreffend entschieden. Zu den von der Klägerin gerügten Verfahrensmängeln nehme sie nicht Stellung.
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der angefochtene Beschluss des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel, den die Klägerin ordnungsgemäß gerügt hat und auf dem die Entscheidung des LSG beruhen
kann (§§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Das LSG hat § 153 Abs 4 SGG und damit Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG verletzt, indem es die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen hat, ohne die Klägerin vorher ordnungsgemäß gehört zu haben.
Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG - außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Regelung gibt dem LSG die Möglichkeit, aussichtslose Berufungen rasch und ohne unangemessenen Verfahrensaufwand zu bearbeiten und trägt zur Entlastung des Berufungsgerichts bei (BT-Drucks 12/1217, S 53 zu Nr 7d). Unverzichtbare Voraussetzung ist jedoch, daß die Beteiligten vorher gehört werden (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG). Damit soll sichergestellt werden, daß durch Wegfall der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör nicht verkürzt wird (BSG, Urteil vom 22. April 1998, SozR 3-1500 § 153 Nr 7).
Das Schreiben des LSG vom 21. Juli 1998 kann diese Funktion schon deshalb nicht erfüllen, weil sich nicht feststellen läßt, daß es der Klägerin bzw ihrem Prozeßbevollmächtigten zugegangen ist. Damit ist nicht weiter darauf einzugehen, ob das Anhörungsschreiben auch inhaltlich den Anforderungen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG genügt hat.
Die Klägerin bestreitet unter Hinweis auf die Erklärung ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten den Zugang des Schreibens. Welche substantiellen Anforderungen an ein solches Bestreiten zu stellen sind, kann hier dahinstehen; denn in jedem Fall muß sich zunächst anhand der Gerichtsakte lückenlos dokumentieren lassen, daß das maßgebliche Schreiben überhaupt an die Beteiligten abgesandt worden ist. Diese "Dokumentationskette" ist vorliegend schon deshalb unterbrochen, weil sich in der Akte des LSG zwar eine Durchschrift des Anhörungsschreibens an die Beklagte, nicht aber an die Klägerin bzw an ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten befindet. Dies ist ein Indiz dafür, daß trotz des Absendevermerks nur ein Anhörungsschreiben an die Beklagte, nicht aber an die Klägerin abgesandt worden ist.
Wenn, wie hier, rechtliches Gehör zu gewähren ist, muß sich das Gericht in jedem Fall vor der Entscheidung davon überzeugen, daß den gesetzlichen Anforderungen des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG genügt wurde. Der Senat kann offenlassen, ob das Schreiben des Gerichts, mit dem rechtliches Gehör gewährt wird und dessen Gewährung damit immer zugleich die Einräumung einer angemessenen
Frist zur Stellungnahme mit beinhaltet, formgerecht iS von § 63 SGG zuzustellen ist (so wohl zu vergleichbaren prozessualen Regelungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit: BVerwG, Beschluss vom 17. November 1994, 1 B 42/94, Buchholz 310 § 130a Nr 11; Beschluss vom 21. Dezember 1987, 9 C 86/87, BayVBl 1988, 350; Beschluss vom 23. November 1981, 8 C 25/81, Buchholz 312 EntlG Nr 28; Beschluss vom 13. Dezember 1979, 7 C 76/78, Buchholz EntlG Nr 12 = NJW 1980, 1810). Denn jedenfalls "obliegt der Nachweis", daß rechtliches Gehör gewährt wurde, dem Gericht. Ist das Anhörungsschreiben vom Gericht formlos, also unter Verzicht auf die Kontrollmöglichkeiten durch eine Zustellungsurkunde oder ein Empfangsbekenntnis oder durch eingeschriebenen Brief, übermittelt worden, steht bei fehlender Erwiderung und unterbliebener mündlichen Verhandlung nicht fest, daß alle Verfahrensbeteiligten vor Ergehen der Endentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatten (vgl zu rechtlich vergleichbaren Konstellationen: BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1995, 2 BvR 893/93, NJW 1995, 2095; Beschluss vom 9. Oktober 1973, BVerfGE 36, 85; Beschluss vom 16. November 1972, BVerfGE 34, 157). Kann ein derartiger "Nachweis" nicht geführt werden, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor.
Da die Klägerin auf das Anhörungsschreiben vom 21. Juli 1998 - unterstellt, dieses ist an sie abgesandt worden - nicht erwidert hat, hätte sich das LSG demnach vor seiner Entscheidung Gewißheit darüber verschaffen müssen, daß das Schreiben der Klägerin zugegangen ist. Dies ist unterblieben. Es ist daher zwingend davon auszugehen, daß der Klägerin rechtliches Gehör iS von § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht gewährt worden ist.
Der angefochtene Beschluss kann auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich das LSG durch die von der Klägerin vorgetragenen ergänzenden Darlegungen zu weiteren Ermittlungen hätte bewegen lassen, was wiederum zu einer für sie günstigen Entscheidung hätte führen können. In Anbetracht des zulässig und begründet gerügten Verfahrensmangels kann der Senat offenlassen, ob auch die Anhörungsmitteilung - wäre sie denn zugegangen - schon deshalb fehlerhaft gewesen wäre, weil sie - jedenfalls wenn man das Schreiben an die Beklagte zugrunde legt - nicht vom Berichterstatter unterschrieben worden ist (vgl hierzu BVerwG, Beschluss vom 17. November 1994, aaO; ferner Behn, Sozialgerichtliche Rechtsprechung zu § 153 Abs 4 SGG, SozVers 1998, 172, 173 mwN). Ebenso kann dahinstehen, ob auch der weitere gerügte Mangel einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts greift.
Da der berufungsgerichtliche Verfahrensmangel im Revisionsverfahren wegen der hier fehlenden Möglichkeit einer ergänzenden Sachaufklärung (§ 163 SGG) nicht geheilt werden kann, ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
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