B 2 U 34/01 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 34/01 R
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2001 wird als unzulässig verworfen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger war vom 22. Juli bis 30. September 1997 bei der K Wach- und Schließgesellschaft als Revierwachmann beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Gebäude daraufhin zu prüfen, ob diese verschlossen und unversehrt sind. Die Anzahl und die Intensität der Kontrollen erfolgten in Absprache mit den Auftraggebern. Am 1. September 1997 musste der Kläger ua eine Firma in der Amalienstraße in K überprüfen. Nachdem er dort sein Fahrzeug abgestellt hatte, kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit den Zeugen G und O, bei der sich der Kläger erhebliche Verletzungen zuzog. Der Polizei wurde am Unfalltag gegen 4.50 Uhr über Funk gemeldet, dass gegen 4.40 Uhr ein versuchter Raub zum Nachteil des Klägers verübt worden sei. Ihre ersten Ermittlungen am Ort ergaben, dass sich der Kläger zur Tatzeit in seinem Dienstfahrzeug im Bereich Amalienstraße/Douglasstraße befand. Die Zeugen G und O hatten beim Eintreffen der Polizei den Tatort bereits verlassen. Während der Kläger angab, von den Zeugen angegriffen worden zu sein, machten diese bei späteren Vernehmungen auf der Polizeiwache geltend, der Kläger seinerseits habe die tätliche Auseinandersetzung begonnen, weil er vom Zeugen G einen Betrag von 300,00 DM, den dieser dem Kläger schuldete, habe zurück haben wollen. Außerdem soll der Kläger den Zeugen O mit dem Auto angefahren haben, was der Kläger allerdings bestreitet. Der Kläger wiederum machte geltend, die Zeugen hätten es auf seine Schlüssel für die von ihm zu überwachenden Objekte abgesehen, darunter ein Schmuckgeschäft und eine Apotheke. Der genaue Tathergang konnte von der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht ermittelt werden.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 1. September 1997 ab (Bescheid vom 25. März 1998 und Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1998). Der Kläger habe sich seine Verletzungen nicht bei seiner beruflichen Tätigkeit zugezogen. Die Auseinandersetzung, bei der er verletzt worden sei, sei dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. März 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 1. September 1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Der Kläger habe in diesem Zeitpunkt unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Unfälle infolge von Überfällen bzw tätlichen Auseinandersetzungen stünden im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die Tätlichkeit am Arbeitsplatz, auf dem Betriebsweg oder auf dem Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen sei, ohne dass es eines betriebsbezogenen Tatmotivs bedürfe, und wenn nicht ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt habe. Trotz eines persönlichen Tatmotivs sei Unfallversicherungsschutz anzunehmen, wenn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (zB Dunkelheit, Umgebung) bzw des Weges den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt hätten.

Die Angaben des Klägers, wonach er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf dem Weg von einem zu überwachenden Objekt zurück zu seinem Dienstfahrzeug befunden habe, seien durch die Angaben der Zeugen nicht widerlegt worden. Eine Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit lasse sich daher nicht nachweisen. Diese Nichterweislichkeit gehe nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Unfallversicherungsträgers. Dies müsse zumindest in den Fällen gelten, in denen - wie hier - gewisse Indizien die Schilderung des Verletzten stützten.

Das Ereignis vom 1. September 1997 wäre aber auch dann als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn vom Vorliegen eines persönlichen Tatmotivs auszugehen wäre. Die Tat habe sich zwischen 4.30 Uhr und 5 Uhr, also noch bei Dunkelheit ereignet. Dies bedeute, dass besondere Verhältnisse bei der Versichertentätigkeit die tätliche Auseinandersetzung, wenn nicht erst ermöglicht, so zumindest wesentlich begünstigt hätten. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu bejahen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Das LSG habe den Unfall des Klägers zu Unrecht als Arbeitsunfall angesehen. In ihrer umfangreichen Revisionsbegründung hat die Beklagte im Einzelnen dargelegt, dass und aus welchen Gründen entgegen der Auffassung des LSG der Kläger und nicht sie die Beweislast für das Vorliegen des für § 8 Abs 1 SGB VII geforderten inneren Zusammenhangs zwischen dem generell versicherten Tätigkeitsbereich und dem konkreten unfallbringenden Verhalten trage und dass die Entscheidung des LSG hinsichtlich der Beweislast auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Anscheinsbeweises oder des Beweisnotstands zu rechtfertigen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Nach § 164 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 und Nr 28). Der Revisionskläger braucht die Revisionsentscheidung nicht im Einzelnen vorwegzunehmen; er darf sich aber nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen (Bundessozialgericht (BSG) vom 24. Oktober 1996 - 4 RA 27/95 - HVBG-Info 1997, 495), auf ein ihm günstiges erstinstanzliches Urteil Bezug zu nehmen (BSG Beschluss vom 4. Oktober 1988 - 4/11a RA 56/87 -) oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen (BSG vom 26. Mai 1987 - 4a RJ 61/86 - NZA 1987, 716). Notwendig sind Rechtsausführungen, die geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11).

Letzteres bezieht sich allerdings nur auf tragende Gründe, die voneinander in dem Sinne abhängig sind, dass das geltend gemachte Recht vom Vorliegen eines jeden der tragenden Rechtsgründe abhängt. Bei Streitpunkten mit selbständigem Streitstoff hängt dagegen die Zulässigkeit der Revision davon ab, dass der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe (BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 20; jeweils mwN). Bei einem teilbaren Streitgegenstand - mit für jeden dieser Teile anderem zugrunde gelegtem Sachverhalt - muss sich die Begründung auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird; widrigenfalls ist das Rechtsmittel für den nichtbegründeten Teil unzulässig (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 22; BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55). Ist ein Berufungsurteil auf mehrere, von einander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss der Revisionskläger für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht tragen; anderenfalls ist die Revision insgesamt unzulässig (vgl BVerwG Beschluss vom 30. April 1980 - 7 C 88/79 - NJW 1980, 2268; BGH Beschluss vom 10. Januar 1996 - IV ZB 29/95 - NJW-RR 1996,572; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl IX, RdNr 317; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 164 RdNr 9a; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 164 RdNr 206; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl, § 551 RdNr 10). Der Senat schließt sich dieser Meinung an, zumal das BSG in ständiger Rechtsprechung bei Nichtzulassungsbeschwerden eine entsprechende Darlegung verlangt (vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Beschlüsse vom 20. August 1996 - 2 BU 176/96 -, vom 17. Dezember 1997 - 2 BU 294/97 -, vom 25. August 1999 - B 2 U 157/99 B -und vom 8. Februar 2001 - B 2 U 7/01 B) und es bei Beachtung dieser Rechtsprechung erst gar nicht zu einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz bei einem Berufungsurteil kommt, das auf mehrere die Entscheidung tragende Begründungen gestützt ist, von denen nur eine zur Zulassung der Revision führen kann. Erst durch diese Darlegungspflicht bringt der Revisionskläger in ausreichender Weise zum Ausdruck, dass und aus welchen Gründen er die rechtliche Grundlage des angefochtenen Urteils erschüttern will; dies darzulegen ist gerade der Zweck der Revisionsbegründung (vgl BVerwG, aaO mwN).

Diesen Anforderungen wird die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 4. Februar 2002 eingereichte Revisionsbegründung nicht gerecht. Sie lässt unberücksichtigt, dass das angefochtene Berufungsurteil nebeneinander auf zwei von einander unabhängige und - aus der insoweit maßgeblichen rechtlichen Sicht des LSG - den Urteilsspruch selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt ist. Der ersten Erwägung liegt die Feststellung zugrunde, dass nicht ermittelt werden konnte, ob ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich des Klägers zu der tätlichen Auseinandersetzung mit den Zeugen O und G geführt hat und dadurch seine betriebliche Tätigkeit unterbrochen worden ist. Das LSG hat in diesem Zusammenhang das Vorliegen eines Arbeitsunfalls mit der Begründung bejaht, die Beklagte trage die Beweislast für eine Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit. Hierzu wird in der Revisionsbegründung ausführlich Stellung genommen. Bei der zweiten Erwägung wird ein persönliches Tatmotiv beim Kläger unterstellt und gleichwohl das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bejaht, weil sich die Auseinandersetzung bei Dunkelheit ereignet hat und diese hierdurch, wenn nicht erst ermöglicht, so zumindest wesentlich begünstigt worden ist. Die zweite rechtliche Erwägung ist - aus der rechtlichen Sicht des LSG - tragend und unabhängig von der ersten; denn sie hätte zum gleichen Urteilsspruch selbst dann geführt, wenn - unabhängig von dem Umstand der Dunkelheit - nicht der Beklagten, sondern dem Kläger die Beweislast für das Nichtvorliegen eines persönlichen Tatmotivs auferlegt worden wäre. Zu der zweiten Erwägung enthält die Revisionsbegründung jedoch keine Ausführungen. Insbesondere hat die Beklagte weder zulässige und begründete Revisionsgründe (§ 163 SGG) gegen die Feststellung des LSG vorgebracht, dass es am Ort und im Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung dunkel war, noch hat sie rechtliche Argumente dagegen vorgetragen, dass wegen der Dunkelheit trotz eines persönlichen Tatmotivs ein Arbeitsunfall anzuerkennen war.

Die somit nicht hinreichend begründete Revision der Beklagten musste daher als unzulässig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen werden (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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