B 7 AL 78/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 78/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. August 1999, soweit es die Klage abgewiesen hat, aufgehoben und insoweit die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Klägerin wendet sich gegen die Forderung der Beklagten auf Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) - einschließlich der Beiträge zur Krankenversicherung (KV) und Rentenversicherung (RV) - für die Zeit vom 9. Dezember 1993 bis 6. Dezember 1995 in Höhe von (noch) 57.858,52 DM.

Der am 9. Dezember 1935 geborene Helmut H. (H.) war von 1975 bis 30. Juni 1993 im Werk H. der Klägerin als Kraftwerker beschäftigt. Am 21. Oktober 1992 wurde das Arbeitsverhältnis durch die Arbeitgeberin gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 7.592,00 DM zum 30. Juni 1993 gekündigt; die Kündigung war nicht in einem Sozialplan vorgesehen. Ab 1. Januar 1996 erhielt H. Altersrente. Zuvor gewährte ihm die Beklagte ab 1. Juli 1993 für 832 Tage Alg (zunächst 358,20 DM wöchentlich, ab 1. Januar 1994 335,40 DM wöchentlich, ab 1. Juli 1994 343,80 DM wöchentlich, ab 2. Januar 1995 335,40 DM wöchentlich, ab 1. Juli 1995 340,80 DM wöchentlich); KV-Beiträge wurden an die Bundesknappschaft nach einem Beitragssatz von 13,9 % entrichtet.

Die Beklagte stellte gegenüber der Klägerin fest, daß sie verpflichtet sei, das H. ab 9. Dezember 1993 gezahlte Alg sowie die Beiträge zur gesetzlichen KV und RV für längstens 624 Tage zu erstatten (Bescheid vom 28. Juli 1995), und erließ zwei Erstattungsbescheide für die Zeit vom 9. Dezember 1993 bis 17. Juni 1995, gegen die sich die Klägerin erfolglos damit wehrte, die Erstattungspflicht sei wegen sozial gerechtfertigter Kündigung nicht eingetreten (Bescheide vom 28. Juli 1995; Widerspruchsbescheid vom 2. April 1996). Zuvor hatte die Beklagte bereits generell ein Entfallen der Erstattungspflicht für das Jahr 1993 nach § 128 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) abgelehnt (Bescheid vom 19. Juli 1995).

Das Sozialgericht (SG) hat, nachdem die Beklagte zwei weitere Erstattungsbescheide (vom 31. Mai 1996) für die Zeit vom 18. Juni bis 6. Dezember 1995 erlassen hatte, diese und die Bescheide vom 28. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 1996 aufgehoben, weil der Erlaß eines Grundlagenbescheids (über das Bestehen einer Erstattungspflicht) unzulässig und die Klägerin vor Erlaß der Erstattungsbescheide selbst nicht angehört worden sei (Urteil vom 28. Januar 1998). Im anschließenden Berufungsverfahren hat die Beklagte nach Anhörung der Klägerin die vom SG aufgehobenen Bescheide für den gesamten Zeitraum vom 9. Dezember 1993 bis 6. Dezember 1995 durch einen neuen Bescheid (vom 18. September 1998) ersetzt, mit dem sie insgesamt einen Erstattungsbetrag von 58.013,26 DM geltend machte.

Nachdem die Beteiligten die Hauptsache hinsichtlich aller Bescheide vom 28. Juli 1995 sowie der Erstattungsbescheide vom 31. Mai 1996 für erledigt erklärt haben, hat das Landessozialgericht (LSG) der Klage gegen den Bescheid vom 18. September 1998 lediglich insoweit stattgegeben, als es den Erstattungsbetrag um KV-Beiträge in Höhe von 154,74 DM gekürzt hat (Urteil vom 11. August 1999). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte verlange zu Recht von der Klägerin nach § 128 AFG die Erstattung des an H. in der Zeit vom 9. Dezember 1993 bis 6. Dezember 1995 gezahlten Alg sowie der KV- und RV-Beiträge. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift für das Nichteintreten der Erstattungspflicht lägen nicht vor. Insbesondere gelte dies für § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG (Nichteintreten der Erstattungspflicht bei sozial gerechtfertigter Kündigung). Die Klägerin habe bereits nicht schlüssig dargelegt, daß H. im Vergleich zu den übrigen 14 Kraftwerkern des Werkes H. , die bei einer Kündigung in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen seien, sozial am wenigsten schutzbedürftig gewesen sei. Sie habe vielmehr nach ihrem Vortrag die Sozialauswahl ausschließlich anhand des Lebensalters und der Zahl der unterhaltsberechtigten Personen des jeweiligen Arbeitnehmers getroffen. Eine Sozialauswahl, bei der die Dauer der Betriebszugehörigkeit außer acht gelassen werde, könne jedoch nicht zu einer sozial gerechtfertigten Kündigung führen. Eine Kündigung aus personenbedingten Gründen (wegen häufiger Erkrankungen) sei ebenfalls nicht gerechtfertigt gewesen. Es fehle an der Voraussetzung der vom Bundesarbeitsgericht (BAG) geforderten häufigen Fehlzeiten von durchschnittlich mehr als sechs Wochen pro Jahr in den letzten drei Jahren vor Kündigung. H. habe vielmehr in der Zeit von Oktober 1989 bis zur Kündigung nur durchschnittlich etwa 5½ Wochen pro Jahr gefehlt. Dabei handele es sich um für einen Arbeitgeber zumutbare Fehlzeiten, so daß es auf die Frage einer ungünstigen Prognose über künftige Fehltage wegen Arbeitsunfähigkeit (AU) nicht ankomme. Die Erstattungspflicht der Klägerin entfalle auch nicht wegen unzumutbarer Belastung nach § 128 Abs 2 Nr 2 AFG. Hierauf habe sich die Klägerin nicht mehr berufen. Der im übrigen bezüglich der Höhe des Erstattungsbetrags richtige Bescheid der Beklagten sei allerdings bezüglich der Höhe der KV-Beiträge zu korrigieren, weil die Beklagte hier von einem falschen Berechnungsmodus ausgegangen sei.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG. Ob iS dieser Vorschrift eine Kündigung sozial gerechtfertigt sei, sei anhand des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BAG zu beurteilen. Danach sei bei Kündigungen wegen häufiger Kurzerkrankungen eine Prüfung in drei Stufen erforderlich. Zunächst müsse eine negative Gesundheitsprognose gestellt werden (1. Stufe); dann sei zu prüfen, ob die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führten (2. Stufe), und schließlich, ob diese vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müßten (3. Stufe). Das LSG habe bereits zu Unrecht auf eine Prognose über künftige Fehlzeiten wegen AU verzichtet. Ohnedies sei die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen zulässig gewesen, nachdem der Arbeitsplatz des H. aufgrund unternehmerischer Entscheidung, die akzeptiert werden müsse, weggefallen sei. Entgegen der Ausführungen des LSG sei es wegen der krankheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen des H. und seines von ihm in der Beweisaufnahme beim SG bekundeten "Abkehrwillens" fraglich, ob die Dauer der Betriebszugehörigkeit überhaupt in eine Sozialauswahl einbezogen werden müsse. H. habe sich nämlich selbst mit der Bitte an sie (die Klägerin) gewandt, das Beschäftigungsverhältnis zu beenden. Wenn unter diesen Umständen überhaupt eine Sozialauswahl nach § 1 Abs 3 KSchG erforderlich sei, müsse das Kriterium der Dauer der Betriebszugehörigkeit zumindest in den Hintergrund treten.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18. September 1998 unter Abänderung des Urteils des LSG vom 11. August 1999 in vollem Umfang aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Sie ist der Ansicht, auf die Personenbedingtheit der Kündigung komme es ohnedies nicht an, weil die Kündigung auf betriebliche Gründe gestützt worden sei.

II

1. Die Revision der Klägerin ist iS der Teilaufhebung der LSG-Entscheidung und der entsprechenden Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Ob die Entscheidung des LSG insoweit im Ergebnis richtig ist, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden. Das LSG hat einen ihm zustehenden Entscheidungsfreiraum fehlerhaft genutzt, indem es wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen und deshalb die vorrangig ihm obliegende rechtliche Beurteilung unter Feststellung ggf weiterer Tatsachen nicht ordnungsgemäß vorgenommen hat. Soweit das LSG der Klage indes stattgegeben hat, ist eine Entscheidung mangels Revision der Beklagten rechtskräftig.

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nicht mehr die Bescheide vom 28. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 1996 und die Bescheide vom 31. Mai 1996; die Beteiligten haben beim LSG, nachdem die Beklagte diese Bescheide durch den Bescheid vom 18. September 1998 ersetzt hat, die Hauptsache insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das LSG hat deshalb zu Recht nur noch über den nach §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen Bescheid vom 18. September 1998 erstinstanzlich befunden. Im Hinblick auf die von der Klägerin gestellten Klageanträge ist Gegenstand des Revisionsverfahrens auch nicht der Bescheid vom 19. Juli 1995 über das Nichtentfallen der Erstattungspflicht für das Jahr 1993 nach § 128 Abs 2 AFG. Zwar hat die Klägerin nach Aktenlage auch gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 4. August 1995 Widerspruch eingelegt; mit der Klage hat sie sich jedoch nur gegen den Grundlagen- und die Erstattungsbescheide gewandt und sich dabei ausschließlich auf § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG berufen. Ob der Bescheid vom 19. Juli 1995 bestandskräftig oder rechtmäßig war bzw sich durch die späteren Bescheide erledigt hat, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Wegen der in § 128 Abs 2 AFG normierten Darlegungslast würde sich ohnedies in der Sache nichts ändern. Die Klägerin hat weder für die Zeit vom 9. bis 31. Dezember 1993, die vom bezeichneten Bescheid erfaßt wird, noch für die Folgezeit irgend etwas zu den Voraussetzungen für das Entfallen der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 2 Nr 2 AFG vorgetragen.

3. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 AFG (hier idF, die § 128 AFG durch das Gesetz zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 - BGBl I 2044 - erhalten hat) iVm § 242m Abs 10 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs 2 die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Bundesanstalt für Arbeit vierteljährlich das Alg - einschließlich KV- und RV-Beiträge - für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage. Die Erstattungspflicht tritt nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen beendet worden ist, der Arbeitslose auch die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt (Abs 1 Satz 2 1. Alternative).

Diese Voraussetzungen dürften vorliegend zu bejahen sein. Es handelt sich jedoch bei der Klägerin entgegen der Ansicht des LSG wohl nicht um eine Rechtsnachfolgerin der Kali und Salz AG, die sich ohnedies uU die bei der früheren Arbeitgeberin zurückgelegten Beschäftigungszeiten zurechnen lassen müßte (vgl BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 3); vielmehr dürfte die frühere Kali und Salz AG nur umbenannt worden sein, und zwar zunächst in die Firma Kali und Salz Beteiligungs-AG und anschließend in die K+S Aktiengesellschaft. Das LSG mag dies nach der Zurückverweisung überprüfen. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllte H. jedenfalls nicht die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Schließlich erfolgte die Kündigung auch nicht vor Vollendung des 56. Lebensjahres. Da die Klägerin sich im übrigen nur auf den Nichteintritt der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG berufen hat und beruft und insoweit und für alle sonstigen Fälle des Nichteintritts bzw des Entfallens oder der Minderung des Erstattungsanspruchs eine Darlegungs- und Nachweispflicht besteht, kann sich die weitere revisionsrechtliche Prüfung auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Regelung beschränken.

4. Nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, daß er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat. Nach § 1 KSchG in der hier anzuwendenden Fassung vom 5. Juli 1976 (BGBl I 1769) ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (Abs 2 Satz 1). Die Kündigung ist ua auch sozial ungerechtfertigt, wenn in Betrieben des privaten Rechts - wie hier - der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmers weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat (Abs 2 Satz 2). Dies gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat (Abs 2 Satz 3). Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iS des Abs 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (Abs 3 Satz 1).

Der Senat ist nicht in der Lage, abschließend über die soziale Rechtfertigung der Kündigung und damit die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG (vgl seit 1. April 1999 § 147a Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III)) zu befinden. Das LSG-Urteil beruht zwar auf fehlerhaften Erwägungen, soweit es eine betriebsbedingte Kündigung wegen fehlender Sozialauswahl für unzulässig angesehen und die Voraussetzungen für eine personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen verneint hat. Jedoch ist dem Senat eine eigene Entscheidung verwehrt, weil die Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung vorrangig Aufgabe des Tatsachenrichters ist, dem ein vom Revisionsgericht nicht voll überprüfbarer Entscheidungsfreiraum zusteht (hierzu unter 5.), und die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht für eine Entscheidung über die soziale Rechtfertigung der Kündigung aus außerhalb dieses Entscheidungsfreiraumes liegenden Gründen ausreichen. Dies gilt - ausgehend vom Vortrag der Klägerin (hierzu unter 6.) - sowohl für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung aus betriebsbedingten Gründen (hierzu unter 7.) als auch aus personenbedingten Gründen (hierzu unter 8.).

Das LSG wird nach der Zurückverweisung der Sache im Rahmen der Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung auch zu prüfen haben, ob ein sogenannter Mischtatbestand iS der Rechtsprechung des BAG vorliegt bzw eine einheitliche Betrachtung erforderlich ist (vgl hierzu nur BAGE 87, 153, 158). Unerheblich ist allerdings entgegen der Ansicht der Beklagten, worauf die Kündigung gestützt war. Denn die soziale Rechtfertigung der Kündigung beurteilt sich nicht alleine nach den bei der Kündigung angegebenen Kündigungsgründen; vielmehr ist die Angabe von Kündigungsgründen nicht einmal Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Kündigung selbst, und die Kündigungsgründe können auch noch später - sogar im Gerichtsverfahren - geltend gemacht werden (vgl nur Etzel in Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften - KR-Kommentar -, 5. Aufl 1998, RdNr 262 zu § 1 KSchG mwN).

5. Dem Senat ist eine Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung und dabei der Frage, ob Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen oder dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, sowie der Sozialauswahl iS des § 1 Abs 3 KSchG nur im beschränkten Umfang möglich. Insoweit gilt das gleiche wie im arbeitsgerichtlichen Verfahren: Den Tatsacheninstanzen ist ein vom Revisionsgericht nicht voll überprüfbarer Entscheidungsfreiraum belassen (stRspr des BAG: BAG BAGE 87, 153, 157 f; BAG AP Nr 37 zu § 1 KSchG 1969 "Krankheit"; AP Nr 36 zu § 1 KSchG 1969 "verhaltensbedingte Kündigung"; AP Nr 101 zu § 1 KSchG 1969 "betriebsbedingte Kündigung"; BAG, Urteil vom 2. Dezember 1999 - 2 AZR 757/98 -, ZIP 2000, 676 ff; vgl auch Etzel, aaO, RdNr 236 zu § 1 KSchG mwN). Dabei kann offenbleiben, ob der Tatsachenrichter mit der Entscheidung über die Sozialwidrigkeit der Kündigung letztlich eine Tatsachenfeststellung trifft oder ob ihm bei seiner Entscheidung ein irrevisibler Beurteilungsspielraum verbleibt, wie es das BAG annimmt (ähnlich zum vergleichbaren Problem der groben Fahrlässigkeit BSGE 47, 180, 181 f = SozR 2200 § 1301 Nr 8). Jedenfalls obliegt die Beurteilung, ob die tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalls geeignet sind, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, den Tatsacheninstanzen (Etzel aaO), so daß in der Revisionsinstanz nur zu prüfen ist, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (vgl die oben zitierte stRspr des BAG; BSGE 47, 180, 182 zu dem Begriff der groben Fahrlässigkeit). Gegen die Pflicht, alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen, hat das LSG bei seiner Entscheidung verstoßen, indem es den Vortrag der Klägerin zur Sozialauswahl und zur Zulässigkeit der personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen nicht in vollem Umfang berücksichtigt hat und deshalb ohne weitere Sachverhaltsermittlung zu den Voraussetzungen des § 1 KSchG in nicht nachvollziehbarer Weise die Sozialwidrigkeit der Kündigung bejaht hat.

6. Soweit das LSG ausgeführt hat, die Klägerin habe bereits nicht schlüssig dargetan, daß H. im Vergleich zu den übrigen 14 Kraftwerkern des Energiebetriebs H. sozial am wenigsten schutzbedürftig sei, weil eine Sozialauswahl, bei der die Dauer der Betriebszugehörigkeit außer acht gelassen werde, nicht zu einer sozial gerechtfertigten Kündigung führen könne, hat das LSG weder Feststellungen über das Vorhandensein noch über das Fehlen bestimmter Tatsachen getroffen, an die der Senat gebunden wäre (vgl § 163 SGG). Vielmehr hat es eine Formulierung gewählt, die sich an dem Verhandlungsgrundsatz des Zivilprozeßrechts ausrichtet, der jedoch im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht gilt. Dort normiert § 103 SGG den Amtsermittlungsgrundsatz (= Untersuchungsgrundsatz), der weder eine Darlegungslast in dem Sinne kennt, daß nur das zu ermitteln ist, was von einem der Beteiligten vorgetragen ist, noch eine Beweisführungslast, die eine Beweiserhebung zwingend an entsprechende Beweisangebote knüpft. Allerdings hat der Senat bislang offengelassen, inwieweit im Rahmen der Anwendung des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG die Regelung, daß der Arbeitgeber die in dessen Nrn 1 bis 7 genannten Voraussetzungen darzulegen und nachzuweisen hat, eine Durchbrechung des in § 103 SGG enthaltenen Amtsermittlungsgrundsatzes darstellt (vgl Urteil vom 19. März 1998 - B 7 AL 20/97 R -, DBlR Nr 4451 zu § 128 AFG). Offengeblieben ist auch, ob der Arbeitgeber seiner Darlegungslast ausschließlich im Verwaltungsverfahren, also nicht mehr im anschließenden Gerichtsverfahren gerecht werden kann. Gegen eine völlige Durchbrechung des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes spricht bereits, daß die materiellrechtliche Regelung des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG dann, ohne dies hinreichend zu verdeutlichen, eine Grundnorm des sozialgerichtlichen Prozeßrechts außer Kraft setzen würde. § 128 Abs 1 Satz 2 AFG dürfte eher dahin auszulegen sein, daß die Bundesanstalt für Arbeit (BA) bei der Prüfung der Voraussetzungen der Nrn 1 bis 7 nicht nur den Vortrag des Arbeitgebers, sondern auch ihr sonst bekannte Umstände zu berücksichtigen hat. Dann indes kann sich die Prüfungspflicht der BA und der Gerichte keineswegs auf das im Verwaltungsverfahren vorgebrachte und auf die Erhebung angebotener Beweise beschränken. Die Regelung in § 128 Abs 1 Satz 2 AFG über die Darlegungs- und Nachweispflicht des Arbeitgebers dürfte vielmehr als Modifizierung des verfahrensrechtlichen und des prozessualen Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 20 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), § 103 SGG) zu verstehen sein.

Letztlich kann dies auch hier offenbleiben. Denn das LSG hat bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit der Kündigung aus betriebsbedingten Gründen nicht berücksichtigt, daß H. bei seiner Vernehmung durch das SG bekundet hat, er habe der Klägerin gegenüber mitgeteilt, "mit ihm werde man keinen Spaß mehr haben", und daß sich die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung vor Erlaß des angefochtenen Bescheides der Beklagten gegenüber auf die Beweisaufnahme beim SG berufen hat. Der Senat ist auch berechtigt, selbst zu prüfen, was von der Klägerin vorgetragen worden ist (ohne nähere Begründung BSGE 81, 259, 264 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5); dies bedarf bei Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) keiner näheren Begründung. Selbst wenn man in der Regelung des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG mit der Darlegungs- und Beweispflicht eine Statuierung des Verhandlungsgrundsatzes sehen wollte, würde sich hieran nichts ändern. Der Senat dürfte auch dann auf Vortrag der Klägerin in ihren Schriftsätzen zurückgreifen.

Dem stünde § 561 Abs 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht entgegen. Danach unterliegt zwar der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Vorbringen, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist; die Geltung dieser Norm über § 202 SGG für das sozialgerichtliche Verfahren ist bei der Anwendung des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG indes bereits deshalb zweifelhaft, weil das Gericht nicht nur zu prüfen hat, was der Arbeitgeber im Gerichtsverfahren, sondern auch, was er bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat. Aber selbst wenn man § 561 Abs 1 ZPO, der eine Ausprägung des zivilprozessualen Verhandlungsgrundsatzes und deshalb im SGG grundsätzlich nicht anwendbar ist (Krasney, Die Anwendbarkeit der zivilprozessualen Vorschriften im sozialgerichtlichen Verfahren, 1963, S 154 f; bejahend aber für das nicht notwendig über § 561 Abs 1 ZPO zu lösende Problem neuer, nach Erlaß des LSG-Urteils eingetretener Tatsachen BSG, Urteil vom 17. März 1964 - 11/1 RA 152/61), dennoch anwenden wollte, dürfte der Senat gleichwohl auf alle Schriftsätze der Klägerin zurückgreifen, weil im LSG-Urteil hierauf pauschal Bezug genommen worden ist (vgl BGH NJW 1990, 2755). Dies würde sogar gelten, wenn der Tatbestand des LSG-Urteils wegen der Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens keine ausdrückliche Bezugnahme enthielte; denn auch dann ist in der Regel davon auszugehen, daß der gesamte Inhalt der Gerichtsakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und damit des Urteils gemacht worden ist (vgl BGH NJW 1992, 2148).

7. Bei der Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung aus betriebsbedingten Gründen hat das LSG den Vortrag der Klägerin nicht richtig verwertet und ist deshalb in eine weitergehende rechtliche und tatsächliche Würdigung der Sozialauswahl nicht eingetreten. Zu prüfen wäre gewesen, ob im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles die langjährige Zugehörigkeit des H. zum Betrieb hinter andere Gesichtspunkte der Sozialauswahl, nämlich die Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer und deren Lebensalter, zurücktreten kann, und zwar insbesondere unter Berücksichtigung des von der Klägerin vorgetragenen Umstandes, daß H. selbst mit dem Wunsch an die Klägerin herangetreten ist, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Selbst wenn nach der Rechtsprechung des BAG zu § 1 KSchG in der vor 1996 geltenden Fassung der Dauer der Betriebszugehörigkeit im allgemeinen Priorität vor den übrigen Sozialauswahlkriterien einzuräumen war (vgl nur BAG, Urteil vom 2. Dezember 1999 - 2 AZR 757/98 -, ZIP 2000, 676 ff mwN), so kann doch bei einer Abwägung der Interessen nicht unberücksichtigt bleiben, daß H. nach dem Vortrag der Klägerin und in der Beweisaufnahme vor dem SG bekundet hat, an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses kein ernsthaftes Interesse mehr besessen zu haben. Sieht das KSchG als geschütztes Rechtsgut den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, die die Grundlage seiner sozialen und wirtschaftlichen Existenz bilden, und sollen ihm durch § 1 KSchG diese Rechtsgüter in den Grenzen des sozial und wirtschaftlich Vertretbaren gesichert werden, dann ist auch ein fehlendes Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung des Arbeitsplatzes bei der Interessenabwägung zu würdigen (vgl zu dem ähnlichen Problem des Abkehrwillens BAG AP Nr 16 zu § 1 KSchG "betriebsbedingte Kündigung"; vgl auch Etzel im KR-Kommentar, 5. Aufl 1998, RdNr 440 zu § 1 KSchG). Denn Zweck der Vorschrift des § 1 Abs 3 Satz 1 KSchG ist es, den Arbeitnehmer durch einen Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw gegen eine Änderung seines Inhalts zu schützen (vgl nur BAG AP Nr 39 zu § 1 KSchG 1969 "soziale Auswahl"). Daß unter Berücksichtigung dieses Schutzzwecks ein generell als vorrangig bezeichnetes Sozialauswahlkriterium - die Dauer der Betriebszugehörigkeit - zumindest in den Hintergrund treten kann, wenn der Arbeitnehmer selbst kein Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Dies hat das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu beachten und zu bewerten. Dabei mag es im übrigen ggf auch überprüfen, ob nicht in Wahrheit (§§ 117, 133 Bürgerliches Gesetzbuch) statt einer Kündigung durch die Arbeitgeberin eine Vereinbarung zwischen dieser und H. über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorlag. Dann wäre § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG nicht anwendbar (BSGE 81, 259, 264 f).

8. Auch soweit das LSG die Kündigung aus in der Person des H. liegenden Gründen (Krankheitszeiten) für sozialwidrig bezeichnet hat, berücksichtigt es nicht alle für die Interessenabwägung wesentlichen Umstände, indem es das Vorbringen der Klägerin verkennt und deshalb zu Unrecht auf die nach der Rechtsprechung des BAG für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung erforderliche dreistufige Prüfung verzichtet hat (BAG AP Nr 37 zu § 1 KSchG 1969 "Krankheit"; Etzel in KR-Kommentar, 5. Aufl 1998, RdNrn 349 ff zu § 1 KSchG). Danach bedarf es zunächst einer negativen Gesundheitsprognose, anschließend einer Prüfung der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und schließlich einer Interessenabwägung auf der dritten Stufe. Ob die Ausführungen des LSG, es bedürfe bereits keiner Prüfung der negativen Gesundheitsprognose, weil H. in den letzten drei Jahren vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohnedies weniger als sechs Wochen an AU-Zeiten jährlich aufweise und es sich damit um dem Arbeitgeber zumutbare Fehlzeiten handele, richtig sind (vgl hierzu BAG AP Nr 23 zu § 1 KSchG 1969 "Krankheit" und BAG, Beschluss vom 13. August 1992 - 2 AZN 231/92), bedarf keiner näheren Erörterung. Denn das LSG hat bei seiner Entscheidung übersehen, daß die Klägerin nicht nur vorgetragen hat, es sei auch in Zukunft (nur) mit Fehlzeiten im bisherigen Umfang zu rechnen, sondern daß sie vielmehr bereits im Verfahren beim SG von künftig längeren AU-Zeiten ausgegangen ist. Damit hat sich das LSG nicht auseinandergesetzt. Es wird dies bei seiner neuen Entscheidung nachzuholen und ggf erforderliche Beweise zu erheben haben.

9. Das LSG wird im übrigen entgegen seiner im angefochtenen Urteil geäußerten Rechtsansicht von Amts wegen über die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu befinden haben. Daß die Beteiligten keinen Antrag auf Erlaß einer Kostenentscheidung gestellt haben, soweit es den erledigten Teil des Verfahrens betrifft, ändert hieran nichts (vgl nur BSG, Urteil vom 18. Mai 1995 - 7 RAr 28/94 -, SozR 3-4100 § 64 Nr 2, insoweit nicht abgedruckt). Allenfalls ist bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen, daß die Klägerin offenbar eine Kostenerstattung bezüglich des erledigten Teils des Rechtsstreits nicht beansprucht.
Rechtskraft
Aus
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