B 11 AL 31/02 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 31/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2001 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. November 2000 aufgehoben. Der Bescheid vom 24. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1999 wird aufgehoben, soweit die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis 30. März 1999 teilweise aufgehoben und Leistungen zurückgefordert hat. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis einschließlich 30. März 1999 sowie eine daraus resultierende Erstattungsforderung von 7.987,76 DM.

Der 1976 geborene und seit 1997 verheiratete Kläger beantragte im März 1998 Alg und gab dabei ua an, auf seiner Lohnsteuerkarte sei für ihn seit Jahresbeginn die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Daraufhin bewilligte und zahlte ihm die Beklagte für die Zeit ab 1. April 1998 für 364 Tage Alg in Höhe von wöchentlich 467,25 DM bzw 473,34 DM ab Januar 1999 und 479,15 DM ab März 1999; bei der Bemessung ging sie von einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 1.160 DM bzw ab März 1999 von 1.180 DM sowie der Leistungsgruppe C aus.

Im Februar 1999 erhielt die Beklagte anlässlich eines Antrags des Klägers auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe Kenntnis davon, dass auf der für den Kläger ausgestellten Lohnsteuerkarte 1998 mit Wirkung zum 1. Juni 1998 ein Wechsel der Lohnsteuerklasse von III zu V erfolgt war. Aus der später vorgelegten Lohnsteuerkarte 1999 ergab sich, dass zunächst die Lohnsteuerklasse V und erst mit Wirkung ab 1. Mai 1999 die Klasse III eingetragen war.

Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 1999 die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis 30. März 1999 teilweise auf. Auf Grund des Steuerklassenwechsels stehe dem Kläger ab 1. Juni 1998 die Leistung nur nach der Leistungsgruppe D in Höhe von 285,74 DM wöchentlich zu. Er habe deshalb Leistungen in Höhe von 7.987,76 DM bezogen, obwohl insoweit die rechtlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. November 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 22. Oktober 2001). Das LSG hat ua ausgeführt: Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Alg-Bewilligung sei § 48 Abs 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Der Kläger sei seiner Pflicht zur Mitteilung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zumindest grobfahrlässig nicht nachgekommen; von grober Fahrlässigkeit sei ua unter Berücksichtigung des Inhalts des ausgehändigten Merkblatts auszugehen. Die wesentliche Änderung bestehe darin, dass zum 1. Juni 1998 ein Lohnsteuerklassenwechsel eingetragen worden sei, weshalb ab diesem Tag dem Kläger Leistungen nur noch nach Leistungsgruppe D zugestanden hätten (§ 137 Abs 2 Nr 4, Abs 3 Satz 2 SGB III). Ob der Wechsel der Lohnsteuerklasse zweckmäßig sei oder nicht, sei unerheblich. Denn im Gegensatz zur bis 31. Dezember 1997 geltenden Rechtslage nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) würden nunmehr bei Ehegatten die neuen Lohnsteuerklassen vom Tag der Wirksamkeit an berücksichtigt, wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklasse ein geringeres Alg als das errechne, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Der Wortlaut der Bestimmung sei eindeutig, sodass eine Auslegung dahin, die Zweckmäßigkeit bzw Unzweckmäßigkeit des Steuerklassenwechsels zu prüfen, nicht möglich sei.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 137 Abs 4 SGB III. Es bestehe eine Gesetzeslücke, die einen Rückgriff auf die Vorgängervorschrift des § 113 Abs 2 AFG notwendig mache. Nach wie vor sei es Sinn des Gesetzes, den Wechsel anzuerkennen, der sich in der Gesamtschau für die Eheleute günstiger darstelle. Objektiv sei der Wechsel nicht geboten gewesen, da seine Ehefrau damals nur ein kleines Gehalt als Lehrling bezogen habe. Die Entscheidung des LSG beruhe somit auf der Rechtsfrage, ob der Wortlaut des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III so eindeutig sei, dass keine Auslegung dahin möglich sei, die Zweckmäßigkeit bzw Unzweckmäßigkeit des Steuerklassenwechsels zu prüfen. Diese Frage sei vom Bundessozialgericht (BSG) noch nicht entschieden und lasse sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien noch aus der uneinheitlichen Literatur eindeutig beantworten.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG vom 22. Oktober 2001 und des SG vom 29. November 2000 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. September 1999 aufzuheben, soweit die Beklagte die Bewilligung des Alg für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis 30. März 1999 teilweise aufgehoben und Leistungen zurückgefordert hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG und das SG haben die angefochtenen Bescheide, soweit die Beklagte mit ihnen die Bewilligung von Alg teilweise aufgehoben und Erstattung erbrachter Leistungen verlangt hat, zu Unrecht bestätigt.

Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB X iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III für eine Teilaufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis zum 30. März 1999 und eine entsprechende Rückforderung liegen nicht vor.

Zutreffend ist die Beklagte allerdings davon ausgegangen, dass der Wechsel von Steuerklasse III zu Steuerklasse V mit Wirkung ab 1. Juni 1998 eine nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X wesentliche und für den Kläger nachteilige Änderung der Verhältnisse darstellt. Denn die auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklassenänderung hat Auswirkungen auf die dem Kläger zuerkannte Leistung, weil sie sich mindernd auf die Höhe seines Anspruchs auf Alg auswirkt. Nach § 129 SGB III beträgt das Alg einen bestimmten Prozentsatz des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum (§§ 130f SGB III) erzielt hat (Bemessungsentgelt; §§ 132ff SGB III). In Konkretisierung dieses Grundsatzes ist Leistungsentgelt das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt (§ 136 Abs 1 SGB III). Zu den Entgeltabzügen gehört ua die Lohnsteuer, wobei die Steuer zu Grunde zu legen ist, die sich nach der für den Arbeitslosen maßgeblichen Leistungsgruppe ergibt (§ 136 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 iVm § 137 Abs 1 SBG III). Soweit hier von Bedeutung sind Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, der Leistungsgruppe C zuzuordnen und Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, der Leistungsgruppe D (§ 137 Abs 2 Nr 3a und Nr 4 SGB III).

Die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe richtet sich grundsätzlich nach derjenigen Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch (auf Alg) entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs 3 Satz 1 SGB III). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen (§ 137 Abs 3 Satz 2 SGB III). Das Gleiche gilt, wenn auf der für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird (§ 137 Abs 3 Satz 3 SGB III). Diese Vorschriften entsprechen inhaltlich unverändert den früheren Regelungen in § 113 Abs 1 Sätze 1 bis 3 AFG.

Für den (freiwilligen) Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten enthält § 137 Abs 4 SGB III eine abschließende Sonderregelung. Danach werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (Satz 1 Nr 1) oder wenn sich auf Grund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Alg ergibt, das geringer ist als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe (Satz 1 Nr 2). Diese Regelung erfasst jedes Auswechseln der Steuerklassen, die für verheiratete unbeschränkt einkommensteuerpflichtige und nicht dauernd getrennt lebende Arbeitnehmer vorgesehen sind (§ 38b Satz 2 Nr 3 bis 5 Einkommensteuergesetz (EStG); vgl zur Vorgängerregelung in § 113 AFG: BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1 mwN).

Bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte iS des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III bleibt nach Satz 2 dieser Vorschrift ein Ausfall des Arbeitsentgelts, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, außer Betracht. Aus dieser Regelung folgt, dass bei der Prüfung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitsentgelte der Ehegatten nur insoweit auf die aktuellen Einkünfte abzustellen ist, als einer der Ehegatten am Tag des Eintritts der Steuerklassenänderung Arbeitsentgelt erzielt. Bei demjenigen Ehegatten, der aktuell kein Arbeitsentgelt erzielt und wegen dieses Ausfalls einen Anspruch auf das gemäß § 3 Nr 2 EStG steuerfreie Alg hat, ist dagegen das vor der Arbeitslosigkeit zuletzt erzielte Arbeitsentgelt für die Prüfung maßgeblich (vgl zu § 113 AFG: BSG SozR 4100 § 113 Nr 3; ( BSGE 61, 45ff) = SozR 4100 § 113 Nr 5 und Nr 7 sowie SozR 3-4100 § 113 Nr 1; zu § 137 SGB III: BSGE 88, 299 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1 und Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 46/01 R -). Danach hat der Wechsel des Klägers von der Lohnsteuerklasse III zur Lohnsteuerklasse V mit Wirkung ab 1. Juni 1998 dazu geführt, dass der Kläger nunmehr einer anderen Leistungsgruppe (D statt vorher C) zuzuordnen war und deswegen Alg nur noch in geringerer Höhe beanspruchen konnte als nach den Verhältnissen zur Zeit der Bewilligungsentscheidung.

Der Lohnsteuerklassenwechsel wirkt sich nach § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III leistungsrechtlich aus, wenn eine der beiden in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt ist (vgl BSG Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 46/01 R -). Da die beim Kläger neu eingetragene Lohnsteuerklasse V aus den schon genannten Gründen einer anderen Leistungsgruppe (D) mit gegenüber der bisherigen Leistungsgruppe (C) niedrigeren Leistungssätzen entsprach, ergibt sich die leistungsrechtliche Relevanz des vorgenommenen Lohnsteuerklassenwechsels aus § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III, wonach die neu eingetragene Lohnsteuerklasse dann berücksichtigt wird, wenn sich danach ein geringeres Alg als nach der vorher eingetragenen Lohnsteuerklasse ergibt. Der Auffassung des Klägers, diese Vorschrift sei nicht anwendbar, obwohl ihre Voraussetzungen - wie auch der Kläger einräumt - vorliegen, kann nicht gefolgt werden. Denn für eine teleologische Reduktion der Vorschrift fehlen entsprechende Anhaltspunkte.

Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber, soweit es in den Materialien zu § 137 SGB III (BT-Drucks 13/4941 S 179) zum Ausdruck gekommen ist, mit der Neuregelung zum Steuerklassenwechsel von Ehegatten nur (noch) das Ziel verfolgt hat, Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verhindern (vgl BSGE 88, 299, 303 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). Das vom Gesetzgeber angeführte Ziel der Manipulationsabwehr ist für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ohne Bedeutung. Die vom Kläger gewählte Lohnsteuerklasse hatte den vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen der Ehegatten entsprochen. Der Wechsel der Lohnsteuerklassen ist in derartigen Fällen nicht auf eine Manipulationsabsicht zurückzuführen, sondern dient der Anpassung der steuerrechtlichen Verhältnisse an die geänderte Einkommenssituation. Es ist auch zweifelhaft, ob § 137 Abs 4 SGB III dem in den Gesetzesmotiven (aaO) formulierten Anspruch genügt, solche Manipulationen "stärker" als das bisher geltende Recht (§ 113 Abs 2 AFG) zu verhindern. Zudem unterliegt die Regelung auch verfassungsrechtlichen Bedenken.

Zwar ist die Anlehnung der Leistungsbemessung an das Lohnsteuersystem nach gefestigter Rechtsprechung verfassungsrechtlich zulässig und im Hinblick auf die Lohnersatzfunktion des Alg sachlich gerechtfertigt. Funktion des Alg ist es, dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall zu leisten, den er dadurch erleidet, dass er gegenwärtig keinen bezahlten Arbeitsplatz findet (vgl BVerfGE 51, 115, 125). Es ist deshalb grundsätzlich sachgerecht, bei der Bemessung des Alg an den Nettolohnausfall anzuknüpfen, den der Arbeitslose infolge der Arbeitslosigkeit erleidet. Darüber hinaus erfordert die existenzsichernde Natur des Alg, dass die Feststellung der Leistungshöhe und die Auszahlung beschleunigt erfolgen. Das zwingt schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung. Die darin liegende Pauschalierung bei der Bemessung von Alg ist dem Gesetzgeber als typisierende Regelung bei der Ordnung von Massenerscheinungen grundsätzlich erlaubt (BVerfGE 17, 1, 25; BVerfGE 63, 255, 261ff = SozR 4100 § 111 Nr 6; BVerfG SozR 3-4100 § 111 Nr 2).

Verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erscheint es gleichwohl, eine Leistung, die nach Art 14 Grundgesetz eigentumsgeschützt ist, nur deshalb zu vermindern, weil der Betreffende und sein Ehegatte von einer steuerrechtlich zulässigen Gestaltung der Lohnsteuerklassen Gebrauch machen, der Grund für die Bemessung des bisherigen Alg-Anspruchs in der Höhe sich jedoch im Übrigen nicht geändert und die vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gewählte Steuerklassenkombination den Einkommensverhältnissen der Ehegatten entsprochen hat. Die nachteilige Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels nach Beginn des Leistungsbezugs kann auch nicht mit dem Argument, Manipulationen zu verhindern gerechtfertigt werden. Bleibt der Alg-Anspruch nach dem Lohnsteuerklassenwechsel unverändert, wird er durch diesen Lohnsteuerklassenwechsel nicht manipuliert. Zwar entbindet die Regelung in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III die Verwaltung in den Fällen einer Verringerung des Alg von der Prüfung der "arbeitsförderungsrechtlichen Tunlichkeit" (vgl zu diesem Begriff BSG Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 46/01 R -) des Lohnsteuerklassenwechsels. Gleichwohl erscheint der Eingriff in einen zuerkannten Anspruch auf Alg trotz der Verwaltungsvereinfachung problematisch, weil er auch die Betroffenen, die vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die zweckmäßigen Lohnsteuerklassen gewählt haben, im Ergebnis davon abhält, während der Arbeitslosigkeit die steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassen zu wählen. Ob § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III, soweit er allein wegen des Lohnsteuerklassenwechsels eine Minderung des Alg anordnet, mit höherrangigem Recht vereinbar ist (vgl dazu für eine andere Fallgestaltung auch Urteil des Senats vom 29. August 2002 - B 11 AL 99/01 R -), muss hier jedoch nicht entschieden werden.

Denn im vorliegenden Fall geht es allein um die Aufhebung eines Anspruchs auf Alg für die Vergangenheit, der hier nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X nur möglich ist, wenn der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die vorsätzliche Verletzung einer Mitteilungspflicht hat weder die Beklagte noch das LSG im angefochtenen Urteil angenommen. Es liegt aber auch entgegen der Annahme des LSG keine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht vor. Allerdings ist die Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, grundsätzlich eine Tatfrage, deren Beurteilung dem Berufungsgericht als Tatsachengericht obliegt. Die Entscheidung über das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ist, wie das BSG bereits entschieden hat (BSGE 47, 180, 181 = SozR 2200 § 1301 Nr 8; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 42), revisionsrechtlich nur in engen Grenzen überprüfbar. Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor, denn die Frage, ob der Kläger auf Grund von grober Fahrlässigkeit einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen ist, lässt sich in Fällen der vorliegenden Art anhand genereller Maßstäbe beantworten. Für die Anwendung eines einheitlichen und vom Revisionsgericht insoweit vorzugebenden Maßstabes spricht entscheidend, dass hinsichtlich der Beurteilung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Wertungswiderspruch zwischen Einkommensteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht besteht, der nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegenden Beratungspflichten bleiben kann. Zudem legen auch die bereits dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Anwendungsbereich des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III es nahe, die Frage, ob eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die damit zwingend verbundene Rückforderung wegen grob fahrlässiger Verletzung einer Mitteilungspflicht in Betracht kommt, nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen.

Im Einkommensteuerrecht ist der Lohnsteuerklassenwechsel, der allgemein dazu dient, die aktuelle Lohnsteuerbelastung möglichst nahe an der zu erwartenden Jahreslohnsteuer zu halten, für den Fall, dass bei einem Ehegatten Arbeitslohn völlig entfällt, besonders erleichtert. Denn nach § 38b Satz 2 Nr 3 Buchst a Doppelbuchst bb EStG gehören in die Steuerklasse III Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte keinen Arbeitslohn bezieht. Während Ehegatten, die beide in einem Arbeitsverhältnis stehen, eine Änderung der Steuerklasse nur einmal im Laufe des Kalenderjahres beantragen können (§ 39 Abs 5 Satz 3 EStG), gilt diese Einschränkung nicht, wenn ein Arbeitnehmer keinen Arbeitslohn mehr bezieht (vgl auch die Lohnsteuer-Richtlinien 109 Abs 5 Satz 5). Geht das Steuerrecht somit davon aus, dass dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden muss, so muss er nicht damit rechnen, dass er deswegen leistungsrechtlich in jedem Falle Nachteile hinzunehmen hat. Für die Gemeinde oder das Finanzamt als die zuständigen Finanzbehörden ist der Lohnsteuerklassenwechsel aus der Sicht des Einkommensteuerrechts geboten.

Angesichts dieser steuerrechtlichen Bewertung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten muss ein Arbeitsloser, der wie der Kläger vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ein erheblich höheres Arbeitsentgelt als seine Ehefrau erzielt hatte, nicht damit rechnen, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben würde. Nichts anderes folgt daraus, dass der Kläger nach den Feststellungen des LSG ein Merkblatt für Arbeitslose erhalten hatte. Die Beklagte verpflichtet darin den Betroffenen lediglich zur Meldung eines bereits vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels. Im Hinblick auf die Folgen des Lohnsteuerklassenwechsels hätte die Beklagte aber den Betreffenden darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung bei der Beklagten suchen sollte. Denn nur bei einer Beratung vor dem Lohnsteuerwechsel können die arbeitsförderungsrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels vermieden werden. Die Meldung nach der Vornahme eines Lohnsteuerklassenwechsels kann angesichts der Regelung in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III nur noch dazu dienen, die leistungsrechtlichen Folgerungen aus der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu ziehen. Deshalb genügt der Hinweis im Merkblatt nicht dafür, den Schluss auf die grobfahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht zuzulassen.

Die Revision ist nach alledem begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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