B 3 KR 19/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 19/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. August 1998 und des Sozialgerichts Itzehoe vom 19. Juni 1997 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 6. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1996 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere Kosten in Höhe von 143,10 DM zu erstatten. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens sowie neun Zehntel der Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt die Erstattung von Aufwendungen für in der Schweiz selbst beschaffte orthopädische Schuheinlagen. Die beklagte Krankenkasse hat die Aufwendungen nicht in voller Höhe (465 SFR = 566 DM), sondern lediglich in Höhe der für die gleiche Leistung in Deutschland anfallenden Kosten (422,90 DM) erstattet. Streitig ist der Anspruch auf Erstattung des Differenzbetrages von 143,10 DM.

Der im Jahre 1959 geborene Kläger leidet ua an einem Bronchialasthma und einer massiven Neurodermitis. Im Frühjahr 1996 hielt er sich deswegen zu einer von der Beklagten bewilligten Kur in der Hochgebirgsklinik Davos/Schweiz auf. Während der Kur benötigte der Kläger besondere, durch einen Computer vermessene orthopädische Schuheinlagen, um plötzlich aufgetretenen Beschwerden an beiden Füßen entgegenzuwirken. Für die ihm kurärztlich verordneten, von einem Schuhspezialisten in Davos angefertigten Einlagen mußte er 465 SFR (566 DM) bezahlen. Hiervon erstattete die Beklagte einen Teilbetrag von 422,90 DM, der in Deutschland für eine vergleichbare Leistung angefallen wäre (Bescheid vom 11. September 1996). Die Erstattung der weiteren Kosten von 143,10 DM lehnte sie hingegen ab. Sie führte aus, nach den Vorschriften des zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommens seien die Kosten für ein in der Schweiz beschafftes medizinisches Hilfsmittel nur dann erstattungsfähig, wenn das Hilfsmittel zu den Tarifleistungen der schweizerischen Krankenversicherung zähle. Das sei bei orthopädischen Schuheinlagen jedoch nicht der Fall. Eine Zahlung über den - ohnehin nur aus Kulanz erstatteten - Teilbetrag von 422,90 DM hinaus scheide daher aus (Bescheid vom 6. August 1996; Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1996).

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die sofortige Beschaffung der Einlagen sei unumgänglich gewesen, weil die Einschränkung seiner Gehfähigkeit den Erfolg der Kur gefährdet hätte. Zudem müsse berücksichtigt werden, daß er sich gerade aus medizinischen Gründen in der Schweiz aufgehalten habe; eine Kur in Deutschland hätte nicht den gleichen Erfolg versprochen. Daher seien ihm die gesamten Kosten und nicht nur die Kosten auf Basis vergleichbarer Inlandsleistungen zu erstatten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Juni 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 25. August 1998). Es hat ausgeführt, das hier allein maßgebliche deutsch-schweizerische Abkommensrecht sehe eine Kostenerstattung für ein in der Schweiz beschafftes Hilfsmittel nur dann vor, wenn das schweizerische Recht eine Versorgung mit diesem Hilfsmittel als Leistung der Krankenversicherung kenne. Orthopädische Schuheinlagen gehörten nicht dazu. Ein Erstattungsanspruch habe daher nicht bestanden. Unabhängig davon entspreche aber die Begrenzung der Erstattungsfähigkeit im Ausland entstandener Kosten für Hilfsmittel auf deutsche Sätze einem allgemeinen Rechtsgedanken: Soweit die gesetzliche Krankenversicherung nach § 18 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bei unverzüglich notwendigen Behandlungen während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts - anders als hier - überhaupt eintrittspflichtig sei, dürfe sie gemäß § 18 Abs 3 Satz 2 SGB V die Kosten "nur bis zu der Höhe, in der sie im Inland entstanden wären" übernehmen. Die Mehrkosten seien daher auch aus diesem Grunde nicht erstattungsfähig.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 33 und 18 Abs 3 SGB V. Er meint, zumindest bei ärztlich verordneten Kuraufenthalten im Ausland seien die Kosten für unvorhergesehen notwendig werdende ärztliche Behandlungen (einschließlich medizinischer Hilfsmittel) in voller Höhe zu erstatten. Bei Aufenthalten in der Schweiz gelte nach dem deutsch-schweizerischen Sozialversicherungsabkommen nichts anderes.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 25. August 1998 und des SG Itzehoe vom 19. Juni 1997 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 6. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm weitere Kosten in Höhe von 143,10 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 165, 153 Abs 1 und 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Schweiz selbst beschafften orthopädischen Schuheinlagen ist in voller Höhe begründet. Eine Begrenzung der Kostenerstattung auf die im Inland aufzuwendenden Kosten für eine vergleichbare Leistung findet nach dem maßgeblichen deutsch-schweizerischen Abkommensrecht nicht statt. Das SG und das LSG haben die Klage daher zu Unrecht abgewiesen.

1. Zu Recht hat das LSG allerdings über die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil sachlich entschieden. Die Statthaftigkeit der Berufung ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3; zuletzt BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 3). Nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 SGG in der seit dem 1. März 1993 geltenden Fassung (BGBl I S 50) bedarf die Berufung nur dann keiner besonderen Zulassungsentscheidung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM übersteigt oder wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Da die Klage zunächst zwei Geldleistungen von insgesamt weniger als 1.000 DM betraf (143,10 DM und rund 25 DM), bedurfte es für die sachliche Entscheidung des LSG im Berufungsverfahren der Zulassung der Berufung. Das SG hat sich über die Zulässigkeit der Berufung keine Gedanken gemacht oder geirrt und deshalb von einer eigenen Zulassungsentscheidung positiver oder negativer Art im Urteil abgesehen. Die Anfügung der bei zulässiger Berufung üblichen Rechtsmittelbelehrung durch das SG genügt nicht den Anforderungen an eine positive Entscheidung über die Zulassung der Berufung (BSGE 5, 92, 95; zuletzt BSG SozR 3-1500 § 158 Nrn 1 und 3; BVerwGE 71, 73, 76). Der Kläger hat sich an die unrichtige Rechtsmittelbelehrung gehalten und demgemäß statt der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) "Berufung" gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt. Die Berufung war dennoch zulässig, weil das Berufungsgericht sie aufgrund der als "Beschwerde" gegen die Nichtzulassung der Berufung seitens des SG (§ 145 SGG) ausgelegten "Berufung" des Klägers durch Beschluss (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG) in der mündlichen Verhandlung zugelassen hat. An die Zulassung der Berufung durch Beschluss des LSG ist der Senat gebunden, selbst wenn die dem Wortlaut der Erklärung entgegenstehende Auslegung der Prozeßhandlung unzutreffend war. Die Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassung der Berufung durch Beschluss des LSG folgt aus den Regelungen über die Wirkung von Rechtsmittelzulassungen für die Rechtsmittelinstanzen, selbst wenn dem SG in dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht die in § 145 Abs 4 Satz 1 SGG vorgeschriebene Möglichkeit der Abhilfeentscheidung eröffnet worden ist und der Kläger - anders als in dem vom 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 26. Januar 2000 (B 6 KA 13/99 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) entschiedenen Verfahren - weder vor noch in der mündlichen Verhandlung neben der eingelegten "Berufung" zusätzlich eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat.

a) Nach § 160 Abs 3 SGG ist das BSG an die Zulassung der Revision durch das LSG und nach § 161 Abs 2 Satz 2 SGG an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden. Die Bindungswirkung setzt lediglich eine an sich rechtsmittelfähige Entscheidung voraus. Sie besteht damit auch in Fällen gesetzwidriger Zulassung, wenn also zB Zulassungsgründe nicht gegeben sind oder die Zulassungsentscheidung verfahrensfehlerhaft zustandegekommen ist (BSGE 51, 23, 27 = SozR 1500 § 161 Nr 27; BVerwG NVwZ 1989, 246, 247 und DÖV 1997, 600 zu § 132 VwGO; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 160 RdNr 26). Dies ergibt sich aus Gründen der Rechtssicherheit sowie des gebotenen Vertrauensschutzes des Rechtsmittelklägers (vgl Begründung zum Regierungsentwurf eines 4. VwGO-Änderungsgesetzes, BT-Drucks 11/7030, zu § 131 Abs 4 und § 132 Abs 3 VwGO). Mit der Zulassungsentscheidung soll Gewißheit darüber bestehen, daß das zugelassene Rechtsmittel statthaft ist.

Der Regelung über die Bindung des BSG an die Revisionszulassung durch LSG bzw SG ist § 144 Abs 3 SGG nachgebildet, wonach die Zulassung der Berufung durch das SG - im Urteil oder im Wege einer Abhilfenentscheidung (§ 145 Abs 4 Satz 1 SGG) - die Berufungsinstanz bindet, auch hier selbst in Fällen gesetzwidriger Zulassung (Meyer-Ladewig, aaO, § 144 RdNr 43a; Bernsdorff in: Hennig, SGG, Stand Juli 1999, § 144 RdNr 74). Die Bindungswirkung der Zulassungsentscheidung des SG erstreckt sich im weiteren Rechtsmittelzug bei der Überprüfung des Berufungsurteils dann auch auf das Revisionsgericht. Andernfalls würde der mit der Bindung des LSG an die Zulassungsentscheidung des SG gemäß § 144 Abs 3 SGG erstrebte Zweck, Klarheit über die Statthaftigkeit des Rechtsmittels zu erreichen, unterlaufen. Wegen der notwendigen Rechtsmittelklarheit und des gebotenen Vertrauensschutzes des Rechtsmittelklägers kann nichts anderes gelten, wenn nicht schon das SG, sondern erst das LSG durch Beschluss gemäß § 145 Abs 4 Satz 1 SGG die Berufung zugelassen hat. Selbst bei verfahrensfehlerhafter oder sonst gesetzwidriger Zulassung der Berufung durch das LSG setzt die Bindungswirkung auch hier nur voraus, daß eine an sich berufungsfähige Entscheidung des SG vorliegt und die Berufung im Rahmen eines Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde durch gesonderten Beschluss des LSG (dh nicht erst in den Gründen des Berufungsurteils) zugelassen worden ist.

b) Der Zulassungsbeschluß des LSG ist in dem erforderlichen "Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde" ergangen, weil das LSG die (fristgerecht eingelegte) "Berufung" des nicht rechtskundig vertretenen Klägers als "Nichtzulassungsbeschwerde" ausgelegt hat, wodurch das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde in Gang gesetzt worden ist; es endete mit dem Beschluss des LSG über die Zulassung der Berufung und wurde dann als Berufungsverfahren fortgeführt (§ 145 Abs 5 SGG). Der Senat läßt danach die Frage offen, ob die Auffassung des LSG zu teilen ist, das entsprechend einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung als "Berufung" bezeichnete Rechtsmittel eines nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten könne - zumal unter den gegebenen besonderen Umständen (keine Reaktion auf den rechtlichen Hinweis des Gerichts) - als "Nichtzulassungsbeschwerde" ausgelegt werden (die Möglichkeit der Auslegung und Umdeutung verneinend für die Berufung eines rechtskundig vertretenen Beteiligten: Urteil des 14. Senats des BSG vom 22. Januar 1998 - B 14/10 KG 17/96 R -, nicht veröffentlicht). Die Auffassung des LSG erscheint jedenfalls vertretbar und nicht willkürlich. Die generelle Möglichkeit der Behandlung der "Berufung" eines Beteiligten als "Nichtzulassungsbeschwerde" wird auch in der Literatur aus Gründen der Prozeßökonomie bejaht (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 144 Nr 44); nur bei Willkür des Gerichts könnte die Bindungswirkung entfallen (BVerfGE 22, 254 und BGHZ 1, 341; 2, 278 zu § 281 Abs 2 ZPO).

c) Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des 1. Senats und des 14. Senats des BSG ab, wonach eine lediglich vorsorglich in den Gründen des Berufungsurteils ausgesprochene Zulassung der Berufung diese nicht statthaft macht, weil dem Berufungsgericht für die Zulassung des Rechtsmittels im laufenden Berufungsverfahren die Entscheidungsmacht fehlt (Urteile des 1. Senats vom 23. Juli 1998 - SozR 3-1500 § 158 Nr 3 - und vom 19. November 1996 - SozR 3-1500 § 158 Nr 1; Urteil des 14. Senats vom 22. Januar 1998 - B 14/10 KG 17/96 R - sowie Beschluss vom 6. Februar 1997 - 14/10 BKg 14/96 - SozR 3-1500 § 144 Nr 11).

2. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Kostenerstattung in voller Höhe zu. Der Anspruch folgt aus § 33 SGB V iVm Art 10d Abs 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 (BGBl 1965 II S 1293; im folgenden: Abkommen - Abk) idF des Ersten Zusatzabkommens vom 9. September 1975 (BGBl 1976 II S 1371; im folgenden: 1. ZusAbk) sowie des Zweiten Zusatzabkommens vom 2. März 1989 (BGBl 1989 II S 892; im folgenden: 2. ZusAbk).

a) Der Leistungsanspruch beurteilt sich im Grunde nach deutschem Recht. Es ist nicht das Recht der Schweiz maßgebend, obgleich sich der bei der Beklagten versicherte Kläger während des Eintritts des Versicherungsfalls (Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung und der Hilfsmittelversorgung aufgrund akuter Gehbeschwerden) zur Kur in der Schweiz aufgehalten hat und dort die orthopädischen Schuheinlagen ärztlich verordnet, von einem Schuhspezialisten angefertigt und vom Kläger bezahlt worden sind.

Nach § 30 Abs 1 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) gelten die Vorschriften des SGB, also auch jene des SGB V, für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Mit der Anknüpfung an das Territorialitätsprinzip hat § 30 SGB I den Charakter einer Kollisionsnorm. In dieser Funktion regelt die Vorschrift einen Anknüpfungstatbestand, also die Frage, ob auf den zu beurteilenden Sachverhalt die inländische Sozialrechtsordnung heranzuziehen ist (Mrozynski, SGB I, 2. Aufl 1995, § 30 RdNr 6). Dabei gilt das SGB I gemäß § 37 Satz 1 SGB I für alle Sozialleistungsbereiche des SGB, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt (vgl zB die Sonderregelungen der §§ 3 bis 6 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) für die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung). Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben dabei unberührt (§ 30 Abs 2 SGB I), lassen also die allgemeinen Regelungen des SGB jeweils zurücktreten.

Nach dem deutsch-schweizerischen Abkommensrecht über Soziale Sicherheit, das für alle deutschen und schweizerischen Staatsangehörigen gilt (Art 3 Abs 1 Abk), ist grundsätzlich das Statut des jeweiligen Wohnortstaates, ausnahmsweise das Recht des Staats, in dem eine Beschäftigung ausgeübt wird (vgl Art 4 Abs 1, Art 5 Abs 1 Abk), maßgebend. Der Bereich der Krankenversicherung war weder im ursprünglichen Abkommen über Soziale Sicherheit aus dem Jahre 1964 noch im 1. ZusAbk aus dem Jahre 1975 geregelt; erst im Jahre 1989 wurde dieser Bereich durch das 2. ZusAbk, das am 1. April 1990 in Kraft getreten ist (BGBl 1990 II S 199), in das Abkommen einbezogen.

Der Kläger wohnt in E. , hat also seinen Wohnsitz in Deutschland. Dort hält er sich auch gewöhnlich auf. Sein mehrwöchiger Kuraufenthalt in der Schweiz war nur vorübergehender Natur und berührte daher weder den Wohnsitz noch den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers. Deshalb gilt allein das deutsche Krankenversicherungsrecht, soweit das Abk selbst keine besonderen Regelungen enthält, wie das im Bereich der Sachleistungsaushilfe aber der Fall ist (vgl dazu unten).

b) Nach § 33 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V als Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis ausgeschlossen sind. Orthopädische Schuheinlagen, die der Linderung oder Beseitigung von krankheitsbedingten Gehbeschwerden dienen, gehören zu den orthopädischen Hilfsmitteln, die von den Krankenkassen zu gewähren sind. Es sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände, da sie von Gesunden gewöhnlich nicht benutzt werden. Die Verordnungsfähigkeit ist auch nicht durch die nach § 34 SGB V erlassene Rechtsverordnung ausgeschlossen.

c) Der Leistungsanspruch des Klägers ruht nicht. Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht zwar der Anspruch auf Leistungen, solange sich ein Versicherter im Ausland aufhält, und zwar auch dann, wenn er dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkrankt, soweit im SGB (zB § 16 Abs 4, § 17 und § 18 SGB V) nichts Abweichendes bestimmt ist. Diese Ruhensvorschrift ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach Art 4a Abs 1 Abk "gelten die Rechtsvorschriften einer Vertragspartei, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Erbringung von Leistungen vom Aufenthalt im Gebiet dieser Vertragspartei abhängt, nicht für die in Art 3 Abs 1 genannten Personen bei Aufenthalt im Gebiet der anderen Vertragspartei", soweit das Abkommen nichts anderes bestimmt. Für in Deutschland wohnende Versicherte mit deutscher oder schweizerischer Staatsangehörigkeit, die sich in der Schweiz aufhalten, wird damit der Aufenthalt im Ausland (Schweiz) dem Aufenthalt im Inland (Deutschland) gleichgestellt, so daß der Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse nicht nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht.

Das Abkommensrecht sieht für den vorliegenden Fall auch keine Ausnahme von der Gleichstellung des ausländischen mit dem inländischen Aufenthalt vor. Nach Art 10b Abs 1 Nr 1 Abk gilt allerdings die Gleichstellung der Aufenthaltsorte für eine Person, die sich lediglich vorübergehend im Gebiet der anderen Vertragspartei aufhält, nur dann, wenn sie wegen ihres Zustands sofort Leistungen benötigt. Diese Voraussetzung ist aber erfüllt, weil die Gehbeschwerden des Klägers eine sofortige Hilfsmittelversorgung notwendig machten. Da die Beschwerden plötzlich aufgetreten sind und der Versicherungsfall bei Antritt der Kur nicht vorhersehbar war, gelten auch nicht die leistungsrechtlichen Einschränkungen des Art 10b Abs 1 Nr 2 Abk für die vor Verlegung des Aufenthalts bereits absehbare Inanspruchnahme von Leistungen.

d) Die Versorgung mit den orthopädischen Schuheinlagen (§ 33 Abs 1 SGB V) konnte der Kläger in der Schweiz nicht als Sachleistung im Wege der Sachleistungsaushilfe beanspruchen, also ohne Eingehen einer eigenen Kostenverpflichtung, auf Kosten des insoweit zuständigen Schweizerischen Verbandes für die erweiterte Krankenversicherung (Art 10c Abs 1 Abk), dessen Kosten wiederum der deutsche Träger zu erstatten hat (Art 10f Abk). Die Sachleistungsaushilfe bestimmt sich für alle Formen medizinischer Behandlung und Versorgung nach den Art 10c und 10d Abk und ist bei Hilfsmitteln beschränkt.

Art 10c Abk regelt die Zuständigkeiten für die Erbringung von Sachleistungen in den Fällen der Sachleistungsaushilfe (Abs 1) sowie die Modalitäten der Sachleistungserbringung (Abs 2), wobei für Körperersatzstücke und andere Sachleistungen von erheblicher finanzieller Bedeutung die Sonderregelung (Abs 3) gilt, daß sie außer in Fällen unbedingter Dringlichkeit im Wege der Sachleistungsaushilfe nur erbracht werden, wenn der zuständige inländische Versicherungsträger zustimmt. Art 10c Abk bestimmt somit das "Wie" der Sachleistungsaushilfe. Die Frage des "Ob", also in welchen Fällen Sachleistungen zugunsten der von Art 4a und 10b Abk erfaßten Personen im anderen Vertragsstaat durch den dortigen Träger zu erbringen sind, ist hingegen in Art 10d Abk geregelt. Bei notwendiger stationärer Behandlung in der Schweiz gilt das Prinzip der Sachleistungsaushilfe uneingeschränkt (Abs 1). Bei notwendiger ambulanter Behandlung in der Schweiz findet die Sachleistungsaushilfe hingegen nur dann statt (Abs 2), wenn eine in Deutschland versicherte Person in der Schweiz wohnt (Nr 1), wenn sie dort als Grenzgänger einer Beschäftigung nachgeht (Nr 2), wenn sie sich im Rahmen ihrer in Deutschland ausgeübten Beschäftigung vorübergehend in der Schweiz aufhält (Nr 3) oder wenn sie einer Dialysebehandlung bzw einer Behandlung als Bluter bedarf (Nr 4 iVm Art 4c der Vereinbarung vom 25. August 1978 über die Durchführung des Abkommens vom 25. Februar 1964 idF der Zusatzvereinbarung vom 2. März 1989, BGBl 1980 II S 790 und BGBl 1989 II S 890). Dabei ist die Hilfsmittelversorgung als Teil der stationären Behandlung anzusehen, wenn sie im Rahmen einer stationären Behandlung stattfindet; ansonsten ist sie Teil der ambulanten Behandlung. Der Kläger erfüllt in seiner Eigenschaft als Rentner mit Wohnsitz in Deutschland, der sich nur vorübergehend in der Schweiz aufgehalten hat, keine der Voraussetzungen des Art 10d Abs 1 und 2 Abk. Zwar befand er sich zu einer stationären Behandlung (Kur) seiner Erkrankung in einer schweizerischen Klinik, als die Gehbeschwerden auftraten und die Hilfsmittelversorgung notwendig wurde. Ein Fall des Art 10d Abs 1 Abk (Hilfsmittelversorgung im Rahmen einer stationären Behandlung) lag jedoch nicht vor, weil zum einen diese stationäre Behandlung nicht im Rahmen einer Sachleistungsaushilfe nach Art 10b und 10c Abk, sondern als notwendige medizinische Behandlung im Ausland nach § 18 Abs 1 SGB V (Ermessensleistung der Beklagten) erfolgte und zum anderen die Hilfsmittelbedürftigkeit durch eine zusätzlich aufgetretene, von der Kur unabhängige, ambulant versorgte Erkrankung verursacht worden ist.

e) Die Rechtsfolge bei Nichtbestehen eines Anspruchs auf Sachleistungsaushilfe für einen nach deutschem Recht gegebenen Sachleistungsanspruch regelt Art 10d Abs 4 Abk: "Konnten Sachleistungen in Anwendung des Abkommens nicht in Anspruch genommen werden, haben die in Abs 1 genannten Personen und Einrichtungen Rechnungen auszustellen, die sie nach den für sie geltenden Bestimmungen spezifizieren. Die zuständigen Träger erstatten auf Antrag die entstandenen Kosten. Der deutsche Träger erstattet nach den für den schweizerischen Träger maßgebenden Sätzen, als ob die Person am Ort der Behandlung wohnte. Der schweizerische Träger erstattet nach den für ihn am Wohnort des Versicherten in der Schweiz geltenden Sätzen." Nach dieser Regelung steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Kostenerstattungsanspruch "nach den für den schweizerischen Träger maßgebenden Sätzen" zu. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Kostenerstattung nur dann stattfindet, wenn es sich bei der erbrachten Leistung auch um eine nach schweizerischem Recht als Versicherungsleistung zu erbringende Leistung handelt und deshalb "schweizerische Sätze" bestehen, daß eine Kostenerstattung also ausscheidet, wenn die schweizerische Krankenversicherung - wie hier bei orthopädischen Schuheinlagen - eine Leistung dieser Art als Versicherungsleistung nicht kennt und deshalb keine "schweizerischen Sätze" vorhanden sind. Art 10b Abs 4 Abk regelt, wie ausgeführt, nicht den Anspruch dem Grunde nach (hier § 33 Abs 1 SGB V), sondern nur die Form der Versicherungsleistung (Kostenerstattung mangels Anspruchs auf Sachleistungsaushilfe) und die Höhe der zu erstattenden Kosten. Den Fall, daß schweizerische Sätze deshalb nicht bestehen, weil es sich nicht um schweizerische Versicherungsleistungen handelt, haben die Vertragsparteien nicht geregelt. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift, nicht den Anspruch dem Grunde nach, sondern nur der Art und Höhe nach zu bestimmen, ist die Regelung für diesen Fall so auszulegen, daß die Leistung nicht entfällt, sondern die am Ort der Behandlung üblichen und angemessenen Kosten für eine solche Leistung zu erstatten sind (Analogie zu den §§ 453, 612 Abs 2 und 632 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Da im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die vom Kläger entrichtete Vergütung von 465 SFR unangemessen ist und über dem in Davos für eine derartige Leistung üblichen Preis liegt, hat die Beklagte hiernach die Kosten in voller Höhe zu erstatten, also den noch offenen Differenzbetrag von 143,10 DM nachzuzahlen.

f) Die Beklagte kann auch nicht mit ihrem Einwand gehört werden, die Kostenerstattung sei jedenfalls auf die in Deutschland üblichen Kosten für eine vergleichbare Leistung beschränkt. Es trifft zwar zu, daß für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. März 1990, dem Tag vor dem Inkrafttreten des 2. ZusAbk vom 2. März 1989, eine solche einschränkende Kostenregelung vorhanden war. Nach Art 2 Abs 2 des Gesetzes vom 21. November 1989 zum 2. ZusAbk und der Zusatzvereinbarung vom 2. März 1989 (BGBl 1989 II S 890) erstattete die Krankenkasse in Fällen der vorliegenden Art "die Kosten der Inanspruchnahme der Leistungen in Höhe der im 2. ZusAbk bezeichneten schweizerischen Sätze, abzüglich der bei Anwendung schweizerischer Rechtsvorschriften in Betracht kommenden Kostenbeteiligung, höchstens jedoch in Höhe vergleichbarer deutscher Sätze." Die rückwirkend zum 1. Januar 1989 in Kraft getretene (Art 4 Abs 1 des Gesetzes) Bestimmung, die als einseitige deutsche Regelung für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des 2. ZusAbk gedacht war und deshalb zum 31. März 1990 wieder außer Kraft getreten ist (Art 4 Abs 2 und 3 des Gesetzes), war und ist nicht in der vertraglichen Regelung des Art 10d Abs 4 Abk enthalten, soweit es die hier interessierende Begrenzung der Kostenerstattung auf deutsche Sätze betrifft. Ob dies auf einem Versehen der deutschen Vertragspartei beruht, braucht nicht geklärt zu werden. Maßgeblich ist bei einem völkerrechtlichen Vertrag allein der von den Vertragsparteien festgelegte Inhalt (vgl Art 31 ff des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge - "Wiener Vertragsrechtskonvention" - WVK - vom 23. Mai 1969, BGBl 1985 II S 926; dazu Graf Vitzthum, Völkerrecht, 1997, 1. Abschnitt RdNrn 124 - 125), der hier als vollständige Regelung auch dann angewandt werden kann, wenn die Beschränkung auf die deutschen Sätze entfällt.

Auch auf die - auf deutsche Sätze beschränkte - Kostenerstattungsregelung des § 18 Abs 3 Satz 2 SGB V kann sich die Beklagte nicht stützen. Dabei kann die Frage offenbleiben, ob diese Vorschrift nur für die in § 18 Abs 3 Satz 1 SGB V genannten speziellen Behandlungsfälle im Ausland gilt oder als eine einen allgemeinen Rechtsgedanken beinhaltende Regelung grundsätzlich auf alle Behandlungen im Ausland, für die die Krankenkassen einzustehen haben, ausgedehnt werden kann. Eine entsprechende Anwendung auf einen nicht von § 18 Abs 3 Satz 1 SGB V erfaßten Behandlungsfall im Ausland scheidet auf jeden Fall aus, wenn - wie hier - eine als abschließend anzusehende Spezialvorschrift existiert (Art 10d Abs 4 Abk).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, daß der Kläger mit dem in erster und zweiter Instanz zusätzlich erhobenen Anspruch auf Erstattung der Kosten von rund 25 DM für die Reparatur seiner Brille unterlegen ist und die Klage daher nur in der Revisionsinstanz in vollem Umfang, ansonsten jedoch nur teilweise Erfolg hatte.
Rechtskraft
Aus
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