Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 4/98 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1997 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Der 1935 geborene Kläger, der von der Bundesknappschaft Bergmannsrente sowie von der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft wegen einer 1961 erlittenen Verletzung des rechten Kniegelenks eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH erhält und an weiteren unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen leidet, erstrebt nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 60 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der Beklagte hat aufgrund eines vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg am 20. Oktober 1992 geschlossenen Vergleichs mit Bescheid vom 23. November 1992 wegen verschiedener "Behinderungen" einen GdB von 60 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Notwendigkeit einer Begleitperson) festgestellt. Die vor Abschluß des Vergleichs beantragte Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG traf er dagegen nicht.
Im Februar 1993 beantragte der Kläger die Neufeststellung des GdB wegen Verschlimmerung und erneut die Zuerkennung des Merkzeichens aG. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1994 ab. Die erneute Klage zum SG Oldenburg blieb erfolglos (Urteil vom 6. August 1996).
Im Verfahren über die dagegen eingelegte Berufung des Klägers schrieb der zuständige Berichterstatter des Landessozialgerichts (LSG) - nach Einholung zweier Befundberichte - am 24. Februar 1997 an die damalige Prozeßbevollmächtigte, eine Rechtsanwältin:
Die vielfältige Beschwerdeschilderung des Klägers läßt sich (auch) durch die jetzigen ärztlichen Äußerungen nur unzureichend objektivieren. Dies wird der Kläger nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast gegen sich gelten lassen müssen, zumal neuere ärztliche Befunderhebungen nicht ersichtlich sind. Mag er insoweit angeben, ob die von Dr. N. am 22. Mai 1996 verordnete Krankenhausbehandlung durchgeführt wurde, ggf aus welchen Gründen sie unterblieben ist. "Ins Geratewohl" sind weitere Ermittlungen von Amts wegen bei dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand jedenfalls nicht beabsichtigt. Vielmehr kommt nach jetzigem Stand eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG in Betracht. Hierzu kann sich der Kläger bis zum 27. März 1997 äußern, er kann ggf auch Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG erklären.
Darauf teilte die damalige Bevollmächtigte des Klägers Namen und Anschriften zweier weiterer behandelnder Ärzte mit. Die fragliche Krankenhausbehandlung habe noch nicht stattgefunden. Der Kläger sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden. Er beabsichtige, an dem noch anzuberaumenden Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Unmittelbar darauf entzog der Kläger seiner Prozeßbevollmächtigten das Mandat; deren letzter Schriftsatz habe "zu diesem Verfahren überhaupt keine Aussagekraft" und dürfe "nicht zugelassen werden". Er sei derzeit ohne ärztliche Behandlung, aber bettlägerig krank; er möchte auf jeden Fall bei der Gerichtsverhandlung dabei sein und daß seine Ehefrau als Zeugin gehört werde, wie seine Rechtsanwältin schon mitgeteilt habe. Außerdem beantragte er, "daß das Gericht einen Facharzt zuläßt, der während der Verhandlung im Rahmen der Möglichkeit eine Untersuchung durchführen kann". Der Berichterstatter zog daraufhin Befundberichte von den beiden behandelnden Ärzten ein, welche die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin angegeben hatte (Dr. M. und Dr. B. ). Zu diesen Befunden äußerte sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 11. April 1997, dem eine Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie Dr. B. vom 4. April 1997 beilag. Des weiteren teilte der Kläger im Mai 1997 mit, er habe den ihm bereits 1991 von der Bundesknappschaft bewilligten Elektrorollstuhl nunmehr (seit 29. April 1997) im Hause. Außerdem habe eine dritte Operation an seiner rechten Hand am 7. April 1997 stattgefunden, aber wieder keine Besserung erbracht.
Mit Beschluss vom 9. Juni 1997 wies das LSG, gestützt auf § 153 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), die Berufung des Klägers zurück. Es ging davon aus, daß der Kläger die Feststellung sowohl eines höheren GdB als auch der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG begehre. Im Vordergrund des klägerischen Begehrens stehe der Nachteilsausgleich, der schon Gegenstand des Prozeßvergleichs vom 20. Oktober 1992 gewesen sei. Da der Kläger "seinen diesbezüglichen Anspruch im Vergleichswege fallengelassen (§ 77 SGG)" habe, hätte die erneute Geltendmachung "schon aus Rechtsgründen" nur dann Aussicht auf Erfolg haben können, wenn seit dem Ausführungsbescheid vom 23. November 1992 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre. Eine solche lasse sich indessen nicht feststellen. Auf den Berufungsantrag hinsichtlich des GdB ging das LSG in den Entscheidungsgründen nicht ein.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 22. April 1998 zugelassene Revision des Klägers. Dieser rügt als Verfahrensfehler, daß das LSG durch Beschluss und nicht aufgrund mündlicher Verhandlung über seine Berufung entschieden habe. Er sei nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß das Gericht zumindest erwäge, die Berufung auf diese Weise als unbegründet zurückzuweisen. Durch die Verbindung des Hinweises auf § 153 Abs 4 SGG mit demjenigen auf ein Verfahren nach § 124 Abs 2 SGG sei bei ihm der Eindruck entstanden, daß es zu einer erneuten mündlichen Verhandlung kommen werde. Außerdem hätte das Anhörungsschreiben vom 24. Februar 1997 nicht durch den Berichterstatter, sondern durch den Vorsitzenden des Senats verfügt bzw unterzeichnet sein müssen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. August 1996 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Oldenburg vom 7. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 8. April 1994 aufzuheben und bei dem Kläger einen Gesamtgrad der Behinderung von mindestens 80 vH sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG festzustellen, hilfsweise, den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1997 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat sinngemäß die Zurückweisung der Revision des Klägers beantragt.
Beide Beteiligte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision ist iS einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet, weil der angefochtene Beschluss auf einem Verfahrensmangel beruht. Die Rüge des Klägers, das LSG hätte ohne seine ausreichende Anhörung durch Beschluss entschieden, erweist sich im Ergebnis als begründet.
Gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten "vorher" zu hören, dh bevor das LSG eine Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückweisen kann. Diese Vorschrift ist allerdings nicht, wie die Revision meint, schon dadurch verletzt, daß die Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 nach dem damaligen Verfahrensstand formell unzureichend gewesen wäre. Insbesondere war es unschädlich, daß die vom Berichterstatter des LSG am 24. Februar 1997 verfügte schriftliche Anhörungsmitteilung nicht durch den Vorsitzenden des LSG-Senats verfügt oder unterzeichnet war. Die Frage, ob insoweit der Vorsitzende tätig werden muß, ist, bisher nicht höchstrichterlich entschieden. Das Schrifttum ist aber überwiegend der Ansicht, daß die Anhörung durch den Berichterstatter ausreicht (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 20 zu § 153 mwN). Dem ist beizupflichten. Denn es reicht für die wirksame Anhörung aus, daß der Berichterstatter die Sache - nach entsprechender Prüfung - für ein Verfahren nach § 154 Abs 4 Satz 1 SGG als geeignet ansieht. Kommt die für dieses Verfahren erforderliche Einstimmigkeit der Berufsrichter später nicht zustande, ist die Anhörung gegenstandslos, aber unschädlich. Ob selbst eine bei der Anhörung vorliegende Einstimmigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung noch fortbesteht, kann auch bei einer Anhörung durch den Vorsitzenden nicht, ja nicht einmal dann gesagt werden, wenn zum Zeitpunkt der Anhörung die Meinung im Spruchkörper noch einhellig ist. Zudem waren hier dem zuständigen Berichterstatter - Richter am LSG R. - die Aufgaben des Vorsitzenden nach § 106 SGG übertragen (vgl § 155 Abs 1 SGG). Die Tätigkeit eines solchen Berichterstatters bei der Vorbereitung der Entscheidung steht ohnehin derjenigen des Vorsitzenden gleich (vgl auch zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Fassung Kopp, VwGO, 10. Aufl RdNr 3 zu § 130a sowie RdNr 23 zu § 84).
Auch der weitere von der Revision gerügte Umstand, daß in der Anhörungsmitteilung nur auf die Möglichkeit einer "Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG" hingewiesen worden ist, ohne daß die Art und Weise und der Inhalt der bevorstehenden Entscheidung weiter erläutert wurden, machte die Anhörungsmitteilung nicht von vornherein fehlerhaft. Zwar muß der Kläger, wenn er anwaltlich nicht vertreten ist, bei der Anhörungsmitteilung darauf hingewiesen werden, daß die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen soll und daß im Rahmen der beabsichtigten Verfahrensweise eine Zurückweisung der Berufung in Betracht kommt (vgl Urteil des Senats vom 22. April 1998 SozR 3-1500 § 153 Nr 7). Hier war der Kläger jedoch zum Zeitpunkt des Zugangs der Anhörungsmitteilung noch anwaltlich vertreten. Für einen rechtskundigen Vertreter reicht der hier gegebene Hinweis aus, es komme "eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG" in Betracht, da es ihm zuzumuten ist, sich über den Inhalt dieser Bestimmung zu informieren. Wäre dies hier geschehen, hätte die rechtskundige Vertreterin des Klägers keinen Zweifel daran haben können, daß das Gericht die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung erwog. Diese zureichende Mitteilung an die Prozeßbevollmächtigte und deren Rechtskenntnisse muß sich der Kläger zurechnen lassen (vgl § 73 Abs 4 SGG und § 85 Abs 2 ZPO), auch wenn er ihr das Mandat bald nach der Anhörung entzogen hat.
Das LSG hätte aber nicht ohne erneute Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG über die Berufung des Klägers durch Beschluss entscheiden dürfen, weil zwischen dem Zugang der Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 und der angefochtenen Entscheidung des LSG eine neue Verfahrenslage eingetreten war (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl RdNr 20 zu § 153 SGG und RdNr 11 zu § 105 SGG; Kummer in Peters/Sautter/Wolff RdNr 36 ff zu § 105 SGG). Dies ergibt sich, auch wenn die Rüge nicht ausdrücklich auf diesen Gesichtspunkt gestützt worden ist, aus dem Tatsachenvortrag des Klägers in der Revision, was ausreichend ist (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Der Kläger hat nämlich in der Revisionsbegründung vorgetragen, er habe nach der Anhörung vom 24. Februar 1997 noch beantragt, das Gericht möge einen Facharzt hinzuziehen, und mitgeteilt, er sei inzwischen an der rechten Hand zum dritten Mal operiert. Ferner hat der Kläger vorgetragen, das LSG habe nach dem Zugang der Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 noch Befundberichte des Allgemeinarztes Dr. M. vom 17. März 1997 und des Chirurgen B. vom 24. März 1997 eingeholt. Diese Umstände hätten das LSG veranlassen müssen, dem gestellten Beweisantrag nachzugehen (SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12 ff), zumal der Kläger letztmalig 1992 durch gerichtliche Sachverständige untersucht worden war. Es lag insofern auch kein unzweckmäßiges Vorbringen des Klägers oder eine reine Wiederholung eines bereits im Berufungsschriftsatz gestellten Antrages vor (im Rahmen der Berufungsbegründung war eine fachärztliche Untersuchung nur "angeregt" worden). Das LSG hätte allenfalls dann verfahrensfehlerfrei von einer erneuten Anhörungsmitteilung absehen können, wenn der Kläger erkennbar keinen Wert auf eine mündliche Verhandlung gelegt hätte oder sein Vorbringen von vornherein unsubstantiiert gewesen wäre (BVerwG, Buchholz 312, Entlastungsgesetz Nr 32 S 22 f). Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Unter diesen Umständen hätte das LSG, auch und gerade wenn es keine weitere Sachaufklärung betreiben wollte, die Anhörung des Klägers zu dem beabsichtigten Beschlussverfahren (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG) wiederholen müssen, da der Kläger nach dem nunmehrigen Verfahrensstand nicht mehr damit zu rechnen brauchte, daß das LSG an der im Februar 1997 angekündigten, durch das Fehlen einer mündlichen Verhandlung gekennzeichneten Verfahrensweise festhalten wollte. Das gilt um so mehr, als das LSG in seiner Anhörungsmitteilung ausdrücklich ein Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG nur "nach dem jetzigen Stand" in Betracht gezogen hatte (vgl auch Urteil des Senats B 9 SB 4/98 R vom 1. September 1999). Auf der unzureichenden Anhörung und damit einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) des Klägers kann der angefochtene Beschluss des LSG auch beruhen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß das LSG bei ordnungsgemäßer Durchführung des Anhörungsverfahrens von seiner Befugnis, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht und eine Beweisaufnahme (zB durch Sachverständigengutachten) durchgeführt hätte.
Der Rechtsstreit ist mithin schon aus den genannten Gründen gemäß § 170 Abs 2 Nr 2 SGG in vollem Umfang an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Bei der neuen Entscheidung wird das LSG folgendes zu beachten haben: Soweit die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG streitig ist, reicht es nicht aus, wenn das LSG nur feststellt, daß seit dem Vergleichsschluß vor dem SG vom 20. Oktober 1992 bzw Bekanntgabe des Ausführungsbescheides vom 23. November 1992 in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers keine Änderung eingetreten sei. Es hätte nachprüfen und beurteilen müssen, ob die - gleichgebliebenen oder geänderten - gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers die beantragte Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtfertigten oder nicht.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 23. November 1992 hinsichtlich des mit Antrag vom 23. Oktober 1990 beantragten Merkzeichens aG die negative Entscheidung in seinem Bescheid vom 27. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1991 wiederholt, dh - im Einklang mit der Vergleichsvereinbarung - das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht festgestellt. Insoweit hat er aber eine der materiellen Bestandskraft fähige Feststellung nur insoweit getroffen, als er die Ansprüche des Klägers auf eine Feststellung gemäß § 4 SchwbG nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand vom 23. November 1992 (Ende des Verwaltungsverfahrens) beurteilt hat. Eine solche Ablehnung schließt (wie die Ablehnung eines Antrags auf eine Sozialleistung) das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme ihr Dauerwirkung zu, was nicht der Fall ist (vgl Wiesner in Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/ von Wulffen, SGB X 3. Aufl RdNr 4 zu § 48; BSGE 58, 27 = SozR 1300 § 44 Nr 16; auch unveröffentlichte Entscheidung des Senats vom 10. Mai 1994 - 9 BV 140/93 -).
Für die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte zu Recht den neuen auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG gerichteten Antrag vom Februar 1993 zurückweisen durfte, mußte das LSG daher nicht nur neue tatsächliche Feststellungen zum jetzigen Gesundheitszustand des Klägers treffen, sondern auch eine neue inhaltliche Prüfung anstellen, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nunmehr vorlagen. Dabei war das LSG entgegen seiner Ansicht nicht an den Inhalt des Bescheides vom 23. November 1992 gebunden. Denn dieser Bescheid betraf nur das mit Antrag vom Oktober 1990 eingeleitete Verwaltungsverfahren. Der neue, im Februar 1993 gestellte Antrag war für die Zeit nach Abschluß des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens (Bekanntgabe des Bescheides vom 23. November 1992) sowohl vom Beklagten als auch ggf von den Gerichten unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten neu zu prüfen. Selbstverständlich war das LSG nicht gehindert, die tatsächliche Feststellung zu treffen, daß sich die Sachlage seit Erlaß des Bescheides am 23. November 1992 nicht geändert habe. Den damit festgestellten Sachverhalt hatte es aber ohne rechtliche Bindung an den Inhalt dieses Bescheides rechtlich neu zu beurteilen.
Erst recht keine Bindungswirkung kommt dem gerichtlichen Vergleich vom 20. Oktober 1992 zu. Dieser beendete lediglich den gegen den früheren Bescheid vom 27. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1991 anhängigen Rechtsstreit (Az.: 1 Vs 10344/91), entfaltete aber keine Rechtskraft (vgl Meyer-Ladewig, 6. Aufl RdNr 11 zu § 101). Für künftige Prozesse hatte er lediglich zur Folge, daß eine neue Klage gegen die damals angefochtenen Bescheide unzulässig (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 10 zu § 101) und gegen den Ausführungsbescheid vom 23. November 1992 nur mit der Begründung zulässig war, der Prozeßvergleich vom 20. Oktober 1992 sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Neue Leistungsanträge blieben dagegen uneingeschränkt zulässig. Über sie war sowohl vom Beklagten als auch von den Vorinstanzen ohne Bindung an den Inhalt des Vergleichs zu entscheiden.
Soweit das LSG den Berufungsantrag des Klägers auch hinsichtlich der Feststellung eines höheren GdB zurückgewiesen hat, hat es sich möglicherweise von denselben Gedanken leiten lassen wie bei der Zurückweisung des Antrags hinsichtlich des Merkzeichens aG, insoweit gilt das zuvor Gesagte entsprechend.
Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorzubehalten.
Gründe:
I
Der 1935 geborene Kläger, der von der Bundesknappschaft Bergmannsrente sowie von der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft wegen einer 1961 erlittenen Verletzung des rechten Kniegelenks eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH erhält und an weiteren unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen leidet, erstrebt nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 60 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der Beklagte hat aufgrund eines vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg am 20. Oktober 1992 geschlossenen Vergleichs mit Bescheid vom 23. November 1992 wegen verschiedener "Behinderungen" einen GdB von 60 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Notwendigkeit einer Begleitperson) festgestellt. Die vor Abschluß des Vergleichs beantragte Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG traf er dagegen nicht.
Im Februar 1993 beantragte der Kläger die Neufeststellung des GdB wegen Verschlimmerung und erneut die Zuerkennung des Merkzeichens aG. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1994 ab. Die erneute Klage zum SG Oldenburg blieb erfolglos (Urteil vom 6. August 1996).
Im Verfahren über die dagegen eingelegte Berufung des Klägers schrieb der zuständige Berichterstatter des Landessozialgerichts (LSG) - nach Einholung zweier Befundberichte - am 24. Februar 1997 an die damalige Prozeßbevollmächtigte, eine Rechtsanwältin:
Die vielfältige Beschwerdeschilderung des Klägers läßt sich (auch) durch die jetzigen ärztlichen Äußerungen nur unzureichend objektivieren. Dies wird der Kläger nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast gegen sich gelten lassen müssen, zumal neuere ärztliche Befunderhebungen nicht ersichtlich sind. Mag er insoweit angeben, ob die von Dr. N. am 22. Mai 1996 verordnete Krankenhausbehandlung durchgeführt wurde, ggf aus welchen Gründen sie unterblieben ist. "Ins Geratewohl" sind weitere Ermittlungen von Amts wegen bei dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand jedenfalls nicht beabsichtigt. Vielmehr kommt nach jetzigem Stand eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG in Betracht. Hierzu kann sich der Kläger bis zum 27. März 1997 äußern, er kann ggf auch Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG erklären.
Darauf teilte die damalige Bevollmächtigte des Klägers Namen und Anschriften zweier weiterer behandelnder Ärzte mit. Die fragliche Krankenhausbehandlung habe noch nicht stattgefunden. Der Kläger sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden. Er beabsichtige, an dem noch anzuberaumenden Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Unmittelbar darauf entzog der Kläger seiner Prozeßbevollmächtigten das Mandat; deren letzter Schriftsatz habe "zu diesem Verfahren überhaupt keine Aussagekraft" und dürfe "nicht zugelassen werden". Er sei derzeit ohne ärztliche Behandlung, aber bettlägerig krank; er möchte auf jeden Fall bei der Gerichtsverhandlung dabei sein und daß seine Ehefrau als Zeugin gehört werde, wie seine Rechtsanwältin schon mitgeteilt habe. Außerdem beantragte er, "daß das Gericht einen Facharzt zuläßt, der während der Verhandlung im Rahmen der Möglichkeit eine Untersuchung durchführen kann". Der Berichterstatter zog daraufhin Befundberichte von den beiden behandelnden Ärzten ein, welche die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin angegeben hatte (Dr. M. und Dr. B. ). Zu diesen Befunden äußerte sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 11. April 1997, dem eine Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie Dr. B. vom 4. April 1997 beilag. Des weiteren teilte der Kläger im Mai 1997 mit, er habe den ihm bereits 1991 von der Bundesknappschaft bewilligten Elektrorollstuhl nunmehr (seit 29. April 1997) im Hause. Außerdem habe eine dritte Operation an seiner rechten Hand am 7. April 1997 stattgefunden, aber wieder keine Besserung erbracht.
Mit Beschluss vom 9. Juni 1997 wies das LSG, gestützt auf § 153 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), die Berufung des Klägers zurück. Es ging davon aus, daß der Kläger die Feststellung sowohl eines höheren GdB als auch der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG begehre. Im Vordergrund des klägerischen Begehrens stehe der Nachteilsausgleich, der schon Gegenstand des Prozeßvergleichs vom 20. Oktober 1992 gewesen sei. Da der Kläger "seinen diesbezüglichen Anspruch im Vergleichswege fallengelassen (§ 77 SGG)" habe, hätte die erneute Geltendmachung "schon aus Rechtsgründen" nur dann Aussicht auf Erfolg haben können, wenn seit dem Ausführungsbescheid vom 23. November 1992 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre. Eine solche lasse sich indessen nicht feststellen. Auf den Berufungsantrag hinsichtlich des GdB ging das LSG in den Entscheidungsgründen nicht ein.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 22. April 1998 zugelassene Revision des Klägers. Dieser rügt als Verfahrensfehler, daß das LSG durch Beschluss und nicht aufgrund mündlicher Verhandlung über seine Berufung entschieden habe. Er sei nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß das Gericht zumindest erwäge, die Berufung auf diese Weise als unbegründet zurückzuweisen. Durch die Verbindung des Hinweises auf § 153 Abs 4 SGG mit demjenigen auf ein Verfahren nach § 124 Abs 2 SGG sei bei ihm der Eindruck entstanden, daß es zu einer erneuten mündlichen Verhandlung kommen werde. Außerdem hätte das Anhörungsschreiben vom 24. Februar 1997 nicht durch den Berichterstatter, sondern durch den Vorsitzenden des Senats verfügt bzw unterzeichnet sein müssen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 6. August 1996 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Oldenburg vom 7. Juni 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 8. April 1994 aufzuheben und bei dem Kläger einen Gesamtgrad der Behinderung von mindestens 80 vH sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich aG festzustellen, hilfsweise, den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Juni 1997 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat sinngemäß die Zurückweisung der Revision des Klägers beantragt.
Beide Beteiligte haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision ist iS einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet, weil der angefochtene Beschluss auf einem Verfahrensmangel beruht. Die Rüge des Klägers, das LSG hätte ohne seine ausreichende Anhörung durch Beschluss entschieden, erweist sich im Ergebnis als begründet.
Gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten "vorher" zu hören, dh bevor das LSG eine Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückweisen kann. Diese Vorschrift ist allerdings nicht, wie die Revision meint, schon dadurch verletzt, daß die Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 nach dem damaligen Verfahrensstand formell unzureichend gewesen wäre. Insbesondere war es unschädlich, daß die vom Berichterstatter des LSG am 24. Februar 1997 verfügte schriftliche Anhörungsmitteilung nicht durch den Vorsitzenden des LSG-Senats verfügt oder unterzeichnet war. Die Frage, ob insoweit der Vorsitzende tätig werden muß, ist, bisher nicht höchstrichterlich entschieden. Das Schrifttum ist aber überwiegend der Ansicht, daß die Anhörung durch den Berichterstatter ausreicht (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 20 zu § 153 mwN). Dem ist beizupflichten. Denn es reicht für die wirksame Anhörung aus, daß der Berichterstatter die Sache - nach entsprechender Prüfung - für ein Verfahren nach § 154 Abs 4 Satz 1 SGG als geeignet ansieht. Kommt die für dieses Verfahren erforderliche Einstimmigkeit der Berufsrichter später nicht zustande, ist die Anhörung gegenstandslos, aber unschädlich. Ob selbst eine bei der Anhörung vorliegende Einstimmigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung noch fortbesteht, kann auch bei einer Anhörung durch den Vorsitzenden nicht, ja nicht einmal dann gesagt werden, wenn zum Zeitpunkt der Anhörung die Meinung im Spruchkörper noch einhellig ist. Zudem waren hier dem zuständigen Berichterstatter - Richter am LSG R. - die Aufgaben des Vorsitzenden nach § 106 SGG übertragen (vgl § 155 Abs 1 SGG). Die Tätigkeit eines solchen Berichterstatters bei der Vorbereitung der Entscheidung steht ohnehin derjenigen des Vorsitzenden gleich (vgl auch zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Fassung Kopp, VwGO, 10. Aufl RdNr 3 zu § 130a sowie RdNr 23 zu § 84).
Auch der weitere von der Revision gerügte Umstand, daß in der Anhörungsmitteilung nur auf die Möglichkeit einer "Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG" hingewiesen worden ist, ohne daß die Art und Weise und der Inhalt der bevorstehenden Entscheidung weiter erläutert wurden, machte die Anhörungsmitteilung nicht von vornherein fehlerhaft. Zwar muß der Kläger, wenn er anwaltlich nicht vertreten ist, bei der Anhörungsmitteilung darauf hingewiesen werden, daß die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen soll und daß im Rahmen der beabsichtigten Verfahrensweise eine Zurückweisung der Berufung in Betracht kommt (vgl Urteil des Senats vom 22. April 1998 SozR 3-1500 § 153 Nr 7). Hier war der Kläger jedoch zum Zeitpunkt des Zugangs der Anhörungsmitteilung noch anwaltlich vertreten. Für einen rechtskundigen Vertreter reicht der hier gegebene Hinweis aus, es komme "eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG" in Betracht, da es ihm zuzumuten ist, sich über den Inhalt dieser Bestimmung zu informieren. Wäre dies hier geschehen, hätte die rechtskundige Vertreterin des Klägers keinen Zweifel daran haben können, daß das Gericht die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung erwog. Diese zureichende Mitteilung an die Prozeßbevollmächtigte und deren Rechtskenntnisse muß sich der Kläger zurechnen lassen (vgl § 73 Abs 4 SGG und § 85 Abs 2 ZPO), auch wenn er ihr das Mandat bald nach der Anhörung entzogen hat.
Das LSG hätte aber nicht ohne erneute Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG über die Berufung des Klägers durch Beschluss entscheiden dürfen, weil zwischen dem Zugang der Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 und der angefochtenen Entscheidung des LSG eine neue Verfahrenslage eingetreten war (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl RdNr 20 zu § 153 SGG und RdNr 11 zu § 105 SGG; Kummer in Peters/Sautter/Wolff RdNr 36 ff zu § 105 SGG). Dies ergibt sich, auch wenn die Rüge nicht ausdrücklich auf diesen Gesichtspunkt gestützt worden ist, aus dem Tatsachenvortrag des Klägers in der Revision, was ausreichend ist (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Der Kläger hat nämlich in der Revisionsbegründung vorgetragen, er habe nach der Anhörung vom 24. Februar 1997 noch beantragt, das Gericht möge einen Facharzt hinzuziehen, und mitgeteilt, er sei inzwischen an der rechten Hand zum dritten Mal operiert. Ferner hat der Kläger vorgetragen, das LSG habe nach dem Zugang der Anhörungsmitteilung vom 24. Februar 1997 noch Befundberichte des Allgemeinarztes Dr. M. vom 17. März 1997 und des Chirurgen B. vom 24. März 1997 eingeholt. Diese Umstände hätten das LSG veranlassen müssen, dem gestellten Beweisantrag nachzugehen (SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12 ff), zumal der Kläger letztmalig 1992 durch gerichtliche Sachverständige untersucht worden war. Es lag insofern auch kein unzweckmäßiges Vorbringen des Klägers oder eine reine Wiederholung eines bereits im Berufungsschriftsatz gestellten Antrages vor (im Rahmen der Berufungsbegründung war eine fachärztliche Untersuchung nur "angeregt" worden). Das LSG hätte allenfalls dann verfahrensfehlerfrei von einer erneuten Anhörungsmitteilung absehen können, wenn der Kläger erkennbar keinen Wert auf eine mündliche Verhandlung gelegt hätte oder sein Vorbringen von vornherein unsubstantiiert gewesen wäre (BVerwG, Buchholz 312, Entlastungsgesetz Nr 32 S 22 f). Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Unter diesen Umständen hätte das LSG, auch und gerade wenn es keine weitere Sachaufklärung betreiben wollte, die Anhörung des Klägers zu dem beabsichtigten Beschlussverfahren (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG) wiederholen müssen, da der Kläger nach dem nunmehrigen Verfahrensstand nicht mehr damit zu rechnen brauchte, daß das LSG an der im Februar 1997 angekündigten, durch das Fehlen einer mündlichen Verhandlung gekennzeichneten Verfahrensweise festhalten wollte. Das gilt um so mehr, als das LSG in seiner Anhörungsmitteilung ausdrücklich ein Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG nur "nach dem jetzigen Stand" in Betracht gezogen hatte (vgl auch Urteil des Senats B 9 SB 4/98 R vom 1. September 1999). Auf der unzureichenden Anhörung und damit einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) des Klägers kann der angefochtene Beschluss des LSG auch beruhen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß das LSG bei ordnungsgemäßer Durchführung des Anhörungsverfahrens von seiner Befugnis, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht und eine Beweisaufnahme (zB durch Sachverständigengutachten) durchgeführt hätte.
Der Rechtsstreit ist mithin schon aus den genannten Gründen gemäß § 170 Abs 2 Nr 2 SGG in vollem Umfang an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Bei der neuen Entscheidung wird das LSG folgendes zu beachten haben: Soweit die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG streitig ist, reicht es nicht aus, wenn das LSG nur feststellt, daß seit dem Vergleichsschluß vor dem SG vom 20. Oktober 1992 bzw Bekanntgabe des Ausführungsbescheides vom 23. November 1992 in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers keine Änderung eingetreten sei. Es hätte nachprüfen und beurteilen müssen, ob die - gleichgebliebenen oder geänderten - gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers die beantragte Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtfertigten oder nicht.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 23. November 1992 hinsichtlich des mit Antrag vom 23. Oktober 1990 beantragten Merkzeichens aG die negative Entscheidung in seinem Bescheid vom 27. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1991 wiederholt, dh - im Einklang mit der Vergleichsvereinbarung - das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht festgestellt. Insoweit hat er aber eine der materiellen Bestandskraft fähige Feststellung nur insoweit getroffen, als er die Ansprüche des Klägers auf eine Feststellung gemäß § 4 SchwbG nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand vom 23. November 1992 (Ende des Verwaltungsverfahrens) beurteilt hat. Eine solche Ablehnung schließt (wie die Ablehnung eines Antrags auf eine Sozialleistung) das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft. Wäre es anders, so käme ihr Dauerwirkung zu, was nicht der Fall ist (vgl Wiesner in Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/ von Wulffen, SGB X 3. Aufl RdNr 4 zu § 48; BSGE 58, 27 = SozR 1300 § 44 Nr 16; auch unveröffentlichte Entscheidung des Senats vom 10. Mai 1994 - 9 BV 140/93 -).
Für die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte zu Recht den neuen auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG gerichteten Antrag vom Februar 1993 zurückweisen durfte, mußte das LSG daher nicht nur neue tatsächliche Feststellungen zum jetzigen Gesundheitszustand des Klägers treffen, sondern auch eine neue inhaltliche Prüfung anstellen, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nunmehr vorlagen. Dabei war das LSG entgegen seiner Ansicht nicht an den Inhalt des Bescheides vom 23. November 1992 gebunden. Denn dieser Bescheid betraf nur das mit Antrag vom Oktober 1990 eingeleitete Verwaltungsverfahren. Der neue, im Februar 1993 gestellte Antrag war für die Zeit nach Abschluß des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens (Bekanntgabe des Bescheides vom 23. November 1992) sowohl vom Beklagten als auch ggf von den Gerichten unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten neu zu prüfen. Selbstverständlich war das LSG nicht gehindert, die tatsächliche Feststellung zu treffen, daß sich die Sachlage seit Erlaß des Bescheides am 23. November 1992 nicht geändert habe. Den damit festgestellten Sachverhalt hatte es aber ohne rechtliche Bindung an den Inhalt dieses Bescheides rechtlich neu zu beurteilen.
Erst recht keine Bindungswirkung kommt dem gerichtlichen Vergleich vom 20. Oktober 1992 zu. Dieser beendete lediglich den gegen den früheren Bescheid vom 27. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1991 anhängigen Rechtsstreit (Az.: 1 Vs 10344/91), entfaltete aber keine Rechtskraft (vgl Meyer-Ladewig, 6. Aufl RdNr 11 zu § 101). Für künftige Prozesse hatte er lediglich zur Folge, daß eine neue Klage gegen die damals angefochtenen Bescheide unzulässig (vgl Meyer-Ladewig aaO RdNr 10 zu § 101) und gegen den Ausführungsbescheid vom 23. November 1992 nur mit der Begründung zulässig war, der Prozeßvergleich vom 20. Oktober 1992 sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Neue Leistungsanträge blieben dagegen uneingeschränkt zulässig. Über sie war sowohl vom Beklagten als auch von den Vorinstanzen ohne Bindung an den Inhalt des Vergleichs zu entscheiden.
Soweit das LSG den Berufungsantrag des Klägers auch hinsichtlich der Feststellung eines höheren GdB zurückgewiesen hat, hat es sich möglicherweise von denselben Gedanken leiten lassen wie bei der Zurückweisung des Antrags hinsichtlich des Merkzeichens aG, insoweit gilt das zuvor Gesagte entsprechend.
Die Kostenentscheidung ist der Endentscheidung vorzubehalten.
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