Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 1/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 1998 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Der 1978 geborene Kläger bezieht seit dem 1. November 1995 von dem Beklagten gemäß § 38 Bundesversorgungsgesetz (BVG) Halbwaisenrente nach seinem am 3. April 1993 an den Folgen einer Schädigung iS des § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) verstorbenen Vater C. H ... Bereits am 4. Mai 1993 hatte die Mutter des Klägers persönlich bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen, Geschäftsstelle Görlitz, vorgesprochen und einen schriftlichen "Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter" gestellt. Die Sachbearbeiterin der LVA ging mit der Mutter Punkt für Punkt des Antragsformulars durch und füllte es auch aus, da die Mutter des Klägers sehbehindert ist und selbst auch schlecht schreiben kann. Unter Punkt 11.5 des Formulars (Ist der Tod des Versicherten durch Unfall oder durch andere Personen verursacht worden?) findet sich in der Rubrik "Unfallursache" die Eintragung "erschlagen". Bei Punkt 13 (Andere Leistungen - Beziehen oder bezogen Sie eine der nachstehenden Leistungen oder haben Sie eine dieser Leistungen beantragt?) sind alle dort angeführten Leistungsarten verneint worden, insbesondere ist unter Nr 13.6 (Versorgungsrente vom Versorgungsamt oder entsprechenden ausländischen Stellen) das Kästchen "Nein" angekreuzt.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 1996 bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 16. November 1995 Halbwaisenrente nach dem BVG und stellte darüber hinaus fest, daß der Vater - C. H. - am 3. April 1993 an den Folgen einer Schädigung iS des § 1 OEG gestorben ist. Gegen den Bescheid vom 17. Oktober 1996 legte der Kläger Widerspruch mit dem Begehren ein, ihm die Versorgungsrente bereits ab 3. April 1993, dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters, zu zahlen. Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 5. März 1997; Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 2. Dezember 1997).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 4. November 1998). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entschädigung, weil er den Antrag auf Versorgungsrente nicht innerhalb eines Jahres nach dem Tod seines Vaters gestellt habe, Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist und auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorlägen. Der Beklagte habe seine Betreuungspflichten gegenüber dem Kläger selbst nicht verletzt, und ein eventueller Beratungsfehler der LVA sei ihm nicht zuzurechnen, denn dafür sei Voraussetzung, daß die LVA funktional bzw arbeitsteilig in den Verwaltungsablauf des Beklagten eingebunden gewesen wäre. An dieser Funktionseinheit habe es hier jedoch gefehlt. Auch ein vergleichbarer Ausnahmefall wie der vom Bundessozialgericht (BSG) vom 25. August 1993 (BSGE 73, 56, 59 f) entschiedene, in dem das BSG auf eine enge Verflechtung zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung hingewiesen habe, sei hier nicht gegeben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Ihm stehe die begehrte Rente ab 1. Mai 1993 nach § 60 Abs 1 Satz 3 BVG, jedenfalls aber unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Seine Mutter habe ihrer Sorgfaltspflicht genügt, indem sie sich an den Rentenversicherungsträger gewendet habe. Mehr könne von einer einfachen Bürgerin nicht erwartet werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei vorliegend anspruchsbegründend, weil die beratende Sachbearbeiterin der LVA seine Mutter in dem persönlichen Beratungsgespräch auf die Möglichkeit eines Anspruches nach dem OEG hätte hinweisen müssen. Der kostenintensive Rechtsstreit wäre dadurch vermieden worden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 1998 und des Sozialgerichts Dresden vom 2. Dezember 1997 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 17. Oktober 1996, berichtigt am 28. Oktober 1996, idF des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1997 zu verurteilen, dem Kläger Versorgungsrente bereits ab 3. April, jedenfalls ab 1. Mai 1993 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht die ihm nach seinem verstorbenen Vater gewährte Hinterbliebenenrente nicht bereits ab 3. April 1993 zu.
Mit Recht hat das LSG entschieden, daß das Begehren des Klägers nicht aus § 1 Abs 8 OEG iVm §§ 38 Abs 1, 45 Abs 1, Abs 2 Nr 3, 60 Abs 1, 61 Buchst a BVG hergeleitet werden kann. Nach § 61 Buchst a BVG beginnt die Hinterbliebenenversorgung frühestens mit dem auf den Sterbemonat folgenden Monat, wenn der Erstantrag vor Ablauf eines Jahres nach dem Tode gestellt worden ist. Bereits aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß der geltend gemachte Anspruch in jedem Fall erst ab dem Monat Mai 1993 beginnen könnte. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil es dafür an den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 BVG fehlt. Da nach den Feststellungen des LSG der Kläger den Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach dem Eintritt der Schädigung seines verstorbenen Vaters gestellt hat, kommt ein Anspruch auf Versorgung für die Zeiträume vor der Antragstellung nur in Frage, wenn der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert gewesen ist, denn dann verlängert sich die Jahresfrist um den Zeitpunkt der Verhinderung. Auf die Voraussetzungen dieser Vorschrift käme es indessen nicht an, wenn der am 4. Mai 1993 bei der LVA Sachsen gestellte Antrag zugleich auch ein Antrag auf Opferentschädigung gegenüber dem Beklagten gewesen wäre (vgl § 16 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I)). Das ist indessen nicht der Fall. Nach den Feststellungen des LSG richtet sich der schriftliche "Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter" nur auf eine Rente aus der Rentenversicherung und läßt deshalb keinen Raum für eine erweiternde Auslegung in dem Sinne, daß der Kläger Rente aus jeder möglichen Rechtsgrundlage beantragt hätte. Selbst wenn eine erweiternde Auslegung möglich wäre, könnte der Senat nicht von der Auslegung durch das LSG abweichen. Denn die Auslegung von Anträgen obliegt den Tatsachengerichten und kann durch das Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die anerkannten Auslegungsgrundsätze eingehalten sind und die vorinstanzlichen Richter nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben (vgl BSGE 75, 92, 95f = SozR 3-4100 § 141b Nr 11 sowie Bürck in Festschrift für Krasney, 1997, S 39, 43 ff). Das ist hier nicht der Fall.
Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden gehindert, den Versorgungsanspruch durch Stellung des Antrags rechtzeitig geltend zu machen. Der Kläger hatte zwar am 3. Juli 1993 die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit erreicht, hätte deshalb den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente bei dem Beklagten auch selbst noch rechtzeitig stellen können (§§ 16 Abs 1, 36 Abs 1 SGB I). Weder er noch seine Mutter haben dies indessen getan. Soweit seine Mutter als gesetzliche Vertreterin die rechtzeitige Antragstellung unterlassen hat, muß sich der Kläger die dadurch verursachten Folgen entsprechend der in § 27 Abs 1 Satz 2 SGB X getroffenen Regelung sowie den zu § 67 Abs 1 Satz 2 SGG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, § 67 RdNr 3b mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung) zurechnen lassen. Danach liegt ein Verschulden nur dann nicht vor, wenn der Antragsteller oder sein Vertreter die nach den Umständen des Falles zu erwartende zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Grundsätzlich gilt insoweit ein subjektiver Maßstab. Es sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit des Antragstellers zu berücksichtigen (vgl BSG, Urteil vom 15. Dezember 1970 - 10 RV 747/69 - in KOV 1971 S 154 zu § 67 SGG). Diese Grundsätze bieten auch für § 60 Abs 1 Satz 3 BVG brauchbare Beurteilungskriterien (vgl Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Handkommentar Bd 2 Stand September 1998, § 60 Anm 2 S K 6). Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden jedoch nicht aus. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß jedem Bürger gesetzliche Bestimmungen nach ihrer Veröffentlichung bekannt sind. Im übrigen bestehen im Sozialrecht für den Bürger vielfältige Möglichkeiten, sich über seine sozialen Rechte zu informieren. Die Leistungsträger sind nach §§ 13 bis 15 SGB I zur Auskunft und Beratung verpflichtet. Auskünfte können darüber hinaus in allen sozialrechtlichen Angelegenheiten auch von den gesetzlichen Krankenkassen oder den nach Landesrecht dafür zuständigen Stellen, zB den Versicherungsämtern der Kommunen, eingeholt werden. Die Medien weisen zudem regelmäßig auf den Inhalt neuer Gesetze hin. Die Leistungsträger veröffentlichen zum Teil in ihren Mitgliederzeitschriften oder in Merkblättern wichtige Neuerungen. Dies alles war nach der Wiedervereinigung weitgehend auch im Beitrittsgebiet der Fall. Nach dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl II, 889, Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 18e) ist das OEG im Beitrittsgebiet ab 1. Januar 1991 in Kraft getreten. Für Antragsteller, die nicht sogleich ihre Anträge gestellt haben, ist bestimmt, daß Anträge, die bis zum 31. Dezember 1993 für zurückliegende Schädigungsfälle gestellt worden sind, frühestens ab 1. Januar 1991 zu Rentenansprüchen führen können. Diese zeitlich befristete Rücksichtnahme des Gesetzgebers belegt auch, daß Anträge nach dem OEG, die auf früheren Schadensfällen beruhen, jedenfalls in der danach vom Gesetzgeber für angemessen gehaltenen Zeit auch tatsächlich gestellt werden können. Die genannten Umstände sprechen dafür, daß von einer entsprechenden Publizität des OEG im Beitrittsgebiet ausgegangen werden muß. Deshalb waren der Kläger und seine Mutter nicht ohne Verschulden verhindert, den Antrag auf Hinterbliebenenrente jedenfalls binnen eines Jahres nach der Schädigung zu stellen.
Der von der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSGE 60, 158, 164 = SozR 1300 § 44 Nr 23; BSGE 71, 17, 22 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 und zuletzt insbesondere Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - zur Veröffentlichung in SozR bestimmt) entwickelte sog sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift hier nicht zugunsten des Klägers. Der Anspruch setzt folgendes voraus: Es muß eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muß beim Berechtigten ein rechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Außerdem ist erforderlich, daß durch Vornahme einer Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger seine Verpflichtungen nicht verletzt hätte (vgl aus der Literatur zB Mrozynski, SGB I, 2. Aufl, § 14 RdNrn 18 ff; Seewald in Kasseler Komm, vor §§ 38 bis 47 SGB I RdNr 30 und Jung in Festschrift für Gitter, 1996, 417, 419).
Als zurechenbare Pflichtverletzung kommt hier allenfalls das Verhalten der Sachbearbeiterin der LVA Sachsen anläßlich der Antragstellung auf Hinterbliebenenrente in Betracht. Möglicherweise hätte die Sachbearbeiterin die Mutter des Klägers darauf hinweisen können, daß der Kläger außer dem Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter auch einen Anspruch auf Leistungen nach dem OEG gegen den Beklagten haben könnte. Ob sie dazu in der Lage war, hat das LSG offengelassen. Zwar kann ein Herstellungsanspruch ggf auch auf Fehler anderer Behörden gestützt werden, wenn diese in einer Sozialrechtsangelegenheit einen Bürger nicht oder fehlerhaft beraten oder nicht auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten für einen bestimmten sozialrechtlichen Anspruch hingewiesen haben. Dies setzt jedoch voraus, daß der betreffende Leistungsträger jedenfalls arbeitsteilig bzw funktionell in den Verwaltungsablauf bzw in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden ist (vgl zB BSG SozR 2200 § 1241a Nr 9; BSGE 57, 288, 290 = SozR 1200 § 14 Nr 18 und nunmehr auch BSG, Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Daran fehlt es hier.
Rentenversicherungsträger sind grundsätzlich nicht mit der Bearbeitung von Anträgen nach dem OEG befaßt. Über solche Anträge entscheidet allein die Versorgungsverwaltung. Auch an der Vorbereitung solcher Entscheidungen sind die Rentenversicherungsträger nicht beteiligt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist selbst dann zu verneinen, wenn man den im Urteil des BSG vom 25. August 1993 (BSGE 73, 56, 60 = SozR 3-1200 § 14 Nr 9) entwickelten Grundsätzen folgen wollte. Denn die Rentenversicherungsträger sind nicht so eng mit der Versorgungsverwaltung verbunden, wie der 13. Senat (aaO) dies für Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung angenommen hat, so daß das beklagte Land nicht als Träger der Versorgungsverwaltung für das Fehlverhalten eines Mitarbeiters eines Rentenversicherungsträgers einstehen muß. Der erkennende Senat weicht damit nicht von der Rechtsprechung des 13. Senats ab. Das genannte Urteil betrifft einen hier nicht vorliegenden Ausnahmefall. Im übrigen bejaht auch der 13. Senat, wie insbesondere sein Urteil vom 26. Januar 2000 (vgl aaO) deutlich macht, die von anderen Senaten verlangte arbeitsteilige Einbindung der Behörde, der ein Beratungsfehler unterlaufen ist, in den Verwaltungsablauf des Leistungsträgers, der für den Leistungsfall einstehen soll.
Schließlich kann der Beklagte im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch nicht für eine möglicherweise fehlerhafte oder unterbliebene Auskunft iS des § 15 Abs 2 SGB I durch eine Sachbearbeiterin der LVA Sachsen im Wege eines Herstellungsanspruchs verpflichtet werden. Denn die LVA Sachsen ist keine für die Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch zuständige Stelle (vgl § 15 Abs 1 SGB I).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I
Der 1978 geborene Kläger bezieht seit dem 1. November 1995 von dem Beklagten gemäß § 38 Bundesversorgungsgesetz (BVG) Halbwaisenrente nach seinem am 3. April 1993 an den Folgen einer Schädigung iS des § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) verstorbenen Vater C. H ... Bereits am 4. Mai 1993 hatte die Mutter des Klägers persönlich bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen, Geschäftsstelle Görlitz, vorgesprochen und einen schriftlichen "Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter" gestellt. Die Sachbearbeiterin der LVA ging mit der Mutter Punkt für Punkt des Antragsformulars durch und füllte es auch aus, da die Mutter des Klägers sehbehindert ist und selbst auch schlecht schreiben kann. Unter Punkt 11.5 des Formulars (Ist der Tod des Versicherten durch Unfall oder durch andere Personen verursacht worden?) findet sich in der Rubrik "Unfallursache" die Eintragung "erschlagen". Bei Punkt 13 (Andere Leistungen - Beziehen oder bezogen Sie eine der nachstehenden Leistungen oder haben Sie eine dieser Leistungen beantragt?) sind alle dort angeführten Leistungsarten verneint worden, insbesondere ist unter Nr 13.6 (Versorgungsrente vom Versorgungsamt oder entsprechenden ausländischen Stellen) das Kästchen "Nein" angekreuzt.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 1996 bewilligte der Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 16. November 1995 Halbwaisenrente nach dem BVG und stellte darüber hinaus fest, daß der Vater - C. H. - am 3. April 1993 an den Folgen einer Schädigung iS des § 1 OEG gestorben ist. Gegen den Bescheid vom 17. Oktober 1996 legte der Kläger Widerspruch mit dem Begehren ein, ihm die Versorgungsrente bereits ab 3. April 1993, dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters, zu zahlen. Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 5. März 1997; Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 2. Dezember 1997).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 4. November 1998). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entschädigung, weil er den Antrag auf Versorgungsrente nicht innerhalb eines Jahres nach dem Tod seines Vaters gestellt habe, Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist und auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vorlägen. Der Beklagte habe seine Betreuungspflichten gegenüber dem Kläger selbst nicht verletzt, und ein eventueller Beratungsfehler der LVA sei ihm nicht zuzurechnen, denn dafür sei Voraussetzung, daß die LVA funktional bzw arbeitsteilig in den Verwaltungsablauf des Beklagten eingebunden gewesen wäre. An dieser Funktionseinheit habe es hier jedoch gefehlt. Auch ein vergleichbarer Ausnahmefall wie der vom Bundessozialgericht (BSG) vom 25. August 1993 (BSGE 73, 56, 59 f) entschiedene, in dem das BSG auf eine enge Verflechtung zwischen Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung hingewiesen habe, sei hier nicht gegeben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Ihm stehe die begehrte Rente ab 1. Mai 1993 nach § 60 Abs 1 Satz 3 BVG, jedenfalls aber unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Seine Mutter habe ihrer Sorgfaltspflicht genügt, indem sie sich an den Rentenversicherungsträger gewendet habe. Mehr könne von einer einfachen Bürgerin nicht erwartet werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei vorliegend anspruchsbegründend, weil die beratende Sachbearbeiterin der LVA seine Mutter in dem persönlichen Beratungsgespräch auf die Möglichkeit eines Anspruches nach dem OEG hätte hinweisen müssen. Der kostenintensive Rechtsstreit wäre dadurch vermieden worden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. November 1998 und des Sozialgerichts Dresden vom 2. Dezember 1997 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 17. Oktober 1996, berichtigt am 28. Oktober 1996, idF des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1997 zu verurteilen, dem Kläger Versorgungsrente bereits ab 3. April, jedenfalls ab 1. Mai 1993 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht die ihm nach seinem verstorbenen Vater gewährte Hinterbliebenenrente nicht bereits ab 3. April 1993 zu.
Mit Recht hat das LSG entschieden, daß das Begehren des Klägers nicht aus § 1 Abs 8 OEG iVm §§ 38 Abs 1, 45 Abs 1, Abs 2 Nr 3, 60 Abs 1, 61 Buchst a BVG hergeleitet werden kann. Nach § 61 Buchst a BVG beginnt die Hinterbliebenenversorgung frühestens mit dem auf den Sterbemonat folgenden Monat, wenn der Erstantrag vor Ablauf eines Jahres nach dem Tode gestellt worden ist. Bereits aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß der geltend gemachte Anspruch in jedem Fall erst ab dem Monat Mai 1993 beginnen könnte. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil es dafür an den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 BVG fehlt. Da nach den Feststellungen des LSG der Kläger den Antrag nicht innerhalb eines Jahres nach dem Eintritt der Schädigung seines verstorbenen Vaters gestellt hat, kommt ein Anspruch auf Versorgung für die Zeiträume vor der Antragstellung nur in Frage, wenn der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert gewesen ist, denn dann verlängert sich die Jahresfrist um den Zeitpunkt der Verhinderung. Auf die Voraussetzungen dieser Vorschrift käme es indessen nicht an, wenn der am 4. Mai 1993 bei der LVA Sachsen gestellte Antrag zugleich auch ein Antrag auf Opferentschädigung gegenüber dem Beklagten gewesen wäre (vgl § 16 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I)). Das ist indessen nicht der Fall. Nach den Feststellungen des LSG richtet sich der schriftliche "Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter" nur auf eine Rente aus der Rentenversicherung und läßt deshalb keinen Raum für eine erweiternde Auslegung in dem Sinne, daß der Kläger Rente aus jeder möglichen Rechtsgrundlage beantragt hätte. Selbst wenn eine erweiternde Auslegung möglich wäre, könnte der Senat nicht von der Auslegung durch das LSG abweichen. Denn die Auslegung von Anträgen obliegt den Tatsachengerichten und kann durch das Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob die anerkannten Auslegungsgrundsätze eingehalten sind und die vorinstanzlichen Richter nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen haben (vgl BSGE 75, 92, 95f = SozR 3-4100 § 141b Nr 11 sowie Bürck in Festschrift für Krasney, 1997, S 39, 43 ff). Das ist hier nicht der Fall.
Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden gehindert, den Versorgungsanspruch durch Stellung des Antrags rechtzeitig geltend zu machen. Der Kläger hatte zwar am 3. Juli 1993 die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit erreicht, hätte deshalb den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente bei dem Beklagten auch selbst noch rechtzeitig stellen können (§§ 16 Abs 1, 36 Abs 1 SGB I). Weder er noch seine Mutter haben dies indessen getan. Soweit seine Mutter als gesetzliche Vertreterin die rechtzeitige Antragstellung unterlassen hat, muß sich der Kläger die dadurch verursachten Folgen entsprechend der in § 27 Abs 1 Satz 2 SGB X getroffenen Regelung sowie den zu § 67 Abs 1 Satz 2 SGG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 6. Aufl 1998, § 67 RdNr 3b mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung) zurechnen lassen. Danach liegt ein Verschulden nur dann nicht vor, wenn der Antragsteller oder sein Vertreter die nach den Umständen des Falles zu erwartende zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Grundsätzlich gilt insoweit ein subjektiver Maßstab. Es sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit des Antragstellers zu berücksichtigen (vgl BSG, Urteil vom 15. Dezember 1970 - 10 RV 747/69 - in KOV 1971 S 154 zu § 67 SGG). Diese Grundsätze bieten auch für § 60 Abs 1 Satz 3 BVG brauchbare Beurteilungskriterien (vgl Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Handkommentar Bd 2 Stand September 1998, § 60 Anm 2 S K 6). Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden jedoch nicht aus. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß jedem Bürger gesetzliche Bestimmungen nach ihrer Veröffentlichung bekannt sind. Im übrigen bestehen im Sozialrecht für den Bürger vielfältige Möglichkeiten, sich über seine sozialen Rechte zu informieren. Die Leistungsträger sind nach §§ 13 bis 15 SGB I zur Auskunft und Beratung verpflichtet. Auskünfte können darüber hinaus in allen sozialrechtlichen Angelegenheiten auch von den gesetzlichen Krankenkassen oder den nach Landesrecht dafür zuständigen Stellen, zB den Versicherungsämtern der Kommunen, eingeholt werden. Die Medien weisen zudem regelmäßig auf den Inhalt neuer Gesetze hin. Die Leistungsträger veröffentlichen zum Teil in ihren Mitgliederzeitschriften oder in Merkblättern wichtige Neuerungen. Dies alles war nach der Wiedervereinigung weitgehend auch im Beitrittsgebiet der Fall. Nach dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl II, 889, Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 18e) ist das OEG im Beitrittsgebiet ab 1. Januar 1991 in Kraft getreten. Für Antragsteller, die nicht sogleich ihre Anträge gestellt haben, ist bestimmt, daß Anträge, die bis zum 31. Dezember 1993 für zurückliegende Schädigungsfälle gestellt worden sind, frühestens ab 1. Januar 1991 zu Rentenansprüchen führen können. Diese zeitlich befristete Rücksichtnahme des Gesetzgebers belegt auch, daß Anträge nach dem OEG, die auf früheren Schadensfällen beruhen, jedenfalls in der danach vom Gesetzgeber für angemessen gehaltenen Zeit auch tatsächlich gestellt werden können. Die genannten Umstände sprechen dafür, daß von einer entsprechenden Publizität des OEG im Beitrittsgebiet ausgegangen werden muß. Deshalb waren der Kläger und seine Mutter nicht ohne Verschulden verhindert, den Antrag auf Hinterbliebenenrente jedenfalls binnen eines Jahres nach der Schädigung zu stellen.
Der von der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSGE 60, 158, 164 = SozR 1300 § 44 Nr 23; BSGE 71, 17, 22 = SozR 3-4100 § 103 Nr 8 und zuletzt insbesondere Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - zur Veröffentlichung in SozR bestimmt) entwickelte sog sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift hier nicht zugunsten des Klägers. Der Anspruch setzt folgendes voraus: Es muß eine Pflichtverletzung vorliegen, die dem Sozialleistungsträger zuzurechnen ist. Dadurch muß beim Berechtigten ein rechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein. Außerdem ist erforderlich, daß durch Vornahme einer Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger seine Verpflichtungen nicht verletzt hätte (vgl aus der Literatur zB Mrozynski, SGB I, 2. Aufl, § 14 RdNrn 18 ff; Seewald in Kasseler Komm, vor §§ 38 bis 47 SGB I RdNr 30 und Jung in Festschrift für Gitter, 1996, 417, 419).
Als zurechenbare Pflichtverletzung kommt hier allenfalls das Verhalten der Sachbearbeiterin der LVA Sachsen anläßlich der Antragstellung auf Hinterbliebenenrente in Betracht. Möglicherweise hätte die Sachbearbeiterin die Mutter des Klägers darauf hinweisen können, daß der Kläger außer dem Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter auch einen Anspruch auf Leistungen nach dem OEG gegen den Beklagten haben könnte. Ob sie dazu in der Lage war, hat das LSG offengelassen. Zwar kann ein Herstellungsanspruch ggf auch auf Fehler anderer Behörden gestützt werden, wenn diese in einer Sozialrechtsangelegenheit einen Bürger nicht oder fehlerhaft beraten oder nicht auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten für einen bestimmten sozialrechtlichen Anspruch hingewiesen haben. Dies setzt jedoch voraus, daß der betreffende Leistungsträger jedenfalls arbeitsteilig bzw funktionell in den Verwaltungsablauf bzw in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden ist (vgl zB BSG SozR 2200 § 1241a Nr 9; BSGE 57, 288, 290 = SozR 1200 § 14 Nr 18 und nunmehr auch BSG, Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Daran fehlt es hier.
Rentenversicherungsträger sind grundsätzlich nicht mit der Bearbeitung von Anträgen nach dem OEG befaßt. Über solche Anträge entscheidet allein die Versorgungsverwaltung. Auch an der Vorbereitung solcher Entscheidungen sind die Rentenversicherungsträger nicht beteiligt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist selbst dann zu verneinen, wenn man den im Urteil des BSG vom 25. August 1993 (BSGE 73, 56, 60 = SozR 3-1200 § 14 Nr 9) entwickelten Grundsätzen folgen wollte. Denn die Rentenversicherungsträger sind nicht so eng mit der Versorgungsverwaltung verbunden, wie der 13. Senat (aaO) dies für Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung angenommen hat, so daß das beklagte Land nicht als Träger der Versorgungsverwaltung für das Fehlverhalten eines Mitarbeiters eines Rentenversicherungsträgers einstehen muß. Der erkennende Senat weicht damit nicht von der Rechtsprechung des 13. Senats ab. Das genannte Urteil betrifft einen hier nicht vorliegenden Ausnahmefall. Im übrigen bejaht auch der 13. Senat, wie insbesondere sein Urteil vom 26. Januar 2000 (vgl aaO) deutlich macht, die von anderen Senaten verlangte arbeitsteilige Einbindung der Behörde, der ein Beratungsfehler unterlaufen ist, in den Verwaltungsablauf des Leistungsträgers, der für den Leistungsfall einstehen soll.
Schließlich kann der Beklagte im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch nicht für eine möglicherweise fehlerhafte oder unterbliebene Auskunft iS des § 15 Abs 2 SGB I durch eine Sachbearbeiterin der LVA Sachsen im Wege eines Herstellungsanspruchs verpflichtet werden. Denn die LVA Sachsen ist keine für die Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch zuständige Stelle (vgl § 15 Abs 1 SGB I).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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