Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 SB 1067/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 96/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um das Merkzeichen „aG“ -außergewöhnliche Gehbehinderung- und um die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen (Merkzeichen „T“).
Dem 1985 geborenen Kläger war zuletzt durch den Bescheid vom 19. April 1993 wegen infantiler Cerebralparese, Entwicklungsrückstand, Blindheit beiderseits ein Grad der Behinderung -GdB- von 100 zuerkannt worden. Außerdem wurde festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die folgenden Merkzeichen vorliegen:
„B“ - Notwendigkeit ständiger Begleitung -,
„G“ - erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr-,
„Bl“ -Verkehrsschutzzeichen für Blindheit-,
„H“ - Hilflosigkeit - und
„Rf“ - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht -.
Im Januar 2000 machte der Kläger geltend, er habe Anspruch auf das Merkzeichen „aG“. Im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens gelangten
a) ein Behandlungsbericht des Klinikums B. vom 24. August 1999, in dem am 16. September eine Beckenosteotomie nach SALTER und percutane Adduktorentenotomie rechts vorgenommen worden war,
b) der Bericht über die Anschlussheilbehandlung in der Orthopädischen Abteilung der B. Klinik vom 26. Oktober 1999 und
c) ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) Berlin vom 7. Februar 2000 (Dr. St.) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers
zur Akte. Im Bericht der B. Klinik wird das Rehabilitationsergebnis wie folgt beschrieben: „Zur Abschlussuntersuchung bewegt sich der Patient sicherer im 4-Punkt-Gang fort, wobei die beschwerdefreie Wegstrecke bei ca. 800 m liegt“. Im Gutachten vom 7. Februar 2000 wird zur Vorgeschichte des Klägers angegeben: „Nutzung von Gehstöcken besonders bei längeren Wegen“. Die Befunde des Stütz- und Bewegungsapparates lauteten „rechts- und beinbetonte spastische Tetraparese, grobe Kraft bds. deutlich gemindert, gehen unsicher, vorsichtig, leicht hinkend, Stolperneigung, Körperpositionswechsel selbständig möglich, freies Sitzen möglich, Bewegung ataktisch, in Ruhe Außenrotationsstellung des rechten Fußes, rechter Arm meist flektiert, rechte Hand kaum als Hilfshand genutzt, Streckhemmung rechtes Ellenbogengelenk. Beinverkürzung rechts ca. 1,5 cm, Bewegung im Hüftgelenk eingeschränkt. Muskulatur rechtes Bein hypotroph, Beckenschiefstand“.
In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Juli 2000 empfahl der Prüfarzt Dr. S. nach Auswertung dieser Unterlagen, den Antrag des Klägers abzulehnen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ließen sich hieraus nicht herleiten. Dem folgte der Beklagte in dem das Merkzeichen „aG“ versagenden Bescheid vom 2. August 2000.
Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte einen Befund- und Behandlungsbericht des Orthopäden K. vom 23. Januar 2000 ein, dem die schon aktenkundigen medizinischen Unterlagen beilagen. Die Beratungsärztin Mroczek verwies in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2001 darauf, dass die erfolgreiche Umstellungs- osteotomie zu einer Besserung der Gehfähigkeit geführt und die beschwerdefreie Wegstrecke bei 800 m gelegen habe. Damit lasse sich das geltend gemachte Merkzeichen nicht rechtfertigen.
Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. März 2001/Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001). Das Sozialgericht, dessen Vorsitzender am Sitzungstage mit dem Kläger eine Laufprobe über insgesamt 100 Schritte durchgeführt hat, begründete seine ablehnende Entscheidung damit, dass das Gehvermögen des Klägers nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. So sei er insbesondere nicht mit einem Doppeloberschenkelamputierten zu vergleichen. Sowohl die tatsächlichen Feststellungen als auch der Inhalt der medizinischen Unterlagen stünden dem entgegen. Der Kläger könne kleinere Wegstrecken zumindest mit Begleitung mühelos zurücklegen, so dass es nicht erforderlich sei, dass die zur Benutzung eines Personenkraftwagens zurückzulegende Wegstrecke soweit wie möglich verkürzt werde.
Gegen das am 29. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die - vor dessen Zustellung - am 19. November 2001 eingelegte Berufung des Klägers. Ziel des erstrebten Nachteilsausgleichs sei es, die Telebusberechtigung zu erwerben. Er spreche dem Richter erster Instanz die medizinische Kompetenz ab, sein Gehvermögen sachgerecht zu beurteilen. Das könne nach seiner Auffassung nur durch einen medizinischen Sachverständigen geschehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001 sowie den Bescheid vom 2. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „T“ (Berechtigung zur Teilnahme am Telebusfahrdienst) anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger gehöre nicht zu dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten im Sinne der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften.
Der Senat hat ein Schreiben des Landesschulamtes, Außenstelle St.-Z., vom 12. März 2002, das der Kläger überreicht hat, zur Gerichtsakte genommen und einen Befund- und Behandlungsbericht des Hausarztes des Klägers, des Orthopäden K., vom 15. Oktober 2002 eingeholt, dem u.a. ein Bericht des Klinikums B. vom 23. Mai 2000 über eine bei dem Kläger vorgenommene Materialentfernung beilag. Die vom Beklagten zu diesen Unterlagen angehörte Nervenärztin Dr. M. hat in ihrer Stellungnahme vom 5. November 2002 bekundet, dass sich hiermit eine außergewöhnlich eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers nicht begründen lasse.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beklagte hat es zutreffend abgelehnt, bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ anzuerkennen, denn sie liegen nicht vor.
Nach der aufgrund des § 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG) vom Bundesminister für Verkehr erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (StVO) ist der begünstigte Personenkreis dahin beschrieben worden, dass als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können; hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppelunter- oder Oberschenkelamputierte; Hüftexartikulierte, einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd ein Kunstbein nicht tragen können oder nur eine Beckenkorbprothese oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die dem vorstehend bezeichneten Personenkreis nach medizinischer Erkenntnis gleichzustellen sind.
Gleichgestellt werden können nicht Personen, die durch vergleichbare schwere Leiden behindert sind, sondern nur solche, bei denen die Auswirkungen der Leiden denen gleich zu erachten sind, die der Bundesminister für Verkehr in seinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannt hat. Der Leidenszustand muss wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken.
Diese Beurteilungskriterien haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Abschnitt 31 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht 1996 - Anhaltspunkte 96 - und das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung übernommen (vgl. u.a. BSG SozR 3870 § 3 Nrn. 18 und 28 sowie SozR 3-3870 § 4 Nrn. 11, 22 und 23).
Während die Beurteilung der oben näher beschriebenen Personengruppe der Amputierten in der Praxis keine nennenswerten Schwierigkeiten aufwirft, ist die im Gesetz vorgesehene Gleichstellung anderer Schwerbehinderter nicht immer leicht zu lösen. Nach den strengen Maßstäben der Rechtsprechung kann ein Schwerbehinderter eine Gleichstellung nur verlangen, wenn ihm der unausweichliche Fußweg zwischen einem ordnungsgemäß haltenden oder parkenden Fahrzeug und dem angestrebten Ziel in ähnlicher Weise außerordentlich schwer fällt wie den ausdrücklich genannten Personen. Denn für diese solle diese Strecke möglichst verkürzt werden. Hohe Anforderungen an die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs „aG“ seien schon deshalb geboten, weil jede Ausweitung des Kreises der Berechtigten sich nachteilig auf den zu schützenden Personenkreis auswirke, denn innerstädtische Parkflächen könnten nicht beliebig vermehrt werden. Die Rechtsprechung hat deshalb gefordert, dass das Gehvermögen einer gleichzustellenden Person auf das Schwerste beeinträchtigt sein und zusätzlich eine Vergleichbarkeit mit dem oben aufgezählten Personenkreis amputierter Personen gegeben sein müsse. Für die Beurteilung, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG vorliegt, ist deshalb ein Vergleich mit jeder der in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO aufgezählten schwerbehinderten Gruppen, insbesondere auch mit den Doppeloberschenkelamputierten, zulässig (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22).
Der an einer spastischen Tetraparese leidende Kläger gehört nicht zu dem in der oben wiedergegebenen Verwaltungsvorschrift beschriebenen Personenkreis und ist diesem nach den medizinischen Erkenntnissen auch nicht gleichzustellen. Der Senat verkennt nicht, dass dem Kläger aufgrund seiner beinbetonten Schädigung, verbunden mit seiner Blindheit, das Gehen beträchtlich erschwert ist. Es ist aber keinesfalls so - und das setzt die Vergabe des Merkzeichens „aG“ voraus -, dass er nur kurze Wege zurücklegen kann, die ihm eine längere in der heutigen Verkehrssituation übliche Wegstrecke zu einem parkenden Kraftfahrzeug unzumutbar machen. Das entnimmt der Senat zu seiner Überzeugung dem Bericht der B.-Klinik vom 26. Oktober 1999, wo das Gehvermögen des Klägers nach seiner Operation trainiert und u.a. das Gangbild harmonisiert wurde. Dort wurde erreicht, dass er mit Gehhilfen eine Wegstrecke von 800 m zurücklegen konnte. An diesem Leistungsvermögen hat sich nach der erneut im Klinikum B. erfolgten Winkelplattenentfernung am 15. Juni 2000 nichts geändert. Dort wurde zum Training der Muskulatur, etwa durch Treppensteigen und Therapieschwimmen, eine Vollbelastung für möglich gehalten und auch die Teilnahme am Schulsport - mit Ausnahme von sprung- und stauchenden Belastungen - nicht ausgeschlossen. Der Hausarzt des Klägers K. sah deshalb nachvollziehbar in seinem Befundbericht vom 15. Oktober 2002 die Probleme des Klägers beim Gehen nicht vorrangig in einer mangelnden Bewegungsfähigkeit, sondern in dessen Blindheit. Dieser gesundheitliche Nachteil wird aber durch die Merkzeichen „Bl“, „B“ und „H“ ausgeglichen, nicht hingegen durch das Merkzeichen „aG“, das der Gewährung von Parkerleichterungen für Schwerbehinderte dient. Sollte dem Kläger hieran gelegen sein, kann ihm diese als Blinden bereits nach § 6 Straßenverkehrsgesetz gewährt werden. Das vom Kläger zur Unterstützung seines Antrages überreichte Schreiben des Landesschulamtes vom 12. März 2002 beschreibt in erster Linie seine Defizite bei Anforderungen an die Eigeninitiative und eine herabgesetzte Bewegungsgeschwindigkeit, die eine zeitgerechte Bewältigung der räumlichen Situation an der Fichtenberg-Oberschule mit mehreren Gebäuden und Stockwerken für Menschen mit Bewegungsbehinderung ausschließe. Das Merkzeichen „aG“ stellt aber nicht auf die Geschwindigkeit beim Zurücklegen einer Wegstrecke ab, sondern darauf ob die Gehstrecke generell eingeschränkt ist.
Die eindeutige Aktenlage, die über die Belastbarkeit des Klägers beim Gehen zuverlässige Rückschlüsse zulässt, macht es entgegen seiner Auffassung nicht erforderlich, einen medizinischen Sachverständigen von Amts wegen damit zu beauftragen, sein Gehvermögen zu beurteilen.
Der Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens „T“ ist unzulässig.
Ein überprüfbarer Bescheid des Beklagten zu dem Anspruch auf Erteilung der Berechtigung, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen, liegt nicht vor. Auf den Inhalt des Schreibens des Gerichts vom 25. April 2002 wird insoweit verwiesen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass nach der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (veröffentlicht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 11. August 2001) die Berechtigung von der Eintragung des Merkzeichens „T“ im Schwerbehindertenausweis durch das Versorgungsamt abhängt. Voraussetzung hierfür wiederum ist, dass im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „aG“ eingetragen ist, dass ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 v.H. besteht und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen gegenüber dem Versorgungsamt nachgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung der mithin erfolglosen Berufung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um das Merkzeichen „aG“ -außergewöhnliche Gehbehinderung- und um die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst des Landes Berlin zu nutzen (Merkzeichen „T“).
Dem 1985 geborenen Kläger war zuletzt durch den Bescheid vom 19. April 1993 wegen infantiler Cerebralparese, Entwicklungsrückstand, Blindheit beiderseits ein Grad der Behinderung -GdB- von 100 zuerkannt worden. Außerdem wurde festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die folgenden Merkzeichen vorliegen:
„B“ - Notwendigkeit ständiger Begleitung -,
„G“ - erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr-,
„Bl“ -Verkehrsschutzzeichen für Blindheit-,
„H“ - Hilflosigkeit - und
„Rf“ - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht -.
Im Januar 2000 machte der Kläger geltend, er habe Anspruch auf das Merkzeichen „aG“. Im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens gelangten
a) ein Behandlungsbericht des Klinikums B. vom 24. August 1999, in dem am 16. September eine Beckenosteotomie nach SALTER und percutane Adduktorentenotomie rechts vorgenommen worden war,
b) der Bericht über die Anschlussheilbehandlung in der Orthopädischen Abteilung der B. Klinik vom 26. Oktober 1999 und
c) ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) Berlin vom 7. Februar 2000 (Dr. St.) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers
zur Akte. Im Bericht der B. Klinik wird das Rehabilitationsergebnis wie folgt beschrieben: „Zur Abschlussuntersuchung bewegt sich der Patient sicherer im 4-Punkt-Gang fort, wobei die beschwerdefreie Wegstrecke bei ca. 800 m liegt“. Im Gutachten vom 7. Februar 2000 wird zur Vorgeschichte des Klägers angegeben: „Nutzung von Gehstöcken besonders bei längeren Wegen“. Die Befunde des Stütz- und Bewegungsapparates lauteten „rechts- und beinbetonte spastische Tetraparese, grobe Kraft bds. deutlich gemindert, gehen unsicher, vorsichtig, leicht hinkend, Stolperneigung, Körperpositionswechsel selbständig möglich, freies Sitzen möglich, Bewegung ataktisch, in Ruhe Außenrotationsstellung des rechten Fußes, rechter Arm meist flektiert, rechte Hand kaum als Hilfshand genutzt, Streckhemmung rechtes Ellenbogengelenk. Beinverkürzung rechts ca. 1,5 cm, Bewegung im Hüftgelenk eingeschränkt. Muskulatur rechtes Bein hypotroph, Beckenschiefstand“.
In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 3. Juli 2000 empfahl der Prüfarzt Dr. S. nach Auswertung dieser Unterlagen, den Antrag des Klägers abzulehnen. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ließen sich hieraus nicht herleiten. Dem folgte der Beklagte in dem das Merkzeichen „aG“ versagenden Bescheid vom 2. August 2000.
Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte einen Befund- und Behandlungsbericht des Orthopäden K. vom 23. Januar 2000 ein, dem die schon aktenkundigen medizinischen Unterlagen beilagen. Die Beratungsärztin Mroczek verwies in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2001 darauf, dass die erfolgreiche Umstellungs- osteotomie zu einer Besserung der Gehfähigkeit geführt und die beschwerdefreie Wegstrecke bei 800 m gelegen habe. Damit lasse sich das geltend gemachte Merkzeichen nicht rechtfertigen.
Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. März 2001/Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001). Das Sozialgericht, dessen Vorsitzender am Sitzungstage mit dem Kläger eine Laufprobe über insgesamt 100 Schritte durchgeführt hat, begründete seine ablehnende Entscheidung damit, dass das Gehvermögen des Klägers nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. So sei er insbesondere nicht mit einem Doppeloberschenkelamputierten zu vergleichen. Sowohl die tatsächlichen Feststellungen als auch der Inhalt der medizinischen Unterlagen stünden dem entgegen. Der Kläger könne kleinere Wegstrecken zumindest mit Begleitung mühelos zurücklegen, so dass es nicht erforderlich sei, dass die zur Benutzung eines Personenkraftwagens zurückzulegende Wegstrecke soweit wie möglich verkürzt werde.
Gegen das am 29. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die - vor dessen Zustellung - am 19. November 2001 eingelegte Berufung des Klägers. Ziel des erstrebten Nachteilsausgleichs sei es, die Telebusberechtigung zu erwerben. Er spreche dem Richter erster Instanz die medizinische Kompetenz ab, sein Gehvermögen sachgerecht zu beurteilen. Das könne nach seiner Auffassung nur durch einen medizinischen Sachverständigen geschehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001 sowie den Bescheid vom 2. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und „T“ (Berechtigung zur Teilnahme am Telebusfahrdienst) anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger gehöre nicht zu dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten im Sinne der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften.
Der Senat hat ein Schreiben des Landesschulamtes, Außenstelle St.-Z., vom 12. März 2002, das der Kläger überreicht hat, zur Gerichtsakte genommen und einen Befund- und Behandlungsbericht des Hausarztes des Klägers, des Orthopäden K., vom 15. Oktober 2002 eingeholt, dem u.a. ein Bericht des Klinikums B. vom 23. Mai 2000 über eine bei dem Kläger vorgenommene Materialentfernung beilag. Die vom Beklagten zu diesen Unterlagen angehörte Nervenärztin Dr. M. hat in ihrer Stellungnahme vom 5. November 2002 bekundet, dass sich hiermit eine außergewöhnlich eingeschränkte Gehfähigkeit des Klägers nicht begründen lasse.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beklagte hat es zutreffend abgelehnt, bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ anzuerkennen, denn sie liegen nicht vor.
Nach der aufgrund des § 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG) vom Bundesminister für Verkehr erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (StVO) ist der begünstigte Personenkreis dahin beschrieben worden, dass als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können; hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppelunter- oder Oberschenkelamputierte; Hüftexartikulierte, einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd ein Kunstbein nicht tragen können oder nur eine Beckenkorbprothese oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die dem vorstehend bezeichneten Personenkreis nach medizinischer Erkenntnis gleichzustellen sind.
Gleichgestellt werden können nicht Personen, die durch vergleichbare schwere Leiden behindert sind, sondern nur solche, bei denen die Auswirkungen der Leiden denen gleich zu erachten sind, die der Bundesminister für Verkehr in seinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannt hat. Der Leidenszustand muss wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken.
Diese Beurteilungskriterien haben das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in Abschnitt 31 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht 1996 - Anhaltspunkte 96 - und das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung übernommen (vgl. u.a. BSG SozR 3870 § 3 Nrn. 18 und 28 sowie SozR 3-3870 § 4 Nrn. 11, 22 und 23).
Während die Beurteilung der oben näher beschriebenen Personengruppe der Amputierten in der Praxis keine nennenswerten Schwierigkeiten aufwirft, ist die im Gesetz vorgesehene Gleichstellung anderer Schwerbehinderter nicht immer leicht zu lösen. Nach den strengen Maßstäben der Rechtsprechung kann ein Schwerbehinderter eine Gleichstellung nur verlangen, wenn ihm der unausweichliche Fußweg zwischen einem ordnungsgemäß haltenden oder parkenden Fahrzeug und dem angestrebten Ziel in ähnlicher Weise außerordentlich schwer fällt wie den ausdrücklich genannten Personen. Denn für diese solle diese Strecke möglichst verkürzt werden. Hohe Anforderungen an die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs „aG“ seien schon deshalb geboten, weil jede Ausweitung des Kreises der Berechtigten sich nachteilig auf den zu schützenden Personenkreis auswirke, denn innerstädtische Parkflächen könnten nicht beliebig vermehrt werden. Die Rechtsprechung hat deshalb gefordert, dass das Gehvermögen einer gleichzustellenden Person auf das Schwerste beeinträchtigt sein und zusätzlich eine Vergleichbarkeit mit dem oben aufgezählten Personenkreis amputierter Personen gegeben sein müsse. Für die Beurteilung, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG vorliegt, ist deshalb ein Vergleich mit jeder der in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO aufgezählten schwerbehinderten Gruppen, insbesondere auch mit den Doppeloberschenkelamputierten, zulässig (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22).
Der an einer spastischen Tetraparese leidende Kläger gehört nicht zu dem in der oben wiedergegebenen Verwaltungsvorschrift beschriebenen Personenkreis und ist diesem nach den medizinischen Erkenntnissen auch nicht gleichzustellen. Der Senat verkennt nicht, dass dem Kläger aufgrund seiner beinbetonten Schädigung, verbunden mit seiner Blindheit, das Gehen beträchtlich erschwert ist. Es ist aber keinesfalls so - und das setzt die Vergabe des Merkzeichens „aG“ voraus -, dass er nur kurze Wege zurücklegen kann, die ihm eine längere in der heutigen Verkehrssituation übliche Wegstrecke zu einem parkenden Kraftfahrzeug unzumutbar machen. Das entnimmt der Senat zu seiner Überzeugung dem Bericht der B.-Klinik vom 26. Oktober 1999, wo das Gehvermögen des Klägers nach seiner Operation trainiert und u.a. das Gangbild harmonisiert wurde. Dort wurde erreicht, dass er mit Gehhilfen eine Wegstrecke von 800 m zurücklegen konnte. An diesem Leistungsvermögen hat sich nach der erneut im Klinikum B. erfolgten Winkelplattenentfernung am 15. Juni 2000 nichts geändert. Dort wurde zum Training der Muskulatur, etwa durch Treppensteigen und Therapieschwimmen, eine Vollbelastung für möglich gehalten und auch die Teilnahme am Schulsport - mit Ausnahme von sprung- und stauchenden Belastungen - nicht ausgeschlossen. Der Hausarzt des Klägers K. sah deshalb nachvollziehbar in seinem Befundbericht vom 15. Oktober 2002 die Probleme des Klägers beim Gehen nicht vorrangig in einer mangelnden Bewegungsfähigkeit, sondern in dessen Blindheit. Dieser gesundheitliche Nachteil wird aber durch die Merkzeichen „Bl“, „B“ und „H“ ausgeglichen, nicht hingegen durch das Merkzeichen „aG“, das der Gewährung von Parkerleichterungen für Schwerbehinderte dient. Sollte dem Kläger hieran gelegen sein, kann ihm diese als Blinden bereits nach § 6 Straßenverkehrsgesetz gewährt werden. Das vom Kläger zur Unterstützung seines Antrages überreichte Schreiben des Landesschulamtes vom 12. März 2002 beschreibt in erster Linie seine Defizite bei Anforderungen an die Eigeninitiative und eine herabgesetzte Bewegungsgeschwindigkeit, die eine zeitgerechte Bewältigung der räumlichen Situation an der Fichtenberg-Oberschule mit mehreren Gebäuden und Stockwerken für Menschen mit Bewegungsbehinderung ausschließe. Das Merkzeichen „aG“ stellt aber nicht auf die Geschwindigkeit beim Zurücklegen einer Wegstrecke ab, sondern darauf ob die Gehstrecke generell eingeschränkt ist.
Die eindeutige Aktenlage, die über die Belastbarkeit des Klägers beim Gehen zuverlässige Rückschlüsse zulässt, macht es entgegen seiner Auffassung nicht erforderlich, einen medizinischen Sachverständigen von Amts wegen damit zu beauftragen, sein Gehvermögen zu beurteilen.
Der Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens „T“ ist unzulässig.
Ein überprüfbarer Bescheid des Beklagten zu dem Anspruch auf Erteilung der Berechtigung, den besonderen Fahrdienst im Land Berlin zu nutzen, liegt nicht vor. Auf den Inhalt des Schreibens des Gerichts vom 25. April 2002 wird insoweit verwiesen. Es sei aber darauf hingewiesen, dass nach der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (veröffentlicht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 11. August 2001) die Berechtigung von der Eintragung des Merkzeichens „T“ im Schwerbehindertenausweis durch das Versorgungsamt abhängt. Voraussetzung hierfür wiederum ist, dass im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „aG“ eingetragen ist, dass ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 v.H. besteht und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen gegenüber dem Versorgungsamt nachgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung der mithin erfolglosen Berufung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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