L 17 U 326/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 282/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 326/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin am 12.04.1999 Folge eines Arbeitsunfalles ist und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.

Der am 1955 geborene Versicherte und Ehemann der Klägerin, P. H. , arbeitete als Werkschutzfachkraft bei der Fa. S. Industrie Holding GmbH & Co, H ... Am 11.04.1999 unternahm er ab 10.03 Uhr einen routinemäßigen Rundgang über das Firmengelände, der üblicherweise 60 Minuten dauerte. Um 10.11 Uhr meldete er sich beim Kontrollpunkt 35. Zwei Minuten später hätte er den nächsten Kontrollpunkt einlesen müssen, meldete sich aber nicht. Als er nach Ablauf der üblichen Rundenzeit nicht in die Alarmzentrale zurückgekommen war, machte sich sein Kollege H.K. auf die Suche nach ihm. Er fand ihn gegen 11.50 Uhr bewusstlos auf einer Betonladerampe vor dem Eingang zum Gebäude Technikum liegen. Nach Behandlung durch den Notarzt (um 12.00 Uhr alarmiert) und Einlieferung in das Klinikum N. (gegen 13.30 Uhr) verstarb der Versicherte am 12.04.1999 gegen 17.55 Uhr.

Durch eine im Klinikum der Stadt N. - Institut für Pathologie - am 15.04.1999 durchgeführte Gehirnsektion konnte eine ausgedehnte Gehirnmassenblutung links mit Ventrikeleinbruch nachgewiesen werden. Hinweise auf eine Fraktur oder typische Zeichen einer massiven Gewalteinwirkung auf den Schädel ließen sich pathologisch-anatomisch nicht sichern.

Mit Bescheid vom 24.05.2000 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der am 12.04.1999 eingetretene Tod des Versicherten nicht Folge eines Arbeitsunfalles gewesen sei. Es fehle an einem sog. äußeren Ereignis. Der Versicherte sei aufgrund innerer Ursache eines natürlichen Todes gestorben. Hinweise auf ein Fremdverschulden hätten sich nicht ergeben.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei ihrem Mann hätten klare Anzeichen für eine äußere Gewaltanwendung im Schläfenbereich vorgelegen. Auch habe er mehr als zwei Stunden im Betriebsgelände ohne ärztliche Hilfe mit angeblich defektem Alarmgerät gelegen. Nach Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft N. wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 18.08.2000 zurück. Sie führte aus, Verletzungszeichen im Schläfenbereich seien weder vom Notarzt noch von den weiterbehandelden Ärzten im Klinikum der Stadt N. registriert worden. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Tod durch ein äußeres Ereignis verursacht worden sei. Ein Arbeitsunfall liege demnach nicht vor.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Tod ihres Ehemannes als Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechende Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Sie äußerte Zweifel an einer natürlichen Ursache der zum Tode führenden Gehirnblutung. Ergänzend brachte sie u.a. die auffällige Durchnässung der Kleidung vor, sowie dass die Schuhe trocken gewesen seien, die Uhr Schleifspuren aufgewiesen habe, der Gürtel der Hose nicht sein Eigentum gewesen sei und viel zu groß und nachträglich gelocht gewesen sei. Der weiße Betriebsmantel sei stark verschmutzt gewesen, obwohl ihr Mann auf einer betonierten Rampe gelegen habe. Ihr Mann habe eine Beule über der rechten Schläfe und Verletzungen an der linken Hand gehabt, was zahlreiche Zeugen bestätigen könnten.

Das SG hat die Akten der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht (OLG) N. beigezogen und mit Urteil vom 19.09.2001 die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Tod des Versicherten durch betriebliche Einwirkung oder Gewalteinwirkung von außen sei nicht nachgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und auf massive Merkmale von Gewalteinwirkung am Kopf ihres Ehemannes hingewiesen. Sein etwas erhöhter Blutdruck - ohne Beschwerden - habe nicht zu der Hirnblutung führen können. Auch sei er erst ca dreieinhalb Stunden nach dem Unfallereignis in das Klinikum eingeliefert worden.

Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts N. und der Staatsanwaltschaft N. , die Krankenakte des Klinikums N. - Med. Klinik 8 -, eine Krankheitenauskunft der BEK Augsburg, eine Auskunft der S. Industrie Holding vom 14.10.2002 sowie Befundberichte des Chirurgen Dr.G. vom 27.02.2002 und des Allgemeinarztes Dr.H. vom 26.03.2002 beigezogen. Er hat E. G. (G) als Zeuge uneidlich einvernommen und ein Gutachten des Prof. Dr.W.E. (Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin der Universität M.) vom 15.05.2002/08.01.2003/29.01.2003 eingeholt. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Versicherte ohne vernünftigen Zweifel an einem zentralen Regulationsversagen bei Massenblutung in die linke Großhirnhälfte mit nachfolgender Hirnschwellung und Einklemmung des Stammhirnes verstorben ist. Der Tod sei nicht mit Wahrscheinlichkeit Folge eines Arbeitsunfalles gewesen. Infolge der großen Massenblutung sei der Tod auch bei früherem Auffinden des Versicherten gegen 10.12 Uhr und unverzüglicher Behandlung nicht vermeidbar gewesen.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 19.09.2001 sowie des Bescheides vom 24.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2000 zu verurteilen, den Tod des Versicherten als Folge eines Arbeitsunfalles vom 11.04.1999 anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 19.09.2001 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie der Akte der Staatsanwaltschaft N. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Todes ihres Ehemannes als Folge eines Arbeitsunfalles, weil dessen Tod am 12.04.1999 nicht auf einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zurückzuführen ist (§§ 63 Abs 1, 7 Abs 1, 8 Abs 1 SGB VII).

Nach § 63 Abs 1 SGB VII haben Hinterbliebene Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld, Überführungskosten, Hinterbliebenenrenten), wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalles eingetreten ist. Zu den Versicherungsfällen zählen nach § 7 Abs 1 SGB VII die Arbeitsunfälle. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Der Versicherte befand sich im Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Betriebsweg. Den auf diesem Weg erlittenen Unfall (Sturz auf den Boden) hat er auch bei der versicherten Tätigkeit (Rundgang in seiner Funktion als Wachmann) erlitten. Es fehlt jedoch an dem haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen der geschützten (versicherten) Tätigkeit und dem Unfall. Beruht nämlich ein Unfall nicht auf dem betriebsbezogenen Verhalten eines Versicherten, sondern vielmehr auf körpereigener Ursache, ist ein Arbeitsunfall nicht gegeben (BSG SozR 3-2200 § 548 RVO Nrn 75, 81; BSG, Urteil vom 27.11.1986 - 2 RU 10/86 HV-Info 1987 334). Entscheidend ist, ob die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die innere Ursache die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist (BSG, SozR 3-2200 § 548 Nr 14).

Im vorliegenden Fall ist der Tod des Versicherten P. H. aus innerer Ursache eingetreten. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der Ausführungen des Prof. Dr.W.E. im Gutachten vom 15.05.2002. Danach ist der Versicherte ohne vernünftigen Zweifel an einem zentralen Regulationsversagen bei Massenblutung in die linke Großhirnhälfte mit nachfolgender Hirnschwellung und Einklemmung des Stammhirnes im großen Hinterhauptloch verstorben. Die zum Tode führende Massenblutung ist mit größter Wahrscheinlichkeit natürlich entstanden und nicht durch eine Gewaltanwendung Dritter. Die beim Versicherten von dem Zeugen G beschriebenen und auf den Lichtbildtafeln der Polizei E. fotografisch erfassten Verletzungen am Kopf des Versicherten führen zu keiner anderen Beurteilung. Die Verschorfung nach oberflächlicher Hautläsion im Bereich der rechten Augenbraue kann durch den Kontakt mit dem Belag der Rampe, auf der der Versicherte gefunden wurde, entstanden sein. Bei einem Schlag auf den Kopf des Versicherten wären nach den Feststellungen des Prof. Dr.E. Rissplatzwunden entstanden. Zwar könnte der Versicherte die oberflächlichen Hauteinblutungen am Auslauf des rechten knöchernen Augenbrauenbogens und über dem seitlichen Jochbeinbogen auch bei einem Schlag erlitten haben. Die Ausdehnung dieser Hauteinblutung zeigt aber, dass es sich um eine geringe Gewalteinwirkung gehandelt haben muss, die am ehesten von dem Sturz herrührt. Gegen eine traumatisch verursachte Massenblutung des Gehirns spricht das Verhältnis der geringen äußeren Verletzungsbefunde zur Schwere der Blutungen innerhalb der Hirnsubstanz. Bei massiven Blutungen in die Hirnsubstanz infolge eines Traumas sind erhebliche äußere Verletzungsbefunde zu erwarten, in der Mehrzahl der Fälle mit Skelettverletzungen am Schädel. Zwar können tödliche Blutungen aus vorgeschädigten Gefäßen iS einer Aneurysmabildung auch bei Gewalteinwirkungen minderen Grades entstehen, deren Prädilektionsstelle liegt dann allerdings an den Gefäßen des Schädelgrundes und nicht in der Stammganglienregion. Natürliche Blutungen sind gehäuft und typischerweise in der Stammganglienregion anzutreffen. Ursache der Prädilektionsstelle im Stammganglienbereich ist der Verlauf der Arteria lenticulos ratia, die innerhalb des Gehirns zunächst fast senkrecht ansteigend verläuft, um dann in fast rechtem Winkel in die Stammganglienregion umzubiegen. An dieser Biegung kommt es, speziell bei bestehendem Bluthochdruck, bevorzugt zu Gefäßrupturen. Beim Versicherten fanden sich bei der feingeweblichen Untersuchung einzelne kleine Blutgefäße, welche nach Art sog. Charcot scher Mikroaneurysmen erweitert erschienen. Auch fanden sich in der Nähe der Massenblutung im Bereich der Basalganglien leicht erweiterte perivaskuläre Räume, gelegentlich mit Siderin-Depots. Dabei handelt es sich um Abbausubstanzen des Blutfarbstoffes, die frühestens ca vier Tage nach einer Blutung in das Gehirn aufzutreten beginnen und dann ortsständig gespeichert bleiben. Nachdem sich die Blutlache auf der Rampe und die Blutflecken an der Kleidung des Versicherten durch das Anlegen einer Infusion bei dem stark krampfenden Versicherten erklären lassen, hält der Senat die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr.E. für schlüssig und überzeugend, dass die Lokalisation und das Fehlen anderer traumatischer Befunde am knöchernen Schädel, dem Gehirn und seinen Häuten, sowie das Vorliegen von natürlichen krankhaften Gefäßveränderungen bei bestehendem Bluthochdruck und der Nachweis bereits erfolgter Blutaustritte aus Gefäßen im von der Hirnblutung betroffenen Gebiet mit allergrößter Wahrscheinlichkeit für eine natürliche Entstehung der zum Tode führenden Massenblutung sprechen.

Geschehensabläufe, die dafür sprechen, dass der Tod des Versicherten durch Dritte gewaltsam verursacht wurde, konnte der Senat nicht finden. Die Staatsanwaltschaft N. ist mit Verfügung vom 11.10.1999 davon ausgegangen, dass der Versicherte nachweislich eines natürlichen Todes gestorben ist. Eine Beschwerde der Klägerin gegen diese Entscheidung hat der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht N. mit Schreiben vom 30.10.2000 zurückgewiesen und ausgeführt, es gebe keinen stichhaltigen Anhalt dafür, dass der Tod des Versicherten auf Gewalteinwirkung durch einen Dritten zurückzuführen ist. Gesichtspunkte, die Anlass geben würden, das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft anzuzweifeln, sind nicht ersichtlich.

Die späte Einleitung von Rettungsmaßnahmen führt nicht zur Annahme eines Arbeitsunfalles. Wenn als Ursache für den Tod eines Versicherten neben der nicht betrieblich bedingten Erkrankung auch betriebliche Umstände als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn in Betracht kommen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Wertentscheidung zu treffen, ob beide Ursachen etwa in gleichem Maße wesentlich für den Tod ursächlich waren oder ob die Erkrankung gegenüber den betriebsbedingten Umständen von so überragender Bedeutung war, dass sie allein als wesentliche Ursache im Rechtssinne für den Tod anzusehen ist (Bereiter-Hahn/Mehrtens § 8 SGB VI 9.6.3). Vorliegend hat der betriebliche Umstand, dass Rettungsmaßnahmen spät eingeleitet wurden, auf Art und Schwere des Körperschadens mit dem nachfolgenden Tod keinen Einfluss genommen.

Zwar haben betriebliche Umstände eine frühere ärztliche Behandlung des Versicherten verhindert, da das Funkgerät mit Totmannschaltung nicht funktioniert hat und deshalb der Leitzentrale des Arbeitgebers nach 10.11 Uhr nichts ungewöhnliches aufgefallen war. Auch hätte der Kollege H.K. - wie sich aus der Arbeitgeberauskunft vom 14.10.2002 ergibt - spätestens ab 11.30 Uhr den Versicherten suchen und finden müssen. Tatsächlich hat er ihn aber erst um 11.50 Uhr gefunden. Aber selbst wenn der Versicherte ab 10.11 Uhr gesucht und gefunden worden wäre und Rettungsmaßnahmen sofort eingeleitet worden wären, ist es wegen des Ausmaßes der Hirnblutungen nicht wahrscheinlich, dass sein Tod vermeidbar gewesen wäre. Dies ergibt sich in überzeugender Weise aus den Stellungnahmen des Prof. Dr.W.E. vom 08.01.2003 und 29.01.2003. Danach hatten die verspätet eingeleiteten Rettungsmaßnahmen keinen wesentlichen Einfluss auf Art und Schwere des Körperschadens mit dem folgenden Tod. Die Hirnmassenblutung war somit gegenüber den betriebsbedingten Umständen von überragender Bedeutung und daher allein wesentliche Ursache für den Tod des Versicherten.

Der Tod des Versicherten ist daher nicht Folge eines Arbeitsunfalles. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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