S 14 (16) KR 104/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 (16) KR 104/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 02.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2000 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte bei Berechnung der Beiträge den Aufstockungsbetrag aus Altersteilzeit als beitragspflichtige Einnahme berücksichtigt hat. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrages; maßgebend ist dabei, ob ein Altersteilzeitzuschlag als beitragspflichtige Einnahme berücksichtigt werden darf.

Der Kläger ist Lehrer im Beamtenverhältnis und freiwilliges Mitglied der Beklagten.

Zum 00.00.2000 nahm er für die verbliebene Zeit seiner Berufstätigkeit die Möglichkeit von Altersteilzeit in Anspruch und erhält seit dieser Zeit teilzeitgekürzte Bezüge vom Landesamt für Besoldung und Versorgung zuzüglich eines monatlich gewährten Altersteilzeitzuschlages in Höhe von 0.000,00 DM.

Mit Bescheid vom 02.08.2000 setzte die Beklagte mit Wirkung zum 00.00.2000 die vom Kläger zu leistenden Beiträge für seine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung auf 000,00 DM (000,00 DM Krankenversicherungsbeitrag und 00,00 DM Pflegeversicherungsbeitrag) fest, wobei sie in die beitragspflichtigen Einnahmen den monatlichen Altersteilzeitzuschlag einbezog.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.08.2000 Widerspruch, mit welchem er geltend machte, der Altersteilzeitzuschlag sei beitragsfrei; eine Rechtsgrundlage für die Einbeziehung in die Beitragsberechnung bestehe nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2000 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, gemäß § 240 Abs. 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches , welchem die Satzungsregelungen der Beklagten entsprächen, seien die beitragspflichtigen Einnahmen unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitgliedes festzustellen. Diese würde bestimmt durch sämtliche Einnahmen und Geldmittel, welche zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbraucht werden könnten. Beim Altersteilzeitzuschlag handele es sich zwar nicht um Arbeitsentgelt mit der Folge, dass dieses bei versicherungspflichtig Beschäftigten sozialversicherungsfrei sei, auch sei es steuerfrei; eine gewisse Ungleichbehandlung zwischen Pflicht- und freiwillig versicherten Personen zeige sich allerdings auch bei der unterschiedlichen Beurteilung der Beitragspflicht von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitalerträgen, welche, anders als bei Pflichtversicherten, im Falle einer freiwilligen Mitgliedschaft zu den Einnahmen und Geldmitteln zählten, welche zum Lebensunterhalt verbraucht werden könnten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinflussten. Mit dem Altersteilzeitzuschlag verhalte es sich ebenso.

Hiergegen richtet sich die am 07.11.2000 erhobene Klage. Der Kläger vertritt die Auffassung, eine Gleichsetzung mit den von der Beklagten herangezogenen Kapitalerträgen oder Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sei unstatthaft; eine Rechtsgrundlage für die Ungleichbehandlung von freiwillig Versicherten im Vergleich zu Pflichtversicherten bestehe nicht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 02.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2000 insoweit aufzuheben, als bei Berechnung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Aufstockungsbetrag aus der Altersteilzeit als beitragspflichtige Einnahme berücksichtigt wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht im wesentlichen die Ausführungen ihres Widerspruchsbescheides zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung. Der Beitragsbemessung seien grundsätzlich alle Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinflussten, so auch der Altersteilzeitzuschlag, zugrunde zulegen.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- die Anfechtungsklage, da das Klageziel einer Korrektur der Beitragsberechnung durch eine Teilanfechtung der Bescheide erreicht werden kann. Erweist sich insoweit die Anfechtungsklage als begründet, ist der Bescheid aufzuheben, soweit die Beitragseinstufung über die rechtmäßige Höhe hinausgeht (vgl. BSGE 64, 102).

Die Anfechtungsklage hat hier in dem mit der Klage angestrebten Umfang Erfolg. Die Beklagte war nicht befugt, der Festsetzung der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers ab dem 00.00.2000 den ihm von seinem Dienstherrn gewährten Altersteilzeitzuschlag zu berücksichtigen. Der Bescheid vom 02.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2000 beschwert daher den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG und war deswegen teilweise aufzuheben.

Soweit die Beklagte den Aufstockungsbetrag aus der Altersteilzeit in die Beitragsbemessung einbezogen hat, gibt es hierfür keine Rechtsgrundlage.

§ 240 Abs. 1 Satz 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB V- bestimmt für die Krankenversicherung, dass die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch die Satzung geregelt wird. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtigt (Abs. 1 Satz 2). Die Satzung der Krankenkasse muss dabei mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zulegen sind (Abs. 2 Satz 1). Dem entsprechen die Satzungsbestimmungen der Beklagten (§ 13 Abs. 1 der Satzung bzw. § 16 Abs. 1 der Satzung in der ab 01.01.2002 gültigen Fassung). Gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 des 11. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) gelten genannte Bestimmungen auch für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung.

Welche Einnahmen die "gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" des Mitglieds ausmachen, ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Gesetz, jedoch aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu Artikel 1 § 249 Abs. 1 des Gesundheitsreformgesetzes -GRG- (vgl. BT-Drucks 11/2237 S. 225), wonach alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung der Beitragsbemessung zugrunde zulegen sind. Eine entsprechende Übernahme dieser Erläuterungen der "gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" bestimmen zahlreiche Satzungen der Krankenkassen.

Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 19.12.2000 (BSGE 87, 228 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 34) klargestellt hat, reichen selbst solche Generalklauseln aber lediglich aus, neben den beitragspflichtigen Einnahmen versicherungspflichtig Beschäftigter solche anderen Einnahmen der Beitragsbemessung freiwillig Versicherter zugrunde zulegen, die bereits in ständiger Rechtsprechung als Einnahmen zum Lebensunterhalt anerkannt worden sind, wie dies etwa bei der Heranziehung des Ertrages aus Kapitalvermögen (BSGE 76, 34, 36) als auch der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung (BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31) entschieden wurde. Stößt hingegen die Feststellung der beitragspflichtigen Einnahmen auf Schwierigkeiten oder stehen hierfür verschiedene Berechnungsweisen zur Verfügung und lassen sich dem Gesetz keine eindeutigen Bewertungsmaßstäbe entnehmen, setzt die Berücksichtigung der Einnahmen eine konkretisierende Satzungsregelung voraus, d.h. der Satzungsgeber ist gehalten, die Einzelheiten der Beitragsberechnung in der Satzung so zu konkret zu regeln, dass für typische Sachverhalte eine einheitliche Bewertung sichergestellt ist.

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen bietet die allgemeine Satzungsregelung der Beklagten, welche nicht einmal eine Generalklausel in dargestelltem Sinne enthält, für die Einbeziehung des Altersteilzeitzuschlages in die Beitragspflicht keine hinreichende Rechtsgrundlage. Hierfür wäre eine besondere Satzungsbestimmung erforderlich gewesen. So hat das BSG in genannter Entscheidung vom 19.12.2000 (a.a.O.) entgegen früherer Rechtsprechung, wonach Wohngeld als zweckbestimmte Sozialleistung, welche nach früherer eigener Rechtsprechung als nicht geeignet angesehen wurde, die allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten zu erhöhen, da eine zweckbestimmte Leistung ihre Funktion nur dann erfüllen könne, wenn der Empfänger sie bestimmungsgemäß verwenden dürfe, und deshalb nicht zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt zu rechnen sei, befunden, dass die unter der Geltung des § 240 SGB V zu modifizieren sei, da auch durch das Wohngeld als Zuschuss zu Aufwendungen für Wohnraum die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht wird, die Heranziehung dieser Leistung zur Beitragsbemessung jedoch wegen der früheren Nichtzurechnung dieser Leistungen zu den Einnahmen von einer konkretisierenden Satzungsregelung abhängig gemacht. Nach Auffassung des Gerichts sind diese Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

Hierfür spricht zum einen der Umstand, dass sich aus dem Gesetz, jedenfalls hinsichtlich Pflichtversicherter, eindeutige, einer Einbeziehung dieser Einnahmen entgegenstehende Bewertungsmaßstäbe ergeben, da nach § 3 Nr. 28 Einkommenssteuergesetz -EStG- der Aufstockungsbetrag steuerfrei ist und deswegen nicht nach § 1 der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgeltes in der Sozialversicherung -ArEV- zum Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung gehört. Eine hiervon abweichende Regelung bezogen auf freiwillige Mitglieder bedarf deswegen, auch unter Berücksichtigung des in Artikel 20 des Grundgesetzes -GG- normierten Rechtsstaatlichkeitsgebotes, als die Rechte der Betroffenen erheblich belastender Eingriff einer hinreichenden untergesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Im übrigen ist zu vergegenwärtigen, dass, soweit das BSG früher zweckbestimmte Sozialleistungen nicht zu den beitragspflichtigen Einnahmen gerechnet hatte (Kindergeld, Wohngeld, Beschädigtengrundrente), jedenfalls durchaus erwähnenswert ist, ob dies nicht weiterhin zu gelten hat, weil diese Leistungen, unter Erhöhung zwar der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betreffenden, jedenfalls auch aus sozial-politischen Gründen vorhandene Defizite ausgleichen sollen (so Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 240 Anm. 23). In diesem Sinne entspricht der Aufstockungsbetrag aus Altersteilzeit weniger den von der Beklagten herangezogenen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, sondern eher aus sozialpolitischen Gründen gewährten Leistungen. Dies bringt deutlich das Altersteilzeitgesetz -ATG- zum Ausdruck, in dessen § 1 als gesetzgeberische Ziele die Erleichterung des Übergangs in die Rente sowie hierdurch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, mithin sozialpolitische Zwecke, zu deren Verwirklichung Zuschüsse gewährt werden, angeführt werden. Nach alledem sind jedenfalls eindeutige Feststellungen, dass auch der Aufstockungsbetrag den beitragspflichtigen Einnahmen zuzurechnen sind, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weshalb, ungeachtet der hier letztlich nicht zu entscheidenden Frage, ob die Aufstockungsbeträge in die Beitragsbemessung einbezogen werden können, es auf jeden Fall einer konkretisierenden Satzungsregelung bedurfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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