Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 7 (16,18) SB 120/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.08.1999 und des Teil-Abhilfebescheides vom 25.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 verurteilt, bei der Klägerin die gesundheitlichen Vorraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "H" ab Juni 1999 festzustellen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" ("RF") und "Hilflosigkeit" ("H") erfüllt.
Die Klägerin ist 0000 in S geboren. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland war sie nach einer entsprechenden Umschulung als Altenpflegehelferin tätig. Derzeit bezieht sie eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; ab Januar 2000 ist bei ihr eine Pflegebedürftigkeit gemäß Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nach Pflegestufe I anerkannt.
Im Juni 1999 beantragte sie bei dem Beklagten die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht sowie die Gewährung sämtlicher Nachteilsausgleiche. Sie wies darauf hin, dass sie sich nur im Rollstuhl fortbewegen könne und beim Sitzen Schmerzen habe. Der Beklagte zog Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, Entlassungsberichte über stationäre Behandlungen und zwei medizinische Maßnahmen zur Rehabilitation sowie mehrere Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe bei. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von August 1999 stellte er mit Bescheid vom 26.08.1999 bei der Klägerin sodann einen GdB von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche der "erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" ("G"), der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" ("aG") sowie der "Notwendigkeit ständiger Begleitung" ("B") fest. Dieser Feststellung lag die Gesundheitsstörung "Operierte Wurzelveränderung im Bereich L 1/2, linksbetonte Beinschwäche" zugrunde.
Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass sie seit zwei Jahren an keinen öffentlichen Veranstaltungen mehr habe teilnehmen können, weil sie nicht länger als 30 Minuten sitzen könne und große Schmerzen im Rücken habe. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen sowie einer versorgungsärztlichen Stellungnahme aus Januar 2000 stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 25.01.2000 sodann einen GdB von 100 fest. Der Leidenskatalog wurde folgendermaßen formuliert:
Beinschwäche bei seelischer Störung Künstliche Harnableitung Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, Operationsnarbe über der Lendenwirbelsäule. Den Widerspruch im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2000 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2000 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung laufend Hilfe benötige. Ohne fremde Hilfe könne sie sich nicht waschen, nicht anziehen, nicht aufstehen, keinen Arzt erreichen sowie kein Essen erhalten etc. Auch die Voraussetzungen für "RF" lägen vor. Ihre Schmerzen im Rücken und die Krämpfe in der Blase könne sie nur verringern, indem sie ganz flach hinlege. Liegend könne sie an öffentlichen Veranstaltungen aber nicht teilnehmen. Im Übrigen seien ihre Leiden mittlerweile auch schlimmer geworden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.1999 und des Teil-Abhilfebescheides vom 25.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "H" ab Juni 1999 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, dass die Klägerin die Voraussetzungen für "RF" nicht erfülle, und dies selbst dann nicht, wenn sie tatsächlich nur eine Stunde sitzen könne. Im übrigen liege ein organisches Korrelat dafür, dass die Klägerin nicht sitzen könne, nicht vor. Sie sei somit dem Grunde nach auch in der Lage, längere Zeit zu sitzen. Auch der Nachteilsausgleich "H" könne der Klägerin nicht zugesprochen werden. Denn der Hilfsbedarf sei auch nach dem letzten Pflegegutachten nicht in einem hierfür erforderlichen Umfang vorhanden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung eines Befundberichtes des Urologen Dr. S1 aus August 2000 sowie des Internisten Dr. X aus September 2000. Das Gericht hat die Klägerin sodann durch die Nervenärztin und Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse, Sozialmedizin sowie physikalische Therapie Dr. T begutachten lassen. Wegen des Inhaltes dieses Gutachtens sowie der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen wird auf Blatt 28 bis 88 sowie 107 f. der Gerichtsakte verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "H" ab Juni 1999. Der Bescheid vom 26.08.1999 und der Teil-Abhilfebescheid vom 25.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 sind insoweit rechtswidrig und waren daher abzuändern.
1.) Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Nachteilsausgleichen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden fest (§ 69 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht aus gesundheitlichen Gründen richten sich dabei nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (VOBefr.Rundf.) vom 30.11.1993 (GVGBl. NW S. 970). Nach dieser Regelung werden behinderte Menschen von der Gebührenpflicht befreit, bei denen nicht nur vorübergehend ein Grad der Behinderung von wenigstens 80 zuerkannt ist und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (vgl. auch Nr. 33 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" - Anhaltspunkte -).
Die Klägerin erfüllt beide Voraussetzungen. Der Beklagte hat der Klägerin (zuletzt) einen GdB von 100 zuerkannt. Die Klägerin kann zudem wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen.
a) Zu dieser Überzeugung gelangt die Kammer aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Dr. T vom 00.00.2001. Diese hat die Klägerin eingehend untersucht und eine schwere konversionsneurotische Entwicklung mit inkomplettem lumbalen Querschnittssyndrom und Blasenentleerungsstörung sowie ein chronisches LWS-Syndrom diagnostiziert. Diese Diagnosen werden im Wesentlichen durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen bestätigt (z.B. Entlassungsbericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie N vom 00.00.1999, Blatt 18 Gerichtsakte), ohne dass es hier auf die präzise differential-diagnostische Bezeichnung ankommt.
Denn das Schwerbehindertenrecht differenziert nicht zwischen regelwidrigen Zuständen körperlicher, geistiger oder seelischer Art. Jede dieser Regelwidrigkeiten kann zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht führen (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R -). So kann insbesondere eine neurotische Störung mit ausgeprägten sozialen Anpassungsstörungen dem Meiden von Menschen und einem sozialen Rückzug ein derartiges Teilnahmehinderniss begründen (BSG a.a.O.). Dem schließt sich die Kammer an. Denn maßgeblich ist allein, ob die bzw. der Betroffene wegen des Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Wie im gesamten Schwerbehindertenrecht kommt es auch bei den Nachteilsausgleichen und insbesondere bei dem Nachteilsausgleich "RF" entscheidend auf die Auswirkungen, nicht die Genese der Erkrankung an.
b) Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG allerdings eng auszulegen. Begründet wird dies zunächst mit Sinn und Zweck dieses Nachteilsausgleichs. Denn das Schwerbehindertenrecht bezwecke eine Wiedereingliederung des behinderten Menschen, nicht seine Ausgrenzung. Im Übrigen habe auch der Paralleltatbestand der Vorläuferbestimmungen eine "ständige Bindung" des behinderten Menschen "an seine Wohnung" gefordert (vgl. etwa BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9 a RVs 27/85 - SozR 3870 § 3 Nr. 25). Ein Schwerbehinderter, der mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, sei demzufolge von der Teilnahme vom öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (BSG a.a.O.).
Nach Überzeugung der Kammer kann die Klägerin an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr in zumutbarer Weise in dem erforderlichen nennenswerten Umfang (Anhaltspunkte Nr. 33 Abs. 2, Seite 171) teilnehmen. Grund hierfür ist die dargestellte seelische Erkrankung der Klägerin. Die Kammer folgt auch insoweit den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen Dr. T. Denn in ihrem Gutachten sowie in ihrer ergänzenden Stellungnahme hat die Sachverständige eingehend dargestellt, dass die Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung noch bis maximal 1 Stunde sitzen könne. Danach müsse sie eine liegende Position (insbesondere) in Seitenlagerung einnehmen.
Diese Feststellungen der Sachverständigen sind angesichts der Entwicklung der Erkrankung der Klägerin nachvollziehbar. Diese (progrediente) Entwicklung wird durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen dokumentiert. So ist dem Rehabilitations-Entlassungsbericht der Johanniter-Ordenshäuser C P vom 00.00.1999 zu entnehmen, dass sich bei der Klägerin seit April 1996 eine Schwäche im linken Fuß entwickelt hat (Blatt 4 Verwaltungsakte - VA -). Ausweislich des Pflegegutachtens vom 00.00.1999 hat sich sodann seit Dezember 1998 eine zunehmende Geh- und Stehunfähigkeit eingestellt (Blatt 18 VA). Ab Anfang 1999 entwickelte sich sodann eine progrediente Lähmung der Beine (Entlassungsbericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie N vom 00.00.1999, Blatt 68 VA). Fast alle aktenkundigen medizinischen Unterlagen belegen, dass diese Gesundheitsstörungen der Klägerin (jedenfalls) überwiegend psychisch bedingt sind. Die Sachverständige Dr. T hat dabei nach Überzeugung der Kammer schlüssig dargelegt, dass sich die Klägerin aus dieser Erkrankung auch bei zumutbarer Willensanstrengung aus eigener Kraft nicht mehr lösen könne. Sie sei vielmehr überwiegend einem organischen Krankheitskonzept verhaftet und auf eine rein somatische Sichtweise ihrer Krankheitssymptomatik fixiert. Vor diesem Hintergrund war für die Kammer die Aussage des Psychiaters Dr. N1 nicht nachzuvollziehen, dass ein organisches Korrelat dafür, dass die Klägerin nicht länger sitzen könne, nicht erkennbar sei und sie somit dem Grunde nach in der Lage sei, längere Zeit zu sitzen.
Letzteres ergibt sich entgegen der Auffassung von Dr. N1 auch nicht "aus der gesamten Aktenlage und ( ...) dem vorliegenden Gutachten". Denn weder in dem Gutachten der Sachverständigen Dr. T noch in den aktenkundigen medizinischen Unterlagen findet sich an irgendeiner Stelle ein Hinweis darauf, dass die Klägerin tatsächlich länger sitzen könne bzw. dies auch tue. Das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere die bereits zuvor zitierten medizinischen Unterlagen belegen die offenbar seit Anfang 1999 zunehmende Immobilität der Klägerin.
Diese wird auch durch die Angaben der Klägerin selbst dokumentiert. Denn sie hat im Rahmen der seitens der Sachverständigen erhobenen Anamnese darauf hingewiesen, dass sie höchstens eine halbe Stunde sitzen könne. Danach müsse sie sich flach hinlegen, weil es zu schmerzhaft sei. Für das Ausruhen benötige sie im Schnitt ein bis zwei Stunden. Danach könne sie sich wieder in den Rollstuhl setzen, den sie in der Wohnung benutze und mit dem sie sich dort fortbewege. Wenn sie den Kindern des Bruders bei den Schularbeiten helfe oder mit ihnen spiele, liege sie dabei und die Kinder säßen um sie herum. Die Wohnung verlasse sie nur zweimal in der Woche. Allerdings könne sie auch draußen nicht lange sitzen. Deshalb müsse der Bruder (bis maximal eine halbe Stunde) warten, um sie wieder in die Wohnung zurückzutragen. Die Sachverständige Dr. T hat zu diesen Angaben der Klägerin festgestellt, dass an keiner Stelle bewusstseinsnahe Verdeutlichungs- bzw. Verfälschungstendenzen im Sinne von intendierter Aggravation oder Simulation zu registrieren gewesen seien (Gutachten Blatt 43). Die Kammer folgt dem und geht davon aus, dass die Klägerin tatsächlich so lebt bzw. aufgrund ihrer Erkrankung so leben muss, wie sie dies gegenüber der Sachverständigen eingehend beschrieben hat. Ergänzend hierzu hat die Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Klägerin durch den Krankentransport der Feuerwehr im Liegendtransport zur Untersuchung gebracht worden war und die über einstündige Exploration in liegender Position, nämlich in einer Rechts-Seitenlage erfolgte. Ergänzend hierzu hat die Sachverständige bei der Klägerin sowohl an den oberen als auch an den unteren Extremitäten ein allseits sehr schmächtiges Muskelrelief beobachtet (Blatt 39 f. des Gutachtens).
c) Der Hinweis des Beklagten, dass auch derjenige, der (maximal) eine Stunde sitzen kann, an öffentlichen Veranstaltungen noch teilnehmen könne, hat die Kammer nicht überzeugt. Denn die Anhaltspunkte stellen darauf ab, ob der behinderte Mensch "noch in nennenswertem Umfang" an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann oder nicht (Nr. 33, Seite 171). Derjenige, der noch höchstens eine Stunde zu sitzen vermag, kann dies nach Überzeugung der Kammer nicht. Denn in dieser einen Stunde muss nicht nur die Teilnahme an der Veranstaltung selbst, sondern auch die damit notwendigerweise verbundene An- und Abfahrt absolviert werden. Bei einer derartigen zeitlichen Beschränkung ist der behinderte Mensch faktisch von öffentlichen Veranstaltungen ausgegrenzt. Eine Teilnahme im Liegen ist - anders als eine Teilnahme (sitzend) im Rollstuhl - für den behinderten Menschen nicht zumutbar.
d) Die Auffassung des Beklagten, dass bei geistig und seelisch behinderten Menschen "RF" nur dann zuerkannt werden könne, wenn befürchtet werden müsse, dass der Behinderte beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder agressives Verhalten stören könne, ist nach Überzeugung der Kammer unzutreffend. Dieser Fall wird in den Anhaltspunkten (Nr. 33, Seite 171 oben) aufgeführt. Es handelt sich hierbei jedoch nur um ein Regelbeispiel, nicht also eine abschließende Aufzählung. Dies ergibt sich zum einen schon aus dem Wortlaut der Nr. 33 der Anhaltspunkte (Seite 170, Ziffer c: "Hierzu gehören"). Zum anderen folgt dies aus dem Gesamtcharakter der Anhaltspunkte, die bei der Aufzählung von Beispielen bzw. Fallgruppen angesichts der Unterschiedlichkeit medizinischer Sachverhalte kein abschießendes Regelwerk normieren, sondern eine offene, durch diese Beispiele illustrierte Beurteilungsgrundlage bieten.
2.) Die Klägerin hat auch Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "H". Denn hilflos ist derjenige, der in Folge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (Anhaltspunkte Nr. 21, Seite 36).
Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt in der Regel auch bei einer geistigen Behinderung, wenn diese Behinderung allein einen GdB von 100 bedingt (Anhaltspunkte Nr. 21 Abs. 6, Seite 37 f.).
Die Kammer folgt den schlüssigen Feststellungen der Sachverständigen Dr. T in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 00.00.2001, wonach sowohl das (von ihr so bezeichnete) inkomplette lumbale Querschnittssyndrom als auch die Blasenentleerungsstörung der Klägerin Ausdruck ihrer schweren psychischen Störung sind und einen GdB von 100 bedingen. Angesichts dessen ist das in den Anhaltspunkten aufgeführte Regelbeispiel erfüllt. Die Erfüllung dieses Regelbeispiels hat Indizwirkung. Für die Kammer sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Abweichen von dieser Indizwirkung rechtfertigen könnten. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. T benötigt die Klägerin Hilfe beim An- und Auskleiden im Bereich der unteren Extremitäten, der Körperpflege im Bereich der unteren Extremitäten und bei der Verrichtung der Notdurft; die Pflegekasse hat bei der Klägerin mittlerweile die Pflegestufe I anerkannt.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" ("RF") und "Hilflosigkeit" ("H") erfüllt.
Die Klägerin ist 0000 in S geboren. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland war sie nach einer entsprechenden Umschulung als Altenpflegehelferin tätig. Derzeit bezieht sie eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; ab Januar 2000 ist bei ihr eine Pflegebedürftigkeit gemäß Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nach Pflegestufe I anerkannt.
Im Juni 1999 beantragte sie bei dem Beklagten die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertenrecht sowie die Gewährung sämtlicher Nachteilsausgleiche. Sie wies darauf hin, dass sie sich nur im Rollstuhl fortbewegen könne und beim Sitzen Schmerzen habe. Der Beklagte zog Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, Entlassungsberichte über stationäre Behandlungen und zwei medizinische Maßnahmen zur Rehabilitation sowie mehrere Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe bei. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von August 1999 stellte er mit Bescheid vom 26.08.1999 bei der Klägerin sodann einen GdB von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche der "erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" ("G"), der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" ("aG") sowie der "Notwendigkeit ständiger Begleitung" ("B") fest. Dieser Feststellung lag die Gesundheitsstörung "Operierte Wurzelveränderung im Bereich L 1/2, linksbetonte Beinschwäche" zugrunde.
Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass sie seit zwei Jahren an keinen öffentlichen Veranstaltungen mehr habe teilnehmen können, weil sie nicht länger als 30 Minuten sitzen könne und große Schmerzen im Rücken habe. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen sowie einer versorgungsärztlichen Stellungnahme aus Januar 2000 stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 25.01.2000 sodann einen GdB von 100 fest. Der Leidenskatalog wurde folgendermaßen formuliert:
Beinschwäche bei seelischer Störung Künstliche Harnableitung Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, Operationsnarbe über der Lendenwirbelsäule. Den Widerspruch im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2000 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.04.2000 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung laufend Hilfe benötige. Ohne fremde Hilfe könne sie sich nicht waschen, nicht anziehen, nicht aufstehen, keinen Arzt erreichen sowie kein Essen erhalten etc. Auch die Voraussetzungen für "RF" lägen vor. Ihre Schmerzen im Rücken und die Krämpfe in der Blase könne sie nur verringern, indem sie ganz flach hinlege. Liegend könne sie an öffentlichen Veranstaltungen aber nicht teilnehmen. Im Übrigen seien ihre Leiden mittlerweile auch schlimmer geworden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.1999 und des Teil-Abhilfebescheides vom 25.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "H" ab Juni 1999 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, dass die Klägerin die Voraussetzungen für "RF" nicht erfülle, und dies selbst dann nicht, wenn sie tatsächlich nur eine Stunde sitzen könne. Im übrigen liege ein organisches Korrelat dafür, dass die Klägerin nicht sitzen könne, nicht vor. Sie sei somit dem Grunde nach auch in der Lage, längere Zeit zu sitzen. Auch der Nachteilsausgleich "H" könne der Klägerin nicht zugesprochen werden. Denn der Hilfsbedarf sei auch nach dem letzten Pflegegutachten nicht in einem hierfür erforderlichen Umfang vorhanden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung eines Befundberichtes des Urologen Dr. S1 aus August 2000 sowie des Internisten Dr. X aus September 2000. Das Gericht hat die Klägerin sodann durch die Nervenärztin und Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse, Sozialmedizin sowie physikalische Therapie Dr. T begutachten lassen. Wegen des Inhaltes dieses Gutachtens sowie der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen wird auf Blatt 28 bis 88 sowie 107 f. der Gerichtsakte verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "RF" und "H" ab Juni 1999. Der Bescheid vom 26.08.1999 und der Teil-Abhilfebescheid vom 25.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2000 sind insoweit rechtswidrig und waren daher abzuändern.
1.) Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Nachteilsausgleichen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden fest (§ 69 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht aus gesundheitlichen Gründen richten sich dabei nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (VOBefr.Rundf.) vom 30.11.1993 (GVGBl. NW S. 970). Nach dieser Regelung werden behinderte Menschen von der Gebührenpflicht befreit, bei denen nicht nur vorübergehend ein Grad der Behinderung von wenigstens 80 zuerkannt ist und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (vgl. auch Nr. 33 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" - Anhaltspunkte -).
Die Klägerin erfüllt beide Voraussetzungen. Der Beklagte hat der Klägerin (zuletzt) einen GdB von 100 zuerkannt. Die Klägerin kann zudem wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen.
a) Zu dieser Überzeugung gelangt die Kammer aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Dr. T vom 00.00.2001. Diese hat die Klägerin eingehend untersucht und eine schwere konversionsneurotische Entwicklung mit inkomplettem lumbalen Querschnittssyndrom und Blasenentleerungsstörung sowie ein chronisches LWS-Syndrom diagnostiziert. Diese Diagnosen werden im Wesentlichen durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen bestätigt (z.B. Entlassungsbericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie N vom 00.00.1999, Blatt 18 Gerichtsakte), ohne dass es hier auf die präzise differential-diagnostische Bezeichnung ankommt.
Denn das Schwerbehindertenrecht differenziert nicht zwischen regelwidrigen Zuständen körperlicher, geistiger oder seelischer Art. Jede dieser Regelwidrigkeiten kann zur Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht führen (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R -). So kann insbesondere eine neurotische Störung mit ausgeprägten sozialen Anpassungsstörungen dem Meiden von Menschen und einem sozialen Rückzug ein derartiges Teilnahmehinderniss begründen (BSG a.a.O.). Dem schließt sich die Kammer an. Denn maßgeblich ist allein, ob die bzw. der Betroffene wegen des Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Wie im gesamten Schwerbehindertenrecht kommt es auch bei den Nachteilsausgleichen und insbesondere bei dem Nachteilsausgleich "RF" entscheidend auf die Auswirkungen, nicht die Genese der Erkrankung an.
b) Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG allerdings eng auszulegen. Begründet wird dies zunächst mit Sinn und Zweck dieses Nachteilsausgleichs. Denn das Schwerbehindertenrecht bezwecke eine Wiedereingliederung des behinderten Menschen, nicht seine Ausgrenzung. Im Übrigen habe auch der Paralleltatbestand der Vorläuferbestimmungen eine "ständige Bindung" des behinderten Menschen "an seine Wohnung" gefordert (vgl. etwa BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9 a RVs 27/85 - SozR 3870 § 3 Nr. 25). Ein Schwerbehinderter, der mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, sei demzufolge von der Teilnahme vom öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (BSG a.a.O.).
Nach Überzeugung der Kammer kann die Klägerin an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr in zumutbarer Weise in dem erforderlichen nennenswerten Umfang (Anhaltspunkte Nr. 33 Abs. 2, Seite 171) teilnehmen. Grund hierfür ist die dargestellte seelische Erkrankung der Klägerin. Die Kammer folgt auch insoweit den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen Dr. T. Denn in ihrem Gutachten sowie in ihrer ergänzenden Stellungnahme hat die Sachverständige eingehend dargestellt, dass die Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung noch bis maximal 1 Stunde sitzen könne. Danach müsse sie eine liegende Position (insbesondere) in Seitenlagerung einnehmen.
Diese Feststellungen der Sachverständigen sind angesichts der Entwicklung der Erkrankung der Klägerin nachvollziehbar. Diese (progrediente) Entwicklung wird durch die aktenkundigen medizinischen Unterlagen dokumentiert. So ist dem Rehabilitations-Entlassungsbericht der Johanniter-Ordenshäuser C P vom 00.00.1999 zu entnehmen, dass sich bei der Klägerin seit April 1996 eine Schwäche im linken Fuß entwickelt hat (Blatt 4 Verwaltungsakte - VA -). Ausweislich des Pflegegutachtens vom 00.00.1999 hat sich sodann seit Dezember 1998 eine zunehmende Geh- und Stehunfähigkeit eingestellt (Blatt 18 VA). Ab Anfang 1999 entwickelte sich sodann eine progrediente Lähmung der Beine (Entlassungsbericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie N vom 00.00.1999, Blatt 68 VA). Fast alle aktenkundigen medizinischen Unterlagen belegen, dass diese Gesundheitsstörungen der Klägerin (jedenfalls) überwiegend psychisch bedingt sind. Die Sachverständige Dr. T hat dabei nach Überzeugung der Kammer schlüssig dargelegt, dass sich die Klägerin aus dieser Erkrankung auch bei zumutbarer Willensanstrengung aus eigener Kraft nicht mehr lösen könne. Sie sei vielmehr überwiegend einem organischen Krankheitskonzept verhaftet und auf eine rein somatische Sichtweise ihrer Krankheitssymptomatik fixiert. Vor diesem Hintergrund war für die Kammer die Aussage des Psychiaters Dr. N1 nicht nachzuvollziehen, dass ein organisches Korrelat dafür, dass die Klägerin nicht länger sitzen könne, nicht erkennbar sei und sie somit dem Grunde nach in der Lage sei, längere Zeit zu sitzen.
Letzteres ergibt sich entgegen der Auffassung von Dr. N1 auch nicht "aus der gesamten Aktenlage und ( ...) dem vorliegenden Gutachten". Denn weder in dem Gutachten der Sachverständigen Dr. T noch in den aktenkundigen medizinischen Unterlagen findet sich an irgendeiner Stelle ein Hinweis darauf, dass die Klägerin tatsächlich länger sitzen könne bzw. dies auch tue. Das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere die bereits zuvor zitierten medizinischen Unterlagen belegen die offenbar seit Anfang 1999 zunehmende Immobilität der Klägerin.
Diese wird auch durch die Angaben der Klägerin selbst dokumentiert. Denn sie hat im Rahmen der seitens der Sachverständigen erhobenen Anamnese darauf hingewiesen, dass sie höchstens eine halbe Stunde sitzen könne. Danach müsse sie sich flach hinlegen, weil es zu schmerzhaft sei. Für das Ausruhen benötige sie im Schnitt ein bis zwei Stunden. Danach könne sie sich wieder in den Rollstuhl setzen, den sie in der Wohnung benutze und mit dem sie sich dort fortbewege. Wenn sie den Kindern des Bruders bei den Schularbeiten helfe oder mit ihnen spiele, liege sie dabei und die Kinder säßen um sie herum. Die Wohnung verlasse sie nur zweimal in der Woche. Allerdings könne sie auch draußen nicht lange sitzen. Deshalb müsse der Bruder (bis maximal eine halbe Stunde) warten, um sie wieder in die Wohnung zurückzutragen. Die Sachverständige Dr. T hat zu diesen Angaben der Klägerin festgestellt, dass an keiner Stelle bewusstseinsnahe Verdeutlichungs- bzw. Verfälschungstendenzen im Sinne von intendierter Aggravation oder Simulation zu registrieren gewesen seien (Gutachten Blatt 43). Die Kammer folgt dem und geht davon aus, dass die Klägerin tatsächlich so lebt bzw. aufgrund ihrer Erkrankung so leben muss, wie sie dies gegenüber der Sachverständigen eingehend beschrieben hat. Ergänzend hierzu hat die Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Klägerin durch den Krankentransport der Feuerwehr im Liegendtransport zur Untersuchung gebracht worden war und die über einstündige Exploration in liegender Position, nämlich in einer Rechts-Seitenlage erfolgte. Ergänzend hierzu hat die Sachverständige bei der Klägerin sowohl an den oberen als auch an den unteren Extremitäten ein allseits sehr schmächtiges Muskelrelief beobachtet (Blatt 39 f. des Gutachtens).
c) Der Hinweis des Beklagten, dass auch derjenige, der (maximal) eine Stunde sitzen kann, an öffentlichen Veranstaltungen noch teilnehmen könne, hat die Kammer nicht überzeugt. Denn die Anhaltspunkte stellen darauf ab, ob der behinderte Mensch "noch in nennenswertem Umfang" an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann oder nicht (Nr. 33, Seite 171). Derjenige, der noch höchstens eine Stunde zu sitzen vermag, kann dies nach Überzeugung der Kammer nicht. Denn in dieser einen Stunde muss nicht nur die Teilnahme an der Veranstaltung selbst, sondern auch die damit notwendigerweise verbundene An- und Abfahrt absolviert werden. Bei einer derartigen zeitlichen Beschränkung ist der behinderte Mensch faktisch von öffentlichen Veranstaltungen ausgegrenzt. Eine Teilnahme im Liegen ist - anders als eine Teilnahme (sitzend) im Rollstuhl - für den behinderten Menschen nicht zumutbar.
d) Die Auffassung des Beklagten, dass bei geistig und seelisch behinderten Menschen "RF" nur dann zuerkannt werden könne, wenn befürchtet werden müsse, dass der Behinderte beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder agressives Verhalten stören könne, ist nach Überzeugung der Kammer unzutreffend. Dieser Fall wird in den Anhaltspunkten (Nr. 33, Seite 171 oben) aufgeführt. Es handelt sich hierbei jedoch nur um ein Regelbeispiel, nicht also eine abschließende Aufzählung. Dies ergibt sich zum einen schon aus dem Wortlaut der Nr. 33 der Anhaltspunkte (Seite 170, Ziffer c: "Hierzu gehören"). Zum anderen folgt dies aus dem Gesamtcharakter der Anhaltspunkte, die bei der Aufzählung von Beispielen bzw. Fallgruppen angesichts der Unterschiedlichkeit medizinischer Sachverhalte kein abschießendes Regelwerk normieren, sondern eine offene, durch diese Beispiele illustrierte Beurteilungsgrundlage bieten.
2.) Die Klägerin hat auch Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "H". Denn hilflos ist derjenige, der in Folge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf (Anhaltspunkte Nr. 21, Seite 36).
Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind. Dies gilt in der Regel auch bei einer geistigen Behinderung, wenn diese Behinderung allein einen GdB von 100 bedingt (Anhaltspunkte Nr. 21 Abs. 6, Seite 37 f.).
Die Kammer folgt den schlüssigen Feststellungen der Sachverständigen Dr. T in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 00.00.2001, wonach sowohl das (von ihr so bezeichnete) inkomplette lumbale Querschnittssyndrom als auch die Blasenentleerungsstörung der Klägerin Ausdruck ihrer schweren psychischen Störung sind und einen GdB von 100 bedingen. Angesichts dessen ist das in den Anhaltspunkten aufgeführte Regelbeispiel erfüllt. Die Erfüllung dieses Regelbeispiels hat Indizwirkung. Für die Kammer sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Abweichen von dieser Indizwirkung rechtfertigen könnten. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. T benötigt die Klägerin Hilfe beim An- und Auskleiden im Bereich der unteren Extremitäten, der Körperpflege im Bereich der unteren Extremitäten und bei der Verrichtung der Notdurft; die Pflegekasse hat bei der Klägerin mittlerweile die Pflegestufe I anerkannt.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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