Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 193/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Beschwerdebild bei der Klägerin als eine Berufskrankheit (BK) oder gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.
Die 0000 geborene Klägerin war seit 1962 als medizinisch-technische Assistentin (MTA) tätig, davon ab 1976 im N in I in der Abteilung für Nuklearmedizin. Seit 00.1998 fühlt sie sich außerstande, ihre Berufstätigkeit weiter auszuüben. Nach der Rückkehr von einem Urlaub auf T wurde sie von dem Hautarzt Dr. X ab 00.00.1998 bis 00.00.1998 und erneut ab 00.00.1998 krank geschrieben wegen "Generalisiertes Arzneimittelexanthem, Verdacht auf eine allergische Kontaktallergie". Dieser Arzt teilte der Beklagten mit, dass er bei der Klägerin eine Sensibilisierung auf Duftstoffmix, Glutaraldehyd, Diphenylguanidin festgestellt habe. Die festgestellten Hautveränderungen hätten aber eindeutig einen atopischen Aspekt. Es beständen keine Hautveränderungen mehr seit dem 24.4.98 sondern nur noch subjektive Geruchsbelästigungen. Der Internist Dr. M teilte der Beklagten mit, dass eine Atemwegserkrankung bei der Klägerin nicht vorliege. Während einer stationären Behandlung im Knappschaftskrankenhaus S vom 00.-00.00.98 wurden keine Hautveränderungen mehr festgestellt. Im Entlassungsbericht wurde angemerkt, dass die Angaben der Klägerin über Kopfschmerzen, Übelkeit, Brechreiz "psychotisch anmuten." Untersuchungen seien nicht möglich gewesen, da die Patientin wegen ihrer massiven Geruchsbeschwerden um Entlassung gebeten habe. Die Klägerin teilte der Beklagten am 15.07.98 mit, dass schon seit ein paar Jahren der Körper auf "Geruchsstoffe" und Konservierungsstoffe, auch im Essen, mit Luftproblemen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Darmproblemen, Augenschwierigkeiten, schlechterem Hören und Hals-Enge-Gefühl reagiere. Am 00.00.1998 erfolgte eine hämatologische Untersuchung bei Prof. Dr. W im N I. Auch dort klagte sie über Schwellungen, Rötungen, Hitzegefühl durch Einatmen von Duftstoffen bei Betreten bestimmter Räume. Diese Beschwerden ließen sich aber nicht objektivieren. Der Umweltmediziner Dr. I1 berichtete über eine Untersuchung der Klägerin am 00.00.1998: "Austestungen haben Reaktionen auf Duftstoff-Mix, Glutaraldehyd und Diphenylguanidin ergeben, also Stoffe, denen man im täglichen Leben häufig begegnet. Die Patientin registriert auch die o. g. Beschwerden als Reaktionen auf Kontakt mit zahlreichen Gegenständen des täglichen Bedarfs, wobei oft schon die Geruchseinwirkung genüge, um Beschwerden hervorzurufen, z. B. wenn frisch geduschte Radfahrer an ihr vorbeiführen. Das geschilderte Beschwerdebild entspricht dem der sogenannten multiplen Chemikaliensensitivität. Bekanntermaßen handelt es sich hierbei um eine wenig erforschte Krankheitsentität, über deren pathophysiologische Verursachung nichts sicheres bekannt ist und für die eine anerkannte Therapie nicht besteht."
Bei einer Untersuchung im Fachkrankenhaus O am 00.00.1998 wurde eine Chemikalienintoleranz und eine Amalgamintoleranz diagnostiziert. Dort gab die Klägerin Unverträglichkeitsreaktionen ausgelöst durch Druckerzeugnisse, Textilien, Wolle, Parfüms; Backpulver, konservierte Lebensmittel, Kaffee, Säfte und bestimmte Weinsorten an. Der Neurologe Dr. S1 stellte am 00.00.1999 bei der Klägerin eine Polyneuropathie fest nachdem der Nervenarzt Dr. S2 bei einer Untersuchung am 00.00.1998 keine Krankheit bei der Klägerin festgestellt hatte. Am 11.06.1999 erstattete Dr. Dipl. Chem. Prager eine Aktengutachten über die Klägerin, da sich diese keiner Untersuchung unterziehen wollte. Er führte darin aus, dass eine Chemikalienunverträglichkeit (MCS-Syndrom) ein anlagebedingtes Leiden und keine Berufskrankheit sei. Die von der Klägerin am Arbeitsplatz verwendeten Chemikalien könnten keine Polyneuropathie verursachen. Zwar könne eine massive Alkoholexposition eine Polyneuropathie auslösen, nicht jedoch die geringen Alkoholmengen in Desinfektionsmitteln. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.12.1999 und Widerspruchsbescheid vom 21.06.2000 Leistungen wegen einer Berufskrankheit ab.
Mit der am 18.07.2000 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren weiter. Die Klägerin beruft sich auf das auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte umweltmedizinische Gutachten und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 21.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente entsprechend einer MdE um 40 v.H. zu gewähren wegen einer Berufskrankheit 5101, 4301, 4302, 1317 oder gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten sind die Beschwerdebilder bei der Klägerin nicht berufsbedingt entstanden, denn sonst müssten sich die Befunde seit der Tätigkeitsaufgabe 1998 gebessert haben.
Das Gericht hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG ein hautfachärztliches Gutachten eingeholt von Prof. Dr. I2 vom 00.00.2001. Nach dessen Beurteilung besteht bei der Klägerin eine angeborene Empfindlichkeit der Haut im Sinne einer atopischen Diathese. Die bestehenden Sensibilisierung gegen 3 Stoffe habe bisher nicht zu einem Kontaktekzem geführt und die vielfältigen Beschwerden der Klägerin ließen sich durch die Sensibilisierung nicht erklären. Eine "Multiple Chemical Sensitivity" sei nach dem bisherigen medizinischen Wissensstand noch nicht als Krankheit nachgewiesen.
In einem weiteren auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 00.00.2002 ist der Umweltmediziner Dr. T1 von der Fachklinik O zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin keine BK 5101 vorliege. Berufsbedingt beständen aber eine MCS und eine Polyneuropathie mit einer MdE um 40 v.H. Im Falle der MCS handele es sich noch um eine umstrittene Arbeitshypothese, aber es gebe neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es sich um eine erworbene Störung als Antwort auf nachweisbare Expositionen gegenüber vielen Stoffen handelt.
In einer vom Gericht eingeholten Auskunft vom 26.03.2003 hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mitgeteilt, dass dem Verordnungsgeber derzeit keine neuen Erkenntnisse bezüglich eines Zusammenhangs zwischen diesem Krankheitsbild und Berufsstoffen vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und die Klägerin dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da bei ihr keine der geltend gemachten Berufskrankheiten vorliegt und auch keine Erkrankung, die wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen ist.
Bei der Klägerin liegt keine BK 5101 vor. Soweit bei der Klägerin überhaupt Hautveränderungen nachzuweisen waren, sind sie nach übereinstimmender Beurteilung aller dazu gehörten Ärzte Ausdruck einer angeborenen Empfindlichkeit der Haut im Sinne einer atopischen Diathese (so Dr. X, Dr. Q und die beiden Gerichtssachverständigen Prof. Dr. I2 und Dr. T1). Das Gericht sieht keine Veranlassung, dieser übereinstimmenden ärztlichen Beurteilung nicht zu folgen, sondern stattdessen der laienhaften Selbsteinschätzung der Klägerin den Vorzug zu geben. Zudem ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Hautveränderungen, die während eines Urlaubs in T aufgetreten sind, nichts mit der Berufstätigkeit als MTA zu tun haben.
Eine BK 4301 und 4302 (obstruktive Atemwegserkrankung) liegt bei der Klägerin nicht vor, denn bei ihr ist bisher von keinem Arzt eine Atemwegserkrankung festgestellt worden. Die Antwort des behandelnden Internisten Dr. M vom 00.00.1998 auf eine entsprechende Anfrage der Beklagten ist eindeutig.
Eine BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) ist bei der Klägerin ebenfalls nicht anzuerkennen und zu entschädigen. Dabei kann die Kammer es offen lassen, ob die Diagnosen von Dr. S1 und Dr. L (zitiert im Gutachten Dr. T1 auf Seiten 8/9) zutreffen. Denn die Klägerin hatte keinen beruflichen Umgang mit Lösemitteln. Die arbeitsplatzbedingte Einwirkung eines Listenstoffs in gesundheitschädigendem Umfang muss im Sinne des Vollbeweises (d. h. sicher, zweifelsfrei) nachgewiesen werden. Das ist hier nicht der Fall. Lösemittel befinden sich weder in der Entwicklerflüssigkeit für Röntgenaufnahmen noch in Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln, die in einer Röntgenabteilung eines Krankenhauses zum Einsatz kommen. Das Gericht hatte keine Bedenken, sich insoweit der Beurteilung von Dr. Dipl. Chem. Q in dessen urkundsbeweislich gewürdigten Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren anzuschließen. Denn dieser Arbeitsmediziner verfügt als Diplomchemiker über besonders fundierte Kenntnisse und damit über eine ganz besondere Kompetenz. Bei einer beruflich verursachten Polyneuropathie wäre zudem zu erwarten gewesen, dass sich das Krankheitsbild nach Ende der Exposition bessert (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, M 1317 Seite 2a). Bei der Klägerin hat aber eine Polyneuropathie während ihres Berufslebens nie bestanden, sondern das Leiden hat sich erst Monate später allmählich entwickelt.
Soweit die Klägerin eine Entschädigung der bei ihr von mehreren Ärzten diagnostizierten MCS wie eine BK begehrt, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Dabei kann die Kammer es offen lassen, ob es diese Krankheit überhaupt gibt (dagegen Prof. Dr. I2) oder ob es sich bei dem Beschwerdebild bei der Klägerin nur um eine eingebildete, psychisch bedingte Symptomatik handelt. Auch wenn man mit Dr. T1 in seinem Gutachten vom 00.00.2003 davon ausgeht, dass die Klägerin unter einer MCS leidet und wenn man diesem Arzt auch dahin folgt, dass es sich nicht um eine anlagebedingte Erkrankung (so Dr. Q) sondern um eine durch die Berufstätigkeit verursachte Krankheit handelt, so sind doch die speziellen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheitenverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört der ursächliche Zusammenhang und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen eine generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andrerseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger nicht aus (BSG Urteil vom 21.01.1997 in 2 RU 7/96 und vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Sachverständige Dr. T1 hat sich mit der Problematik der gruppentypischen Risikoerhöhung in seinem Gutachten überhaupt nicht auseinander gesetzt, obwohl er in der in der Beweisanordnung unter Frage 1) ausdrücklich danach gefragt worden war. Das Gutachten enthält nur allgemein gehaltene Ausführungen über angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Ursachen von MCS. An keiner Stelle wird jedoch gesagt, für welche Personengruppe nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse eine deutlich höhere Gefahr als für die übrige Bevölkerung besteht, an einer MCS zu erkranken.
Schließlich ist das Gutachten von Dr. T1 durch Zeitablauf überholt, da die Berufskrankheitenverordnung zum 01.10.2002 (BKV-ÄndV vom 05.09.2002 - BGBL I S. 3541) neu gefasst worden ist, ohne dass der Verordnungsgeber die MCS in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat. Damit sind alle zeitlich davor liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr neu im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII (vgl. BSG Urteil vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). In der vom Gericht eingeholten Auskunft hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zudem bestätigt, dass dem Verordnungsgeber neue Erkenntnisse nicht vorliegen. Er hat sich damit nicht beschäftigt und beschäftigt sich "wegen der bei der MCS beliebig ausweitbaren Schadstoffexposition" mit dieser Fragestellung auch zukünftig nicht. Das ist auch für die Kammer im konkreten Fall der Klägerin nachvollziehbar, denn sie hat Überempfindlichkeitsreaktionen auf eine Vielzahl von Stoffen (Textilien, Wolle, Lebensmittel, Parfüms) angegeben, die nicht den geringsten Bezug zu ihrer früheren Tätigkeit als MTA haben. Nach dem Arztbrief des Umweltmediziners Dr. I1 vom 00.00.98 handelt es sich sogar bei den drei Stoffen, auf die die Klägerin bei einer Testung 1998 sensibel reagierte nicht um Berufsstoffe, sondern um Stoffe, denen man im täglichen Leben häufig begegnet.
Die Kostenentscheidung der Klage beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Beschwerdebild bei der Klägerin als eine Berufskrankheit (BK) oder gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.
Die 0000 geborene Klägerin war seit 1962 als medizinisch-technische Assistentin (MTA) tätig, davon ab 1976 im N in I in der Abteilung für Nuklearmedizin. Seit 00.1998 fühlt sie sich außerstande, ihre Berufstätigkeit weiter auszuüben. Nach der Rückkehr von einem Urlaub auf T wurde sie von dem Hautarzt Dr. X ab 00.00.1998 bis 00.00.1998 und erneut ab 00.00.1998 krank geschrieben wegen "Generalisiertes Arzneimittelexanthem, Verdacht auf eine allergische Kontaktallergie". Dieser Arzt teilte der Beklagten mit, dass er bei der Klägerin eine Sensibilisierung auf Duftstoffmix, Glutaraldehyd, Diphenylguanidin festgestellt habe. Die festgestellten Hautveränderungen hätten aber eindeutig einen atopischen Aspekt. Es beständen keine Hautveränderungen mehr seit dem 24.4.98 sondern nur noch subjektive Geruchsbelästigungen. Der Internist Dr. M teilte der Beklagten mit, dass eine Atemwegserkrankung bei der Klägerin nicht vorliege. Während einer stationären Behandlung im Knappschaftskrankenhaus S vom 00.-00.00.98 wurden keine Hautveränderungen mehr festgestellt. Im Entlassungsbericht wurde angemerkt, dass die Angaben der Klägerin über Kopfschmerzen, Übelkeit, Brechreiz "psychotisch anmuten." Untersuchungen seien nicht möglich gewesen, da die Patientin wegen ihrer massiven Geruchsbeschwerden um Entlassung gebeten habe. Die Klägerin teilte der Beklagten am 15.07.98 mit, dass schon seit ein paar Jahren der Körper auf "Geruchsstoffe" und Konservierungsstoffe, auch im Essen, mit Luftproblemen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Darmproblemen, Augenschwierigkeiten, schlechterem Hören und Hals-Enge-Gefühl reagiere. Am 00.00.1998 erfolgte eine hämatologische Untersuchung bei Prof. Dr. W im N I. Auch dort klagte sie über Schwellungen, Rötungen, Hitzegefühl durch Einatmen von Duftstoffen bei Betreten bestimmter Räume. Diese Beschwerden ließen sich aber nicht objektivieren. Der Umweltmediziner Dr. I1 berichtete über eine Untersuchung der Klägerin am 00.00.1998: "Austestungen haben Reaktionen auf Duftstoff-Mix, Glutaraldehyd und Diphenylguanidin ergeben, also Stoffe, denen man im täglichen Leben häufig begegnet. Die Patientin registriert auch die o. g. Beschwerden als Reaktionen auf Kontakt mit zahlreichen Gegenständen des täglichen Bedarfs, wobei oft schon die Geruchseinwirkung genüge, um Beschwerden hervorzurufen, z. B. wenn frisch geduschte Radfahrer an ihr vorbeiführen. Das geschilderte Beschwerdebild entspricht dem der sogenannten multiplen Chemikaliensensitivität. Bekanntermaßen handelt es sich hierbei um eine wenig erforschte Krankheitsentität, über deren pathophysiologische Verursachung nichts sicheres bekannt ist und für die eine anerkannte Therapie nicht besteht."
Bei einer Untersuchung im Fachkrankenhaus O am 00.00.1998 wurde eine Chemikalienintoleranz und eine Amalgamintoleranz diagnostiziert. Dort gab die Klägerin Unverträglichkeitsreaktionen ausgelöst durch Druckerzeugnisse, Textilien, Wolle, Parfüms; Backpulver, konservierte Lebensmittel, Kaffee, Säfte und bestimmte Weinsorten an. Der Neurologe Dr. S1 stellte am 00.00.1999 bei der Klägerin eine Polyneuropathie fest nachdem der Nervenarzt Dr. S2 bei einer Untersuchung am 00.00.1998 keine Krankheit bei der Klägerin festgestellt hatte. Am 11.06.1999 erstattete Dr. Dipl. Chem. Prager eine Aktengutachten über die Klägerin, da sich diese keiner Untersuchung unterziehen wollte. Er führte darin aus, dass eine Chemikalienunverträglichkeit (MCS-Syndrom) ein anlagebedingtes Leiden und keine Berufskrankheit sei. Die von der Klägerin am Arbeitsplatz verwendeten Chemikalien könnten keine Polyneuropathie verursachen. Zwar könne eine massive Alkoholexposition eine Polyneuropathie auslösen, nicht jedoch die geringen Alkoholmengen in Desinfektionsmitteln. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.12.1999 und Widerspruchsbescheid vom 21.06.2000 Leistungen wegen einer Berufskrankheit ab.
Mit der am 18.07.2000 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren weiter. Die Klägerin beruft sich auf das auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte umweltmedizinische Gutachten und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 21.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.06.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente entsprechend einer MdE um 40 v.H. zu gewähren wegen einer Berufskrankheit 5101, 4301, 4302, 1317 oder gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten sind die Beschwerdebilder bei der Klägerin nicht berufsbedingt entstanden, denn sonst müssten sich die Befunde seit der Tätigkeitsaufgabe 1998 gebessert haben.
Das Gericht hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG ein hautfachärztliches Gutachten eingeholt von Prof. Dr. I2 vom 00.00.2001. Nach dessen Beurteilung besteht bei der Klägerin eine angeborene Empfindlichkeit der Haut im Sinne einer atopischen Diathese. Die bestehenden Sensibilisierung gegen 3 Stoffe habe bisher nicht zu einem Kontaktekzem geführt und die vielfältigen Beschwerden der Klägerin ließen sich durch die Sensibilisierung nicht erklären. Eine "Multiple Chemical Sensitivity" sei nach dem bisherigen medizinischen Wissensstand noch nicht als Krankheit nachgewiesen.
In einem weiteren auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten vom 00.00.2002 ist der Umweltmediziner Dr. T1 von der Fachklinik O zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin keine BK 5101 vorliege. Berufsbedingt beständen aber eine MCS und eine Polyneuropathie mit einer MdE um 40 v.H. Im Falle der MCS handele es sich noch um eine umstrittene Arbeitshypothese, aber es gebe neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es sich um eine erworbene Störung als Antwort auf nachweisbare Expositionen gegenüber vielen Stoffen handelt.
In einer vom Gericht eingeholten Auskunft vom 26.03.2003 hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mitgeteilt, dass dem Verordnungsgeber derzeit keine neuen Erkenntnisse bezüglich eines Zusammenhangs zwischen diesem Krankheitsbild und Berufsstoffen vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und die Klägerin dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, da bei ihr keine der geltend gemachten Berufskrankheiten vorliegt und auch keine Erkrankung, die wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen ist.
Bei der Klägerin liegt keine BK 5101 vor. Soweit bei der Klägerin überhaupt Hautveränderungen nachzuweisen waren, sind sie nach übereinstimmender Beurteilung aller dazu gehörten Ärzte Ausdruck einer angeborenen Empfindlichkeit der Haut im Sinne einer atopischen Diathese (so Dr. X, Dr. Q und die beiden Gerichtssachverständigen Prof. Dr. I2 und Dr. T1). Das Gericht sieht keine Veranlassung, dieser übereinstimmenden ärztlichen Beurteilung nicht zu folgen, sondern stattdessen der laienhaften Selbsteinschätzung der Klägerin den Vorzug zu geben. Zudem ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Hautveränderungen, die während eines Urlaubs in T aufgetreten sind, nichts mit der Berufstätigkeit als MTA zu tun haben.
Eine BK 4301 und 4302 (obstruktive Atemwegserkrankung) liegt bei der Klägerin nicht vor, denn bei ihr ist bisher von keinem Arzt eine Atemwegserkrankung festgestellt worden. Die Antwort des behandelnden Internisten Dr. M vom 00.00.1998 auf eine entsprechende Anfrage der Beklagten ist eindeutig.
Eine BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) ist bei der Klägerin ebenfalls nicht anzuerkennen und zu entschädigen. Dabei kann die Kammer es offen lassen, ob die Diagnosen von Dr. S1 und Dr. L (zitiert im Gutachten Dr. T1 auf Seiten 8/9) zutreffen. Denn die Klägerin hatte keinen beruflichen Umgang mit Lösemitteln. Die arbeitsplatzbedingte Einwirkung eines Listenstoffs in gesundheitschädigendem Umfang muss im Sinne des Vollbeweises (d. h. sicher, zweifelsfrei) nachgewiesen werden. Das ist hier nicht der Fall. Lösemittel befinden sich weder in der Entwicklerflüssigkeit für Röntgenaufnahmen noch in Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln, die in einer Röntgenabteilung eines Krankenhauses zum Einsatz kommen. Das Gericht hatte keine Bedenken, sich insoweit der Beurteilung von Dr. Dipl. Chem. Q in dessen urkundsbeweislich gewürdigten Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren anzuschließen. Denn dieser Arbeitsmediziner verfügt als Diplomchemiker über besonders fundierte Kenntnisse und damit über eine ganz besondere Kompetenz. Bei einer beruflich verursachten Polyneuropathie wäre zudem zu erwarten gewesen, dass sich das Krankheitsbild nach Ende der Exposition bessert (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, M 1317 Seite 2a). Bei der Klägerin hat aber eine Polyneuropathie während ihres Berufslebens nie bestanden, sondern das Leiden hat sich erst Monate später allmählich entwickelt.
Soweit die Klägerin eine Entschädigung der bei ihr von mehreren Ärzten diagnostizierten MCS wie eine BK begehrt, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Dabei kann die Kammer es offen lassen, ob es diese Krankheit überhaupt gibt (dagegen Prof. Dr. I2) oder ob es sich bei dem Beschwerdebild bei der Klägerin nur um eine eingebildete, psychisch bedingte Symptomatik handelt. Auch wenn man mit Dr. T1 in seinem Gutachten vom 00.00.2003 davon ausgeht, dass die Klägerin unter einer MCS leidet und wenn man diesem Arzt auch dahin folgt, dass es sich nicht um eine anlagebedingte Erkrankung (so Dr. Q) sondern um eine durch die Berufstätigkeit verursachte Krankheit handelt, so sind doch die speziellen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt.
Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheitenverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört der ursächliche Zusammenhang und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen eine generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andrerseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger nicht aus (BSG Urteil vom 21.01.1997 in 2 RU 7/96 und vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Sachverständige Dr. T1 hat sich mit der Problematik der gruppentypischen Risikoerhöhung in seinem Gutachten überhaupt nicht auseinander gesetzt, obwohl er in der in der Beweisanordnung unter Frage 1) ausdrücklich danach gefragt worden war. Das Gutachten enthält nur allgemein gehaltene Ausführungen über angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Ursachen von MCS. An keiner Stelle wird jedoch gesagt, für welche Personengruppe nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse eine deutlich höhere Gefahr als für die übrige Bevölkerung besteht, an einer MCS zu erkranken.
Schließlich ist das Gutachten von Dr. T1 durch Zeitablauf überholt, da die Berufskrankheitenverordnung zum 01.10.2002 (BKV-ÄndV vom 05.09.2002 - BGBL I S. 3541) neu gefasst worden ist, ohne dass der Verordnungsgeber die MCS in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat. Damit sind alle zeitlich davor liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr neu im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII (vgl. BSG Urteil vom 04.06.2002 in B 2 U 20/01 R). In der vom Gericht eingeholten Auskunft hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zudem bestätigt, dass dem Verordnungsgeber neue Erkenntnisse nicht vorliegen. Er hat sich damit nicht beschäftigt und beschäftigt sich "wegen der bei der MCS beliebig ausweitbaren Schadstoffexposition" mit dieser Fragestellung auch zukünftig nicht. Das ist auch für die Kammer im konkreten Fall der Klägerin nachvollziehbar, denn sie hat Überempfindlichkeitsreaktionen auf eine Vielzahl von Stoffen (Textilien, Wolle, Lebensmittel, Parfüms) angegeben, die nicht den geringsten Bezug zu ihrer früheren Tätigkeit als MTA haben. Nach dem Arztbrief des Umweltmediziners Dr. I1 vom 00.00.98 handelt es sich sogar bei den drei Stoffen, auf die die Klägerin bei einer Testung 1998 sensibel reagierte nicht um Berufsstoffe, sondern um Stoffe, denen man im täglichen Leben häufig begegnet.
Die Kostenentscheidung der Klage beruht auf § 193 SGG.
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