Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 28 KR 10/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, die Kosten für eine von der Klägerin beabsichtigte Distraktionsepiphyseolyse (Beinverlängerung) zu tragen.
Die 0000 geborene Klägerin hat eine Körpergröße von 148 cm.
Am 06.07.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative beidseitige Beinverlängerung unter Vorlage einer Bescheinigung der Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft T & D aus S. Darin führte der behandelnde Psychotherapeut aus, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine Anpassungsstörung mit depressiver Grundsymptomatik als Folge ihrer - subjektiv empfundenen - zu kurzen Körpergröße und damit in Zusammenhang stehender massiver Minderwertigkeitsgefühle handele. Sie leide unter dem Spott anderer und werde nach Veränderung ihres Äußeren nach operativer Veränderung der Körpergröße um ca. 10 cm selbstbewusster auftreten und sich besser behaupten können. Insofern sei durch die Operation ein wichtiger Impuls für die Psychotherapie, die auch nach einer Operation fortgesetzt werden solle, zu erwarten. Die Klägerin stehe unter hohem psychischen Leidensdruck und äußere glaubhaft Suizidgedanken. Des weiteren legte die Klägerin der Beklagten einen Arztbrief des Dr. L, S, vom 04.09.2001 vor. Als Diagnose wird darin "proportionierter Minderwuchs" genannt.
Die Beklagte legte diese Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung X (MdK) zur Beurteilung vor. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 06.10.2001 war dieser der Auffassung, bei der Klägerin handele es sich um einen normal proportionierten Minderwuchs als Normvariante. Eine medizinische Indikation für eine operative Beinverlängerung liege nicht vor.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 07.11.2001 den Antrag der Klägerin ab.
Hiergegen richtete sich der am 04.12.2001 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin.
Aufgrund des Widerspruchs veranlasste die Beklagte eine Zweitbegutachtung durch den MDK, die am 10.12.2001 durch Dr. O erfolgte. Der Gutachter führte aus, ausweislich des Untersuchungsbefundes des Dr. L1 bestehe ein proportionierter Minderwuchs ohne Hinweise für eine krankhafte Ursache. Radiologisch werde ein unauffälliger Befund des Becken- und Unterschenkelskelettes mitgeteilt bei klinisch normaler Beweglichkeit der unteren Extremität. Allerdings bestehe bei der Klägerin eine schwere psychische Alteration, die psychiatrischerseits adäquat behandelt werden müsse. Nicht begründbar sei eine operative Maßnahme an funktionell intakten Organen zur Behebung des psychiatrischen Grundleidens.
Im Nachgang ging am 07.12.2001 bei der Beklagten ein Schreiben des Klinikums der Universität N vom 04.12.2001 ein, wo die Klägerin sich wegen einer Operation vorgestellt hatte. Auch durch die dortigen Ärzte wurde die Auffassung der Beklagten geteilt, dass bei Minder- oder Kleinwüchsigen zunächst alles getan solle, um eine Operation zu vermeiden. Man habe der Klägerin deshalb geraten, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Im übrigen wird in dem Schreiben das Vorliegen einer "Interventionsgröße" anhand statistischer Erhebungen diskutiert und für Frauen mit 153 cm Körpergröße angenommen.
In einer daraufhin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 18.12.2001 führte der MDK S aus, wenn die Universität N eine Interventionsgrenze für operative Maßnahmen mit einer Größe unterhalb des dreifachen Standardabweichungsbereiches für die mittlere Körpergröße von Frauen mit 153 cm ziehe, so sage dies nichts über den Krankheitswert einer darunter liegenden Körpergröße aus.
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2002 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28.01.2002 bei Gericht eingegangene Klage.
Zu deren Begründung trägt die Klägerin vor, ihre Grunderkrankung sei der Minderwuchs, ihre psychischen Probleme Folge der Grunderkrankung. Insofern sei sie nicht primär psychiatrisch zu behandeln, sondern der Minderwuchs durch die erstrebte Operation zu beheben. Hierzu legte sie eine weitere Bescheinigung des Dipl.-Psychologen T vom 12.04.2002 vor, in der dieser über die Bescheinigung vom 06.07.2001 hinausgehend darstellt, dass sich trotz längerer therapeutischer Behandlung die Grundsymptomatik der Klägerin nicht geändert habe. Sie sei weiterhin auf den erstrebten operativen Eingriff fixiert und könne sich keine andere Lösung ihrer psychischen Probleme vorstellen. Im Interesse der psychischen und physischen Gesundheit der Klägerin solle ihr Begehren unterstützt werden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Beinverlängerungsoperation im Rahmen einer stationären Behandlung zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf der Grundlage der vorliegenden MDK-Gutachten auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und betont, dass es sich bei der Klägerin um einen Fall des proportionierten Minderwuchses als Normvariante ohne jegliche krankhafte Ursache handele, der nicht als Krankheit zu bezeichnen sei. Die Erkrankung der Klägerin liegt allein im psychischen Bereich und sei entsprechend zu behandeln.
Die Beteiligten haben sich in der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.04.2002 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn dieser ist rechtmäßig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die erstrebte beidseitige Distraktionsepiphyseolyse.
Nach § 27 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen müssen gem. § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Die von der Klägerin erstrebte Beinverlängerungsoperation stellt im vorliegenden Fall nicht die im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V erforderliche Krankenbehandlung dar.
§ 27 SGB V setzt eine behandlungsbedürftige Krankheit voraus. Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als "regelwidrig" ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm vom Leidbild des gesunden Menschen abweicht.
Eine wohlproportionierte kleine Frau mit einer Körpergröße von 148 cm mag zwar erheblich kleiner sein als der Durchschnitt der Frauen, sie weicht damit aber nicht insoweit vom "Leidbild des gesunden Menschen" ab, dass allein hierin eine behandlungsbedürftige Erkrankung zu sehen sein könnte. Bei der Klägerin liegen unstreitig nicht die typischen Merkmale unproportionierten Minderwuchses wie z. B. extrem kurze Beine bei verlängert erscheinendem Oberkörper, oder fehlende Entwicklung aufgrund hormoneller Störungen vor. Die geringe Körpergröße der Klägerin hat nach Auswertung der vorliegenden Atteste der behandelnden Ärzte und des MDK im Unterschied zum unproportionierten Minderwuchs keinerlei krankhafte Ursache. Dieser wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Das Gerichte hatte insofern keine Veranlassung zur weiterer Beweiserhebung. Sie hat auch ausweislich der vorliegenden Atteste keinerlei Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit der Klägerin, etwa durch Skelettanomalien der Wirbelsäule, Hüfte, Organe etc. Die Klägerin muss objektiv auch nicht befürchten, schon allein aufgrund ihrer geringen Körpergröße in sozialen Bezügen gestört zu sein. Für die unbefangene Umgebung ist die geringe Größe der Klägerin nicht auffällig. Sie muss nicht Gefahr laufen für krank oder "behindert" gehalten zu werden, wie dies bei unproportioniertem Minderwuchs oft der Fall sein mag. Sie ist nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von anderen auch nicht etwa mit einem Kind zu verwechseln, wie sich das Gericht im Termin zur Erörterung überzeugen konnte. Auch ist die Klägerin durch die geringe Körpergröße nicht etwa in ihrer Arbeitsfähigkeit bzw. ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben beeinträchtigt. So wird z. B. nach den Grundsätzen des Behindertenrechtes (SGB IX, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, AHP 26.18) erst ab einer Körpergröße von unter 140 cm wegen des nicht passenden Zuschnittes von Möbeln, öffentlichen Verkehrsmitteln etc. ein Grad der Behinderung angenommen. Eine objektive Beeinträchtigung der Klägerin durch ihre geringe Körpergröße ist somit nicht erkennbar. Die Klägerin würde sich im Gegenteil durch die beabsichtigte schwere und langwierige Operation einer Vielzahl von Risiken aussetzen. Sie wäre über viele Monate arbeitsunfähig, es wäre ungewiss, ob sie jemals wieder beschwerdefrei laufen könnte.
Nach allem handelt es sich bei der geringen Körpergröße der Klägerin nicht um eine Krankheit die ärztlicher Behandlung bedarf, sondern um eine Normvariante, die die Klägerin an sich weder körperlich noch sozial beeinträchtigt.
Die Erkrankung der Klägerin liegt allein im psychischen Bereich. Der behandelnde Psychotherapeut und die Gutachter des MDK diagnostizieren eine schwere Anpassungsstörung mit depressiver Grundsymptomatik und Suizidgefahr. Die Klägerin sei völlig auf den beabsichtigten Eingriff fixiert, ihre gesamte emotionale und kognitive Wahrnehmung sei auf diesen Eingriff gebunden. Sie könne sich keine andere Lösung ihrer psychischen Probleme vorstellen.
Die Beklagte ist jedoch nicht verpflichtet Kosten für operative Eingriffe zu übernehmen, um einen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand zu verändern, nur weil der Versicherte psychisch auf die gewünschte Veränderung fixiert ist. Dies gilt auch dann, wenn hieraus eine psychische Erkrankung folgt. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht insoweit nur in der Gewährung der notwendigen psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung (vgl. BSG 10.02.1993, 1 RK 14/92 und vom 09.06.1998, B 1 Kr 18/96 R). Anderenfalls müssten die Krankenkassen - bei entsprechender psychischer Fixierung - den Versicherten auch kostspielige Schönheitsoperationen gewähren, wenn sie an ihrem Aussehen leiden. Eine Grenzziehung wäre kaum möglich. Außerdem hätte die Krankenversicherung, unabhängig von der Frage, ob sie zur Übernahme der Kosten für den operativen Eingriff verpflichtet ist, in jedem Falle für Folgeschäden solcher Operationen aufzukommen. Die Leistungspflicht ginge ins Uferlose. Zu Recht hat die Rechtsprechung die Krankenkassen daher bislang nur in den Fällen als leistungsverpflichtet angesehen, in denen die Krankenbehandlung unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzt. Daraus folgt: Liegt eine psychische Störung vor, so ist sie mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln. Jedenfalls umfasst die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Das gilt selbst dann, wenn durch die Behandlung der Zugang zu einer tatsächlich bestehenden psychischen Gesundheitsstörung erleichtert werden könnte oder wegen der krankheitsbedingten Ablehnung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung keine andere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe besteht. Insofern können auch die durch den behandelnden Psychotherapeuten berichtete bisherige Erfolglosigkeit der psychotherapeutischen Behandlung und die mögliche Suizidgefahr zu keinem anderen Ergebnis führen (so auch BSG vom 02.10.1993, 1 RK 14/92). Vielmehr verhilft die Beendigung des Rechtsstreits um die Beinverlängerungsoperation der Klägerin eventuell zu einer für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankung, deren Möglichkeiten z.B. in Form einer stationären Maßnahme nicht ausgeschöpft erscheinen, erforderlichen Einsicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, die Kosten für eine von der Klägerin beabsichtigte Distraktionsepiphyseolyse (Beinverlängerung) zu tragen.
Die 0000 geborene Klägerin hat eine Körpergröße von 148 cm.
Am 06.07.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative beidseitige Beinverlängerung unter Vorlage einer Bescheinigung der Psychotherapeutischen Praxisgemeinschaft T & D aus S. Darin führte der behandelnde Psychotherapeut aus, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine Anpassungsstörung mit depressiver Grundsymptomatik als Folge ihrer - subjektiv empfundenen - zu kurzen Körpergröße und damit in Zusammenhang stehender massiver Minderwertigkeitsgefühle handele. Sie leide unter dem Spott anderer und werde nach Veränderung ihres Äußeren nach operativer Veränderung der Körpergröße um ca. 10 cm selbstbewusster auftreten und sich besser behaupten können. Insofern sei durch die Operation ein wichtiger Impuls für die Psychotherapie, die auch nach einer Operation fortgesetzt werden solle, zu erwarten. Die Klägerin stehe unter hohem psychischen Leidensdruck und äußere glaubhaft Suizidgedanken. Des weiteren legte die Klägerin der Beklagten einen Arztbrief des Dr. L, S, vom 04.09.2001 vor. Als Diagnose wird darin "proportionierter Minderwuchs" genannt.
Die Beklagte legte diese Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung X (MdK) zur Beurteilung vor. In seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 06.10.2001 war dieser der Auffassung, bei der Klägerin handele es sich um einen normal proportionierten Minderwuchs als Normvariante. Eine medizinische Indikation für eine operative Beinverlängerung liege nicht vor.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 07.11.2001 den Antrag der Klägerin ab.
Hiergegen richtete sich der am 04.12.2001 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin.
Aufgrund des Widerspruchs veranlasste die Beklagte eine Zweitbegutachtung durch den MDK, die am 10.12.2001 durch Dr. O erfolgte. Der Gutachter führte aus, ausweislich des Untersuchungsbefundes des Dr. L1 bestehe ein proportionierter Minderwuchs ohne Hinweise für eine krankhafte Ursache. Radiologisch werde ein unauffälliger Befund des Becken- und Unterschenkelskelettes mitgeteilt bei klinisch normaler Beweglichkeit der unteren Extremität. Allerdings bestehe bei der Klägerin eine schwere psychische Alteration, die psychiatrischerseits adäquat behandelt werden müsse. Nicht begründbar sei eine operative Maßnahme an funktionell intakten Organen zur Behebung des psychiatrischen Grundleidens.
Im Nachgang ging am 07.12.2001 bei der Beklagten ein Schreiben des Klinikums der Universität N vom 04.12.2001 ein, wo die Klägerin sich wegen einer Operation vorgestellt hatte. Auch durch die dortigen Ärzte wurde die Auffassung der Beklagten geteilt, dass bei Minder- oder Kleinwüchsigen zunächst alles getan solle, um eine Operation zu vermeiden. Man habe der Klägerin deshalb geraten, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Im übrigen wird in dem Schreiben das Vorliegen einer "Interventionsgröße" anhand statistischer Erhebungen diskutiert und für Frauen mit 153 cm Körpergröße angenommen.
In einer daraufhin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 18.12.2001 führte der MDK S aus, wenn die Universität N eine Interventionsgrenze für operative Maßnahmen mit einer Größe unterhalb des dreifachen Standardabweichungsbereiches für die mittlere Körpergröße von Frauen mit 153 cm ziehe, so sage dies nichts über den Krankheitswert einer darunter liegenden Körpergröße aus.
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2002 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28.01.2002 bei Gericht eingegangene Klage.
Zu deren Begründung trägt die Klägerin vor, ihre Grunderkrankung sei der Minderwuchs, ihre psychischen Probleme Folge der Grunderkrankung. Insofern sei sie nicht primär psychiatrisch zu behandeln, sondern der Minderwuchs durch die erstrebte Operation zu beheben. Hierzu legte sie eine weitere Bescheinigung des Dipl.-Psychologen T vom 12.04.2002 vor, in der dieser über die Bescheinigung vom 06.07.2001 hinausgehend darstellt, dass sich trotz längerer therapeutischer Behandlung die Grundsymptomatik der Klägerin nicht geändert habe. Sie sei weiterhin auf den erstrebten operativen Eingriff fixiert und könne sich keine andere Lösung ihrer psychischen Probleme vorstellen. Im Interesse der psychischen und physischen Gesundheit der Klägerin solle ihr Begehren unterstützt werden.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Beinverlängerungsoperation im Rahmen einer stationären Behandlung zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf der Grundlage der vorliegenden MDK-Gutachten auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und betont, dass es sich bei der Klägerin um einen Fall des proportionierten Minderwuchses als Normvariante ohne jegliche krankhafte Ursache handele, der nicht als Krankheit zu bezeichnen sei. Die Erkrankung der Klägerin liegt allein im psychischen Bereich und sei entsprechend zu behandeln.
Die Beteiligten haben sich in der nichtöffentlichen Sitzung vom 17.04.2002 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn dieser ist rechtmäßig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die erstrebte beidseitige Distraktionsepiphyseolyse.
Nach § 27 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen müssen gem. § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Die von der Klägerin erstrebte Beinverlängerungsoperation stellt im vorliegenden Fall nicht die im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V erforderliche Krankenbehandlung dar.
§ 27 SGB V setzt eine behandlungsbedürftige Krankheit voraus. Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als "regelwidrig" ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm vom Leidbild des gesunden Menschen abweicht.
Eine wohlproportionierte kleine Frau mit einer Körpergröße von 148 cm mag zwar erheblich kleiner sein als der Durchschnitt der Frauen, sie weicht damit aber nicht insoweit vom "Leidbild des gesunden Menschen" ab, dass allein hierin eine behandlungsbedürftige Erkrankung zu sehen sein könnte. Bei der Klägerin liegen unstreitig nicht die typischen Merkmale unproportionierten Minderwuchses wie z. B. extrem kurze Beine bei verlängert erscheinendem Oberkörper, oder fehlende Entwicklung aufgrund hormoneller Störungen vor. Die geringe Körpergröße der Klägerin hat nach Auswertung der vorliegenden Atteste der behandelnden Ärzte und des MDK im Unterschied zum unproportionierten Minderwuchs keinerlei krankhafte Ursache. Dieser wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Das Gerichte hatte insofern keine Veranlassung zur weiterer Beweiserhebung. Sie hat auch ausweislich der vorliegenden Atteste keinerlei Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit der Klägerin, etwa durch Skelettanomalien der Wirbelsäule, Hüfte, Organe etc. Die Klägerin muss objektiv auch nicht befürchten, schon allein aufgrund ihrer geringen Körpergröße in sozialen Bezügen gestört zu sein. Für die unbefangene Umgebung ist die geringe Größe der Klägerin nicht auffällig. Sie muss nicht Gefahr laufen für krank oder "behindert" gehalten zu werden, wie dies bei unproportioniertem Minderwuchs oft der Fall sein mag. Sie ist nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von anderen auch nicht etwa mit einem Kind zu verwechseln, wie sich das Gericht im Termin zur Erörterung überzeugen konnte. Auch ist die Klägerin durch die geringe Körpergröße nicht etwa in ihrer Arbeitsfähigkeit bzw. ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben beeinträchtigt. So wird z. B. nach den Grundsätzen des Behindertenrechtes (SGB IX, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, AHP 26.18) erst ab einer Körpergröße von unter 140 cm wegen des nicht passenden Zuschnittes von Möbeln, öffentlichen Verkehrsmitteln etc. ein Grad der Behinderung angenommen. Eine objektive Beeinträchtigung der Klägerin durch ihre geringe Körpergröße ist somit nicht erkennbar. Die Klägerin würde sich im Gegenteil durch die beabsichtigte schwere und langwierige Operation einer Vielzahl von Risiken aussetzen. Sie wäre über viele Monate arbeitsunfähig, es wäre ungewiss, ob sie jemals wieder beschwerdefrei laufen könnte.
Nach allem handelt es sich bei der geringen Körpergröße der Klägerin nicht um eine Krankheit die ärztlicher Behandlung bedarf, sondern um eine Normvariante, die die Klägerin an sich weder körperlich noch sozial beeinträchtigt.
Die Erkrankung der Klägerin liegt allein im psychischen Bereich. Der behandelnde Psychotherapeut und die Gutachter des MDK diagnostizieren eine schwere Anpassungsstörung mit depressiver Grundsymptomatik und Suizidgefahr. Die Klägerin sei völlig auf den beabsichtigten Eingriff fixiert, ihre gesamte emotionale und kognitive Wahrnehmung sei auf diesen Eingriff gebunden. Sie könne sich keine andere Lösung ihrer psychischen Probleme vorstellen.
Die Beklagte ist jedoch nicht verpflichtet Kosten für operative Eingriffe zu übernehmen, um einen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand zu verändern, nur weil der Versicherte psychisch auf die gewünschte Veränderung fixiert ist. Dies gilt auch dann, wenn hieraus eine psychische Erkrankung folgt. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse besteht insoweit nur in der Gewährung der notwendigen psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung (vgl. BSG 10.02.1993, 1 RK 14/92 und vom 09.06.1998, B 1 Kr 18/96 R). Anderenfalls müssten die Krankenkassen - bei entsprechender psychischer Fixierung - den Versicherten auch kostspielige Schönheitsoperationen gewähren, wenn sie an ihrem Aussehen leiden. Eine Grenzziehung wäre kaum möglich. Außerdem hätte die Krankenversicherung, unabhängig von der Frage, ob sie zur Übernahme der Kosten für den operativen Eingriff verpflichtet ist, in jedem Falle für Folgeschäden solcher Operationen aufzukommen. Die Leistungspflicht ginge ins Uferlose. Zu Recht hat die Rechtsprechung die Krankenkassen daher bislang nur in den Fällen als leistungsverpflichtet angesehen, in denen die Krankenbehandlung unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzt. Daraus folgt: Liegt eine psychische Störung vor, so ist sie mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln. Jedenfalls umfasst die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Das gilt selbst dann, wenn durch die Behandlung der Zugang zu einer tatsächlich bestehenden psychischen Gesundheitsstörung erleichtert werden könnte oder wegen der krankheitsbedingten Ablehnung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung keine andere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe besteht. Insofern können auch die durch den behandelnden Psychotherapeuten berichtete bisherige Erfolglosigkeit der psychotherapeutischen Behandlung und die mögliche Suizidgefahr zu keinem anderen Ergebnis führen (so auch BSG vom 02.10.1993, 1 RK 14/92). Vielmehr verhilft die Beendigung des Rechtsstreits um die Beinverlängerungsoperation der Klägerin eventuell zu einer für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankung, deren Möglichkeiten z.B. in Form einer stationären Maßnahme nicht ausgeschöpft erscheinen, erforderlichen Einsicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG
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