L 10 B 8/02 SB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 23 SB 109/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 8/02 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 12.04.2002 abgeändert. Die Kosten für die nach § 109 SGG eingeholten Gutachten der Sachverständigen Schraa und Bach werden auf die Landeskasse übernommen.

Gründe:

Die statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Die Kosten für die Gutachten der Sachverständigen Schraa und Bach sind auf die Landeskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Beteiligte, auf dessen Antrag ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört wird, die Kosten vorzuschießen und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig zu tragen. Eine demgegenüber "andere Entscheidung des Gerichts", die also den Kläger von der Pflicht befreit, Begutachtungskosten endgültig zu tragen, ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn das Gutachten für die Entscheidung oder den sonstigen Ausgang des Rechtsstreits von Bedeutung gewesen ist (vgl. Peters/Sautter/Wolf, SGG, 4. Auflage, § 109 II/74-74f; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 109 Rdn. 16a mwN). Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der von Amts wegen ermittelte Sachverhalt durch nach § 109 SGG gehörte Sachverständige lediglich "erweitert" worden ist (Senatsbeschluss vom 23.06.1998 - L 10 SB 4/98 SB -). Voraussetzung ist vielmehr, dass der Sachverständige dem Gericht neue - rechtserhebliche - medizinische Erkenntnisse verschafft (Senatsbeschlüsse vom 15.08.2000 - L 10 B 8/00 SB - und vom 04.06.1999 - L B 3/99 SB -). Daran fehlt es, wenn durch das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten nur das bestätigt wird, was aufgrund der von Amts wegen eingeholten Gutachten zur Überzeugung des Gericht schon feststeht (Senatsbeschluss vom 01.03.2002 - L 10 B 1/02 SB -); auch eine andere und für den Kläger günstige GdB-Bewertung rechtfertigt es nicht grundsätzlich, die Kosten für das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten auf die Landeskasse zu übernehmen (Senatsbeschluss vom 05.11.1999 - L 10 B 9/99 SB -).

Die Gutachten der Sachverständigen Schraa und Bach haben dem SG im Ergebnis neue und rechterhebliche Erkenntnisse vermittelt. Zutreffend hat das SG zwar ausgeführt, dass der Sachverständige Schraa den "Gesamt-GdB" fehlerhaft eingeschätzt hat. Indessen rechtfertigt dies es vorliegend nicht, von einer Kostenübernahme abzusehen. Das SG hat von Amts wegen keinen Sachverständigenbeweis erhoben (§ 106 SGG). Hiervon kann es u.a. absehen, wenn im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten als Urkundsbeweis ausreichen, um die relevanten Fragen zu beantworten (vgl. BGH NJW 1995, 1294). So ist das SG indes nicht verfahren. Es hat vielmehr Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und aus diesen hergeleitet, dass das Klagevorbringen keinen Erfolg haben kann. Das mag zwar im Einzelfall zu zutreffenden Ergebnissen führen, kann auch Grundlage von Vergleichsvorschlägen sein, rechtfertigt es aber grundsätzlich nicht, von einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten nach § 106 SGG abzusehen. Denn Befundberichte haben als Mitteilung des behandelnden Arztes im Vergleich zu einem Sachverständigengutachten (§§ 402 ff ZPO) grundsätzlich einen nur minderen Beweiswert. Es besteht ein grundlegender Unterscheid in der prozessualen Stellung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und eines zu Auskunftszwecken herangezogenen behandelnden Arztes. Dieser steht zu seinem Patienten in einem durch (idealerweise) geprägten besonderen Vertrauensverhältnis, aber auch in einer gleichermaßen durch pekuniäre Interessen geprägten Beziehung. Demgegenüber ist der gerichtliche Sachverständige kraft Gesetzes verpflichtet, sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§ 410 ZPO). Eine Verletzung dieser Pflichten kann erhebliche strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§§ 153, 154, 163 Abs. 1 StGB). Deswegen kommt der Sachverständigenbeurteilung grundsätzlich der höhere Beweiswert zu (Senatsbeschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB -). Hiervon kann nur in eindeutigen Konstellationen, z.B. der Mitteilung schlichter messtechnischer Daten oder Verwertung des im Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachtens, abgesehen werden.

Trotz Einholung der Befundberichte war der Sachverhalt hier nicht hinreichend aufgeklärt. Dies folgt daraus, dass das SG die Klage nur aufgrund der von Amts wegen erhobenen Beweise nicht hätte abweisen dürfen; die Sache wäre nicht entscheidungsreif gewesen; ein dennoch nur auf die Auswertung von Befundberichten gestütztes Urteil würde zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (vgl. auch Urteile des 7. Senats des LSG NRW vom 29.04.1999 - L 7 SB 19/99 - und vom 14.05.1998 - L 7 SB 25/98 -). Hieraus folgt, dass die nach § 109 SGG eingeholten Gutachten - ungeachtet inhaltlicher Mängel - die Erledigung des Rechtsstreits durch Urteil nicht nur gefördert sondern erst ermöglicht haben. Dies gebietet es, die Kosten für beide Gutachten auf die Landeskasse zu übernehmen.

Der Senat weist klarstellend darauf hin, dass die Frage der Kostenübernahme ggf. dann anders zu beurteilen wäre, wenn sich das Gericht in zulässiger Weise auf im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten als Urkundsbeweis stützt und sich weder aus dem Klagevorbringen noch aus eingeholten Befundberichten weiterer Sachverständigenbeweis aufdrängt. Andererseits: Versetzt erst das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten das Gericht in die Lage, den Rechtsstreit verfahrensfehlerfrei durch Urteil entscheiden zu können, hat dieses Gutachten, und zwar ungeachtet der Frage, ob das Klagevorbringen hierdurch gestützt wird oder nicht, die Erledigung des Rechtsstreits wesentlich gefördert.

Nach alledem musste die Beschwerde Erfolg haben.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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