Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 563/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 B 3/02 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 07.12.2001 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller ab dem 01.01.2002 von den Kosten für dreimal wöchentliche ambulante psychatrische Behandlungspflege freizustellen bzw. ihm in diesem Umfang ambulante psychatrische Behandlungspflege bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung weiterer ambulanter psychiatrischer Behandlungspflege (APP).
Der 0000 geborene Antragsteller (Ast) ist Mitglied der Antragsgegnerin (Ag). Bei ihm besteht das Krankheitsbild einer chronisch verlaufenden paranoid halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Im Vordergrund der Symptomatik stehen psychotische Phänomene wie akustische Halluzinationen, Beziehungsideen, Beeinflussungsideen, Wahneinfälle, Denkstörungen sowie eine hochgradige Beeinträchtigung der kognitiven Leistungen. Die letzte stationäre Behandlung fand von O 1995 bis K 1996 in der S Klinik L statt. Seit der Entlassung des Ast in den häuslichen Bereich wird er ambulant vom Sozialpsychiatrischen Zentrum L-M und L-D (SPZ) betreut; für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Vertretung bei Behörden, Geltendmachung von Rentenansprüchen/Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge ist ein Betreuer bestellt.
Der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Q verordnete seit dem 00.00.1999 fortlaufend APP zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung. Die Ag bewilligte am 00.00.2000 (rückwirkend) die Leistungen im Umfang von (2 -) 3 x wöchentlich, nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Q1 als Beratender Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in einer Stellungnahme vom 17.03.2000 ausgeführt hatte, APP sei weiterhin und voraussichtlich sehr langfristig im bisherigen Umfang von zwei bis drei Einsätzen pro Woche erforderlich. Zuletzt erfolgte eine Bewilligung am 00.00.2001 für den Zeitraum vom 00.00. bis 00.00.2001.
Auf die weitere Verordnung von Dr. Q vom 15.03.2001 holte die Ag nach Beiziehung u.a. der Pflegedokumentation der letzten drei Monate eine erneute Stellungnahme des MDK ein. Die beratende Ärztin für Psychiatrie S1-O1 meinte unter dem 02.05.2001, offenbar erfolge APP bereits seit Juli 1996. Es handele sich um ein chronisches Krankheitsbild bzw. einen kaum noch zu beeinflussenden Dauerzustand. Somit sei die Pflegemaßnahme nicht mehr als Akutbehandlung anzusehen, vielmehr sei die Pflegemaßnahme mittlerweile als Hilfe nach §§ 39/40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu betrachten. Die Ag, die zunächst während der Überprüfung jeweils befristet bis 00.00. bzw. 00.00.2001 die Leistung übernommen hatte, lehnte mit Bescheid vom 21.05.2001 unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK die Gewährung von APP über den 31.05.2001 hinaus ab. Der örtliche Sozialhilfeträger hat die Kosten der weiteren APP bis 31.12.2001 getragen.
Im Widerspruchsverfahren hat der Ast die Auffassung vertreten, aufgrund seiner Krankheit bestehe Behandlungsbedürftigkeit mit dem Ziel, eine Verschlimmerung des Leidens zu verhüten und Beschwerden zu lindern. Diesem Ziel diene die APP, die in der Vergangenheit bereits dazu geführt habe, dass sich die Symptomatik gebessert habe. Insoweit hat er auf eine Darstellung des SPZ des bisherigen Pflegeverlaufs vom 06.08.2001 sowie einen Bericht von Dr. Q vom 13.08.2001 verwiesen. Bei Beendigung der APP drohe die Gefahr einer Verschlimmerung, die eine stationäre Behandlung notwendig machen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2001 wies die Ag den Widerspruch zurück.
Der Ast hat am 30.11.2001 beim SG Köln Klage erhoben (S 9 KR 564/01) und zugleich den Erlass einer Einstweiligen Anordnung beantragt. Er hat vorgetragen, er benötige zur Behandlung der bei ihm vorliegenden Krankheit laufend APP. Deren Fortführung sei zur Stabilisierung seines Gesundheitszustandes und zur Vermeidung stationärer Behandlung erforderlich. Der Sozialhilfeträger habe angekündigt, seine Leistungen zum 31.12.2001 einzustellen. Die Kosten der APP könne er aus eigenen Mitteln nicht aufbringen.
Die Ag hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Krankheitsbild des Ast um einen nicht mehr beeinflussbaren Dauerzustand handele. Somit stehe die APP nicht mehr im Zusammenhang mit der Behandlung einer Krankheit. Auch ein Anordnungsgrund sei zu verneinen, da der Ast auf die Inanspruchnahme eigener Mittel bzw. von Sozialhilfe verwiesen werden könne. Ferner nehme die begehrte einstweilige Anordnung unzulässig die Entscheidung in der Hauptsache vorweg.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 07.12.2001 den Antrag abgelehnt, da der Sozialhilfeträger - zumindest vorläufig - auch über den 31.12.2001 zur Übernahme der Kosten der APP verpflichtet sei und der Ast daher zumutbar auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen werden könne.
Der Ast hat gegen den ihm am 11.12.2001 zugestellten Beschluss am 20.12.2001 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag hält er an der Auffassung fest, dass ein Anspruch auf Behandlungspflege bestehe. Der Sozialhilfeträger habe die Leistungen zum 31.12.2001 eingestellt, zur Zeit leiste das SPZ vor. Da die Leistungen der Ag vorrangig vor denen der Sozialhilfe seien, könne er nicht darauf verwiesen werden, zunächst den Sozialhilfeträger vor den Verwaltungsgerichten zu verklagen. Bei der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass bei Einstellung der Leistung eine nicht mehr rückgängig zu machende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohe. Insoweit verweist er wegen der Notwendigkeit der APP auf eine Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Köln vom 23.01.2002.
Der Ast beantragt nach seinem Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 07.12.2001 zu ändern und die Ag zu verpflichten, ihm ab 1.1.2002 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens ambulante psychiatrische Pflege zu gewähren.
Die Ag beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält unter Hinweis auf ihren erstinstanzlichen Vortrag die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Da Änderungen des geltenden Prozessrechts auch in schwebenden Verfahren eingreifen (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 6; SozR 3-2500 § 15 Nr. 1; SozR 3-2500 § 125 Nr. 5) ist hier § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ((SGG) in der seit 02.01.2002 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2001 (BGBl. I, 2144)) anwendbar. Nach dieser dem § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nachgebildeten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken. Der Erlass einer Einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, § 123 Rdnr. 23).
Bei summarischer Prüfung kann das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht verneint werden. Nach § 37 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dass sich grundsätzlich bei psychisch Kranken der Leistungsanspruch neben der unzweifelhaft als Behandlungspflege zu qualifizierenden Medikamentengabe (vgl. BSG SozR 3-2500 § 37 Nr. 2) auch die vom SPZ erbrachten pflegerischen Maßnahmen wie etwa den Aufbau und die Pflege der Beziehungsfähigkeit oder die Hilfe bei Handlungsstrukturierungen umfassen kann, wird im Widerspruchsbescheid ausdrücklich eingeräumt. Hier ist nur streitig, ob die Betreuung des Ast durch den Pflegedienst des SPZ noch im Rahmen einer zielgerichteten ärztlichen Behandlung stattfindet - mit der Folge des Eingreifens des § 37 Abs. 2 SGB V - oder ob es sich wegen des nicht beeinflussbaren Dauerzustandes um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 39/40 BSHG handelt. Diese bei psychiatrischen Dauerkranken außerordentlich schwierige Abgrenzung ist offen. Zwar kann bei Dauererkrankungen, die jahrelang ohne nennenswerten Erfolg behandelt worden sind, vermutet werden, dass das Leiden keiner Krankenbehandlung mehr zugänglich ist (so für die stationäre Behandlung BSGE 58, 116, 118; BGH SGb 2001, 756, 758). Es spricht auch viel für die im Widerspruchsbescheid wiedergegebene Unterscheidung zwischen pflegerischen Maßnahmen, die im Rahmen eines definierten und strukturierten ärztlichen Behandlungsplans erbracht werden und solchen, die im Wesentlichen von den Pflegekräften eigenverantwortlich und selbst geplant erbracht werden und daher eher der psychosozialen Betreuung zuzurechnen sind (ähnlich zum Abstellen auf die Anwendung ärztlichen oder pflegerischen Sachverstandes bei der Abgrenzung zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit Francke, SGb 2001, 760). Auf der anderen Seite weist der Ast zu Recht darauf hin, dass zu den Zielen einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V auch die Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit zählt und nach Satz 3 a.a.O. den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen ist. Insoweit ist es irrelevant, dass das Grundleiden keiner Besserung zugänglich ist, da es ausreichen würde, wenn eine Behandlung zur Verbesserung der Symptomatik oder der Verhütung ihrer Verschlimmerung stattfinden würde. Und wenn auch das Berücksichtigungsgebot des Satz 3 eher programmatischen Charakter hat (vgl. zur Entstehungsgeschichte Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 27 Rdnrn. 387 ff.), kann jedenfalls die bloße Zeitdauer der erforderlichen Pflege bei chronischen psychischen Erkrankungen nicht als Argument gegen die Annahme einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V angeführt werden. Dass die pflegerische Betreuung für die Aufrechterhaltung der Stabilität des Ast von wesentlicher Bedeutung ist, wird in den Berichten des SPZ nachvollziehbar dargestellt. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass Dr. Q1 am 17.03.2000 die medizinische Notwendigkeit von APP bejaht und ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, sie werde noch sehr langfristig erforderlich sein. Bei dieser Sachlage, die noch eine medizinische Sachverhaltsaufklärung erfordert, können die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht verneint, sondern müssen als offen angesehen werden. Dies bedeutet nicht, dass damit der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen wäre, es sind lediglich bei der Prüfung des Anordnungsgrundes unter Umständen strengere Anforderungen zu stellen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O. Rdnr. 25).
Auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes kann dem Ast bei Abwägung seiner Interessen gegenüber den Interessen der Ag das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden. Dass er auf die laufende Betreuung durch einen Pflegedienst angewiesen ist, ergibt sich zweifelsfrei aus den Berichten des SPZ bzw. der Stellungnahme des Gesundheitsamts und wird letztlich auch in der Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S1-O1 nicht in Frage gestellt. Bei einer Einstellung der Pflege ist somit eine Verschlimmerung der psychotischen Symptomatik zu befürchten mit der möglichen Folge stationärer Behandlungsbedürftigkeit. Ebenso liegt auf der Hand, dass der Ast angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die - gerichtsbekannt hohen - Kosten von drei Einsätzen Behandlungspflege pro Woche nicht aufbringen kann. Der Ast lebt allein in einem Haus, dessen Miteigentümer er in ungeteilter Erbengemeinschaft zu einem G ist. Er bezieht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von (netto) 000,00 EUR, seine monatlichen Wohnkosten (Belastung aus Fremdmitteln/Heizungskosten/übrige Nebenkosten) belaufen sich auf 000,00 EUR (000,- DM), daneben fallen durchschnittlich monatlich 00,00 EUR (000,- DM) laufende Reparatur- und Wartungskosten für das Haus an. Von seiner Rente verbleibt ihm nach Abzug der laufenden Kosten für die Wohnung somit nur ein Betrag von rund 000,- EUR. Die Verwertung des Miteigentums an dem Haus ist jedenfalls kurzfristig nicht möglich. Unerheblich ist auch, dass das SPZ einstweilen die Leistung ohne Bezahlung erbringt. Es kann nicht angenommen werden, dass sich das SPZ damit zufrieden gibt, auf Dauer Kosten auflaufen zu lassen und eine notwendige Behandlung auch ohne gesicherte Kostentragung fortzuführen (vgl. auch OVG Münster, NWVBl. 1996, 192, 194). In der Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 23.01.2002 wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, eine umgehende Kostenregelung sei unabdingbar.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der Ast nicht auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen werden. Eine Begründung für seine Behauptung, dieser sei auch über den 31.12.2001 hinaus leistungspflichtig, bleibt das Sozialgericht schuldig. Es ist auch nicht nachvollziehbar, woraus sich ein solcher Anspruch ergibt. Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG kommen angesichts der grundsätzlichen Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) nur in Betracht, wenn kein (vorrangiger) Anspruch gegen die Ag besteht, so dass es auf die oben erörterte - offene - Abgrenzung zwischen Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 1 SGB V und psychosozialer Betreuung im Sinne der Eingliederungshilfe ankommt. Zu Recht macht der Ast daher geltend, er könne nicht darauf verwiesen werden, zunächst vor den Verwaltungsgerichten um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sozialhilfeträger nachzusuchen, zumal ihm gegenüber diesem Begehren - mit angesichts des § 2 Abs. 1 BSHG besserem Grund - ebenso entgegengehalten werden könnte, er müsse zunächst die Ag in Anspruch nehmen.
Ohnehin gibt es seit der Neuregelung des vorläufigen Rechtsschutzes im SGG - zumindest soweit es nicht um Leistungen zum Lebensunterhalt geht - keine Grundlage mehr dafür, Antragsteller auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verweisen (so zum alten Recht etwa LSG Celle, Beschluss vom 08.06.1998 - L 4 KR 121/98 ER; 16. Senat des LSG NRW, Beschlüsse vom 15.03.1999 - L 16 B 68/98 KR und 15.05.2001 - L 16 B 20/01 KR ER; a.A.: LSG Berlin, Breithaupt 1999, 910). Da nunmehr auch im sozialgerichtlichen Verfahren vorläufiger Rechtsschutz ohne die Einschränkung, dass dem Antragsteller schwere irreparable und unzumutbare Nachteile drohen, gewährt werden muss, ist nicht begründbar, weshalb ohne Prüfung (und Verneinung) vorrangiger Leistungsansprüche gegen andere Träger auf Leistungen nach dem BSHG verwiesen werden könnte. Gesundheitsleistungen zählen nicht zu den im Abschnitt 2 des BSHG geregelten Hilfen zum Lebensunterhalt. Sie werden vom Sozialhilfeträger nach § 37 BSHG (in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) nach den für die gesetzlichen Krankenkassen geltenden Bestimmungen, d.h. unter gleichen Voraussetzungen wie von den Krankenkassen erbracht. Auf welchem rechtlichen Weg ein Versicherter, dessen eigene Mittel zur Sicherstellung der notwendigen Krankenbehandlung nicht ausreichen, insoweit einen Anspruch auf Krankenbehandlung gegen den Sozialhilfeträger erlangen können soll, ohne vorher - vergeblich - seinen Anspruch gegen die Krankenkasse verfolgt zu haben, ist nicht erkennbar; die Vorstellung, er müsse seine finanziellen Mittel zunächst für die Krankenbehandlung einsetzen, um dann - gegebenenfalls über § 15 b BSHG - Hilfe zum Lebensunterhalt zu erlangen, dürfte eher fern liegen. Zu Recht hat bereits zur alten Rechtslage das LSG Berlin (a.a.O.) angemerkt, der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz würde völlig gegenstandslos und darüber hinaus die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte zwischen den Sozial- und Verwaltungsgerichten zu Lasten eines hilfesuchenden Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung heraufbeschworen, wenn dieser ohne vorherige Sachprüfung bei einer Leistungsverweigerung der Krankenkasse an den Sozialhilfeträger und zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes anschließend an die Verwaltungsgerichte verwiesen werden dürfte. Nunmehr würde auch die Neuregelung des vorläufigen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren in weiten Teilen leer laufen, wenn eine Verweisung auf Leistungen der Sozialhilfe stattfinden würde.
Dem Erlass der einstweiligen Anordnung steht auch nicht das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Zwar kann grundsätzlich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine vorläufige Regelung getroffen werden. Soweit jedoch das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz) eine bestimmte Regelung erfordert, etwa weil - wie hier - irreparable Nachteile drohen, gilt das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ohnehin nicht (vgl. BVerwG NJW 2000, 160, 161; OVG Münster NJW 1989, 1105, 1107; OVG Berlin NJW 1978, 1871; s. auch Kopp/Schenke, a.a.O, Rdnr. 14).
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass dem Ast die streitigen Pflegeleistungen entweder als Behandlungspflege oder Eingliederungshilfe zustehen. Es spricht manches dafür, in einer solchen Situation, in der ein Träger wegen nach seiner Auffassung fehlender materieller Voraussetzungen - hier: der Durchführung einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V - seine Leistungspflicht verneint, bei Bestätigung dieser Ansicht aber die im Wesentlichen inhaltsgleiche Leistungspflicht eines anderen Trägers unstreitig besteht - hier: des Anspruchs auf Eingliederungshilfe - § 43 SGB I anzuwenden (so Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 43 SGB I Rdnr. 7; Giese, ZfSH/SGB 1988, 1, 8; anders wohl Mrozynski, SGB I, § 43 Rdnr.18). Da die Ag der zuerst angegangene Leistungsträger ist, wäre sie nach § 43 SGB I im Wege der Vorleistung zur Gewährung der APP verpflichtet. Aber auch wenn § 43 SGB I unmittelbar nicht eingreifen würde, spricht der aus dieser Vorschrift folgende Rechtsgedanke, dass angesichts der institutionellen Gliederung des Sozialleistungssystems ein Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Trägern nicht auf dem Rücken des Leistungsberechtigten ausgetragen werden und es deshalb nicht zu Leistungsverzögerungen kommen soll (vgl. dazu KassKomm - Seewald, § 43 SGB I Rdnr. 2), dafür, dass die Ag dem Ast die notwendigen Leistungen vorläufig zu erbringen hat. Dies gilt umso mehr, als Interessen der Versichertengemeinschaft entgegen ihrer Auffassung nicht berührt sind. Erweist sich nämlich im Hauptsacheverfahren der Anspruch des Ast als unbegründet, steht der Ag ein entweder aus § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder § 105 SGB X folgender Erstattungsanspruch gegen den zuständigen Sozialhilfeträger zu.
Der Senat ist angesichts der Tatsache, dass der Sozialhilfeträger bis zum 31.12.2001 geleistet hat (und insoweit die Leistungserfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X eingreifen würde), davon ausgegangen, dass der Ast die weitere Gewährung von APP ab dem 01.01.2002 begehrt. Soweit er die Leistungen in der Vergangenheit tatsächlich schon erhalten hat, kommt nur ein von § 13 Abs. 3 SGB V mitumfasster Freistellungsanspruch in Betracht, während künftig die Ag die Leistung als Sachleistung (arg. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu gewähren hat. Diese Leistungspflicht besteht in dem bis zum 31.05.2001 von der Ag auf der Grundlage der Stellungnahme von Dr. Q1 anerkannten Umfang. Ärztliche Verordnungen von APP liegen der Ag zwar nur bis 30.09.2001 vor, angesichts der Tatsache, dass der Sozialhilfeträger bis 31.12.2001 geleistet hat und der Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Köln vom 23.01.2002 ist aber davon auszugehen, dass unverändert APP als Sicherungspflege erforderlich ist. Dabei ist es ausreichend, die Verpflichtung der Ag zeitlich bis zur erstinstanzlichen Entscheidung zu begrenzen. Obsiegt der Ast, kann er aus dem Urteil vollstrecken (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Wird die Klage abgewiesen, kann er gegebenenfalls erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen, über den dann unter Berücksichtigung der im erstinstanzlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu entscheiden wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung weiterer ambulanter psychiatrischer Behandlungspflege (APP).
Der 0000 geborene Antragsteller (Ast) ist Mitglied der Antragsgegnerin (Ag). Bei ihm besteht das Krankheitsbild einer chronisch verlaufenden paranoid halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Im Vordergrund der Symptomatik stehen psychotische Phänomene wie akustische Halluzinationen, Beziehungsideen, Beeinflussungsideen, Wahneinfälle, Denkstörungen sowie eine hochgradige Beeinträchtigung der kognitiven Leistungen. Die letzte stationäre Behandlung fand von O 1995 bis K 1996 in der S Klinik L statt. Seit der Entlassung des Ast in den häuslichen Bereich wird er ambulant vom Sozialpsychiatrischen Zentrum L-M und L-D (SPZ) betreut; für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Vertretung bei Behörden, Geltendmachung von Rentenansprüchen/Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge ist ein Betreuer bestellt.
Der behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Q verordnete seit dem 00.00.1999 fortlaufend APP zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung. Die Ag bewilligte am 00.00.2000 (rückwirkend) die Leistungen im Umfang von (2 -) 3 x wöchentlich, nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Q1 als Beratender Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in einer Stellungnahme vom 17.03.2000 ausgeführt hatte, APP sei weiterhin und voraussichtlich sehr langfristig im bisherigen Umfang von zwei bis drei Einsätzen pro Woche erforderlich. Zuletzt erfolgte eine Bewilligung am 00.00.2001 für den Zeitraum vom 00.00. bis 00.00.2001.
Auf die weitere Verordnung von Dr. Q vom 15.03.2001 holte die Ag nach Beiziehung u.a. der Pflegedokumentation der letzten drei Monate eine erneute Stellungnahme des MDK ein. Die beratende Ärztin für Psychiatrie S1-O1 meinte unter dem 02.05.2001, offenbar erfolge APP bereits seit Juli 1996. Es handele sich um ein chronisches Krankheitsbild bzw. einen kaum noch zu beeinflussenden Dauerzustand. Somit sei die Pflegemaßnahme nicht mehr als Akutbehandlung anzusehen, vielmehr sei die Pflegemaßnahme mittlerweile als Hilfe nach §§ 39/40 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu betrachten. Die Ag, die zunächst während der Überprüfung jeweils befristet bis 00.00. bzw. 00.00.2001 die Leistung übernommen hatte, lehnte mit Bescheid vom 21.05.2001 unter Hinweis auf die Stellungnahme des MDK die Gewährung von APP über den 31.05.2001 hinaus ab. Der örtliche Sozialhilfeträger hat die Kosten der weiteren APP bis 31.12.2001 getragen.
Im Widerspruchsverfahren hat der Ast die Auffassung vertreten, aufgrund seiner Krankheit bestehe Behandlungsbedürftigkeit mit dem Ziel, eine Verschlimmerung des Leidens zu verhüten und Beschwerden zu lindern. Diesem Ziel diene die APP, die in der Vergangenheit bereits dazu geführt habe, dass sich die Symptomatik gebessert habe. Insoweit hat er auf eine Darstellung des SPZ des bisherigen Pflegeverlaufs vom 06.08.2001 sowie einen Bericht von Dr. Q vom 13.08.2001 verwiesen. Bei Beendigung der APP drohe die Gefahr einer Verschlimmerung, die eine stationäre Behandlung notwendig machen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2001 wies die Ag den Widerspruch zurück.
Der Ast hat am 30.11.2001 beim SG Köln Klage erhoben (S 9 KR 564/01) und zugleich den Erlass einer Einstweiligen Anordnung beantragt. Er hat vorgetragen, er benötige zur Behandlung der bei ihm vorliegenden Krankheit laufend APP. Deren Fortführung sei zur Stabilisierung seines Gesundheitszustandes und zur Vermeidung stationärer Behandlung erforderlich. Der Sozialhilfeträger habe angekündigt, seine Leistungen zum 31.12.2001 einzustellen. Die Kosten der APP könne er aus eigenen Mitteln nicht aufbringen.
Die Ag hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Krankheitsbild des Ast um einen nicht mehr beeinflussbaren Dauerzustand handele. Somit stehe die APP nicht mehr im Zusammenhang mit der Behandlung einer Krankheit. Auch ein Anordnungsgrund sei zu verneinen, da der Ast auf die Inanspruchnahme eigener Mittel bzw. von Sozialhilfe verwiesen werden könne. Ferner nehme die begehrte einstweilige Anordnung unzulässig die Entscheidung in der Hauptsache vorweg.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 07.12.2001 den Antrag abgelehnt, da der Sozialhilfeträger - zumindest vorläufig - auch über den 31.12.2001 zur Übernahme der Kosten der APP verpflichtet sei und der Ast daher zumutbar auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen werden könne.
Der Ast hat gegen den ihm am 11.12.2001 zugestellten Beschluss am 20.12.2001 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag hält er an der Auffassung fest, dass ein Anspruch auf Behandlungspflege bestehe. Der Sozialhilfeträger habe die Leistungen zum 31.12.2001 eingestellt, zur Zeit leiste das SPZ vor. Da die Leistungen der Ag vorrangig vor denen der Sozialhilfe seien, könne er nicht darauf verwiesen werden, zunächst den Sozialhilfeträger vor den Verwaltungsgerichten zu verklagen. Bei der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass bei Einstellung der Leistung eine nicht mehr rückgängig zu machende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohe. Insoweit verweist er wegen der Notwendigkeit der APP auf eine Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Köln vom 23.01.2002.
Der Ast beantragt nach seinem Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 07.12.2001 zu ändern und die Ag zu verpflichten, ihm ab 1.1.2002 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens ambulante psychiatrische Pflege zu gewähren.
Die Ag beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält unter Hinweis auf ihren erstinstanzlichen Vortrag die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn das Sozialgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Da Änderungen des geltenden Prozessrechts auch in schwebenden Verfahren eingreifen (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 6; SozR 3-2500 § 15 Nr. 1; SozR 3-2500 § 125 Nr. 5) ist hier § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ((SGG) in der seit 02.01.2002 geltenden Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2001 (BGBl. I, 2144)) anwendbar. Nach dieser dem § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nachgebildeten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken. Der Erlass einer Einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, § 123 Rdnr. 23).
Bei summarischer Prüfung kann das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht verneint werden. Nach § 37 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dass sich grundsätzlich bei psychisch Kranken der Leistungsanspruch neben der unzweifelhaft als Behandlungspflege zu qualifizierenden Medikamentengabe (vgl. BSG SozR 3-2500 § 37 Nr. 2) auch die vom SPZ erbrachten pflegerischen Maßnahmen wie etwa den Aufbau und die Pflege der Beziehungsfähigkeit oder die Hilfe bei Handlungsstrukturierungen umfassen kann, wird im Widerspruchsbescheid ausdrücklich eingeräumt. Hier ist nur streitig, ob die Betreuung des Ast durch den Pflegedienst des SPZ noch im Rahmen einer zielgerichteten ärztlichen Behandlung stattfindet - mit der Folge des Eingreifens des § 37 Abs. 2 SGB V - oder ob es sich wegen des nicht beeinflussbaren Dauerzustandes um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 39/40 BSHG handelt. Diese bei psychiatrischen Dauerkranken außerordentlich schwierige Abgrenzung ist offen. Zwar kann bei Dauererkrankungen, die jahrelang ohne nennenswerten Erfolg behandelt worden sind, vermutet werden, dass das Leiden keiner Krankenbehandlung mehr zugänglich ist (so für die stationäre Behandlung BSGE 58, 116, 118; BGH SGb 2001, 756, 758). Es spricht auch viel für die im Widerspruchsbescheid wiedergegebene Unterscheidung zwischen pflegerischen Maßnahmen, die im Rahmen eines definierten und strukturierten ärztlichen Behandlungsplans erbracht werden und solchen, die im Wesentlichen von den Pflegekräften eigenverantwortlich und selbst geplant erbracht werden und daher eher der psychosozialen Betreuung zuzurechnen sind (ähnlich zum Abstellen auf die Anwendung ärztlichen oder pflegerischen Sachverstandes bei der Abgrenzung zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit Francke, SGb 2001, 760). Auf der anderen Seite weist der Ast zu Recht darauf hin, dass zu den Zielen einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V auch die Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit zählt und nach Satz 3 a.a.O. den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen ist. Insoweit ist es irrelevant, dass das Grundleiden keiner Besserung zugänglich ist, da es ausreichen würde, wenn eine Behandlung zur Verbesserung der Symptomatik oder der Verhütung ihrer Verschlimmerung stattfinden würde. Und wenn auch das Berücksichtigungsgebot des Satz 3 eher programmatischen Charakter hat (vgl. zur Entstehungsgeschichte Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 27 Rdnrn. 387 ff.), kann jedenfalls die bloße Zeitdauer der erforderlichen Pflege bei chronischen psychischen Erkrankungen nicht als Argument gegen die Annahme einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V angeführt werden. Dass die pflegerische Betreuung für die Aufrechterhaltung der Stabilität des Ast von wesentlicher Bedeutung ist, wird in den Berichten des SPZ nachvollziehbar dargestellt. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass Dr. Q1 am 17.03.2000 die medizinische Notwendigkeit von APP bejaht und ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, sie werde noch sehr langfristig erforderlich sein. Bei dieser Sachlage, die noch eine medizinische Sachverhaltsaufklärung erfordert, können die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht verneint, sondern müssen als offen angesehen werden. Dies bedeutet nicht, dass damit der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen wäre, es sind lediglich bei der Prüfung des Anordnungsgrundes unter Umständen strengere Anforderungen zu stellen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O. Rdnr. 25).
Auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes kann dem Ast bei Abwägung seiner Interessen gegenüber den Interessen der Ag das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden. Dass er auf die laufende Betreuung durch einen Pflegedienst angewiesen ist, ergibt sich zweifelsfrei aus den Berichten des SPZ bzw. der Stellungnahme des Gesundheitsamts und wird letztlich auch in der Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S1-O1 nicht in Frage gestellt. Bei einer Einstellung der Pflege ist somit eine Verschlimmerung der psychotischen Symptomatik zu befürchten mit der möglichen Folge stationärer Behandlungsbedürftigkeit. Ebenso liegt auf der Hand, dass der Ast angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse die - gerichtsbekannt hohen - Kosten von drei Einsätzen Behandlungspflege pro Woche nicht aufbringen kann. Der Ast lebt allein in einem Haus, dessen Miteigentümer er in ungeteilter Erbengemeinschaft zu einem G ist. Er bezieht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von (netto) 000,00 EUR, seine monatlichen Wohnkosten (Belastung aus Fremdmitteln/Heizungskosten/übrige Nebenkosten) belaufen sich auf 000,00 EUR (000,- DM), daneben fallen durchschnittlich monatlich 00,00 EUR (000,- DM) laufende Reparatur- und Wartungskosten für das Haus an. Von seiner Rente verbleibt ihm nach Abzug der laufenden Kosten für die Wohnung somit nur ein Betrag von rund 000,- EUR. Die Verwertung des Miteigentums an dem Haus ist jedenfalls kurzfristig nicht möglich. Unerheblich ist auch, dass das SPZ einstweilen die Leistung ohne Bezahlung erbringt. Es kann nicht angenommen werden, dass sich das SPZ damit zufrieden gibt, auf Dauer Kosten auflaufen zu lassen und eine notwendige Behandlung auch ohne gesicherte Kostentragung fortzuführen (vgl. auch OVG Münster, NWVBl. 1996, 192, 194). In der Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 23.01.2002 wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, eine umgehende Kostenregelung sei unabdingbar.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der Ast nicht auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen werden. Eine Begründung für seine Behauptung, dieser sei auch über den 31.12.2001 hinaus leistungspflichtig, bleibt das Sozialgericht schuldig. Es ist auch nicht nachvollziehbar, woraus sich ein solcher Anspruch ergibt. Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG kommen angesichts der grundsätzlichen Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) nur in Betracht, wenn kein (vorrangiger) Anspruch gegen die Ag besteht, so dass es auf die oben erörterte - offene - Abgrenzung zwischen Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs. 1 SGB V und psychosozialer Betreuung im Sinne der Eingliederungshilfe ankommt. Zu Recht macht der Ast daher geltend, er könne nicht darauf verwiesen werden, zunächst vor den Verwaltungsgerichten um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sozialhilfeträger nachzusuchen, zumal ihm gegenüber diesem Begehren - mit angesichts des § 2 Abs. 1 BSHG besserem Grund - ebenso entgegengehalten werden könnte, er müsse zunächst die Ag in Anspruch nehmen.
Ohnehin gibt es seit der Neuregelung des vorläufigen Rechtsschutzes im SGG - zumindest soweit es nicht um Leistungen zum Lebensunterhalt geht - keine Grundlage mehr dafür, Antragsteller auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verweisen (so zum alten Recht etwa LSG Celle, Beschluss vom 08.06.1998 - L 4 KR 121/98 ER; 16. Senat des LSG NRW, Beschlüsse vom 15.03.1999 - L 16 B 68/98 KR und 15.05.2001 - L 16 B 20/01 KR ER; a.A.: LSG Berlin, Breithaupt 1999, 910). Da nunmehr auch im sozialgerichtlichen Verfahren vorläufiger Rechtsschutz ohne die Einschränkung, dass dem Antragsteller schwere irreparable und unzumutbare Nachteile drohen, gewährt werden muss, ist nicht begründbar, weshalb ohne Prüfung (und Verneinung) vorrangiger Leistungsansprüche gegen andere Träger auf Leistungen nach dem BSHG verwiesen werden könnte. Gesundheitsleistungen zählen nicht zu den im Abschnitt 2 des BSHG geregelten Hilfen zum Lebensunterhalt. Sie werden vom Sozialhilfeträger nach § 37 BSHG (in der seit 01.07.2001 geltenden Fassung) nach den für die gesetzlichen Krankenkassen geltenden Bestimmungen, d.h. unter gleichen Voraussetzungen wie von den Krankenkassen erbracht. Auf welchem rechtlichen Weg ein Versicherter, dessen eigene Mittel zur Sicherstellung der notwendigen Krankenbehandlung nicht ausreichen, insoweit einen Anspruch auf Krankenbehandlung gegen den Sozialhilfeträger erlangen können soll, ohne vorher - vergeblich - seinen Anspruch gegen die Krankenkasse verfolgt zu haben, ist nicht erkennbar; die Vorstellung, er müsse seine finanziellen Mittel zunächst für die Krankenbehandlung einsetzen, um dann - gegebenenfalls über § 15 b BSHG - Hilfe zum Lebensunterhalt zu erlangen, dürfte eher fern liegen. Zu Recht hat bereits zur alten Rechtslage das LSG Berlin (a.a.O.) angemerkt, der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz würde völlig gegenstandslos und darüber hinaus die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte zwischen den Sozial- und Verwaltungsgerichten zu Lasten eines hilfesuchenden Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung heraufbeschworen, wenn dieser ohne vorherige Sachprüfung bei einer Leistungsverweigerung der Krankenkasse an den Sozialhilfeträger und zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes anschließend an die Verwaltungsgerichte verwiesen werden dürfte. Nunmehr würde auch die Neuregelung des vorläufigen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren in weiten Teilen leer laufen, wenn eine Verweisung auf Leistungen der Sozialhilfe stattfinden würde.
Dem Erlass der einstweiligen Anordnung steht auch nicht das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Zwar kann grundsätzlich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine vorläufige Regelung getroffen werden. Soweit jedoch das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz) eine bestimmte Regelung erfordert, etwa weil - wie hier - irreparable Nachteile drohen, gilt das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ohnehin nicht (vgl. BVerwG NJW 2000, 160, 161; OVG Münster NJW 1989, 1105, 1107; OVG Berlin NJW 1978, 1871; s. auch Kopp/Schenke, a.a.O, Rdnr. 14).
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass dem Ast die streitigen Pflegeleistungen entweder als Behandlungspflege oder Eingliederungshilfe zustehen. Es spricht manches dafür, in einer solchen Situation, in der ein Träger wegen nach seiner Auffassung fehlender materieller Voraussetzungen - hier: der Durchführung einer Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V - seine Leistungspflicht verneint, bei Bestätigung dieser Ansicht aber die im Wesentlichen inhaltsgleiche Leistungspflicht eines anderen Trägers unstreitig besteht - hier: des Anspruchs auf Eingliederungshilfe - § 43 SGB I anzuwenden (so Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 43 SGB I Rdnr. 7; Giese, ZfSH/SGB 1988, 1, 8; anders wohl Mrozynski, SGB I, § 43 Rdnr.18). Da die Ag der zuerst angegangene Leistungsträger ist, wäre sie nach § 43 SGB I im Wege der Vorleistung zur Gewährung der APP verpflichtet. Aber auch wenn § 43 SGB I unmittelbar nicht eingreifen würde, spricht der aus dieser Vorschrift folgende Rechtsgedanke, dass angesichts der institutionellen Gliederung des Sozialleistungssystems ein Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Trägern nicht auf dem Rücken des Leistungsberechtigten ausgetragen werden und es deshalb nicht zu Leistungsverzögerungen kommen soll (vgl. dazu KassKomm - Seewald, § 43 SGB I Rdnr. 2), dafür, dass die Ag dem Ast die notwendigen Leistungen vorläufig zu erbringen hat. Dies gilt umso mehr, als Interessen der Versichertengemeinschaft entgegen ihrer Auffassung nicht berührt sind. Erweist sich nämlich im Hauptsacheverfahren der Anspruch des Ast als unbegründet, steht der Ag ein entweder aus § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder § 105 SGB X folgender Erstattungsanspruch gegen den zuständigen Sozialhilfeträger zu.
Der Senat ist angesichts der Tatsache, dass der Sozialhilfeträger bis zum 31.12.2001 geleistet hat (und insoweit die Leistungserfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X eingreifen würde), davon ausgegangen, dass der Ast die weitere Gewährung von APP ab dem 01.01.2002 begehrt. Soweit er die Leistungen in der Vergangenheit tatsächlich schon erhalten hat, kommt nur ein von § 13 Abs. 3 SGB V mitumfasster Freistellungsanspruch in Betracht, während künftig die Ag die Leistung als Sachleistung (arg. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu gewähren hat. Diese Leistungspflicht besteht in dem bis zum 31.05.2001 von der Ag auf der Grundlage der Stellungnahme von Dr. Q1 anerkannten Umfang. Ärztliche Verordnungen von APP liegen der Ag zwar nur bis 30.09.2001 vor, angesichts der Tatsache, dass der Sozialhilfeträger bis 31.12.2001 geleistet hat und der Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Köln vom 23.01.2002 ist aber davon auszugehen, dass unverändert APP als Sicherungspflege erforderlich ist. Dabei ist es ausreichend, die Verpflichtung der Ag zeitlich bis zur erstinstanzlichen Entscheidung zu begrenzen. Obsiegt der Ast, kann er aus dem Urteil vollstrecken (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Wird die Klage abgewiesen, kann er gegebenenfalls erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen, über den dann unter Berücksichtigung der im erstinstanzlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu entscheiden wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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