L 13 SB 76/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 SB 1325/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 76/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch -SGB IX-.

Der 1943 geborene Kläger, bei dem bereits mit Bescheid vom 24. Januar 1991 ein Grad der Behinderung -GdB- von 30 wegen

a) Verschleißerscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule

anerkannt worden war, machte mit dem hier streitigen Neufeststellungsantrag vom 7. Juni 2000 geltend, es seien weitere Beschwerden am Körpergerüst, u.a. ein Bruch des rechten Schulterblattes, Schmerzen im linken Knie und eine Epicondylitis radiales rechts, hinzugekommen. Der Beklagte holte im Verwaltungs- und im Widerspruchsverfahren Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte R. (Chirurg) vom 30. Juni 2000, Dr. B. (Augenarzt) vom 14. November 2000 und Dr. H. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) vom 18. Februar 2001 ein. Auf Empfehlung des versorgungsärztlichen Dienstes, der die Befundberichte ausgewertet hatte, erkannte er als weitere Behinderungen:

b) schmerzhafte Bewegungseinschränkung nach Schulterfraktur rechts

c) seelische Störung an.

Da die Auswirkungen dieser Behinderungen einen GdB von nur jeweils 10 bedingten, scheide eine Höherbewertung des Gesamt-GdB aus. Der Kläger könne deshalb nach wie vor nicht als Schwerbehinderter anerkannt werden (Bescheid vom 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2001).

Im anschließenden Klageverfahren kam es, nachdem das Sozialgericht u.a. erneut einen Befundbericht des Nervenfacharztes Dr. H. vom 23. September 2001 eingeholt hatte, auf Empfehlung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. für die seelische Störung aufgrund der Schmerz- und Beschwerdeverstärkung der orthopädischen Funktionsstörungen zur Erhöhung des Einzel-GdB auf 20 und zur Feststellung eines Gesamt-GdB von 40 ab Juni 2000.

Mit dem (Teilabhilfe-) Bescheid vom 11. Februar 2002 war der Kläger nicht einverstanden, weil dieser sein gesamtes Beschwerdebild nur unzureichend erfasse. Er begründete sein Begehren mit Attesten des Dr. H. vom 19. März 2002 und des Chirurgen R. vom 28. März 2002.

Durch Urteil vom 31. Mai 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die Auswirkungen der bei dem Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen zutreffend mit einem Gesamt-GdB von 40 eingeschätzt. Die Beschwerden an der Wirbelsäule ließen bei den vom Hausarzt geschilderten Bewegungsausmaßen (Finger-Boden-Abstand: 10 cm, Schober 10/15) allenfalls einen Einzel-GdB von 20 zu, zumal nur Verspannungen und Myogelosen geschildert worden seien. Von einer Verschlimmerung könne keine Rede sein. Die durch das Ellenbogenleiden verursachten nur geringgradigen Bewegungseinschränkungen rechtfertigten nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 1996 - AHP - (Nr. 26.18, S. 144) einen GdB von 10. Die Zusammenfassung dieser Komplexe mit einer Fußfehlstatik und dem Reizzustand des linken Großzehengrundgelenkes zu einem GdB von 30 für den orthopädischen Bereich sei sinnvoll. Auch die Einschränkungen des Schultergelenkes ließen bei mittelgradiger Funktionseinschränkung (Heben des Armes nur um 90°, jedoch ohne Einschränkung der Drehfähigkeit) nach den AHP (Nr. 26.18, S. 143) keinen höheren Einzel-GdB als 10 zu. Ebenfalls als geringgradig müsse die Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes eingeschätzt werden, zumal der Hausarzt R. insoweit überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung geschildert habe.

Auch das psychische Leiden des Klägers sei mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet worden, weil die Angaben des Dr. H. nur auf leichtere psychische Störungen hinwiesen. Stärker behindernde Störungen würden nach den Anhaltspunkten eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit voraussetzen. Vorliegen müssten ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert oder somatoforme Störungen. Für diesen Schweregrad gäben die Angaben des Dr. H. nichts her. Schließlich entspreche auch die Bildung des Gesamt-GdB mit hier: 40 den Vorgaben in den Anhaltspunkten.

Gegen das am 11. Juli 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 2. August 2002. Er rügt, sein Wirbelsäulenleiden werde unterschätzt. Die Tatsache, dass dieses in den Befundberichten nur eine unzureichende Erwähnung finde, sei damit erklärbar, dass er im Verlaufe der Jahre die Erfahrung gemacht habe, dass eine wirksame Behandlung nicht möglich sei. Er habe es aufgegeben, wegen der damit verbundenen Beschwerden ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen, die ihm ohnehin nicht weiterhelfe. Das psychische Leiden sei ebenfalls unterbewertet. Sein Hausarzt sehe darin eine sich auf alle Lebensbereiche auswirkende stärker behindernde Störung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2002 aufzuheben sowie den Bescheid vom 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2001 und den Bescheid vom 11. Februar 2002 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihn als schwerbehinderten Menschen mit einem GdB von wenigstens 50 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit einem GdB von 40 seien die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers richtig bewertet.

Der Senat hat im Rahmen einer weiteren medizinischen Sachaufklärung Befundberichte der Orthopäden R./K. vom 26. November 2002, des Nervenfacharztes Dr. H. vom 8. Dezember 2002 und des Chirurgen R. vom 13. Dezember 2002 eingeholt. Mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr. B. vom 9. Januar 2003 und des Nervenfacharztes Dr. D. vom 13. Januar 2003 hält der Beklagte daran fest, dass die Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte keine andere Beurteilung seines GdB rechtfertigen.

Wegen der Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Er hat gemäß §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 SGB IX, 48 Abs. 1 SGB X keinen Anspruch auf Anerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 40.

Der Kläger beschränkt sich mit seiner Berufung auf eine nach seiner Auffassung unzutreffende, weil zu niedrige Bewertung seiner Wirbelsäulenbeschwerden und seines seelischen Leidens.

Die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule hatte der Beklagte zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2001 als Verschleißerscheinungen der Halswirbel- und Lendenwirbelsäule bezeichnet und mit den hier nicht mehr streitbefangenen, in ihren Auswirkungen wenig schwerwiegenden Erkrankungsbildern einer Epikondylitis radiales des rechten Ellenbogens, eines Reizzustandes des linken Großzehengrundgelenkes und einer Fußfehlstatik (Plattfüße) zusammen mit einem GdB von 30 erfasst. Hierbei muss es nach den aktuellen Erkenntnissen verbleiben. Der im Berufungsverfahren eingeholte Befundbericht des Chirurgen R. vom 13. Dezember 2002, der wie in seinem Bericht vom 9. Oktober 2001 allein auf eine stark gebesserte Schulterbeweglichkeit rechts nach Scapulafraktur abstellt, enthält überhaupt keine Angaben über eine Behandlungsnotwendigkeit der Wirbelsäule wegen davon ausgehender Beschwerden. Der Befundbericht der erstmalig im August 2002 vom Kläger aufgesuchten orthopädischen Gemeinschaftspraxis R./K. weist für den Bereich der Wirbelsäule als Diagnose ein chronisch vertebragenes Schmerzsyndrom und ein Cervicalsyndrom aus. Der Finger-Boden-Abstand betrage 10/0/30, der Schober 10/14. Eine externe Röntgenaufnahme der HWS in zwei Ebenen vom 8. Mai 2001 zeige, dass diese steilgestellt sei und u.a. einen beginnenden Höhenverlust der Bandscheibenräume C5/6 und C6/7. Bei diesen Erkenntnissen lässt sich ein höherer GdB als 30 für die Wirbelsäule nicht begründen. Diese GdB-Bewertung ergibt sich nach den AHP Ziffer 26.18, S. 139 primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung (die im Bereich der unteren Wirbelsäule bei einem Zeichen nach Schober von 10/14 nur leicht ist, vgl. die Stellungnahme des Dr. B. vom 9. Januar 2003), der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Zahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Über eine Verformung oder Instabilität der Wirbelsäule ist nichts bekannt. Liegt - wie bei dem Kläger - allein ein chronisch-rezidivierendes Bandscheibensyndrom vor, kommt es für dessen Bewertung auf aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum an. Darüber, ob und in welchen Intervallen der Kläger - bei anerkanntem Verschleiß der HWS und LWS - unter Schmerzanfällen leidet, fehlt es an medizinischen Aussagen. Wenn der Kläger meint, von Ärzten keine Hilfe erwarten zu können und diese deshalb - jedenfalls - wegen der Wirbelsäulenbeschwerden nicht konsultieren zu müssen, entzieht er sich einer objektiven Beurteilung seines Zustandes, weil es dann hierüber - wie hier - an aussagekräftigen Unterlagen fehlt.

Wie sich insbesondere aus dem Befundbericht des Dr. H. vom 8. Dezember 2002 ergibt, ist der Kläger ein schmerzbetonter Mensch, dessen „angstneurotisches-depressives Syndrom charakterneurotischer Natur“ ist und sich speziell in angstneurotischen Krankheitsbefürchtungen bei körperlichen Beschwerden („Todesängste bei Vorstellung von Krankheiten“) äußert. Der Beklagte hat dieses Persönlichkeitsdefizit des Klägers im Bescheid vom 11. Februar 2002 durch Erhöhung des Gesamt-GdB bereits berücksichtigt und den Einzel-GdB für die seelische Störung aufgrund der vom Kläger so empfundenen Schmerz- und Beschwerdeverstärkung auf 20 angehoben. Dass diese leichte Persönlichkeitsstörung (so Dr. H. im Befundbericht vom 8. Dezember 2002) bereits ein Ausmaß erreicht hat, das einen noch höheren GdB erfordert, weil es sich um stärker behindernde Störungen handelt, wird hier nicht deutlich. Das Ausmaß der bleibenden Ausfallerscheinungen bei dem Kläger wird durch den am 4. Dezember 2002 von Dr. H. erhobenen Befund, der außerdem eine leichte Somatisierungstendenz ausweist, noch nicht in dem Sinne präzisiert, dass hier - gegenüber den Erkenntnissen aus dem Sozialgerichtsverfahren - eine auch in die GdB-Zumessung einfließende Verschlimmerung vorliegt.

Die Bildung des Gesamt-GdB, die das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend erläutert hat, entspricht den Vorgaben in den Anhaltspunkten (Nr. 19 Abschnitt 3 S. 34). Sie ist nicht zu beanstanden.

Die Aktenlage rechtfertigt nach alledem nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand noch nicht die Anerkennung des Klägers als schwerbehinderten Menschen.

Seine Berufung musste mit der Kostenfolge des § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zurückgewiesen werden.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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