S 13 KR 141/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 141/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002, des Bescheides vom 12.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2002 und des Bescheides vom 10.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2002 verurteilt, die Klägerin von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2002 im Sinne von siebenmal wöchentlicher/einmal täglicher Medikamentengabe freizustellen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt in drei miteinander verbundenen Verfahren Freistellung von den Kosten für selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege in der Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2002.

Die im 00.1921 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie erhält von der BKK Pflegekasse I E Leistungen der Pflegestufe II nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Ausweislich des der Bewilligung zugrundeliegenden Pflegegutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) umfasst der bei ihr festgestellte Grundpflegebedarf unter anderem auch die Hilfe bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung sowie der oralen Nahrungsaufnahme.

Unter dem 20.03.2002, 27.06.2002 und 24.09.2002 verordnete die behandelnde Internistin Frau Dr. F aus L für die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.06.2002, vom 01.07.2002 bis 30.09. 2002 und vom 01.10.2002 bis 31.12.2002 häusliche Krankenpflege im Sinne von 7x wöchentlicher / 1x täglicher Medikamentengabe.

Die entsprechenden Anträge der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 10.04.2002, 12.08.2002 und 10.10.2002 ab, weil die verordnete Medikamentengabe in unmittelbarem Zusammenhang mit Leistungen der Pflegeversicherung stehe und durch diese finanziert werde.

Auf den Widerspruch gegen die Bescheide vom 10.04.2002 und 12.08.2002 holte die Beklagte jeweils eine Auskunft der Frau Dr. F ein, wonach alle verordneten Medikamente im zeitlichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme eingenommen werden sollten.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.04.2002 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2002, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.08.2002 mit Widerspruchsbescheid vom 27.09. 2002 und der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.10.2002 mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2002 zurückgewiesen.

Mit ihren gegen die genannten Widerspruchsbescheide erhobenen Klagen verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, dass ihr Anspruch auf die verordnete häusliche Krankenpflege neben dem Anspruch auf die bewilligten Leistungen aus der Pflegeversicherung bestehe, weil die Medikamentengabe nicht notwendig in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Ernährung stehe.

Nach Verbindung der Verfahren beantragt die Klägerin,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002, des Bescheides vom 12.08.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2002 und des Bescheides vom 10.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2002 zu verurteilen, sie von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2002 im Sinne von 7x wöchentlicher / 1x täglicher Medikamentengabe freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass eine Leistungspflicht der Krankenkassen für solche Maßnahmen nicht bestehe, die in die Hilfeleistungen bei Verrichtung der Grundpflege einbezogen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekassen sind. Für die Annahme einer solchen Einbeziehung sei ausreichend, dass nach objektiven Kriterien, insbesondere medizinischen Erfordernissen eine gleichzeitige Durchführung von Grundverrichtung und medizinischer Hilfeleistung erforderlich ist. Ein solcher objektiver Zusammenhang zwischen der Medikamentengabe als unzweifelhafter Maßnahme der Behandlungspflege und der Grundpflegeverrichtung der Nahrungsaufnahme ergebe sich aus der Einnahmesicherheit als Ziel der Medikamentengabe in den Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht eine Auskunft der Frau Dr. F eingeholt, in der ausgeführt wird, dass die Klägerin morgens die Medikamente Captohexal 50 und Nifehexal 20 ret., mittags das Medikament ASS 100, abends die Medikamente Allopurinol 300, Zocor 20 und Omeprazol 20 sowie bei Bedarf das Medikament Lopedium einnehmen müsse. Das Medikament ASS solle aus Verträglichkeitsgründen mit der Nahrungsaufnahme verabreicht werden. Die anderen Medikamente könnten aus Praktikabilitätsgründen in Zusammenhang mit einer Mahlzeit eingenommen werden. Keines der Medikamente müsse mit größerem Abstand zur Nahrungsaufnahme eingenommen werden.

Der Klägerin sind für die Zeit vom 01.04.2002 bis zum 31.12. 2002 Kosten für die begehrten Pflegeleistungen in Rechnung gestellt worden. Die Rechnungsbeträge sind allerdings nicht bezahlt, sondern vom Pflegedienst gestundet worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die eingeholte ärztliche Auskunft sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 10.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2002, der Bescheid vom 12.08.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2002 und der Bescheid vom 10.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2002 sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Freistellung von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2002 im Sinne von 7x wöchentlicher / 1x täglicher Medikamentengabe.

Nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetz- buch (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

Die Medikamentengabe zählt zur Behandlungspflege und ist im Falle der Klägerin zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf insoweit keiner eingehenderen Begründung.

Diese Behandlungspflege zählt zur Leistungspflicht der Beklagten und nicht zur Leistungspflicht der zuständigen Pflegeversicherung.

Nach jüngster Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 30.10.2001, B 3 KR 2/01 R), der sich die Kammer anschließt, zählt die Behandlungspflege nur dann zur Leistungspflicht der Pflegeversicherung, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht.

Die Medikamentengabe ist nicht untrennbarer Bestrandteil der grundpflegerischen Hilfe bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung oder der oralen Nahrungsaufnahme.

Ebenso wenig steht sie mit diesen Verrichtungen objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang.

Objektiv notwendig ist ein solcher Zusammenhang nur dann, wenn zwingende medizinische Gründe einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Medikamentengabe und Nahrungsaufnahme erfordern. Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung, wonach an die Erfordernisse des Zusammenhangs kein allzu strenger Maßstab angelegt werden dürfe, spricht der Umstand, dass Behandlungspflege im Regelfall in die Leistungspflicht der Krankenversicherung fällt und systematisch damit nur in eng begrenzten Ausnahmefällen der Leistungspflicht der Pflegeversicherung unterstellt werden darf.

Aus diesen Gründen ergibt sich ein objektiver notwendiger Zusammenhang zwischen der Medikamentengabe als unzweifelhafter Maßnahme der Behandlungspflege und der Grundpflegeverrichtung der Nahrungsaufnahme auch nicht aus der Einnahmesicherheit als Ziel der Medikamentengabe in den Richtlinien über die Verordnung häuslicher Krankenpflege.

Die Medikamente Captohexal 50, Nifehexal 20 ret., Allopurinol 300, Zocor 20 und Omeprazol 20 können zwar aus Praktikabilitätsgründen aber müssen nicht in zeitlichem Zusammenhang mit einer Mahlzeit der Klägerin eingenommen werden. Das gilt für das Medikament Lopedium umso mehr, weil es nur bei Bedarf eingenommen werden muss.

Hinsichtlich dieser Feststellungen stützt sich die Kammer auf die Auskunft der behandelnden Ärztin Frau Dr. F, die auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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