S 12 AL 374/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 374/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 97/02
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 08.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2001 wird geändert. Der Bescheid vom 20.06.2001 wird ab 06.11.2001 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin ab 25.09.2001 noch Arbeitslosengeld zustand.

Die 1973 geborene Klägerin erhielt aufgrund Bescheid vom 20.06.2001 Arbeitslosengeld ab 15.03.2001 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 390,00 DM und Leistungsgruppe D/1, entsprechend einem Leistungssatz von 000,00 DM wöchentlich für die Anspruchsdauer von 360 Tagen. Aus einem Beratungsvermerk vom 21.06.2001 geht hervor, dass die Klägerin eine Fehlgeburt erlitten hatte. In einem weiteren Beratungsvermerk vom 03.07.2001 ist niedergelegt, die Klägerin sei wieder schwanger, der Mutterschutz beginne ab 10.01.2002. Am 27.09.2001 ging bei der Beklagten ein Attest des Frauenarztes Dr. P, N, vom 25.09.2001 ein. In diesem heißt es, wegen einer Gesundheitsgefährdung von Mutter und Kind bestehe bei der Klägerin ein unbegrenztes Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG).

Mit Bescheid vom 08.10.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2001 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 25.09.2001 gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 Nr. 1 und 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB III im wesentlichen mit der Begründung auf, nach der eingereichten ärztlichen Bescheinigung des Frauenarztes Dr. P bestehe bei der Klägerin wegen einer Gesundheitsgefährdung von Mutter und Kind ein unbegrenztes Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG. Das bedeute, dass sie keine Beschäftigung aufnehmen dürfe. Sie stehe somit den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes ab dem Tag der Ausstellung der Bescheinigung, dem 25.09.2001, nicht mehr zur Verfügung.

Zur Begründung ihrer am 20.12.2001 erhobenen Klage beruft sich die Klägerin auf eine Auskunft der Beigeladenen, wonach es ein Urteil des BSG vom 09.09.1999 gebe, nach dem auch bei Beschäftigungsverbot weiterhin Arbeitslosengeld zu zahlen sei. Das Beschäftigungsverbot habe sich auch nur auf ihre stehende Tätigkeit als Verkäuferin in der Parfümerie Q bezogen, bei der sie auf 630,00 DM-Basis beschäftigt sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 08.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und sieht sich durch die vom Gericht eingeholte Auskunft von Dr. P vom 07.02.2002, nach der ein generelles Beschäftigungsverbot für die Zeit ab 25.09.2001 ausgesprochen worden sei, weil die Klägerin ab diesem Zeitpunkt ohne Gefährdung des ungeborenen Kindes und später auch der eigenen Gesundheit nicht mehr in der Lage gewesen sei, auch nur eine leichte Tätigkeit für mindestens 15 Stunden wöchentlich auszuüben.

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.04.2002 beigeladene Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung der Klägerin stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat den behandelnden Frauenarzt Dr. P zu dem Hintergrund des von ihm ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes befragt. Auf dessen Antwortschreiben vom 07.02.2002 wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der die Klägerin betreffenden Leistungsakten der Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 05.11.2001.

Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III hat u.a. Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist. Arbeitslos ist nach § 118 Abs. 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht. Eine Beschäftigung sucht nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, wer den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht. Den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes steht nach § 119 Abs. 2 SGB III zur Verfügung, wer arbeitsfähig ist. Arbeitsfähig ist nach § 119 Abs. 3 SGB III ein Arbeitsloser, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auch aufnehmen und ausüben kann und darf. Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin auf Grund des ab 25.09.2001 ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs. 1 MuSchG nicht mehr. Die Klägerin dürfte ab 25.09.2001 keinerlei Beschäftigung mehr ausüben. Das Beschäftigungsverbot war nach der eindeutigen Auskunft von Dr. P vom 07.02.2002 ein absolutes Beschäftigungsverbot. Dr. P hat dargelegt, dass vor dem Hintergrund einer Kaiserschnittgeburt im 00.1998 und einer im 00.2001 stattgehabten frühen Fehlgeburt bei der Klägerin eine Risikoschwangerschaft vorgelegen habe. Bereits in der 17. Schwangerschaftswoche am 00.00.2001 habe er bei einer Wehenmessung eindeutig Kontraktionen im Sinne einer vorzeitigen Wehentätigkeit festgestellt. Wehenhemmende Mittel hätten, wie eine Kontrolluntersuchung in der 19. Schwangerschaftswoche am 00.00.2001 ergeben hätte, keinen Erfolg gehabt. Schon bei leichter körperlicher Belastung seien weiterhin rezidivierende Kontraktionen aufgetreten. Dadurch habe sich die Gefahr einer späten Fehlgeburt, respektive einer extremen Frühgeburtlichkeit ergeben, die zur Aussprache des Beschäftigungsverbotes geführt hätten. Die Klägerin sei ab Aussprache des Beschäftigungsverbotes nicht mehr in der Lage gewesen, eine leichte Arbeitstätigkeit, auch nur bei 15 Stunden pro Woche, durchzuführen.

Gleichwohl steht der Klägerin trotz der sich aus dem Beschäftigungsverbot ergebenden fehlenden Verfügbarkeit noch bis zum 05.11.2001 Arbeitslosengeld zu. Dies folgt aus § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Danach verliert ein Arbeitsloser den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen nicht, wenn er während des Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

Unter Berücksichtigung der Darlegung von Dr. P in seiner Auskunft vom 07.02.2002 ist das Gericht davon überzeugt, dass das von ihm ausgesprochene Beschäftigungsverbot zugleich eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutet hat. Schon das BSG hat in seinem Urteil vom 09.09.1999, B 11 AL 77/98 R (SozR 3-4100 § 103 Nr. 19), ausgeführt, ein generelles Beschäftigungsverbot dürfe ohne die Verfügbarkeit ausschließende Arbeitsunfähigkeit nicht denkbar sein. Es sei nicht ersichtlich, welche Beschäftigungsmöglichkeit für eine Arbeitsvermittlung in Betracht komme. Insoweit dürfe sich ein in der Krankenversicherung gedecktes Risiko verwirklicht haben.

Der Annahme, dass das von Dr. P ausgesprochene generelle Beschäftigungsverbot nicht zugleich auch eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bedeutet, steht nicht entgegen, dass Dr. P in seiner Auskunft an das Gericht vom 07.02.2002 die Auffassung vertritt, das Beschäftigungsverbot sei von der Arbeitsunfähigkeit dadurch abzugrenzen, dass die Arbeitsunfähigkeit ihre Ursache primär schwangerschaftsunabhängig haben müsse und die Klägerin formalmedizinisch als gesund zu bezeichnen gewesen sei. Das BSG (a.a.O) hat bereits darauf hingewiesen, dass bei der rechtlichen Würdigung von Beschäftigungsverbot und Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen sei, dass auch letztere Elemente der Gefahrenvorsorge enthalten könne. Arbeitsunfähigkeit liege nicht nur vor, wenn ein Krankheitszustand Arbeit ausschließe, sondern auch, wenn diese mit der Gefahr einer Verschlimmerung verbunden sei. Für das Gericht ist ausschlaggebend, dass werdende Mutter und ungeborenes Leben körperlich eine Einheit bilden die zur Folge hat, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen der Mutter sich auf das ungeborene Kind und umgekehrt Beeinträchtigungen des Kindes sich auch auf die Mutter auswirken. Vor diesem Hintergrund tritt Arbeitsunfähigkeit nicht erst dann ein, wenn Regelwidrigkeiten primär schwangerschaftsunabhängig sind. Vielmehr beeinträchtigt regelwidriger Schwangerschaftsverlauf, der zu einer Gefährdung des Kindes führt, immer auch den aktuellen Gesundheitszustand der werdenden Mutter. Dies folgt auch unmittelbar aus dem Bericht des Dr. P vom 07.02.2002, der beschreibt, dass die Klägerin ihn außerhalb der regulären Mutterschaftsvorsorge am 00.00.2001 wegen ziehender Rückenschmerzen und einem harten Bauch - mit anderen Worten also mit einem von der Regel abweichenden körperlichen Unwohlbefinden - aufgesucht habe, die bei der nächsten regulären Schwangerschaftsvorsorge am 00.00.2001 weiterhin, auch schon bei leichter körperlicher Belastung, vorgelegen hätten.

Unbegründet und insoweit abzuweisen ist die Klage, soweit in ihr das Begehren auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe über den 05.11.2001 hinaus enthalten ist. Ab 06.11.2001 bestand kein Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr. Der Anspruch auf Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nach § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III war zu diesem Zeitpunkt erschöpft. Insoweit ist eine Änderung in den wesentlichen Verhältnissen eingetreten, die nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 20.06.2001 ab 06.11.2001 führen muss. Die sich aus dem Beschäftigungsverbot ergebende Arbeitsunfähigkeit hat seit Ausspruch des Beschäftigungsverbotes ununterbrochen über den 05.11.2001 hinaus fortgedauert und sogar, wie Dr. P in seiner Auskunft vom 07.02.2002 ausgeführt hat, sich in ihrer Tragweite noch verschärft. Etwa ab der 30. Schwangerschaftswoche habe sich eine therapieresistente Schwangerschaftsanämie entwickelt mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt zusätzlich zu der Gefahr der Frühgeburtlichkeit sich auch eine Gefährdung der Mutter ergeben habe.

Folge der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ist, dass die Beigeladene über einen Anspruch der Klägerin auf Krankengeld zu entscheiden haben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil für den Zeitraum vom 25.09. bis 05.11.2001 der Wert der Beschwer 500,00 EURO nicht übersteigt, es der Rechtssache aber grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
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