L 5 RJ 206/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 448/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 206/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14. August 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1941 in Jugoslawien geborene Kläger, der auch die jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzt, legte in seinem Erwerbsleben in seinem Heimatstaat, in der Bundesrepublik (01.08. 1969 bis 25.02.1976) sowie in der Schweiz Beschäftigungszeiten - im Wechsel mit Zeiten ohne Arbeit - zurück. Er ist ohne erlernten Beruf und arbeitete in Deutschland als Bauhelfer. In seinem Heimatstaat wurde ihm aufgrund Untersuchung am 12.06. 1995 in Pristina eine Invaliditätspension zuerkannt.

Am 31.11.1995 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbs- unfähigkeit/Berufsunfähigkeit (EU/BU). Mit Bescheid vom 26.01. 1996 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. In der Begründung folgte sie der prüfärztlichen Einschätzung, dass der Kläger trotz gesundheitlicher Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit auf internistischem und orthopädischem Gebiet leichte Tätigkeiten vollschichtig mit nur qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den er verweisbar sei, ausüben könne. Ein hiergegen gerichteter Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10.01.1997), weil sich die Beklagte dem Internisten Dr.G. anschlosss, die stationäre Untersuchung des Klägers in Regensburg vom 28. bis 30.10.1996 habe im Ergebnis keine andere Einschätzung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Klägers ergeben.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu leisten, und zur Begründung im Wesentlichen auf die in seinem Heimatstaat getroffene Feststellung verwiesen, dass er Invalide sei. Er benötige einen ständigen Begleiter, weil er schon einige Male in Ohnmacht gefallen sei. Unter Berücksichtigung der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Befunde und Gutachten sowie der im sozialgerichtlichen Verfahren beigezogenen und vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen aus Jugoslawien hat Dr.T. ein sozialmedizinisches Gutachten erstellt (09.06.1998). Als Diagnosen hat sie Bluthochdruck mit Rückwirkungen auf das Herz und mit Augenhintergrundveränderungen sowie ein Halswirbelsäulensyndrom diagnostiziert. Trotz dieser Einschränkungen hat sie den Kläger in der Lage gesehen, leichte Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossenen Räumen, vollschichtig auszuüben, wobei Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten an gefährlichen Werkzeugen, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Wechsel- und Nachtschicht vermieden werden müssten. Dieser Einschätzung ist das SG gefolgt und hat mit Urteil vom 14.08.1998 die Klage abgewiesen. Es hat den Kläger als ungelernten Arbeiter als auf alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar angesehen, eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen verneint, so dass weder BU und in der Folge erst Recht nicht EU bestehe. Die Einschätzung der Invalidität im Heimatstaat des Klägers sei ohne Belang für den geltend gemachten Anspruch nach deutschem Recht.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung auf seinen schlechten Gesundheitszustand hingewiesen. Der Senat hat ein fachchirurgisches/orthopädisches Gutachten des Dr.L. (28.08.2002) sowie ein internistisches Gutachten des Dr.P. (25.09.2002) eingeholt. Beide Sachverständige haben ihr Gutachten nach Aktenlage erstellt, weil der Kläger trotz gerichtlichen Hinweises auf die möglichen negativen Folgen einer Begutachtung ohne persönliche Untersuchung die Anreise nach Deutschland nicht unternommen hat. Dr.L. hat keine Anhaltspunkte für eine fehlende Reisefähigkeit des Klägers gesehen, Dr.P. hat Reiseunfähigkeit ausdrücklich verneint. Unter Berücksichtigung weiterer ärztlicher Befunde aus dem Heimatstaat des Klägers hat Dr.L. ein Halswirbelsäulensyndrom leichter Prägung sowie eine leichte Beugekontraktur des rechten Mittelfingers diagnostiziert und auf orthopädischem Fachgebiet lediglich leichte Funktionsdefizite angenommen. Dr.P. hat zusätzlich eine arterielle Hypertonie mit beginnender hypertensiver Herzkrankheit ohne sonstige Endorganschädigung, 1996 erstmals aufgefallener, derzeit medikamentös nicht behandelter leichter Diabetes mellitus Typ II und eine seit 1996 bekannte, jetzt relativ ausgeprägte Anämie unklarer Gese diagnostiziert. Seit 1996 bzw. 1998 habe sich keine sozialmedizinisch relevante Verschlechterung der Leistungsfähigkeit ergeben. Der Kläger sei deshalb in der Erwerbsfähigkeit mittelgradig beeinträchtigt, so dass ihm ausschließlich schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten nicht mehr zumutbar seien. Er könne noch Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, auch im Freien ausüben, wobei Tätigkeiten mit Nacht- und Wechselschicht, im Akkord und mit erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz, Tätigkeiten mit Heben und Tragen von schweren Lasten über 20 kg und häufiger Überkopfarbeit, Tätigkeiten mit häufigem Bücken und Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten bzw. an Maschinen und am Fließband nicht zumutbar seien. Hinsichtlich der Wegefähigkeit ergäben sich keine Einschränkungen.

Zu diesen Gutachten hat sich der Kläger nicht geäußert.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14.08.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen EU/BU gemäß Antrag vom 31.11.1995 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14.08.1998 zurückzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass nach den Feststellungen der Sachverständigen beim Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestehe, so dass bei gleichzeitiger Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt kein Anspruch auf die begehrte Rente bestehe.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung gemäß §§ 44, 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F., § 240 SGB VI, § 43 SGB VI. Das angefochtene Urteil des SG Landshut vom 14.08. 1998 sowie der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 26.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.1997 sind damit nicht zu beanstanden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente sind weder nach den gemäß § 300 SGB VI infolge Antragstellung vom 31.11.1995 anzuwendenden Rechtsvorschriften erfüllt, die bis zur Änderung durch Gesetz vom 20.12. 2000 (BGBl.I, S.1827) Gültigkeit hatten (a.F.), noch nach den ab 01.01.2001 geltenden Normen (n.F.).

Nach den genannten Vorschriften erhalten Versicherte, die berufs- bzw. erwerbsunfähig bzw. ganz oder teilweise erwerbsgemindert sind, Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - die hier nicht näher zu erörtern sind - und die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Berufsunfähig im Sinne von § 43 SGB VI a.F. sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist, all die Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und die ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges der Ausbildung sowie des Berufes und der besonderen Anforderungen an die Berufstätigkeit zugemutet werden können. Erwerbsunfähig gemäß § 44 SGB VI a.F. ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann. Anspruch auf Rente wegen ganzer oder teilweiser Erwerbsminderung hat nicht, wer mehr als sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes tätig sein kann (§ 43, § 240 SGB VI n.F.).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar beeinträchtigt ist, jedoch nur in qualitativer, nicht hingegen in quantitativer Hinsicht, so dass der Kläger vollschichtig tätig sein und bestimmte Arbeiten acht Stunden täglich ausüben kann. Nach den überzeugenden Gutachten der Dr.T. , des Dr.L. sowie des Dr.P. liegen bei dem Kläger ein leichtes Halswirbelsäulensyndrom sowie eine Beugestörung des rechten Mittelfingers auf orthopädischem Fachgebiet vor, auf internistischem Fachgebiet ein Bluthochdruck mit beginnender hypertensiver Herzkrankheit, ein leichter Diabetes mellitus sowie eine Anämie unklarer Genese. Diese Gesundheitsstörungen bewirken eine Einschränkung der Leistungsbreite des Herz-Kreislaufsystems und eine leichte funtkionelle Einschränkung im Wirbelsäulenstatus, die die Belastbarkeit des Bewegungsapparates reduziert. Tätigkeiten als Bauhilfsarbeiter kann der Kläger damit nicht mehr ausüben; auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben sich Beeinträchtigungen. Unzumutbar sind nach den auch in dieser Hinsicht überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen schwere und mittelschwere Arbeiten, Arbeiten ohne Wechsel der Position, sowie Tätigkeiten mit besonderen Belastungen oder Stresswirkungen (Nacht-/Wechselschicht, Akkord, Heben und Tragen schwerer Lasten sowie Überkopfarbeit). Mit dem so verbliebenen Leistungs- vermögen kann der Kläger jedenfalls noch leichte und ruhige Tätigkeiten auch im Freien vollschichtig ausüben, ohne dass es zusätzlicher Pausen bedarf. Ausübbar wären somit noch leichte Handverrichtungen an Werkstücken der gewerblichen Industrie, Kleinteilemontage, Pack- und Sortierarbeiten, Materialausgabe, leichte Hilfstätigkeiten in Handelsbetrieben und ähnliche Tätigkeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichendem Maße zu finden sind.

Nicht gefolgt werden kann dem vom Kläger unter Bezugnahme auf die ärztlichen Feststellungen aus seinem Heimatstaat behaupteten Leistungsbild. Insoweit haben die Sachverständigen die vorgelegten jugoslawischen Befunde ausgewertet und schlüssig dahingehend beurteilt, dass der Kläger die dargelegten Tätigkeiten vollschichtig ausüben kann.

Damit fehlen Anhaltspunkte für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unter acht bzw. sechs Stunden.

Soweit Dr.P. darauf hinweist, dass eine persönliche Untersuchung des Klägers eventuell weitere Feststellungen ermöglicht hätte und der Sachverhalt mangels weiterer persönlicher Untersuchung des Klägers eventuell nicht vollständig aufgeklärt werden konnte, geht dies zu Lasten des Klägers, ohne dass entsprechend § 103 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) der Senat den Sachverhalt von Amts wegen hätte weiter erforschen müssen. Denn nach den Feststellungen der Sachverständigen ist den übersandten und vorliegenden Befunden zu entnehmen, dass dem Kläger eine Anreise zur Untersuchung nach Deutschland - eventuell mit einer Begleitperson - möglich gewesen wäre. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast muss der Kläger als derjenige, der einen Anspruch geltend macht, die eventuellen Nachteile tragen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 103 Rdnr.19a; vgl. auch Urteile des Senates vom 30.10.2001, Az.: L 5 RJ 158/98 sowie vom 18.06.2002, Az.: L 5 RJ 15/00). Hierauf war der Kläger auch unter dem 06.06.2002 unmissverständlich hingewiesen worden.

Der Kläger kann auch auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, soweit der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit betroffen ist. Denn unter Anwendung des in ständiger Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.1; SozR 3-2900 § 48 Nr.4; Niesel in Kasseler Kommentar, § 43 SGB VI Rdnr.35 mw.N.) ist der Kläger der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen, weil er einen Beruf nicht erlernt und in Deutschland lediglich Arbeiten als Bauhilfsarbeiter ausgeübt hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Berufsschutz als Maurer erworben haben könnte oder dass er Tätigkeiten ausgeübt hätte, die dem oberen Anlernbereich (Anlernzeit 12 bis 24 Monate) zuzuordnen wären, sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist damit nicht berufsunfähig. Wer nicht berufsunfähig ist, ist erst recht nicht erwerbsunfähig (§ 44 SGB VI a.F.) oder erwerbsgemindert (§ 43 SGB VI n.F.), weil ein vollschichtiges Leistungsvermögen beide Begriffe ausschließt.

Ein Anspruch auf EU/BU-Rente ergibt sich auch nicht daraus, dass Leistungseinschränkungen vorliegen, die in ihrer Zusammenschau so außergewöhnlich wären, dass der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen sei. Auch die Wegefähigkeit des Klägers liegt jedenfalls über der Zumutbarkeitsgrenze von viermal 500 m täglich.

Ohne Belang ist für das deutsche Rentenrecht die Bewilligung der Invaliditätspension in Jugoslawien, wie auch das SG zutreffend ausgeführt hat.

Die Berufung musste daher nach allem in vollem Umfang ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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