L 6 RJ 127/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 723/00 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 127/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 1.1.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin, die am 1948 geboren und Staatsangehörige der Republik Kroatien ist, ist (ausschließlich) in der Bundesrepublik Deutschland vom 15.2.1972 bis 25.1.1994 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen; anschließend weist sie bis 31.3.1997 Pflichtbeitragszeiten aufgrund des Bezugs von Sozialleistungen - zuletzt wegen Arbeitslosigkeit - auf.

Die Klägerin hat nach ihren Angaben keine Berufsausbildung zurückgelegt; sie ist laut Auskunft der Firma G. Fleischwaren GmbH, B. , wo sie ab 25.2.1975 beschäftigt gewesen ist, als Hilfskraft (Würstchen-Sortierung, Verpackung und allgemeine Hilfsarbeiten, auch Reinigungsarbeiten) eingesetzt gewesen.

Einen ersten auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gerichteten Antrag der Klägerin vom 28.3.1995 hat die LVA Hannover mangels Vorliegens von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit abgelehnt (Bescheid vom 2.1.1996).

Mit Bescheid vom 3.9.1999 und Widerspruchsbescheid vom 4.5.2000 lehnte die Beklagte den am 21.10.1998 erneut gestellten Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab. Die Versicherte habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, da sie nach den im Verwaltungsverfahren zu ihrem Gesundheitszustand und beruflichen Leistungsvermögen sowie zu ihrem beruflichen Werdegang getroffenen Feststellungen nicht berufsunfähig im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift sei; sie habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, da sie erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI sei. Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen entnahm die Beklagte einem in Zagreb erstatteten Rentengutachten vom 1.3.1999 und weiteren medizinischen Unterlagen aus der Heimat der Klägerin sowie dem Gutachten des Arztes für Chirurgie/Sozialmedizin Dr. M. vom 27.3.2000, das auf einer dreitägigen stationären Untersuchung der Klägerin in der Ärztlichen Gutachterstelle Regensburg beruhte.

Mit der zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage - Eingang bei der Beklagten am 8.6.2000 - verfolgte die Klägerin ihren Rentenanspruch weiter.

Nachdem das SG die Akten der Beklagten beigezogen und über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen der Klägerin von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt hatte (vom 22.1.2001), wies es die Klage mit Urteil vom 24.1.2000 ab. Die Klägerin habe keinen Rentenanspruch, weil sie vollschichtig leistungsfähig und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Am 6.3.2001 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 14.2.2001 in ihrer Heimat zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.

Zur Begründung ihrer mangelnden beruflichen Leistungsfähigkeit legte sie medizinische Unterlagen vor (Arztbrief der Psychiatrischen Klinik der Medizinischen Fakultät der Universität Z. vom 30.7.2001; Klinisches Krankenhaus O. , Klinik für Neurologie, Entlassungsbrief vom 1.8.2001 und Arztbrief vom 18.10.2001).

Der Senat zog die Klageakten des SG Landshut, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Leistungsakten des Arbeitsamts Uelzen bei und holte Befundberichte einschließlich medizinischer Unterlagen von den behandelnden Ärzten der Klägerin ein (M. B. , Neurologische und Orthopädische Rehabilitationsfachklinik, Entlassungsbericht betreffend ein stationäres Heilverfahren vom 25.4. bis 23.5.1993; Facharzt für Orthopädie Dr. S. Befundbericht vom 2.7.2001).

Sodann erholte der Senat medizinische Sachverständigengutachten von dem Orthopäden Dr.T. (Gutachten vom 20.11.2001), von dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. (Gutachten vom 26.11.2001) und von dem Internisten Dr. S. (Gutachten vom 3.1.2002).

Von Dr. T. wurden bei der Klägerin folgende seit April 1997 vorliegende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Fehlstatisches Halswirbelsäulen-, Brustwirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit zur Dekompensation neigender Torsionsskoliose und Beinverkürzung links von 1 cm ohne sichere radikuläre sensible oder motorische Defizite. 2. Mäßiggradige Osteoporose mit leichter Progredienz, hauptsächlich im Bereich der Lendenwirbelsäule. 3. Leichtgradige Coccygodynie. 4. Geringgradige radiale Epicondylopathie beidseits (sogenannter Tennisellen- bogen).5. Geringgradige Chondropathia-patellae-Symptomatik links. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen hielt Dr. T. die Klägerin seit April 1997 für fähig, in geschlossenen Räumen unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses (insbesondere mit den üblichen Arbeitspausen) voll-schichtig (8 Stunden täglich) zu arbeiten. Es seien nur noch leichte Arbeiten ohne längerdauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Heben oder Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Tätigkeiten in oder über der Horizontalen, sowie ohne Arbeiten mit häufigem Bücken zumutbar. Die Klägerin sei in der Lage, vor Arbeitsbeginn mehr als 500 m zu einem öffentlichen Verkehrsmittel und dann von diesem mehr als 500 m zum Arbeitsplatz in angemessener Geschwindigkeit zu Fuß zurückzulegen, und dies nach Arbeitsende in umgekehrter Reihenfolge. Eine begründete Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustandes in absehbarer Zeit sei kaum gegeben, da eine deutliche psychogene Überlagerung der orthopädisch relevanten Gesundheitsstörungen zu beobachten sei.

Dr. M. diagnostizierte bei der Klägerin 1. ein chronisches Syndrom der Halswirbelsäule ohne funktionelle Defizite, 2. ein chronisches Syndrom der Lendenwirbelsäule ohne funktionelle Defizite, 3. chronische Spannungskopfschmerzen und 4. eine Neurasthenie. Diese Gesundheitsstörungen lägen seit April 1997 vor. Dr. M. äußerte zum beruflichen Leistungsvermögen, aus neurologischer und psychiatrischer Sicht könne die Klägerin seit April 1997 unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten noch vollschichtig (d.h. acht Stunden täglich) verrichten. Wegen der auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehenden Symptomatik sei das Heben oder Tragen von Lasten über 15 kg, Arbeiten in Zwangshaltungen sowie im Akkord bzw. mit vermehrter psychischer Belastung nicht mehr möglich. Beschränkungen des Anmarschweges bestünden nicht. Die Klägerin könne sich innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit noch auf eine andere als die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit umstellen.

Nach Dr. S. liegen bei der Klägerin auf internistischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen vor: 1. Belastungshypertonie erheblichen Umfangs. 2. Hypertone Kardiomyopathie: a) Herzrhythmusstörung mit dringendem Verdacht auf belastungsbedingt auftretende Asystolie; b) coronare Herzerkrankung. 3. Zustand nach Myokarditis. 4. Hashimoto-Thyreoiditis, dringender Verdacht auf Verschlimmerung. 5. Chronischer Kopfschmerz bei Hypertonie. 8. Visusstörung. Die Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet stünden auch sozialmedizinisch in ihrer Bedeutung weit im Vordergrund, so daß bei Zusammenschau der auf den verschiedenen Fachgebieten vorliegenden Gesundheitsstörungen derzeit eine vollschichtige Berufstätigkeit nicht mehr in Betracht komme. Die bei der Klägerin feststellbaren Gesundheitsstörungen aus dem internistischen Bereich ließen keine akute Entwicklung, sondern eher einen protrahierten Verlauf erkennen. Es sei davon auszugehen, daß ab 1997 zunächst noch leichte Arbeiten möglich gewesen seien, wobei die aktuelle Situation allerdings Ausdruck eines bereits 1991 und 1992 beschriebenen Hochdruckleidens sei. Bei vorsichtiger Beurteilung könne retrospektiv davon ausgegangen werden, daß der jetzige Zustand seit Anfang 2001 bestehe. Aufgrund der Gesundheitsstörungen aus internistischer Sicht seien derzeit höchstens noch Arbeitsleistungen von drei Stunden täglich möglich. Es bestehe begründete Aussicht (sei überwiegend wahrscheinlich), daß unter entsprechenden - vor allem internistisch-kardiologischen und endokrinologischen - Maßnahmen eine Besserung in absehbarer Zeit eintreten werde. Voraussetzung sei diesbezüglich eine konsequente Hochdruckbehandlung mit engmaschiger Überwachung auch unter Belastung, eventuell eine Schrittmacherimplantation, eine Behandlung der Coronarerkrankung usw. Innerhalb von drei Jahren könnten dann wieder leichte Arbeiten vollschichtig verrichtet werden.

In einer Äußerung des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten/Internist, Betriebsmedizin, Sozialmedizin, Psychotherapie Dr.med.Dipl.Psych. R. vom 1.2.2002 wurde demgegenüber die Auffassung vertreten, die Erkrankungen der Klägerin seien noch nicht so weit fortgeschritten, daß nicht noch leichte Arbeiten vollschichtig möglich wären.

Hiergegen nahm Dr. S. unter dem 12.3.2002 Stellung, wobei er sich im einzelnen mit den Einwänden von Dr. R. befaßte und sie als unberechtigt darstellte.

Nun holte der Senat weitere Befundberichte ein (Internist/Endokrinologe Dr. G. , Befundbericht vom 17.6.2002; Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. , Befundbericht vom 19.6.2002), zog die Rentenakten der LVA Hannover bei und ließ sich von der Klägerin die in ihrem Besitz befindlichen ärztlichen Unterlagen vorlegen.

Sodann beauftragte der Senat den Internisten Dr. E. mit der weiteren und zugleich zusammenfassenden Begutachtung des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin.

Dr. E. stellte bei der Klägerin auf seinem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Arterieller Hypertonus mit Verdacht auf beginnende Augenhintergrundveränderung entsprechend den Vorbefunden. 2. Verdacht auf Außenschichtschädigung nach durchgemachter Myokarditis; Verdacht auf intermittierenden AV-Block entsprechend den Vorgutachten (differentialdiagnostisch: möglicherweise WPW-Syndrom). 3. Zustand nach Hashimoto-Thyreoiditis, kleiner Herdbefund rechter Schilddrüsenlappen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des nervenärztlichen Gutachtens Dr. M. und des orthopädischen Gutachtens Dr. T. sowie auch der internistischen Begutachtung durch Dr. S. sei die Klägerin seit April 1997 und auch bis jetzt noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses acht Stunden täglich zu arbeiten. Sie könne nur noch leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen verrichten, wobei auch die Möglichkeit eines gelegentlichen Positionswechsel gegeben sein sollte. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit häufigem Bücken oder länger dauernden Zwangshaltungen, Heben oder Tragen von Lasten über 10 kg, Tätigkeiten in oder über der Horizontalen, Tätigkeiten auf Leitern, Gerüsten oder an gefährdenden Maschinen, außerdem Tätigkeiten im Akkord oder mit vermehrter psychischer Belastung. Die Klägerin sei in der Lage, Wegstrecken von deutlich mehr als 500 Metern viermal am Tag in angemessener Geschwindigkeit zurückzulegen.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.1.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3.9.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.5.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund ihres Antrags vom 21.10.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise - ab 1.1.2001 - eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG Landshut vom 24.1.2000 ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und - ab 1.1.2001 - auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, daß dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch der Klägerin sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, daß jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12. 2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F., da sie bis jetzt noch nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen bei der Klägerin nicht vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ist bereits eingeschränkt. Sie ist aber bis jetzt noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses acht Stunden täglich zu arbeiten, wobei sie aber nur noch leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen verrichten kann und die Möglichkeit eines gelegentlichen Positionswechsels gegeben sein sollte. Zu vermeiden sind Tätigkeiten mit häufigem Bücken oder länger dauernden Zwangshaltungen, Heben oder Tragen von Lasten über 10 kg, Tätigkeiten in oder über der Horizontalen, Tätigkeiten auf Leitern, Gerüsten oder an gefährdenden Maschinen, außerdem Tätigkeiten im Akkord oder mit vermehrter psychischer Belastung. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da die Klägerin die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10). Sie kann sich auch noch innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit auf eine andere als die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit umstellen.

Dieses berufliche Leistungsvermögen der Klägerin ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. T. , des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. und des Internisten Dr. E. , denen sich der Senat anschließt. Nicht überzeugen kann das Gutachten Dr.S. , das Dr. E. nachvollziehbar widerlegt hat.

Bei der Klägerin liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:

- aus orthopädischer Sicht:

1. Fehlstatisches Halswirbelsäulen-, Brustwirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom mit zur Dekompensation neigender Torsionsskoliose und Beinverkürzung links von 1 cm ohne sichere radikuläre sensible oder motorische Defizite.

2. Mäßiggradige Osteoporose mit leichter Progredienz, hauptsächlich im Bereich der Lendenwirbelsäule.

3. Leichtgradige Coccygodynie.

4. Geringgradige radiale Epicondylopathie beidseits (sogenannter Tennisellenbogen).

5. Geringgradige Chondropathia-patellae-Symptomatik links.

- aus nervenärztlicher Sicht:

1. Chronisches Syndrom der Halswirbelsäule ohne funktionelle Defizite.

2. Chronisches Syndrom der Lendenwirbelsäule ohne funktionelle Defizite.

3. Chronische Spannungskopfschmerzen.

4. Neurasthenie.

- aus internistischer Sicht:

1. Arterieller Hypertonus mit Verdacht auf beginnende Augenhintergrundveränderung entsprechend den Vorbefunden.

2. Verdacht auf Außenschichtschädigung nach durchgemachter Myokarditis; Verdacht auf intermittierenden AV-Block entsprechend den Vorgutachten (differentialdiagnostisch: möglicherweise WPW-Syndrom).

3. Zustand nach Hashimoto-Thyreoiditis, kleiner Herdbefund rechter Schilddrüsenlappen.

Im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik der Klägerin stehen die Schmerzen von seiten des Stütz- und Bewegungsapparates. Eine sichtbare Verschlechterung gegenüber den von Dr. T. erhobenen orthopädischen Vorbefunden ist im Rahmen der Untersuchungen durch Dr. E. nicht feststellbar gewesen. Es ergibt sich somit keine neue sozialmedizinische Bewertung. Im Rahmen der internistischen Begutachtung durch Dr. E. ging es vor allem darum, die erhobenen Befunde des Vorgutachtens von Dr.S. zu ergänzen und nochmals zu bewerten. Hierbei ergab sich, daß das langjährige Hochdruckleiden sich noch nicht negativ auf den Herzmuskel im Sinne einer hypertensiven Herzerkrankung ausgewirkt hat. Bestätigt werden konnte lediglich, daß die Blutdruckeinstellung als nicht ausreichend anzusehen ist. Auch ergaben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung, auch wenn diese ohne invasive Methoden nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Die vermuteten Herzrhythmusstörungen konnten durch Dr. E. nicht bestätigt werden. Im Gegensatz zu Dr.S. ist somit im Anschluß an Dr. E. von einem vollschichtigen beruflichen Leistungsvermögen auszugehen, wobei die oben näher dargestellten qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen sind.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend derjenige, den die Klägerin bei der Firma G. Fleischwaren GmbH, B. , als Hilfskraft (Würstchen-Sortierung, Verpackung und allgemeine Hilfsarbeiten, auch Reinigungsarbeiten) ausgeübt hat. Diesen Beruf kann die Klägerin nicht mehr ausüben, weil allgemeine Hilfsarbeiten und Reinigungsarbeiten regelmäßig über leichte Arbeiten hinausgehen.

Obwohl die Klägerin ihren maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist sie aber dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des ange1ernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließ1ich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbi1dung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr.5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die als Hilfskraft beschäftigte Klägerin der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar höchstens des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45), zuzuordnen.

Als angelernter Arbeiterin des unteren Bereichs ist der Klägerin die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernten - Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es grundsätzlich nicht. Auch liegt bei der Klägerin weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einer Versicherten erforderlich machen würde, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Dennoch sei darauf hingewiesen, daß die Klägerin noch ohne weiteres leichte Verpackungs-, Sortier- und Überwachungsarbeiten verrichten könnte. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, daß nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und daß hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Die Klägerin, die keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI, gültig bis 31.12. 2000, weil sie die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie die Klägerin - (irgend)eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat die Klägerin ab 1.1.2001 keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn eine Versicherte - wie die Klägerin - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen vollschichtig ausüben kann.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Landshut vom 24.1.2000 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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