Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 83/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Der am 00.00.1956 geborene Kläger war von 00.1978 bis 00.1983 und von 00.1984 bis 00.1995 als Schmied (Hammerführer) tätig.
Im November 1995 zeigte der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. B-E, eine Wirbelsäulenerkrankung an, die von dem Kläger auf seine starke körperliche Belastung zurückgeführt werde. Bezüglich des Verdachts auf das Vorliegen einer BK 2108 zog die Beklagte eine Arbeitgeberauskunft sowie Vorerkrankungsverzeichnisse des Klägers bei und holte eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes ein. Dieser ging davon aus, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108 nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 17.09.1996 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung einer BK 2108 ab. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.1997 zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 06.06.1997 Klage erhoben. Seiner Auffassung nach sind die Voraussetzungen der BK 2108 wegen seiner beruflich schweren körperlichen Belastung gegeben. Im übrigen habe er an der Halswirbelsäule (HWS) und Brustwirbelsäule (BWS) zu keiner Zeit Beschwerden gehabt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1997 zu verurteilen, ihm anlässlich der Berufskrankheit Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 vorliegen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zunächst durch Beiziehung der medizinischen Gutachten aus dem Rentenverfahren des Klägers und durch Einholung von Auskünften des Arbeitgebers des Klägers. Nach Auswertung letzterer ist der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten weiterhin davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108 nicht erfüllt seien. Anschließend hat das Gericht den Orthopäden Dr. N um die Erstattung eines Gutachtens zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen Berufstätigkeit und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule gebeten. Dr. N ist in seinem Gutachten vom 07.01.2001 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Abwägung der zu diskutierenden Faktoren ein Zusammenhang verneint werden müsse. Insbesondere sei ein Bandscheibenschaden bereits 1981, also nach kurzer beruflicher Belastung und in jungem Alter aufgetreten. Darüber hinaus seien BWS und HWS des Klägers gleichermaßen wie die Lendenwirbelsäule von degenerativen Veränderungen betroffen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ist im folgenden Dr. T mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29.03.2001 die Auffassung vertreten, dass die medizinischen Voraussetzungen für die BK 2108 vorliegen würden. Zwar habe der Kläger frühzeitig an Wirbelsäulenbeschwerden gelitten, jedoch sei ein Bandscheibenschaden erst 1993, also nach langer beruflicher Belastung aufgetreten. Brust- und Halswirbelsäule des Klägers seien nur mäßiggradig betroffen.
Im Hinblick auf die einander widersprechenden Gutachten hat das Gericht Dr. T1 um die Erstattung eines weiteren fachorthopädischen Gutachtens ersucht. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.04.2002 das Ergebnis von Dr. N bestätigt und einen Zusammenhang zwischen Berufstätigkeit und Wirbelsäulenleiden des Klägers verneint. Zur Begründung hat er insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beginn der Erkrankung 1981 zu datieren sei. Soweit Dr. T anführe, dass ein Bandscheibenschaden erst 1993 aufgetreten sei, müsse bedacht werden, dass eine Bandscheibenerkrankung nicht mit einem Bandscheibenvorfall, sondern bereits erheblich früher mit chronisch-wiederkehrenden Schmerzen beginne. Im übrigen seien Brust- und Halswirbelsäule des Klägers in gleichem Maße betroffen wie die Lendenwirbelsäule. Warum Dr. T hierzu eine andere Auffassung vertrete, sei nicht ersichtlich, zumal die entsprechenden bildgebenden Aufnahmen von Dr. T offensichtlich überhaupt nicht ausgewertet worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 17.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1997 nicht im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese Bescheide nicht rechtswidrig sind. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, bei dem Kläger eine BK 2108 nach der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen.
Der geltend gemachte Anspruch des Klägers richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Anlage 1 zur BKVO, da die von ihm geltend gemachte Berufskrankheit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01. Januar 1997 eingetreten ist (Art.36 des Unfallversicherungs-Einordungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente (§§ 580, 581 RVO). Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs.1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO in der hier anwendbaren Fassung der 2. ÄndVO gehören zu den Berufskrankheiten auch "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK 2108 der Anlage 1 zur BKVO muss bei dem Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ("arbeitstechnische Voraussetzungen") entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe der Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG, Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R).
Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger während seiner Berufstätigkeit in den Jahren 1978 bis 1983 und 1984 bis 1995 in hinreichendem Maße einer schädigenden Exposition ausgesetzt war. Dies ist vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten verneint worden.
Die Frage, ob eine haftungsbegründende Kausalität vorliegt, kann jedoch letztlich offen bleiben. Es steht nämlich unter Zugrundelegung der Gutachten von Dr. N und Dr. T1 zur Überzeugung der Kammer fest, dass die haftungsausfüllende Kausalität verneint werden muss. Wenn auch bei dem Kläger eine primäre bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegt und damit ein Krankheitsbild besteht, wie es die BK 2108 voraussetzt, so ist nicht wahrscheinlich gemacht, dass diese Erkrankung ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen wäre. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist erst dann gegeben, wenn nach geltender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die gegenteiligen deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Rdnr. 10.1 m. w. N.; LSG NRW, Urteil vom 10.05.2000, L 17 U 296/97).
Nach den derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen sprechen im Rahmen einer Individualanalyse folgende Kriterien für eine beruflich bedingte Verursachung des Bandscheibenschadens (vgl. LSG NRW, a. a. o.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.05.2000, L 3 U 123/99; vgl. zu den Kriterien auch Mehrtens-Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Handkommentar, M 2108):
Ein deutlich altersvorauseilender Verschleiß bei röntgenologischem Vergleich mit der Altersgruppe, ein Auftreten der Beschwerden nach einer beruflichen Belastung von mehr als 10 Jahren, ein belastungskonformes Schadensbild mit von unten nach oben abnehmenden Schäden der Lendenwirbelsäule, da im unteren LWS-Bereich der Schwerpunkt der mechanischen Einwirkungen bei Hebevorgängen stattfindet. Gegen eine berufliche Verursachung sprechen:
Eine gleichmäßig starke oder stärkere Veränderung der Bandscheiben auch an HWS bzw. BWS, ein Auftreten der Veränderungen vor Vollendung des 3. Lebensjahrzehnts, konkurrierenden Ursachen aus dem privaten Bereich. Nach den Gutachten von Dr. N und Dr. T1 ist ein Überwiegen der Umstände, die für einen Kausalzusammenhang sprechen, nicht ersichtlich. Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses dieser Gutachten hat die Kammer nicht. Bei Dr. N und Dr. T1 handelt es sich um bei der Beurteilung berufsbedingter Wirbelsäulenerkrankungen erfahrene Fachärzte. Dr. N hat bereits in einer Vielzahl von Fällen der 13. Kammer Gutachten zu den medizinischen Voraussetzungen der BK 2108 erstattet, wobei sein Ergebnis bisher in allen Fällen durch die gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist. Dr. T1 hat seine gutachterliche Tätigkeit seit Aufnahme der BK 2108 in die Berufskrankheitenliste wesentlich auf die Beurteilung deren medizinischer Voraussetzungen konzentriert und zahlreiche Gutachten zu dieser Frage auch für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erstellt. Der hohe Fundus an Vergleichsmöglichkeiten und die intensive Beschäftigung mit dieser Materie untermauern seine fachliche Kompetenz.
Die Sachverständigen haben nachvollziehbar dargelegt, dass die Berufstätigkeit des Klägers nicht als eine wesentliche Ursache für den Bandscheibenschaden an der LWS anzusehen ist. Gegen eine berufliche Verursachung spricht zunächst die Tatsache, dass der exponierte Wirbelsäulenabschnitt der Lendenwirbelsäule nicht besonders akzentuiert betroffen ist, sondern vielmehr auch an der Hals- und Brustwirbelsäule Veränderungen bestehen, die sich in ihrem Ausmaß so gut wie nicht von dem Verschleiß im Bereich der LWS unterscheiden. Nicht nachvollziehbar ist hier, wieso Dr. T von einer geringeren Betroffenheit der degenerativen Veränderungen an Hals- und Brustwirbelsäule des Klägers ausgeht, obwohl in seinem Gutachten die Auswertung entsprechender Aufnahmen nicht dokumentiert ist. Hier ist der Auffassung von Dr. N und Dr. T1 zu folgen, die ihre Meinung insoweit fundiert begründet haben, als Dr. N sich auf ein eingeholtes röntgenologischen Zusatzgutachten bezogen und Dr. T1 die maßgeblichen Aufnahmen zusätzlich selbst ausgewertet hat. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht weiter die Tatsache, dass die Ersterkrankung bereits 1981 und damit in jungem Alter (vor Beendigung des 3. Lebensjahrzehnts) aufgetreten ist. Soweit Dr. T demgegenüber ausführt, die Erstmanifestation der Lendenwirbelsäulenerkrankung müsse auf das Jahr 1993 datiert werden, weil erst zu diesem Zeitpunkt ein Bandscheibenvorfall aufgetreten sei, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Grund hierfür ist, dass eine Bandscheibenerkrankung nicht mit einem Bandscheibenvorfall beginnt, sondern - worauf Dr. T1 zu Recht hinweist - mit dem hier seit 1981 dokumentierten Krankheitsbild chronisch-wiederkehrender Schmerzen. Umstände, die für einen Ursachenzusammenhang sprechen, sind nicht ersichtlich. So ließ sich nicht beurteilen, ob ein altersvorauseilender Verschleißzustand der LWS besteht. Auch das Verteilungsmuster innerhalb der LWS war nur unspezifisch und daher als Kriterium für einen Ursachenzusammenhang ungeeignet. Schließlich trat die Ersterkrankung bereits nach lediglich kurzer Expositionsdauer von 3-4 Jahren auf. Der diesbezüglich gegenteiligen Auffassung von Dr. T konnte aus den oben genannten Gründen nicht gefolgt werden.
Soweit der Kläger zur Stützung seines Anspruchs ergänzend darauf hinweist, er habe zu keiner Zeit Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule gehabt, kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts führen. Das Ausmaß des klinischen Befundes ist kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der Kausalitätsfrage, zumal bekannt ist, dass der klinische und der radiologische Befund auseinanderfallen und Bandscheibenprotrusionen und selbst ein Prolaps häufig klinisch stumm sein können (LSG NRW, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Der am 00.00.1956 geborene Kläger war von 00.1978 bis 00.1983 und von 00.1984 bis 00.1995 als Schmied (Hammerführer) tätig.
Im November 1995 zeigte der behandelnde Arzt des Klägers, Dr. B-E, eine Wirbelsäulenerkrankung an, die von dem Kläger auf seine starke körperliche Belastung zurückgeführt werde. Bezüglich des Verdachts auf das Vorliegen einer BK 2108 zog die Beklagte eine Arbeitgeberauskunft sowie Vorerkrankungsverzeichnisse des Klägers bei und holte eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes ein. Dieser ging davon aus, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108 nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 17.09.1996 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung einer BK 2108 ab. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.1997 zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 06.06.1997 Klage erhoben. Seiner Auffassung nach sind die Voraussetzungen der BK 2108 wegen seiner beruflich schweren körperlichen Belastung gegeben. Im übrigen habe er an der Halswirbelsäule (HWS) und Brustwirbelsäule (BWS) zu keiner Zeit Beschwerden gehabt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1997 zu verurteilen, ihm anlässlich der Berufskrankheit Nr.2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 vorliegen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zunächst durch Beiziehung der medizinischen Gutachten aus dem Rentenverfahren des Klägers und durch Einholung von Auskünften des Arbeitgebers des Klägers. Nach Auswertung letzterer ist der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten weiterhin davon ausgegangen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108 nicht erfüllt seien. Anschließend hat das Gericht den Orthopäden Dr. N um die Erstattung eines Gutachtens zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen Berufstätigkeit und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule gebeten. Dr. N ist in seinem Gutachten vom 07.01.2001 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei Abwägung der zu diskutierenden Faktoren ein Zusammenhang verneint werden müsse. Insbesondere sei ein Bandscheibenschaden bereits 1981, also nach kurzer beruflicher Belastung und in jungem Alter aufgetreten. Darüber hinaus seien BWS und HWS des Klägers gleichermaßen wie die Lendenwirbelsäule von degenerativen Veränderungen betroffen.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ist im folgenden Dr. T mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29.03.2001 die Auffassung vertreten, dass die medizinischen Voraussetzungen für die BK 2108 vorliegen würden. Zwar habe der Kläger frühzeitig an Wirbelsäulenbeschwerden gelitten, jedoch sei ein Bandscheibenschaden erst 1993, also nach langer beruflicher Belastung aufgetreten. Brust- und Halswirbelsäule des Klägers seien nur mäßiggradig betroffen.
Im Hinblick auf die einander widersprechenden Gutachten hat das Gericht Dr. T1 um die Erstattung eines weiteren fachorthopädischen Gutachtens ersucht. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.04.2002 das Ergebnis von Dr. N bestätigt und einen Zusammenhang zwischen Berufstätigkeit und Wirbelsäulenleiden des Klägers verneint. Zur Begründung hat er insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beginn der Erkrankung 1981 zu datieren sei. Soweit Dr. T anführe, dass ein Bandscheibenschaden erst 1993 aufgetreten sei, müsse bedacht werden, dass eine Bandscheibenerkrankung nicht mit einem Bandscheibenvorfall, sondern bereits erheblich früher mit chronisch-wiederkehrenden Schmerzen beginne. Im übrigen seien Brust- und Halswirbelsäule des Klägers in gleichem Maße betroffen wie die Lendenwirbelsäule. Warum Dr. T hierzu eine andere Auffassung vertrete, sei nicht ersichtlich, zumal die entsprechenden bildgebenden Aufnahmen von Dr. T offensichtlich überhaupt nicht ausgewertet worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 17.09.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.1997 nicht im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese Bescheide nicht rechtswidrig sind. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, bei dem Kläger eine BK 2108 nach der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen.
Der geltend gemachte Anspruch des Klägers richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Anlage 1 zur BKVO, da die von ihm geltend gemachte Berufskrankheit vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01. Januar 1997 eingetreten ist (Art.36 des Unfallversicherungs-Einordungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente (§§ 580, 581 RVO). Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs.1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO in der hier anwendbaren Fassung der 2. ÄndVO gehören zu den Berufskrankheiten auch "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK 2108 der Anlage 1 zur BKVO muss bei dem Versicherten mithin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegen, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ("arbeitstechnische Voraussetzungen") entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe der Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein (BSG, Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R).
Für das Vorliegen des Tatbestandes der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger während seiner Berufstätigkeit in den Jahren 1978 bis 1983 und 1984 bis 1995 in hinreichendem Maße einer schädigenden Exposition ausgesetzt war. Dies ist vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten verneint worden.
Die Frage, ob eine haftungsbegründende Kausalität vorliegt, kann jedoch letztlich offen bleiben. Es steht nämlich unter Zugrundelegung der Gutachten von Dr. N und Dr. T1 zur Überzeugung der Kammer fest, dass die haftungsausfüllende Kausalität verneint werden muss. Wenn auch bei dem Kläger eine primäre bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegt und damit ein Krankheitsbild besteht, wie es die BK 2108 voraussetzt, so ist nicht wahrscheinlich gemacht, dass diese Erkrankung ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen wäre. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist erst dann gegeben, wenn nach geltender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel an einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen danach die gegenteiligen deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Rdnr. 10.1 m. w. N.; LSG NRW, Urteil vom 10.05.2000, L 17 U 296/97).
Nach den derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen sprechen im Rahmen einer Individualanalyse folgende Kriterien für eine beruflich bedingte Verursachung des Bandscheibenschadens (vgl. LSG NRW, a. a. o.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.05.2000, L 3 U 123/99; vgl. zu den Kriterien auch Mehrtens-Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Handkommentar, M 2108):
Ein deutlich altersvorauseilender Verschleiß bei röntgenologischem Vergleich mit der Altersgruppe, ein Auftreten der Beschwerden nach einer beruflichen Belastung von mehr als 10 Jahren, ein belastungskonformes Schadensbild mit von unten nach oben abnehmenden Schäden der Lendenwirbelsäule, da im unteren LWS-Bereich der Schwerpunkt der mechanischen Einwirkungen bei Hebevorgängen stattfindet. Gegen eine berufliche Verursachung sprechen:
Eine gleichmäßig starke oder stärkere Veränderung der Bandscheiben auch an HWS bzw. BWS, ein Auftreten der Veränderungen vor Vollendung des 3. Lebensjahrzehnts, konkurrierenden Ursachen aus dem privaten Bereich. Nach den Gutachten von Dr. N und Dr. T1 ist ein Überwiegen der Umstände, die für einen Kausalzusammenhang sprechen, nicht ersichtlich. Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses dieser Gutachten hat die Kammer nicht. Bei Dr. N und Dr. T1 handelt es sich um bei der Beurteilung berufsbedingter Wirbelsäulenerkrankungen erfahrene Fachärzte. Dr. N hat bereits in einer Vielzahl von Fällen der 13. Kammer Gutachten zu den medizinischen Voraussetzungen der BK 2108 erstattet, wobei sein Ergebnis bisher in allen Fällen durch die gerichtliche Entscheidung bestätigt worden ist. Dr. T1 hat seine gutachterliche Tätigkeit seit Aufnahme der BK 2108 in die Berufskrankheitenliste wesentlich auf die Beurteilung deren medizinischer Voraussetzungen konzentriert und zahlreiche Gutachten zu dieser Frage auch für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erstellt. Der hohe Fundus an Vergleichsmöglichkeiten und die intensive Beschäftigung mit dieser Materie untermauern seine fachliche Kompetenz.
Die Sachverständigen haben nachvollziehbar dargelegt, dass die Berufstätigkeit des Klägers nicht als eine wesentliche Ursache für den Bandscheibenschaden an der LWS anzusehen ist. Gegen eine berufliche Verursachung spricht zunächst die Tatsache, dass der exponierte Wirbelsäulenabschnitt der Lendenwirbelsäule nicht besonders akzentuiert betroffen ist, sondern vielmehr auch an der Hals- und Brustwirbelsäule Veränderungen bestehen, die sich in ihrem Ausmaß so gut wie nicht von dem Verschleiß im Bereich der LWS unterscheiden. Nicht nachvollziehbar ist hier, wieso Dr. T von einer geringeren Betroffenheit der degenerativen Veränderungen an Hals- und Brustwirbelsäule des Klägers ausgeht, obwohl in seinem Gutachten die Auswertung entsprechender Aufnahmen nicht dokumentiert ist. Hier ist der Auffassung von Dr. N und Dr. T1 zu folgen, die ihre Meinung insoweit fundiert begründet haben, als Dr. N sich auf ein eingeholtes röntgenologischen Zusatzgutachten bezogen und Dr. T1 die maßgeblichen Aufnahmen zusätzlich selbst ausgewertet hat. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht weiter die Tatsache, dass die Ersterkrankung bereits 1981 und damit in jungem Alter (vor Beendigung des 3. Lebensjahrzehnts) aufgetreten ist. Soweit Dr. T demgegenüber ausführt, die Erstmanifestation der Lendenwirbelsäulenerkrankung müsse auf das Jahr 1993 datiert werden, weil erst zu diesem Zeitpunkt ein Bandscheibenvorfall aufgetreten sei, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen. Grund hierfür ist, dass eine Bandscheibenerkrankung nicht mit einem Bandscheibenvorfall beginnt, sondern - worauf Dr. T1 zu Recht hinweist - mit dem hier seit 1981 dokumentierten Krankheitsbild chronisch-wiederkehrender Schmerzen. Umstände, die für einen Ursachenzusammenhang sprechen, sind nicht ersichtlich. So ließ sich nicht beurteilen, ob ein altersvorauseilender Verschleißzustand der LWS besteht. Auch das Verteilungsmuster innerhalb der LWS war nur unspezifisch und daher als Kriterium für einen Ursachenzusammenhang ungeeignet. Schließlich trat die Ersterkrankung bereits nach lediglich kurzer Expositionsdauer von 3-4 Jahren auf. Der diesbezüglich gegenteiligen Auffassung von Dr. T konnte aus den oben genannten Gründen nicht gefolgt werden.
Soweit der Kläger zur Stützung seines Anspruchs ergänzend darauf hinweist, er habe zu keiner Zeit Schmerzen im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule gehabt, kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts führen. Das Ausmaß des klinischen Befundes ist kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der Kausalitätsfrage, zumal bekannt ist, dass der klinische und der radiologische Befund auseinanderfallen und Bandscheibenprotrusionen und selbst ein Prolaps häufig klinisch stumm sein können (LSG NRW, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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