L 17 RA 55/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 1372/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RA 55/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. November 2000 bis 30. November 2001.

Der am 4. August 1959 geborene Kläger erlernte von September 1974 bis August 1977 den Beruf eines Sozialversicherungsfachangestellten. Bis 1998 war er zuletzt als Abteilungsleiter und stellvertretender Bezirksgeschäftsführer bei der Barmer Ersatzkasse beschäftigt. Ihm wurde gekündigt, weil er Unterschlagungen begangen hatte. Von 1999 bis Juni 2000 war er als Finanzberater selbständig tätig. Im Juli 2000 trat er eine fünfjährige Haftstrafe an. Er arbeitete im Rahmen des Strafvollzugs geringfügig als Maler und, seitdem er im Dezember 2001 Freigänger wurde, als Paketbote/Kurierfahrer in einer Vollzeitbeschäftigung.

Im November 2000 stellte der Kläger einen Rentenantrag und machte zu dessen Begründung geltend, er halte sich seit dem 6. September 2000 wegen einer Hautkrebserkrankung für berufs- bzw. erwerbsunfähig. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte die Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. Sch. am 30. Januar 2001 ein fachärztliches Gutachten, in dem sie ein Syndrom atypischer dysplastischer Naevi diagnostizierte und angab, UV-Exposition müsse vermieden werden. Im erlernten Beruf und in der zuletzt ausgeübten Beschäftigung sei der Kläger nicht beeinträchtigt.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2001 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Im dagegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, es habe erneut eine Entfernung suspekter Naevi zum Ausschluss einer Melanomerkrankung stattgefunden. Die Untersuchung habe einen "leicht erhabenen Tumor" ergeben. Außerdem leide er aufgrund seiner veränderten Lebensform unter schweren Depressionen, weshalb er sich auch in psychischer Behandlung befinde. Die Beklagte holte einen Befundbericht der praktischen Ärztin Dr. P. vom 25. Juni 2001 ein und veranlasste eine Begutachtung durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B ... In ihrem Gutachten vom 17. Oktober 2001 diagnostizierte sie eine ausgeprägte depressive Anpassungsstörung und gelangte zu der Einschätzung, der Kläger könne noch vollschichtig mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten verrichten. Es liege eine geringe Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit und des Antriebs vor. Eine Besserung der Beschwerden unter Behandlung sei zu erwarten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2002 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Nach den im Rentenverfahren getroffenen medizinischen Feststellungen sei der Kläger noch in der Lage, in seinem bisherigen Beruf als Abteilungsleiter/Wirtschaftsberater vollschichtig tätig zu sein. Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit lägen deshalb nicht vor.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 19. Februar 2002 Klage erhoben und zu deren Begründung geltend gemacht, aufgrund seines psychischen Zustandes sei er im geltend gemachten Zeitraum nicht in der Lage gewesen, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Das Sozialgericht hat Befundberichte von der praktischen Ärztin Dr. P. (vom 6. Juni 2002) und vom Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. L. (vom 7. Juni 2002) eingeholt.

Mit Urteil vom 11. September 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach den im Rentenverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten noch in der Lage, seinen erlernten Beruf als Sozialversicherungsangestellter vollschichtig auszuüben. Auch nach dem von der praktischen Ärztin Dr. P. erstellten Befundbericht vom 6. Juni 2002 könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger aufgrund seelischer Leiden in seinem Leistungsvermögen eingeschränkt sei. Nach Angaben der Ärztin habe sich sein Gesundheitszustand gebessert und aus ihrer Sicht könne er noch vollschichtig leichte Tätigkeiten verrichten. Anlass, weitere medizinische Ermittlungen durchzuführen, habe nicht bestanden. Der Kläger befinde sich nicht in nervenfachärztlicher Behandlung und dem Gericht lägen auch keine Befunde vor, die Zweifel an der Leistungsbeurteilung, wie sie die Gutachterin B. abgegeben habe, begründen könnten. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger zwischen Rentenantragstellung und Arbeitsaufnahme im Dezember 2001 berufs- oder erwerbsunfähig gewesen sei, denn eine derartige Leistungseinschränkung in jenem Zeitraum sei durch ärztliche Unterlagen nicht belegt.

Gegen das ihm am 2. Oktober 2002 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der bereits am 27. September 2002 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht er geltend, er habe den Eindruck, der Rentenantrag sei wegen seiner Straftat abgelehnt worden. Der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit bestehende Berufsschutz sei nicht berücksichtigt worden. Die Gutachterin B. habe zu Unrecht angenommen, dass er trotz der diagnostizierten ausgeprägten depressiven Anpassungsstörung in der Lage gewesen sei, eine Tätigkeit als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer auszuüben. Er leide nach wie vor unter psychischen Störungen, sei nunmehr in psychotherapeutischer Behandlung und könne wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes nach wie vor keine Tätigkeit in leitender Stellung ausüben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2002 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. November 2000 bis 30. November 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin zum Az.: S 13 RA 1372/02 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil vom 11. September 2002 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 neuer Fassung. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich gleichfalls nicht aus der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Neufassung des § 43 SGB VI.

Das vor dem 1. Januar 2001 geltende Recht kann hier - auch - angewandt werden, weil der Kläger den Rentenantrag bereits im November 2000 gestellt hat und auch Leistungen von dieser Zeit an begehrt (vgl. §§ 300 Abs. 2, 302 b Abs. 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 1 SGB VI a.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie

1. berufsunfähig sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Der Kläger erfüllt zwar die sog. versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Rentenart, er ist aber nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F.).

Der Kläger war im geltend gemachten Zeitraum nicht berufsunfähig, wobei im Ergebnis offen bleiben kann, ob er über ein ausreichendes psychisches Leistungsvermögen für die Tätigkeit als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer bzw. stellvertretender Abteilungsleiter bei einer Sozialversicherung verfügte.

Ausgangspunkt der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat. In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - vgl. SozR 2200 § 1246 Nr. 164). Da insoweit allein auf versicherungspflichtige Beschäftigungen abzustellen ist, bleibt die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines selbstständigen Finanzberaters außer Betracht und "bisheriger Beruf" ist der eines stellvertretenden Abteilungsleiters bei einem Sozialversicherungsträger. Diese Tätigkeit übte der Kläger bis zu seiner Kündigung aus.

Kann der Versicherte seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, führt dies noch nicht zur Berufsunfähigkeit. Diese liegt vielmehr nur dann vor, wenn es keine andere Tätigkeit gibt, die dem Versicherten sozial zumutbar ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich zu bewältigen vermag.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Bei der Bildung dieser Berufsgruppen ist insbesondere die Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, berücksichtigt worden. Es sind dementsprechend zu unterscheiden: 1. Angestellte ohne Ausbildung, 2. Angestellte mit einer Ausbildung bis zu 2 Jahren, 3. Angestellte mit einer längeren als zweijährigen (regelmäßig dreijährigen) Ausbildung, 4. Angestellte mit Vorgesetztenfunktion/spezifisch qualifizierte Angestellte, 5. Angestellte mit Tätigkeiten, die ein abgeschlossenes Studium voraussetzen, 6. Angestellte mit hoher beruflicher Qualität, die regelmäßig eine akademische oder vergleichbare Qualifikation voraussetzt, und mit einem Bruttoarbeitsentgelt oberhalb, an oder in der Nähe unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 13). Die Wertigkeit des bisherigen Berufes bestimmt die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit in der Weise, dass ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf nur auf die nächstniedrigere Stufe verwiesen werden darf.

Ausgehend von diesem Stufenschema ist die letzte Tätigkeit des Klägers als stellvertretender Abteilungsleiter in die 4. Gruppe (Angestellte mit Vorgesetztenfunktion) einzuordnen. Eine höhere Gruppe kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger kein abgeschlossenes Studium oder eine vergleichbare Qualifikation besitzt. Er kann damit sozial zumutbar auf Tätigkeiten der 3. Gruppe, zu der auch die Arbeit eines "einfachen" ausgebildeten Sozialversicherungsfachangestellten gehört, verwiesen werden.

Für eine derartige Tätigkeit verfügte der Kläger jedenfalls über ein ausreichendes Leistungsvermögen. Der Senat legt dabei die Feststellungen zugrunde, die von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. im Gutachten vom 17. Oktober 2001 getroffen wurden. Diese diagnostizierte zwar eine ausgeprägte depressive Anpassungsstörung stellte aber zugleich fest, dass die Konzentrationsfähigkeit allenfalls leicht beeinträchtigt war. Umstellfähigkeit, Aufmerksamkeit, Auffassung und mnestische Funktionen waren nicht grob gestört und der Kläger zu Ort, Zeit, Person und Situation voll orientiert. Das formale Denken war geordnet und flüssig. Der Antrieb erschien bei bedrückter Stimmung leicht reduziert. Insbesondere aufgrund der von der Gutachterin nur als gering beschriebenen Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit und des Antriebs sind keine Gründe dafür ersichtlich, warum der Kläger nicht jedenfalls eine Tätigkeit als Sozialversicherungsfachangestellter ohne Vorgesetzten- und Leitungsfunktion sowie ohne besondere Anforderungen an das Konzentrationsvermögen hätte ausüben können.

Anhaltspunkte dafür, dass gutachterlicherseits die psychischen Beschwerden, auf die im Klage- und Berufungsverfahren das Rentenbegehren allein gestützt wurde, unzutreffend beurteilt wurden, liegen nicht vor. Dass keine schweren Depressionen mit erheblichen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit vorlagen, wird hingegen durch weitere Umstände bestätigt. Der Kläger hatte den aus der Haft gestellten Rentenantrag zunächst ausschließlich auf eine Hauterkrankung gestützt. Die Gutachterin Sch. stelle keine psychischen Auffälligkeiten fest, sondern gab die Psyche betreffend ein "situationsgerechtes Verhalten" an. Von der behandelnden Ärztin Dr. P. wurden im Befundbericht vom 24. Juni 2001 ebenfalls keine Depressionen, sondern eine "akzentuierte Persönlichkeit mit narzisstischen Zügen" angegeben. In dem von ihr für das Sozialgericht am 6. Juni 2002 erstellten Befundbericht wird als Diagnose zwar auch eine reaktive Depression bei psychophysischen Erschöpfungszustand beschrieben, gleichwohl hielt die behandelnde Ärztin den Kläger aber für fähig, vollschichtig leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen auszuführen.

Zur Durchführung der vom Kläger angeregten weiteren medizinischen Ermittlungen sah sich der Senat nicht gedrängt, denn der Sachverhalt ist geklärt. Die vorliegenden medizinischen Unterlagen belegen, dass der Kläger im geltend gemachten zurückliegenden Zeitraum nicht an einer psychischen Erkrankung litt, die seine Erwerbsfähigkeit erheblich einschränkte. Zudem könnte bei einer nunmehr durchgeführten erneuten neurologisch-psychiatrischen Begutachtung im Wesentlichen nur der derzeitige Zustand des Klägers ermittelt werden. Rückschlüsse auf einen bereits bei der Berufungseinlegung ca. ein Jahr zurückliegenden Zeitraum wären - anders als beispielsweise bei körperlichen Verschleißerkrankungen - nur sehr begrenzt möglich, so dass eine erneute Begutachtung auch aus diesem Grunde unterbleiben konnte.

Es besteht auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweise oder voller Erwerbsminderung seit dem 1. Januar 2001 nach § 43 SGB VI in der geltenden Fassung, da der Kläger noch Arbeiten vollschichtig ausüben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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