L 2 U 22/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 35/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 22/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.12.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger nach einem Arbeitsunfall am 21.10.1997 Verletztenrente über den 31.07.2000 hinaus zusteht.

Bei dem Arbeitsunfall zog sich der Kläger einen Außenknöcheltrümmerbruch rechts mit Riss der vorderen Syndesmose sowie eine Prellung des linken Unterschenkels und Schürfwunden an beiden Unterschenkeln zu. Die Beklagte holte Berichte des Durchgangsarztes Dr.S. und der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. sowie ein Gutachten des Chirurgen Prof. Dr.H. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , vom 25.01.1999 ein. Die behandelnden und die begutachtenden Ärzte wiesen jeweils durchgehend auf eine Diskrepanz zwischen den objektiven Befunden und dem Verhalten des Klägers hin, sowohl was seine Schmerzangaben, seine Mitarbeit bei der Untersuchung als auch die demonstrierten Gehbehinderungen betraf. Entsprechend dem Gutachten des Prof.Dr.H. gewährte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 26.03.1999 eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.1999. Der Kläger legte wegen der Höhe der MdE Widerspruch ein und begehrte darüber hinaus die Weitergewährung der Rente.

Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Chirurg Dr.G. kam in seinem Gutachten vom 28.09.1999 zu einer MdE um 20 v.H. über den 01.08.1999 hinaus und empfahl eine weitere Untersuchung nach einem Jahr. Das oben beschriebene Verhalten des Klägers wurde auch von diesem Sachverständigen des Näheren dargestellt.

Mit Bescheid vom 15.10.1999 gewährte die Beklagte vorläufige Rente nach einer MdE um 20 v.H. bis auf weiteres. Den aufrecht erhaltenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1999 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Beklagte mit Bescheid vom 28.07.2000 die Verletztenrente mit Ablauf des Monats Juli 2000 entzogen. Grundlage war ein Gutachten des Dr.G. vom 28.06.2000. Darin ist die unfallbedingte MdE mit 10 v.H. eingeschätzt. Dies rechtfertige sich daraus, dass eine wesentliche Deformierung am rechten Sprunggelenk nicht mehr bestehe. Auch die Knorpelaufbrauchschäden am rechten oberen Sprunggelenk seien im Vergleich zu links sehr geringfügig. Am unteren Sprunggelenk lägen ohnehin im Unfallzusammenhang keine Degenerationszeichen vor. Die Bewegungseinschränkung, sicher schwierig zu messen bei den deutlichen Aggravationstendenzen, könne für das obere Sprunggelenk als nicht mehr gravierend angesehen werden. Für das untere Sprunggelenk seien posttraumatische Bewegungseinschränkungen ohnehin nicht anzunehmen, da dieser Gelenksbereich nicht betroffen gewesen sei. Die demonstrierte Gehbehinderung sei nicht objektivierbar, erst recht sei die Benutzung eines Gehstocks im Unfallzusammenhang nicht zu begründen. Der Verletzte sei inzwischen mit orthopädischem Schuhwerk optimal ausgestattet, dennoch demonstriere er die gleiche Gehbehinderung, wie bei der letzten Begutachtung ohne diese orthopädischen Schuhe. Dass tatsächlich eine gute Gebrauchsfunktion der Extremität bestehe, ergebe sich aus der praktisch seitengleich ausgeprägten Beinmuskulatur und vor allem auch aus der sehr kräftigen seitengleichen Fußsohlenbeschwielung. Auch die praktisch normale Knochenstruktur am rechten Sprunggelenk lasse auf eine recht gute Gebrauchsfähigkeit der Extremität schließen. Als unfallunabhängig seien zu werten: ein chronisches LWS-Syndrom infolge einer deutlichen Spondylochondrose, eine Innenmeniskusoperation am rechten Knie vor mehreren Jahren, eine Chondropathia patellae an beiden Kniegelenken, die Senk-Spreizfußbildung beidseits und leichte degenerative Knorpelaufbrauchsschäden an beiden oberen und beiden unteren Sprunggelenken.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Orthopäden Dr.F. , dem bei der Erstellung seines Gutachtens am 30.06.2000 das Gutachten des Dr.G. noch nicht bekannt war. Der Sachverständige führt aus, dass eine regelrechte Funktionsprüfung der Wirbelsäule undurchführbar gewesen sei. Radiologisch zeigten sich an der Lendenwirbelsäule eine minimale rechtskonvexe seitliche Verbiegung, außerordentlich kräftige Randspornbildungen, wie sie bei metabolischen Syndromen häufig gefunden würden, und leichte Einengungen der beiden untersten Bandscheiben. Da die Beckenkämme waagerecht seien, könne die leichte seitliche Verbiegung nicht den Unfallfolgen angelastet werden, zumal schon rein theoretisch eine verletzungsbedingte Verkürzung des rechten Beines bei isolierter Außenknöchelfraktur nicht abgelaufen sein könne. Eine klinische Untersuchung der unteren Extremitäten sei kaum möglich gewesen, der Kläger lasse so gut wie keine Berührung des rechten Fußes zu. Der Kläger demonstriere rechts einen positiven Nervendehnschmerz bei 45, links bei 70 Grad. Dann lasse sich jedoch feststellen, dass der Langsitz ohne weiteres rechtwinklig vollzogen werden könne, was gegen eine Nervenwurzelirritation spreche, jedoch für eine auch ansonsten nicht zu übersehende und bereits früher mehrfach festgestellte erhebliche Aggravation. In der Röntgenuntersuchung der Sprunggelenke seien keine wesentlichen degenerativen Veränderungen, keine Verkippung des Sprungbeins und keine Sprengung der Sprunggelenksgabel rechts zu verifizieren. Leichtgradig degenerativ verändert sei das vordere untere Sprunggelenk. Die Höhe der unfallbedingten MdE richte sich nach abgelaufenen Sprunggelenksverletzungen nach der Situation der Bandverbindung der Knöchelgabel, der Stellung des Sprungbeins, dem Ausmaß der Sekundärarthrose und der Beweglichkeit. Die komplette Versteifung des oberen Sprunggelenkes in einem Winkel von 90 bis 110 Grad werde mit einer MdE von 20 % bewertet. Wenn der Knöchelbruch in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilt sei, liege die MdE bei 0 bis 10 %. Mit einer MdE um 20 v.H. sei der Kläger so hoch eingestuft, als ob das rechte Sprunggelenk bereits komplett eingesteift wäre. Sicher sei so viel, dass eine noch höhere MdE bei idealer Stellung des Sprungbeins, nicht abgelaufener Sprengung der Bandverbindung und nur unwesentlichen degenerativen Veränderungen nicht empfohlen werden könne. Die MdE sei auf Grund der heute festzustellenden Unfallfolgen mit 20 v.H. mehr als reichlich angesetzt. Da eine Schlechterstellung des Klägers durch das Sozialgerichtsverfahren nicht erfolgen solle, werde empfohlen, die unfallbedingte MdE ab 01.02.1999 bei 20 v.H. zu belassen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem behandelnden Orthopäden Dr.S. vom 31.10.2000 eingeholt. Als zusätzliche Unfallfolge sieht der Sachverständige nunmehr eine Lumboischialgie links bei ausgeprägter Fehl/Schonhaltung der Wirbelsäule durch Entlastung des rechten Beines. Bezüglich der Lumboischialgie sei eine Verschlimmerung durch die Beeinträchtigungen von Seiten des rechten Sprunggelenkes nicht auszuschließen. Die MdE betrage ab dem 01.02.1999 20 v.H. Unter der Würdigung des Gutachtens des Dr.F. führt der Sachverständige u.a. aus, bei diesem kämen erstmals Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Beschwerden insofern zum Ausdruck, als eine verstärkte Beschwielung unter dem ersten Mittelfußköpfchen auf der rechten Seite gegenüber links festgestellt werde, auf Grund welcher eine wesentliche Schonungsbedürftigkeit des rechten Beines in Frage gestellt werde. Ferner werde ein Widerspruch empfunden zwischen dem demonstrierten positiven Nervendehnungsschmerz und dem Verhalten im Langsitz und daraus auf eine erhebliche Aggravation geschlossen. Diese Ausführungen seien durchaus logisch und entsprächen auch einer gängigen Praxis bei der Verifizierung von Untersuchungsergebnissen. Dennoch sei hier zu bemerken, dass Beschwielungen an Händen und Füßen oft schwierig zu beurteilen seien. Auch die Prüfung des positiven Nervendehnungsschmerzes durch den Langsitz bei durchgestreckten Beinen sei nicht immer eindeutig. Die MdE-Schätzung entspreche sicherlich dem einschlägigen Werk von Schoenberger/Mehrtens/Valentin S.695. Die Vorgaben für eine MdE um 30 v.H. wiesen jedoch darauf hin, dass der Grad der MdE nicht linear mit dem Grad der Einschränkung der Winkelmaße der Sprunggelenksbeweglichkeit einhergehe, sondern dass hier sicherlich auch andere Faktoren zu berücksichtigen seien. Zugegebenermaßen finde sich beim Kläger keine schwerwiegende Arthrose. Die Funktionsstörung sei aber doch als wesentlich anzusehen. Die Stellung der Knöchelgabel wiederum könne nicht als einwandfrei bezeichnet werden. Insofern könnten doch Zweifel angemeldet werden, ob der Passus "Knöchelbruch in guter Stellung unter Erhaltung der Knöchelgabel verheilt" MdE 0 bis 10 v.H. zu Recht zur Anwendung gebracht werde. In einer hinzugefügten Beurteilung ist u.a. ausgeführt, im vorliegenden Fall handle es sich sicherlich um eine nicht sehr eindeutige Konstellation, was die klinischen Befunde im Vergleich mit den röntgenologischen Befunden am rechten Sprunggelenk betreffe. Ferner sei auch zuzugeben, dass angesichts dieses Umstandes die demonstrierte Funktionseinschränkung auffalle und die Annahme eines aggravativen Verhaltens begünstige. Dennoch bleibe die Möglichkeit durchaus offen bzw. könnten Erkrankungen vorliegen, welche sich hinter den gegebenen Befunden verbergen und die geklagte Beschwerdesymptomatik verursachen könnten. Anschließend werden solche Möglichkeiten erörtert. Dem Sachverständigen verblieben insgesamt noch Zweifel bezüglich der unterstellten Aggravation und die Möglichkeit, dass hier Folgen des Unfalls in rentenberechtigendem Umfang vorlägen, erschien ihm ausreichend wahrscheinlich. Insofern empfehle er auch entsprechend dem sicherlich nicht unstrittigen Grundsatz "in dubio pro aegroto" die obige Einschätzung hinsichtlich der Unfallfolgen.

In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 26.09.2001 führt der Sachverständige Dr.F. u.a. aus, dass eine leichte Schonungsbedürftigkeit unterstellbar sei, werde mit einer MdE um 10 v.H. völlig ausreichend honoriert. Wenn Gesundheitsstörungen vorlägen, vergleichbar der kompletten Versteifung des rechten Sprunggelenkes in günstiger Stellung, so würde die Muskelminderung am rechten Unterschenkel weit über 2 cm im Vergleich zur linken Seite betragen. Ansonsten führt der Sachverständige u.a. aus, das Ausmaß der Fußsohlenbeschwielung und Diskrepanzen zwischen Nervendehnschmerz und Langsitz seien in der gutachtlichen Beurteilung allgemein als objektivierbar angesehene Parameter zur Beurteilung von Funktionsstörungen und Einschränkungen der Belastbarkeit anerkannt.

Nach einem zwischenzeitlich eingegangenen Untersuchungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. vom 05.07.2001 führt der Sachverständige Dr.F. aus, es sei nur zu bestätigen, dass der aktuelle Verletzungsbefund ausreichend festgestellt sei und weitere diagnostische Maßnahmen nicht erforderlich.

Der Kläger hat seinen Klageantrag sodann dahingehend beschränkt, dass der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2000 aufgehoben werde und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. über den 31.07.2000 hinaus zu gewähren.

Mit Urteil vom 18.12.2001 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich auf die Sachverständigen Dr.G. und Dr.F. sowie den beratenden Arzt der Beklagten Dr.B. gestützt und ist der Einschätzung des Dr.S. aus den von Dr.F. im Einzelnen vorgetragenen Gründen nicht gefolgt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter und stützt sich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr.S ... Die von diesem objektivierten Befunde würden zu Unrecht mit dem Hinweis auf eine Aggravation durch den Kläger in Frage gestellt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 18.12.2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.07.2000 hinaus Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

Der Kläger ist zwischenzeitlich erneut in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. vom 02.07. bis 13.08.2002 behandelt worden. Hierzu hat er den Abschlussbericht vom 12.08.2002 vorgelegt. Darin komme zum Ausdruck, dass die bisherige Beurteilung und die Unterstellung von Aggravationstendenzen an der Sache vorbeigingen und das Gericht erster Instanz sich deshalb nicht auf das entsprechende Gutachten hätte stützen dürfen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn dem Kläger steht keine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 21.10.1997 für die Zeit über den 31.07.2000 hinaus zu.

Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts München als unbegründet zurück und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Einwendungen des Klägers hiergegen greifen nicht durch. Seine aggravatorischen Tendenzen sind durchgehend von sämtlichen behandelnden und begutachtenden Ärzten des Näheren dargestellt worden, im Ergebnis auch durch den Sachverständigen Dr.S ... Er bestätigt nämlich die von Dr.F. insoweit herangezogenen Gesichtspunkte und führt im Ergebnis lediglich aus, dass seine Kenntnis von der Person des Klägers aus seiner Sicht Zweifel an der Aggravation begründeten, weil der Kläger bis zum Unfall voll im Erwerbsleben gestanden habe. Damit können die allen Ärzten aufgefallenen Diskrepanzen zwischen objektivem Befund und subjektiven Angaben nicht aus der Welt geschafft werden.

Auch aus dem vom Kläger vorgelegten Abschlussbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. vom 12.08.2002 kann nichts anderes abgeleitet werden. Dem Bericht ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass die bis dahin und weiter demonstrierten Schmerzen und Funktionsdefizite nunmehr durch objektive Befunde hätten bestätigt werden können.

Die mit einer Aggravation des Klägers erklärten Differenzen zwischen objektiven Befunden und den demonstrierten Funktionsbeeinträchtigungen haben zur Folge, dass letztere, die für die Beurteilung der unfallbedingten MdE maßgeblich sind, nicht als bewiesen angesehen werden können. Damit fehlt es am Nachweis jener Tatsachen, die zur Begründung eines Verletztenrentenanspruches vorliegen müssten. Der Mangel des Nachweises geht zu Lasten desjenigen, der einen Anspruch aus den nachzuweisenden Tatsachen ableitet (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 103 Rdnr.19 ff. m.w.N.), das ist im vorliegenden Fall der Kläger.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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