L 9 AL 231/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 66/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 231/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.05.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
-

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.11.1996 streitig.

I.

Der am 1939 geborene verheiratete Kläger, auf dessen Lohnsteuerkarte die Steuerklasse III ohne berücksichtigungsfähige Kinder eingetragen war, war zuletzt laut Anstellungsvertrag vom 04.01.1996 als kaufmännischer Angestellter befristet bis 31.10.1996 im Kunstgewerbegeschäft seiner Ehefrau in B. beitragspflichtig beschäftigt und erzielte laut Arbeitsbescheinigung vom 31.10.1996 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden im Mai 1996 DM 2.933,87 brutto, ab 01.06. mit 31.10.1996 monatlich je DM 5.500,00 brutto. Er verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Fernmeldehandwerker und war bereits von 1976 mit 1993 und ab 01.01.1995 im vorgenannten Geschäft seiner Ehefrau beschäftigt, das er im Jahre 1994 selbstständig betrieben hat.

Durch Bescheid vom 26.11.1996 gewährte die Beklagte auf den Antrag vom 30.10.1996 ab 01.11.1996 Alg in Höhe von DM 366,00 wöchentlich (Bemessungsentgelt (BE) DM 810,00; Leistungssatz 60 v.H.; Leistungsgruppe C/0) auf die Dauer von 832 Wochentagen. Das gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt hatte die Beklagte nicht dem Durchschnitt der beim Ausscheiden des Klägers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten sechs Mona- te (= DM 5.105,65) entnommen, sondern nach Rückfrage bei zwei ortsansässigen Betrieben für eine Tätigkeit eines familienfremden Geschäftsführers (DM 3.000,00 bis DM 3.500,00) in einem Zwei-Mann-Betrieb mit DM 3.500,00 als ortsüblich zugunsten des Klägers festgestellt. Aufgrund des hiergegen eingelegten Widerspruchs ermittelte die Beklagte bei der Barmer Ersatzkasse B. für den Kläger folgende gemeldete Jahresentgelte: 1993 DM 34.800,00 (monatlich DM 2.900,00) 1995 DM 35.206,00 (monatlich DM 2.933,83) 1996 DM 42.169,00 (monatlich DM 3.514,08) und stellte fest, dass die Einstufung nach dem Tarifvertrag für Angestellte im Einzelhandel für leitende Tätigkeiten ohne kaufmännische Ausbildung ungünstiger wäre (DM 3.173,00 monatlich + DM 26,00 VwL bei 37,5 Stunden wöchentlich). Der Rechtsbehelf wurde mit der Begründung zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 13.01.1997), die Tätigkeit familienfremder Arbeitnehmer werde in vergleichbaren Betrieben mit maximal DM 3.500,00 monatlich vergütet. Der Kläger habe auch in den Jahren 1993 und 1995 sowie bis Juni 1996 selbst kein höheres Arbeitsentgelt erzielt.

Ab 01.11.1996 ist der Kläger laut vorgelegtem Aushilfsarbeitsvertrag vom 01.11.1996 im Betrieb der Ehefrau nur noch drei Stunden wöchentlich in Verkauf und Buchhaltung bei einem Bruttogehalt von DM 120,00 monatlich tätig gewesen. Ab 01.04.1998 sollte sich die Arbeitszeit bei einem Gehalt von monatlich DM 310,00 erhöhen.

Durch Folgebescheid vom 09.01.1997 wurde die Lohnersatzleistung nach der Leistungsverordnung 1997 ab 01.01.1997 auf DM 360,00 wöchentlich angepasst. Seit 01.03.1999 bezieht der Kläger Altersrente.

II.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Augsburg machte der Kläger geltend, er sei seit Jahren der einzige Beschäftigte der Alleininhaberin gewesen und habe während der umsatzstarken Monate erheblich mehr arbeiten müssen (ca. 60 Stunden wöchentlich) als in den Wintermonaten oder in der Vorsaison (ca. 38 Wochenstunden), so dass das ab Juni 1996 auf DM 5.500,00 brutto monatlich erhöhte Gehalt gerechtfertigt sei. Allerdings seien die Umsätze aufgrund des erheblichen Rückgangs der Kurgastzahlen stark herabgesunken, wie sich auch aus dem Versicherungsverlauf der BfA ergebe. Seine Tätigkeit habe neben dem Ein- und Verkauf der Waren die Lagerhaltung, in Verbindung mit dem Steuerberater die Buchhaltung, die Kundenberatung vor Ort und die Warenauslieferung umfasst. Bei der Produktion der Ware seien Seidenblumen zu Arrangements zusammengestellt worden. Demgegenüber verwies die Beklagte darauf, dass der Kläger in den letzten Jahren nach den vorgelegten Arbeitsverträgen vom 02.01.1995 und 04.01.1996 einerseits sowie dem Versicherungsverlauf der BfA andererseits das von ihr zugrunde gelegte Arbeitsentgelt in Höhe von DM 3.500,00 monatlich nicht erzielt habe.

Das SG hörte die für den Kläger zuständige Arbeitsvermittlerin K. H. zu dessen Einstufung uneidlich als Zeugin. Letztere bekundete, 1996 bei einem ortsansässigen Süßwarenhersteller und einer Buchhandlung mit Kunstgewerbe ermittelt zu haben, dass das ortsübliche Entgelt für Geschäftsführertätigkeiten, wie sie der Kläger ausgeübt habe, bei DM 3.000,00, höchstens aber bei DM 3.500,00 monatlich gelegen habe. Bei einem der kontaktierten Betriebe habe es sich wie im Falle des Klägers um ein Zwei-Mann-Geschäft gehandelt, bei dem anderen um ein größeres mit mehreren Filialen. Die 7. Kammer des SG wies die Klage daraufhin im Wesentlichen mit der Begründung ab, familienfremde Geschäftsführer in einem vergleichbaren Zwei-Mann-Geschäft würden gewöhnlich ein Entgelt von DM 3.000,00 bis höchstens DM 3.500,00 erzielen. Angesichts des vom Kläger selbst eingeräumten starken Umsatzrückgangs und einer erheblich reduzierten Arbeitszeit sei nicht nachvollziehbar, dass er ausgerechnet in den letzten Monaten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit fast das Doppelte verdient habe als früher.

III.

Im Berufungsverfahren rügt der Kläger, zu Unrecht sei bei der Bemessung der Lohnersatzleistung nicht auf das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt abgestellt worden, aus dem auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt worden seien. Er legt eine Aufstellung über erzielte Umsätze vor, auf deren Einzelheiten verwiesen wird, und teilt mit, dass seine Ehe- frau, die der Senat als Zeuge zu vernehmen beabsichtigt habe, am 08.01.2002 verstorben sei.

Die Beklagte verweist darauf, der Bemessung ein Arbeitsentgelt zugrunde gelegt zu haben, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleicher Beschäftigung unter Berücksichtigung der ausgeübten Tätigkeit, der Qualifikation, des Verantwortungsbereichs des Klägers einerseits sowie der Art, Größe und Anzahl der Beschäftigten des Betriebs andererseits erzielen würden. Der Senat hat neben der Leistungsakte der Beklagten die Streitakte des SG beigezogen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Augsburg vom 28.05.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.1997 zu verurteilen, ihm höheres Alg zu gewähren.

Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Augsburg vom 28.05.1998 zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklären darüber hinaus ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift des Termins zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 17.10.2002.

Entscheidungsgründe:

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Klägers, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet.

Streitgegenstand sind die Bescheide vom 26.11.1996 und 09.01. 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.1997, mit denen Alg in Abweichung von der Regelbemessung nach dem tatsächlich abgerechneten Arbeitsentgelt (§ 112 Abs.1, 2 Satz 1 AFG) gemäß § 112 Abs.5 Ziffer 3 AFG gewährt worden ist. Zu Recht hat das SG die zutreffende Anfechtungs- und Leistungs- klage abgewiesen. Dem Kläger steht nämlich ab 01.11.1996 kein höheres Alg zu, wie die Beklagte in den angefochtenen Verwaltungsakten ausgeführt hat.

Der Senat entscheidet aufgrund des Einverständnisses der Betei- ligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter, § 155 Abs.4 in Verbindung mit Abs.3 SGG.

Abweichend von der Regelbemessung des § 112 Abs.1 und 2 AFG, die sich an dem im Bemessungszeitraum durchschnittlich erzielten und abgerechneten Arbeitsentgelt orientiert, wird das maßgebliche Arbeitsentgelt bei Vorliegen eines Tatbestandes des § 112 Abs.5 AFG gesondert festgestellt, vgl. BSG SozR 3-4100 § 112 AFG Nr.16 S.63.

Nach § 112 Abs.5 Nr.3 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des 8. AFG-Änderungsgesetzes vom 14.12.1987 (BGBl.I 2602) ist bei der Feststellung des Arbeitsentgelts für die Zeit einer Beschäftigung bei dem Ehegatten oder einem Verwandten gerader Linie höchstens das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten. Ausschlaggebend sind gerade die Verhältnisse im Bemessungszeitraum (01.05. mit 31.10.1996). Diese Vorschrift ist entgegen der Ansicht des Klägers anzuwenden, da letzterer bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit unstreitig im Kunstgewerbegeschäft seiner Ehefrau beitragspflichtig beschäftigt gewesen ist, § 112 Abs.5 Nr.3 AFG.

Zum Ausschluss von Manipulationen unter Ehegatten und Verwandten gerader Linie ist der Berechnung des Alg nach Nr.3 der Vorschrift also nicht das tatsächlich ausbezahlte Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, sondern höchstens dasjenige, das ein familienfremder Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten würde. Die Gleichartigkeit der Arbeit lässt sich insoweit ausschließlich anhand der wahrgenommenen Aufgaben feststellen. Mangels vorhandener weiterer Beschäftigter im Zwei-Personen-Betrieb der Ehefrau lässt sich ein tatsächlich betriebsintern gewährtes - nicht tarifliches - Entgelt familienfremder Arbeitnehmer bei Ausübung einer gleichartigen Tätigkeit nicht feststellen.

Das von der Beklagten ermittelte, in B. im Bemessungszeitraum gewöhnliche - nicht notwendig tarifliche - Arbeitsentgelt familienfremder Arbeitnehmer mit gleichartigen Aufgaben, wie sie der Kläger ausgeübt hat, begegnet zur Überzeugung des Senats aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme erster Instanz keinen erheblichen Bedenken. Berücksichtigt es doch den tatsächlich bereits nach dem klägerischen Sachvortrag angefallenen Aufgabenbereich des Klägers im Kleinbetrieb der Ehefrau, der als einziger Beschäftigter für nahezu alles zuständig war. Dem Senat sind insoweit weitere Ermittlungen durch die Vernehmung der Geschäftsinhaberin als Zeugin aufgrund deren Ablebens verwehrt. Schließlich hat die Beklagte zeitnah, wie die erstinstanziell gehörte Arbeitsvermittlerin H. glaubhaft bekundet hat, auch vor Ort zutreffend ermittelt, welches Arbeitsentgelt familienfremden Arbeitnehmern mit gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich gezahlt wurde, vgl. BSG vom 21.06. 1994, 11 RAr 101/93, in DBlR 4141, AFG § 112, BSG SozR 3-4100 § 112 Nr.16, BSG vom 20.06.1984, 7 RAr 79/83 in DBlR 2995a AFG § 112. Insoweit wird auf die vom SG getroffenen Feststellungen verwiesen, welche die zugrunde liegenden Bescheide bestätigt haben. Insbesondere angesichts der für den Kneipkurort gravierenden Auswirkungen der Gesundheitsreform, der dokumentierten Umsatzsituation des Kleinbetriebs der inzwischen verstorbenen Inhaberin, die ab dem November 1996 zudem wöchentlich nur noch eine dreistündige Nebenbeschäftigung des Klägers zugelassen hat, vermochte der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass familienfremde Arbeitnehmer für die vom Kläger im Bemessungszeitraum tatsächlich ausgeübte Tätigkeit gewöhnlich ein höheres Arbeitsentgelt erzielen als DM 3.500,00 brutto monatlich. Vielmehr erscheint es dem Senat mit dem SG angesichts der örtlichen, betrieblichen, sachlichen und zeitlichen Gesamtumstände vernünftigerweise nicht nachvollziehbar, dass das Arbeitsentgelt des Klägers, das in den letzten Jahren und zudem besonders in den ersten fünf Monaten der letzten Beschäftigung im selben Betrieb erheblich niedriger gelegen hat (1993: DM 34.800,00 jährlich; 1995: DM 35.206,00jährlich) aufgrund des erst am 04.01. 1996 abgeschlossenen und ausdrücklich bis 31.10. 1996 befristeten Anstellungsvertrages trotz unveränderter Verhältnisse für die letzten fünf Monate des Beschäftigungsverhältnisses unverhältnismäßig von DM 3.099,00 auf DM 5.500,00 brutto monatlich erhöht worden ist. Einer derartigen Fallgestaltung soll die Regelung des § 112 Abs.5 Nr.3 AFG gerade entgegenwirken nach den Materialien, vgl. BT-Drs. 9/799 S.42 und 9/846 S.43.

Die Beklagte hat daher zutreffend nicht auf das abgerechnete Arbeitsentgelt aus dem Zeitraum 01.05. mit 31.10.1996 in der Gesamthöhe von DM 30.633,87 abgestellt, welches bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden in insgesamt 988 Stunden erzielt worden ist und ein Regelbemessungsentgelt in Höhe von DM 1.178,22 (gerundet auf DM 1.180,00) ergeben hätte, sondern das Arbeitsentgelt berücksichtigt, welches gemäß § 112 Abs.5 Nr.3 AFG familienfremde Arbeitnehmer bei gleichartiger Beschäftigung gewöhnlich erhalten. Selbst wenn die Regelbemessung jedoch Anwendung fände, ergäbe sich im Übrigen aufgrund der dann erforderlichen Berücksichtigung der nach Angaben des Klägers in den hier im Wesentlichen abgerechneten umsatzstarken Monaten angefallenen 60 Wochenstunden ein niedrigeres Arbeitsentgelt als von der Beklagten zugrunde gelegt, vgl. § 112 Abs.3 Satz 1 AFG.

Abschließend wird informatorisch hinsichtlich der Möglichkeit der Erstattung von Beiträgen aus dem Teil des Arbeitsentgeltes, der sich auf die Höhe der Lohnersatzleistung nicht ausgewirkt hat, auf die Entscheidung des BSG vom 08.12.1999, B 12 KR 25/98 R in SozR 3-4100 § 185a Nr.2 verwiesen.

Das erstinstanzielle Urteil ist nach allem ebensowenig zu beanstanden wie die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war die Beklagte nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die dem Kläger zu dessen Rechtsverfolgung entstanden sind.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher nicht geklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungs- gerichts und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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