L 11 AL 128/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AL 1194/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 128/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Januar 2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit der Aufforderung, die Beschäftigung in der Bundesrepublik sofort einzustellen und die erteilten Arbeitserlaubnisse (AEs) zurückzugeben.

Die Kläger sind ungarische Staatsangehörige und Arbeitnehmer der E. mit Sitz in Ungarn. Das Unternehmen, das im Rahmen der deutsch-ungarischen Vereinbarung über die Beschäftigung ungarischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen in der Bundesrepublik tätig wird, hatte mit der L. GmbH, R. , einen Werkvertrag geschlossen, zu dessen Ausführung die Kläger in der Zeit vom 24.07.1998 bis 26.10.1998 eingesetzt werden sollten.

Auf den Antrag der E ... vom 23.07.1998 erteilte die Beklagte den Klägern am 24.07.1998 für deren Tätigkeit bei der L. GmbH AEs, die vom 27.07.1998 bis 26.10.1998 befristet waren und "längstens bis zur negativen Entscheidung für den Antragsteller im Beschwerdeverfahren" gelten sollten. Mit "Antragsteller" war die E ... gemeint. Einen Rechtsbehelf haben die Kläger dagegen nicht eingelegt.

Bereits am 03.09.1998 hatte der 8. Senat des Bayer. Landessozialgerichtes (BayLSG) einen Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg (SG) vom 03.02.1997, in dem die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet worden war, den Zustimmungsbescheid vom 08.03.1996 zum Werkvertrag zwischen der E. und der L. GmbH auszuführen, aufgehoben, da bei vier Arbeitnehmern eine erhebliche Abweichung von den zunächst zugesicherten Netto-Stundenlöhnen festgestellt worden war und sowohl nach den Bestimmungen der deutsch-ungarischen Vereinbarung wie auch nach den Bestimmungen der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) eine Zusicherung nicht hätte abgegeben werden dürfen. Der Beschluss (Az: L 8 B 50/97 AL ER) wurde der Beklagten am 06.10.1998 zugestellt.

Mit Schreiben vom 09.10.1998 forderte die Beklagte die Kläger daraufhin auf, die Beschäftigung sofort einzustellen und die erteilten AEs unverzüglich zurückzugeben.

Hiergegen beantragten die Kläger am 16.10.1998 beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung und legten am 19.10.1998 Widersprüche gegen die Schreiben vom 09.10.1998 ein. Die gesetzlichen Voraussetzungen für das Erlöschen von AEs lägen nicht vor, die Entscheidung des BayLSG habe auf die AEs der Kläger keine Auswirkungen; ein Rücknahmebescheid hinsichtlich der AEs sei nicht ergangen.

Die Beklagte verwarf die Widersprüche der Kläger in den Widerspruchsbescheiden vom 30.10.1998 als unzulässig, da die Schreiben vom 09.10.1998 keine Verwaltungsakte darstellten.

Mit Schreiben vom 13.11.1998 erklärten die Kläger den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber dem SG für erledigt, da ihre AEs am 26.10.1998 ungültig geworden seien.

Gegen die Widerspruchsbescheide vom 30.10.1998 haben die Kläger am 04.12.1998 Anfechtungsklagen zum SG erhoben. Bei den Schreiben vom 09.10.1998 habe es sich um Verwaltungsakte gehandelt, da darin konkrete Regelungen im Sinne einer Vollziehungsverfügung gegenüber den Klägern getroffen worden seien. Von einer automatischen Beendigung der AEs vor dem darin festgeschriebenen Zeitraum könne nicht ausgegangen werden, da der handschriftlich angebrachte Zusatz "längstens bis zur negativen Entscheidung für den Antragsteller im Beschwerdeverfahren" nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei. Die in den Schreiben vom 09.10.1998 ergangenen Verbote einer weiteren Beschäftigung und die Gebote, die AEs unverzüglich zurückzugeben, seien rechtswidrig gewesen. An der Feststellung der Rechtswidrigkeit hätten die Kläger ein berechtigtes Interesse wirtschaftlicher Art, da sie die Verfahrenskosten tragen müssten. Darüberhinaus bestehe auch eine Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte möglicherweise wieder genauso vorgehen würde.

Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 02.10.2000 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und ihnen mit Urteil vom 16.01.2001 stattgegeben. Zwar seien die fraglichen AEs durch Zeitablauf zwischenzeitlich erledigt. Gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hätten die Kläger jedoch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Verwaltungsakte vom 09.10.1998 rechtswidrig gewesen seien. Das Feststellungsinteresse ergebe sich aus der bestehenden Wiederholungsgefahr, nachdem der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten habe, dass die beigefügte Nebenbestimmung der Rechtsordnung entspreche. Im Hinblick auf die noch anhängige Streitsache der E. bezüglich des Werkvertragsausschlusses bestehe daher in absehbarer Zeit die Gefahr, dass die Beklagte einen Verwaltungsakt bei im Wesentlichen unveränderter tatsächlichen und rechtlichen Umständen in gleicher Form erlassen werde. Die den AEs beigefügte Nebenbestimmung sei wegen Verstoßes des Bestimmtheitsgrundsatzes des § 33 Abs 1 SGB X rechtswidrig, da weder erkennbar sei, wer mit dem Begriff "Antragsteller" gemeint sei noch von welchem Beschwerdeverfahren die Rede gewesen seien.

Gegen das ihr am 22.02.2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 20.03.2001 beim BayLSG eingelegten Berufung.

Die Kläger hätten kein rechtlich schutzwürdiges Interesse an der begehrten Feststellung. Unabhängig von den Erklärungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 16.01.2001 sei eine Gefahr, dass AEs mit der hier streitigen Bedingung an die Kläger zukünftig erteilt würden, nicht gegeben. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen einer bestehenden Wiederholungsgefahr habe das BayLSG bereits im Urteil vom 15.03.2000 - L 10 AL 296/99 - verneint.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 16.01.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils vom 16.01.2001 habe eine Wiederholungsgefahr bestanden.

Auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG und des BayLSG wird im Übrigen Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

In der Sache erweist sich die Berufung auch als begründet, denn für die vom SG im Urteil vom 16.01.2001 getroffene Feststellung fehlt den Klägern ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.

Neben der von den Klägern am 04.12.1998 erhobenen Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 SGG war ursprünglich hilfweise zugleich eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG erhoben worden.

Die Anfechtungsklage wegen Rückforderung der den Klägern gewährten AEs ist zwischenzeitlich durch Zeitablauf unzulässig geworden. Zur Vermeidung einer unnötigen Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte muss stets ein Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage vorhanden sein. Da die AEs der Kläger bis zum 31.12.1998 befristet waren, hat sich die Sache zwischenzeitlich erledigt. Entfällt - wie hier - das erforderliche Rechtssschutzbedürfnis der Kläger während des Klageverfahrens, so werden die Klagen unzulässig, denn ein Rechtsschutzbedürfnis ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (vgl BSGE 3, 142 153; BSG vom 13.07.1978 in Breithaupt 1979, S 579, 580; BSG vom 22.09.1981 in SozR 1500 § 53 SGG Nr 2; Peters-Sauter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 53 Anm 1 S 145/2; Kopp, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 11.Aufl, vor § 124 RdNr 39; Eyermann-Fröhler, Kommentar zur VWGO, 7.Aufl, § 124 RdNr 11).

Nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht jedoch das SG auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn dieser sich durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und wenn die Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung haben.

Ein solches berechtigtes Feststellungsinteresse haben die Kläger jedoch nicht glaubhaft machen können.

Ob es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 09.10.1998 um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X handelte, kann nach Auffassung des Senates dahinstehen. Das nach § 131 Abs 1 S 3 SGG erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt nämlich nur dann vor, wenn dem angestrebten gerichtlichen Ausspruch über die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungshandelns rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Bedeutung zwischen den Beteiligten zukommt (vgl die ständige Rechtsprechung des BSG zuletzt Urteil vom 05.11.1997 - 6 RKa 10/95; vom 05.11.1997 - 6 RKa 10/97; vom 28.01.1998 - B 6 Ka 44/96 R; Urteil vom 01.07.1998 - B 6 Ka 64/97 R -, vom 10.09.1998 - B 7 Al 70/97 R -, vom 28.01.1998 - B 6 Ka 44/96 R -; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 7.Aufl, § 131 RdNr 10).

Von einem ideellen Feststellungsinteresse der Kläger kann hier nicht ausgegangen werden, denn weder nach ihrem Vortrag noch aus dem vorliegenden Akteninhalt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass sie durch die Frage der Rechtmäßigkeit der Rückforderung der ihnen erteilten AEs in ihrem Ansehen beschädigt wurden (vgl hierzu Meyer-Ladewig aaO § 131 RdNr 10 a mwN).

Für das Vorliegen eines rechtlichen Feststellungsinteresses im Sinne des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG ist auch ein möglicher Amtshaftungsprozess nicht ausreichend. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes ist nicht gegeben, wenn die sozialgerichtliche Entscheidung für den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens unter jedem verständigerweise zu berücksichtigenden Gesichtspunkt nicht von Bedeutung ist (vgl BSGE 8, 178, 183; Meyer-Ladewig aaO § 131 RdNr 10 d mwN). Die Kläger standen in der fraglichen Zeit von der Zustellung des Bescheides vom 09.10.1998 bis zum 30.10.1998 weiterhin in einem Arbeitsverhältnis. Dass ihnen in diesem Zeitraum Lohnansprüche gegen ihren Arbeitgeber verloren gegangen sein könnten, weil dieser das bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, wurde weder von den Klägern im Verfahren vorgetragen, noch ist dies für den Senat aus dem vorliegenden Akteninhalt ersichtlich. Die Kläger befanden sich mit dem Angebot ihrer Arbeitsleistung nicht in Verzug und konnten letztlich die ihnen gegenüber ihrem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen auch in Ungarn erfüllen. Ihr Lohnanspruch ist nicht entfallen. Eine Amtshaftungsklage nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) iVm Art 34 des Grundgesetzes (GG) würde schon wegen eines fehlenden Schadens der Kläger abzuweisen sein. Darüberhinaus sind entsprechende Schadensersatzansprüche zwischenzeitlich verjährt (§ 852 BGB aF).

Auch ein wirtschaftliches Interesse an der begehrten Feststellung ist nicht ersichtlich. Ein solches Interesse der Kläger kann nicht damit begründet werden, dass sich die Beklagte ihrer Pflicht zur Kostentragung entziehen will und sie sich dadurch den Vergütungsansprüchen ihres Bevollmächtigten ausgesetzt sehen. Das gerichtliche Verfahren dient der Verwirklichung materiellen Rechts. Würde das Interesse am Kostenpunkt ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG begründen, so würde die Kostenfrage zum Gegenstand des Rechtsstreites gemacht und die Einschränkung des "berechtigten Interesses" für Feststellungsanträge dieser Art praktisch bedeutungslos sein, da ein Interesse der Kläger an der Kostenentscheidung regelmäßig vorliegt. Ein Feststellungsinteresse an der Sachentscheidung kann deshalb nicht aus dem Kosteninteresse hergeleitet werden (vgl BSGE 8, 178, 182).

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann von den Klägern schließlich nicht mit einer bestehenden Wiederholungsgefahr begründet werden, denn es droht nach Auffassung des Senats nicht die Gefahr, dass sich der Erlass der angefochtenen und zwischenzeitlich erledigten Bescheide ohne Klarstellung der Rechtslage bei nächster Gelegenheit unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen wiederholen wird (vgl dazu BSG vom 14.02.1978 - 7 RAr 81/76 - in SozR 4100 § 19 AFG Nr 5). Davon könnte nur dann ausgegangen werden, wenn Änderungen in den entscheidungserheblichen Tatsachen ausgeschlossen erscheinen und die Verwaltungsentscheidung ansonsten maßgeblich von Rechtsfragen abhängt, die vorausssichtlich künftig wieder relevant werden (vgl BSG vom 01.07.1998 - B 6 Ka 64/97 R). Im vorliegenden Fall ist jedoch eine Wiederholungsgefahr für die Kläger zu verneinen, weil die Entziehung ihrer AEs auf von ihrem Arbeitgeber verursachten Umständen beruhte, von denen ein wiederholter Eintritt nur eine ganz entfernte von vielen Möglichkeiten darstellt. Die maßgeblichen rechtlichen Umstände für den Erlass der angefochtenen Verwaltungsentscheidung haben sich zwischenzeitlich durch Zeitablauf verändert, denn ein Tätigwerden der Kläger im Rahmen des von ihrem Arbeitgeber geschlossenen Werkvertrages kommt nach dessen Beendigung nicht mehr in Betracht. Es besteht hier deshalb nicht die begründete Gefahr, dass sich eine Aufforderung der Beklagten wie im Schreiben vom 09.10.1998 unter gleichen oder ähnlichen Vorausssetzungen wiederholt.

Mangels Vorliegens eines Feststellungsinteresses war deshalb auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG vom 16.01.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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