L 4 B 254/02 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 214/02 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 254/02 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 19. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerde.
III. Der Streitwert wird auf 2.200,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Gesellschafterin der Firma J. , Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts, an der sie mit 80 % und die Firma J. GmbH mit 20 % beteiligt sind. Die Gesellschaft, die Teil einer Firmengruppe ist, betreibt ein Geschäft in G ... Nachdem die Antragsgegnerin am 20.03. 2001 dort eine Betriebsprüfung (Prüfzeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12. 2000) durchgeführt hatte, erließ sie am 20.08.2001 einen an die Antragstellerin gerichteten Bescheid, mit dem sie Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 13.220,44 DM (= 6.759,50 EUR) forderte und die Antragstellerin hierfür in Anspruch nahm. Zur Begründung gab sie an, der allgemein verbindliche Tarifvertrag für den Einzelhandel in Bayern sei bei zwei Arbeitnehmerinnen insoweit nicht richtig angewandt worden, als diese in der Zeit vom 01.10.1997 bis 31.12.1999 untertariflich entlohnt worden seien und auch das Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld nicht in der zustehenden Höhe erhalten hätten.

Der Steuerberater der Antragstellerin legte hiergegen am 28.08. 2001 bezüglich der Beitragsnachforderung für die Versicherte K. Widerspruch ein und bestritt insoweit die Beitragsnachforderungen in Höhe von 7,431,50 DM und 21,46 DM. Der Betrieb der Antragstellerin in G. wurde am 29.12.2001 eingestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2002 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie an, in der Zeit vom 01.10.1997 bis 30.04.1999 seien der tarifliche Lohn für die Versicherte K. und das Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht in zutreffender Höhe gezahlt worden. Auch dieser Bescheid war an die Antragstellerin als Gesellschafterin gerichtet.

Die Antragstellerin hat am 11.04.2002 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage gegen die Nachforderung in Höhe von 6.759,60 EUR erhoben und zur Begründung angegeben, sie sei aus dem an sie gerichteten Widerspruchsbescheid nicht zur Zahlung verpflichtet. Es werde bestritten, dass die Versicherte K. die in der Betriebsprüfung behauptete Arbeitszeit geleistet habe. Bei den bisherigen Betriebsprüfungen sei außerdem vom Zuflussprinzip ausgegangen worden, während nunmehr die Antragsgegenerin das Fälligkeitsprinzip anwende; daher stehe ihr Vertrauensschutz zu. Die Antragstellerin hat am 17.05.2002 beim SG gleichfalls die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide beantragt und geltend gemacht, sie seien nicht rechtmäßig; eine Beitragsnachforderung in Höhe von insgesamt 16.000,00 EUR stelle eine unbillige Härte dar. Sie hat mit dem Schriftsatz vom 10.06.2002 beantragt, dass nach Einzug eines Teilbetrages von 2.962,81 EUR durch die AOK Bayern, die Vollstreckung des Restbetrages von 3.796,69 EUR auszusetzen sowie die Vollstreckung aufzuheben sei; sie hat sich außerdem auf ein Schreiben ihrer Steuerberater vom gleichen Tage berufen, wonach Insolvenzgefahr bestehe und nur durch die Verschmelzung der Gesellschaft mit anderen Gesellschaften der Firmengruppe Insolvenz vermieden worden sei. Hierzu hat sie eine betriebswirtschaftliche Auswertung vorgelegt.

Das SG hat mit Beschluss vom 19.06.2002 den Antrag abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klage wäre unbegründet. Streitig sei nur mehr eine Forderung von 9,62 DM. Die Antragsgegnerin habe die Bescheide zu Recht an die Gesellschafterin persönlich gerichtet. Die Antragstellerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz, Verwirkung oder eine unbillige Härte berufen.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 17.07.2002 Beschwerde eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Antragstellerin hat ihre Beschwerde erneut mit der unzutreffenden Adressierung des Bescheides und der Verletzung ihres Vertrauensschutzes begründet. Streitig sei nicht der vom SG angenommene Teilbetrag, sondern die gesamte Beitragsnachforderung. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, auch nach der neuesten Rechtsprechung des BGH dürfe ein Gesellschafter einer Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts unmittelbar in Anspruch genommen werden.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 19.06.2002 aufzuheben und die Aussetzung des Vollzugs des Bescheides vom 20.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2002 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten des SG und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.2 Nr.1, Abs.3 SGG in der Fassung des 6. SGGÄndG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen des § 86a Abs.3 SGG durch Beschluss die Aussetzung der Vollziehung anordnen. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG regelt in diesem Zusammenhang, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86b Abs.1 Satz 2 SGG); der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt insoweit nicht in Frage. Die Aussetzung der Vollziehung soll nach § 86a Abs.3 Satz 2 SGG erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist hier die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bzw. die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren sowie das Dringlichkeitsinteresse zu prüfen. Bei der Interessenabwägung ist das öffentliche Interesse an der Beitreibung der Beitragsschulden mit dem privaten Interesse der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung abzuwägen, wobei gemäß § 86a Abs.3 SGG zu berücksichtigen ist, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen.

Der Senat hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine ernstlichen Zweifel an der Recht- mäßigkeit der Bescheide.

Die Antragsgegnerin ist als Trägerin der Rentenversicherung gemäß § 28p Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) befugt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflicht oder ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach Abs.1 Satz 5 dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Die hierfür sonst bestehende Zuständigkeit der Einzugsstellen (§ 28h Abs.2 SGB IV) ist ab 1999 vollständig entfallen (Hauck/Haines, SGB IV, § 28p Rz.19; Kasseler Kommentar-Seewald, § 28p SGB IV, Rdnr.2). Die Beteiligung der anderen betroffenen Sozialversicherungsträger und der betroffenen Versicherten gemäß § 75 SGG ist in dem hier anhängigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch nicht geboten, aber im Hauptsacheverfahren erforderlich.

Die Antragsgegnerin war berechtigt, für die Nachforderung der Beiträge die Antragstellerin als persönlich haftende Gesellschafterin in Anspruch zu nehmen und sie war nicht verpflichtet, die Bescheide allein an die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts zu richten. Der BGH hat zwar in dem auch vom SG zitierten Urteil vom 29.01.2001 (BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056) in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung festgestellt, dass die Außen-Gesellschaft Bürgerlichen Rechts Rechtsfähigkeit besitzt, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen kann und in diesem Rahmen zugleich im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig ist. Er hat aber in den Gründen des Urteils auch für Recht erkannt, dass es in diesem Passivprozess wegen der persönlichen Gesellschafterhaftung immer ratsam ist, neben der Gesellschaft auch Gesellschafter persönlich zu verklagen. Es bleibt dem Gesellschaftsgläubiger auch bei Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft Bürgerlichen Rechts unbenommen, ausschließlich die Gesellschafter persönlich in Anspruch zu nehmen. Damit ist die Adressierung der Bescheide - auch nach Aufgabe des Geschäfts - nicht zu beanstanden.

Streitig ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von 6.759,60 EUR, da die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid daran festgehalten und die Antragstellerin mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und mit der Beschwerde sich dagegen gewendet hat. Hiergegen macht die Antragstellerin zu Unrecht geltend, die Antragsgegenerin hätte bei der Betriebsprüfung vom Zuflussprinzip ausgehen müssen. Die Antragsgegnerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Recht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen.

Rechtsgrundlagen für die Beitragsnachforderungen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung § 226 Abs.1 Nr.1 SGB V, in der Rentenversicherung § 162 Nr.1 SGB VI, in der Arbeitslosenversicherung § 168 Abs.1 AFG bzw. ab 01.01.1998 § 342 SGB III und in der Pflegeversicherung § 57 Abs.1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs.1 Nr.1 SGB V. Diesen Vorschriften ist gemeinsam, dass die Bemessungsgrundlage bei versicherungspflichtigen Beschäftigten das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ist. Das von der Antragstellerin in Anspruch genommene Zuflussprinzip gilt im Sozialrecht nicht uneingeschränkt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zwei Urteilen der jüngsten Zeit festgestellt, dass die Entstehung des Beitragsanspruchs nicht davon abhängt, ob das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Diese Auffassung hat schon das Reichtsversicherungsamt in einer Entscheidung im Jahr 1931 vertreten, weil sich anderenfalls Arbeitgeber, die ihre vertraglichen Pflichten verletzen, Vorteile gegenüber Arbeitgebern verschaffen könnten, die die Gehälter vertragsgemäß zahlen. Spätestens nach dem In-Kraft-Treten des SGB IV am 01.07.1977 ist nach der Rechtsprechung für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat. Nach § 22 Abs.1 SGB IV entstehen Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Höhe des Beitragsanspruchs richtet sich nicht nur danach, welche Einnahmen die Versicherten aus ihrer Beschäftigung tatsächlich erhalten, sondern darüber hinaus auch nach den Einnahmen, die sie zwar nicht erhalten, die ihnen aber vom Arbeitgeber geschuldet werden. In Abkehr vom Zuflussprinzip im Beitragsrecht ist für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche also nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat. Hierfür ist insbesondere entscheidend, dass die Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit schon am Tage der Aufnahme der Beschäftigung gegen Entgelt und nicht erst mit dessen Zahlung beginnt, ferner, dass nach § 23 Abs.1 SGB IV Beiträge unabhängig von der Zahlung oder der Fälligkeit des Arbeitsentgelts fällig werden (BSG vom 30.08.1994 BSGE 75, 61; BSG vom 21.05.1996 BSGE 78, 224). Unerheblich ist danach die Auffassung der Antragstellerin, dass ihr Vertrauensschutz zustehe bzw. die höchstrichterliche Rechtsprechung sich künftig ändern könnte.

Entgegen der Antragstellerin stellt der Beitragseinzug weder im vorliegenden Fall, noch unter Berücksichtigung der anderen drei anhängig gemachten Streitsachen, für sie eine unbillige Härte dar. Denn eine drohende Insolvenz für die Antragstellerin bzw. Gesellschaften, an denen sie beteiligt ist, ist hier nicht schlüssig dargelegt, geschweige denn nachgewiesen. Die von ihr vorgelegte betriebswirtschaftliche Übersicht ist ohne Relevanz, da aus ihr noch nicht einmal hervorgeht, welches Unternehmen der Firmengruppe diese Auswertung betrifft. Die betriebswirtschaftliche Übersicht enthält auch keine Angaben über die flüssigen Mittel oder Kreditlinien der entsprechenden Gesellschaft bzw. Gesellschaften oder Nachschusspflichten der Gesellschafter.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs.1, 2 VwGO; danach trägt die Antragstellerin die Kosten des Rechtsmittels. Bei der Höhe des Streitwertes wird von der noch streitigen Beitragsforderung, reduziert auf ein Drittel für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgegangen; er beträgt 2,200,00 EUR (§§ 197a Abs.1 SGG i.V.m. §§ 13 Abs.1, 20 Abs.3 Gerichtskostengesetz).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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