S 11 RA 549/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 RA 549/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 35/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe der an den Kläger auszuzahlenden Rente.

Der 1943 geborene Kläger, der als Schiffsmakler tätig gewesen war, erlitt im Januar 1968 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen ihm neben der Berufsgenossenschaft auch die Beklagte seither Rente leistet, und zwar zunächst als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ( Bescheid vom 29.04.1968) und seit April 1969 aufgrund der Arbeitsaufnahme als kaufmännischer Angestellter bei seinem früheren Arbeitgeber Rente wegen Berufsunfähigkeit ( Bescheid vom 12.02.1969).

Mit Schreiben vom 07.11.2000 wies die Beklagte den Kläger auf die zum 1.1.2001 veränderten Anrechnungsbestimmungen des Entgeltes hin. Die Beklagte führte aus, die Hinzuverdienstgrenzen hätten sich grundsätzlich mit Rentenbeginn ab 1996 geändert. Im Falle des Klägers bei einem Rentenbezug schon vor Januar 1996 trete die gesetzliche Regelung mit dem 1.1.2001 in Kraft; diese führe auch für den Kläger zu einer Einschränkung der Hinzuverdienstmöglichkeiten.

Mit Bescheid vom 15.01.2001 stellte die Beklagte unter Berücksichtigung der neuen gesetzlichen Regelung die Rente des Klägers ab 1.1.2001 neu fest.

Mit Datum vom 02.02.2001 hörte die Beklagte den Kläger dahingehend an, dass der Bescheid vom 12.2.1969 in der Fassung des Bescheides vom 16.08.1996 ( Leistung des Kranken - und Pflegeversicherungszuschusses) nach § 48 SGB X ab 1.1.2001 zurückgenommen werden solle und die Überzahlung von DM 1103,45 nach § 50 SGB X zurückgefordert werde.

Gegen den Rentenbescheid vom 15.01.2001 legte der Kläger am 29.01.2001 Widerspruch ein mit der Begründung, die Regelung des § 313 SGB VI in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung verstoße gegen Artikel 14 Grundgesetz.

Der Widerspruch des Klägers blieb jedoch erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2001 zurückgewiesen.

Mit seiner Klage vom 06.08.2001 verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Zwar habe die Beklagte die gesetzliche Regelung zutreffend umgesetzt; der Kläger ist der Auffassung, dass die in seinem Fall zur nicht mehr zahlbaren Rente führende gesetzliche Regelung gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoße. Seine Rente basiere auf Beiträgen, die dem Schutz des Artikel 14 Grundgesetz unterliegen und er habe sich auf seine Rente eingestellt und keine Chance gehabt, sich anderwärtig abzusichern. Zudem seien die Informationen zu gering gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 15.01.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt der Rentenakte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte der Kammer und die Rentenakte der Beklagten, die vorgelegen haben und zum Gegentand der mündlichen Verhandlung am 11.04.2002 gemacht worden sind, wegen deren Verlauf auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistung der Rente wegen Berufsunfähigkeit ohne Berücksichtigung der Hinzuverdienstgrenze.

Rechtsgrundlage sind vorliegend die Vorschriften des am 1.1.1992 in Kraft getreten Sechsten Sozialgesetzbuches –SGB VI – in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung (Rentenreformgesetz –RRG 1999 – vom 16.12.1997 ( BGBl. I, S. 2998) geändert durch Gesetz vom 24.3. 1999, BGBl. I, S. 388).

Bestand am 31.Dezember 2000 Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder für Bergleute ist § 96 a unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen des Absatzes 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Regelungen zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Rente wegen Berufsunfähigkeit und die Regelungen zur Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entsprechend gelten ( § 313 Absatz 1 SGB VI).

Nach § 96a SGB VI wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird.

Diese Regelung, die für den Kläger zum Wegfall der Rentenzahlung wegen des von ihm aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung erzielten Einkommens, welches über der Hinzuverdienstgrenze liegt, geführt hat, ist von der Beklagten, darüber besteht auch kein Streit, zutreffend und unter Beachtung der Grundsätze umgesetzt worden.

Die Kammer vermochte sich jedoch nicht der Auffassung des Klägers anschließen, wonach die Regelung gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, insbesondere gegen Artikel 14 Grundgesetz verstößt.

Artikel 14 Grundgesetz (GG) schützt das Eigentum. Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. dazu Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.2.1980, AZ 1 BvL 17/77 und andere, BVerfGE 53,257-313) unterliegen Versichertenrenten und auch Rentenanwartschaften dem Schutz des Artikel 14 GG.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies daraus abgeleitet, daß Rentenansprüche und Rentenanwartschaften vermögenswerte Güter sind, die die wesentlichen Merkmale verfassungsrechtlichen Eigentums tragen. Dieses ist in seinem rechtlichen Gehalt gekennzeichnet durch Privatnützigkeit, d.h. die Zuordnung zu einem Rechtsträger, in dessen Hand es als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen privaten Interesse "von Nutzen" sein soll, und durch die von dieser Nutzung nicht immer deutlich abgrenzbare grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand. Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.

Rentenansprüche und Rentenanwartschaften sind in diesem Sinne einem privaten Träger zugeordnet. Allerdings unterliegen sie nur eingeschränkt auch seiner Dispositionsbefugnis, was jedoch im Bereich des Eigentumsschutzes nicht außergewöhnlich sei. Grundsätzlich sei jedoch festzustellen, daß der Grundgedanke verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, nämlich die Herrschaft über das Eigentumsobjekt und der besondere personale Bezug, auch auf Renten und Rentenanwartschaften zutreffe.

Die konkrete Reichweite ergibt sich jedoch erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Zwar sind dem Gesetzgeber grundsätzlich enge Schranken gesetzt, sie sind jedoch um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht. In diesem sozialen Bezug stehen Rentenversicherungsansprüche und Rentenanwartschaften, da sich die Berechtigung des Eigentümers nicht von den Rechten und Pflichten anderer trennen läßt und vielmehr eingefügt ist in den sog. Generationenvertrag.

Die Befugnis des Gesetzgebers beinhaltet vor diesem Hintergrund damit einen weiteren Gestaltungsspielraum und umfasst insbesondere auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die Gestaltungsfreiheit verengt sich hingegen nur dann in dem Maße, in dem die Anwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistung des Versicherten geprägt ist.

Durch die seit Januar 2001 erfolgte Anrechnung des Einkommens nicht nur auf neu bewilligte Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, sondern auch auf Bestandsrenten schränkt der Gesetzgeber diesen Anspruch ein; dies hat, wie vorliegend, zur Folge, dass der Kläger neben der Rente der Berufsgenossenschaft aufgrund des eigenen Einkommens eine Rente von der Beklagten derzeit nicht erhält.

Diese Regelung bewegt sich aber zur Überzeugung der Kammer in den durch Artikel 14 Grundgesetz gesetzten Schranken.

Die Kammer schließt sich in der Begründung in vollem Umfang den Ausführungen des LSG Nordrhein- Westfalen in dem Urteil vom 21.11.2001 (L 8 RA 46/01) an.

Entscheidend ist dabei auch nach Auffassung der Kammer, dass insbesondere die Einschränkungen der gesetzlichen Regelung keinen Totalentzug darstellen, denn die Rente wird umgehend wieder weiter in voller oder in teilweise Höhe gezahlt, wenn das Einkommen ganz oder teilweise entfällt. Mithin erfolgt die Rentenzahlung lediglich in Abhängigkeit vom erzielten Einkommen bzw. Hinzuverdienst. Dadurch wird hier auf für sogenannte Bestandsrenten die Funktion des Lohnersatzes dieser Renten verdeutlicht.

In Anbetracht der Berücksichtigung des Gemeinwohls, nämlich einerseits die Lohnersatzfunktion von Erwerbsminderungsrenten zu verdeutlichen und umzusetzen, andererseits die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewährleisten und zu stärken, und in Anbetracht der dem Grunde nach weiter bestehenden Absicherung im Falle des Entgeltwegfalls sieht die Kammer keinen Verstoß gegen Artikel 14 Grundgesetz.

Im übrigen ist durch die Aufnahme auch der Bestandsrenten in die Anrechnungsregelungen eine grundsätzliche Gleichbehandlung all derjenigen Rentenbezieher erfolgt, die neben der Rente insbesondere Erwerbseinkommen erzielen, mithin deren Lebensbedarf nicht in erster Linie durch Lohnersatzleistungen zu sichern ist.

Zwar trifft es zu, dass es sich für den Kläger, der bislang neben seinem Einkommen und der Rente der Berufsgenossenschaft monatlich etwa DM 1100,- Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hatte, um einen erheblichen Eingriff handelt und es dem Kläger nicht möglich gewesen war, sich anderwärtig abzusichern. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Vertrauens des Klägers auf den Weiterbestand seiner finanziellen Situation, die sich als Bezug von Lohnersatzleistungen neben einem aus versicherungspflichtiger Beschäftigung erzieltem Entgelt darstellte, sieht die Kammer jedoch nicht, denn der Gesetzgeber hat hier, wie bereits dargestellt, die besondere Lohnersatzfunktion von Sozialleistungen, in diesem Fall der Erwerbsminderungsrenten konkretisiert.

Letztlich ist auch darauf hinzuweisen, dass die gesetzliche Regelung, die für sogenannte Bestandsrenten erst mit zeitlicher Verzögerung ab Januar 2001 umgesetzt wurde, einen zeitlichen Vorlauf, und zwar schon ab 1996 hatte.

Aus alldem ergibt sich, dass die von der Beklagten zutreffend umgesetzte Regelung der §§ 313, 96a SGB VI nach Auffassung der Kammer keinen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze beinhaltet und für den Kläger unter Beachtung des Gemeinwohls keine übermäßige Belastung darstellt.

Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt der Hauptsache.

Die Sprungrevision war nach § 161 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG - zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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