Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 662/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Unter Abänderung des Bescheides vom 3. August und des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000 wird festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) bis zum 31. März 2001 in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei gewesen ist.
2. Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen zu 3) die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin während ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) in dem Zeitraum von April 2000 bis März 2001 als Werkstudentin versicherungsfrei war.
Sie hatte sich zum Sommersemester 1999 an der Universität H. beworben, war aber abgelehnt worden. Daraufhin nahm sie im Mai 1999 auf 30-Stunden-Basis eine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 3) als Call-Center-Agent auf. Zum Wintersemester bekam sie einen Studienplatz und reduzierte ihre Arbeitszeit auf 20 Stunden. In der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung wurde sie als Werkstudentin geführt. Dies änderte sich zum Sommersemester 2000. Nachdem die Beigeladene zu 3) ab 1. April 2000 mit der Abführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen begonnen und die Klägerin sich unter dem 18. Juli 2000 an die Beklagte gewandt hatte, stellte diese mit Bescheid vom 3. August 2000 ab 1. April 2000 Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung fest. Sie berief sich auf ein Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit vom 6. Oktober 1999 sowie ein gemeinsames Besprechungsergebnis vom 30./31. Mai 2000, wonach im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Dezember 1998 Arbeitnehmer, die mit einem Studium anfingen, auch wenn sie ihr Arbeitsverhältnis den Erfordernissen des Studiums anpassten, d. h. die wöchentliche Arbeitszeit auf nicht mehr als 20 Stunden herabsetzten, nur dann versicherungsfrei seien, wenn die Beschäftigung die Voraussetzungen der Geringfügigkeit erfülle. Da die Klägerin schon vor Aufnahme ihres Studiums bei demselben Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, sei sie ebenso nach Beginn des Studiums voll versicherungspflichtig geblieben.
Diese legte mit Schreiben vom 25. August 2000 Widerspruch ein. Sie brachte vor, ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht gesamtsozialversicherungspflichtig, weil sie sie lediglich ausübe, um die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts nötigen Mittel zu verdienen. Die Tätigkeit sei nach Zweck und Dauer den Bedürfnissen der Studiums angepasst und diesem untergeordnet; der zeitliche Aufwand für die Wahrnehmung der studienbedingten Verpflichtungen betrage wöchentlich ca. 30 bis 35 Stunden. Das Studium sei überdies in keiner Weise berufsbezogen. Sie habe anfangs Vor- und Frühgeschichte und ab dem Sommersemester 2000 Soziologie studiert. Das BSG habe sich in dem o.a. Urteil zu der Versicherungspflicht einer Studentin geäußert, die vor Aufnahme des Studiums bei ihrem Arbeitgeber eine Berufsausbildung abgeschlossen habe und sodann in dem erlernten Beruf tätig geworden sei. Eine vergleichbare Situation sei bei ihr nicht zu verzeichnen. Sie sei ihrem Erscheinungsbild nach Studentin.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2000 - zugestellt am 17. Oktober 2000 - mit der ergänzenden Begründung zurück, es spiele keine Rolle, ob die Beschäftigung lediglich der Bestreitung des Lebensunterhalts diene und ob ein Bezug des Studiums zu der Beschäftigung vorhanden sei.
Die Klägerin hat mit einem am 17. November 2000 bei dem Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und meinte zusätzlich, dass die Bedingungen für eine Rücknahme der ursprünglichen Entscheidung der Beklagten, mit der diese sie als versicherungsfrei angesehen habe, nicht gegeben seien.
Die Beklagte entgegnete, ob Versicherungsfreiheit als Werkstudent vorläge, ergäbe sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Beurteilung nehme generell der Arbeitgeber vor. Eine konkrete Prüfung des Einzelfalls mit Erlass eines Verwaltungsaktes durch sie erfolge grundsätzlich nur, wenn sie darum ersucht werde. Sie sei erstmals auf Grund des Schreibens der Klägerin vom 18. Juli 2000 mit der Sache befasst worden. Ein früherer Bescheid, der hätte beseitigt werden müssen, existiere nicht.
Die Klägerin hat mit Ablauf des Wintersemesters 2000/2001 das Studium abgebrochen.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3. August in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2000 abzuändern und festzustellen, dass eine Sozialversicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung auf Grund der neben dem Studium ausgeübten Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) bis zum 31. März 2001 nicht bestehe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat durch die angefochtenen Bescheide zu Unrecht festgestellt, dass die Klägerin während ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) in dem Zeitraum von April 2000 bis März 2001 der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlegen habe. Denn die Klägerin war in dieser Beschäftigung als Werkstudentin versicherungsfrei.
Nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), der über § 20 Abs. 1 S. 1 SGB -Soziale Pflegeversicherung - ebenfalls in der Pflegeversicherung gilt, und des § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB - Arbeitsförderung - sind Personen versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule eine Beschäftigung ausüben. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin erfüllt. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie schon vor Aufnahme des Studiums bei der Beigeladenen zu 3) tätig war.
Zusammengefasst lässt sich der Stand der Rechtsprechung bis zur Entscheidung des BSG vom 10. Dezember 1998 - B 12 KR 22/97 R - (vgl. SozR 3-2500 § 6 Nr. 16) folgendermaßen beschreiben. Unter Werkstudenten wurden Studenten verstanden, die neben ihrem Studium einer entgeltlichen Beschäftigung nachgingen, um sich durch ihre Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Ob die neben dem Studium ausgeübte Beschäftigung diesem nach Zweck und Dauer untergeordnet war, ergab sich aus dem "Erscheinungsbild" des Beschäftigten, d. h. danach, ob das Studium die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache war. Der 12. Senat des BSG hat bereits in seinem Urteil vom 23. Februar 1988 - 12 RK 36/87 - (vgl. SozR 2200 § 172 Nr. 20 – Bl. 44 f. -) deutlich ausgesprochen, dass zur Feststellung des Erscheinungsbildes alle insoweit erheblichen Umstände des Einzelfalls zu beachten seien. Diese Grundsätze konkretisierend hat er die Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden während des Semesters als wesentliches Beweisanzeichen für Versicherungspflicht gewertet. An dieser Rechtsprechung ist durch seine Entscheidung vom 10. Dezember 1998 nichts geändert worden. Der Senat hat sich nur veranlasst gesehen klarzustellen, dass die 20-Stunden-Grenze keine starre Grenze für das Vor- oder Nichtvorliegen von Versicherungspflicht sei, und demgemäß betont, dass Versicherungspflicht auch eintreten könne, wenn die wöchentliche Beschäftigungszeit nicht über 20 Stunden hinausgehe (vgl. a.a.O. Bl. 57). Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG schon früher angenommen worden, dass es keine festen zeitlichen Grenzen gäbe und immer eine Prüfung im Einzelfall notwendig sei (vgl. z. B. Urt. vom 11. Februar 1993 – 7 RAr 52/92 - in BSGE 72, S. 105 ff., 109; vom 22. Februar 1980 - 12 RK 34/79 - in BSGE 50, S. 25 ff., 27; vom 30. November 1978 - 12 RK 45/77 – in SozR 2200 § 1228 Nr. 9 – Bl. 9 -). Diese Linie ist aber nicht durchgängig durchgehalten worden. So existieren ebenso Entscheidungen, nach denen dann, wenn die wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden betrug, automatisch auf Versicherungsfreiheit erkannt wurde (vgl. z. B. Urt. vom 30. Januar 1980 - 12 RK 45/78 - in SozR 2200 § 172 Nr. 12 - Bl. 23 - und 21. Juli 1977 - 7 RAr 132/75 - in BSGE 44, S. 164 ff., 166; auch Kemper, Versicherungsfreiheit in Beschäftigungen, die während des Studiums ausgeübt werden, ErsK 1992, S. 195 und 241). Der 12. Senat hat in seinem Urteil deshalb noch einmal herausgestrichen, dass das Überschreiten der 20-Stunden-Grenze keineswegs Bedingung für eine Versicherungspflicht sei. Diese Grenze stellt nach wie vor nicht mehr als ein - wenn auch wesentliches - Beweisanzeichen für das Vorliegen von Versicherungspflicht dar, sodass bei einem Überschreiten dennoch Raum für die Annahme von Versicherungsfreiheit bleibt und bei einem Nichtüberschreiten trotzdem Versicherungspflicht vorliegen kann. Entscheidend ist jeweils eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Für das Ergebnis des 12. Senats in dem von ihm entschiedenen Fall waren die Besonderheiten des zu Grunde liegenden Sachverhalts ausschlaggebend, die darin bestanden, dass im Anschluss an eine Berufsausbildung ein beruflich weiterführendes "berufsintegriertes" Studium begonnen wurde. Nach Meinung des Senats bleibt dann das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers unverändert erhalten. Die erkennende Kammer findet in dieser Entscheidung keine Bestätigung für den von der Beklagten eingenommenen Standpunkt, wonach grundsätzlich von Versicherungspflicht auszugehen sei, wenn ein Arbeitnehmer ein Studium aufnehme, selbst wenn die wöchentliche Arbeitszeit auf nicht mehr als 20 Stunden reduziert werde (ebenso Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, K § 6, Rz. 72; Felix, Studenten und gesetzliche Krankenversicherung, NZS 2000, S. 477 ff., 483). Die Reihenfolge von Beschäftigungs- und Studienaufnahme ist kein entscheidendes Kriterium (vgl. Zipperer GKV-Komm., § 6 SGB V, Rdnr. 33; Jahn, SGB V, § 6, Anm. 35 - Klose; Mengert in Peters, Handb. KV II SGB V, § 6, Rz. 59). Dass der 12. Senat keinen Grundsatz in der von der Beklagten unterstellten Tragweite aufgestellt hat, entnimmt die Kammer zum einen dem seiner Entscheidung beigefügten offiziellen Leitsatz, in dem die Besonderheiten des Einzelfalls angeführt werden und gerade nicht gesagt wird, dass ein Arbeitnehmer bei späterer Studienaufnahme generell von dem Werkstudentenprivileg ausgeschlossen wird. Zum anderen hätte der Senat mit seinem Urteil vom 23. September 1999 – B 12 KR 1/99 R – (vgl. SozR 3-2500 § 6 Nr. 17), worauf Klose a.a.O. zutreffend hinweist, nicht auf Versicherungsfreiheit erkennen können - nach dem dort wiedergegebenen Sachverhalt hatte die Klägerin zunächst in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und bei Studienaufnahme ihre Arbeitszeit unter die 20-Stunden-Grenze herabgesetzt. Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass die Interpretation der Beklagten erhebliche verfassungsrechtliche Probleme aufwirft (vgl. dazu Felix a.a.O.).
Da die Klägerin seit Studienbeginn nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeitete, war sie als Werkstudentin versicherungsfrei; Besonderheiten, die trotz des für sie sprechenden Beweisanzeichens der Arbeitszeit Veranlassung bieten könnten, auf Versicherungspflicht zu entscheiden, sind nicht erkennbar. Die Kammer hat dabei keinen Grund gehabt, die weitere Geltung der 20-Stunden-Grenze in Frage zu stellen. Diese ist zwar ursprünglich auf der Grundlage einer üblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden gebildet worden. In der nachfolgenden Zeit ist sie in Praxis und Rechtsprechung als feste Richtgröße aber unverändert beibehalten worden, obwohl die Arbeitszeiten - sowohl branchenbezogen als auch im bundesweiten Schnitt - mehrfach Änderungen erfahren haben. Die in der Literatur vereinzelt erhobene Forderung, im Hinblick auf die zwischenzeitlich zu verzeichnende Verkürzung der Wochenarbeitszeit die 20-Stunden-Grenze auf 19 bzw. 18 Stunden abzusenken (vgl. Wagner in GK-SGB III, § 27, Rz. 42; Breuer in GK-SGB V, § 5, Rz. 324), hält die Kammer schon aus Verwaltungspraktikabilitätsgründen für unzweckmäßig. Arbeitszeiten sind, wie gerade wieder die aktuelle Diskussion zeigt, ständig Veränderungen unterworfen. Es würde zu großer Rechtsunsicherheit führen, wenn die Einzugsstellen für die Entscheidung über die Werkstudenteneigenschaft jeweils konkret zu prüfen hätten, wie es sich mit der Wochenarbeitszeit in dem betreffenden Branchenbereich oder gar bundesweit verhält. Eine zeitnahe Entscheidung wäre kaum möglich. Außerdem würde insbesonders den Studenten eine verlässliche Planungs- und Gestaltungsgrundlage genommen. Es ist daher hinzunehmen, falls die 20-Stunden-Grenze nicht genau die Hälfte der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit treffen sollte. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass über die Werkstudenteneigenschaft letztlich ohnehin nach den Gesamtumständen zu befinden ist, wobei die 20-Stunden-Grenze nur ein Beweisanzeichen abgibt.
Bei der gegebenen Rechtslage kam es nicht mehr darauf an, ob es der Beklagten aus Vertrauensschutzgründen verwehrt gewesen wäre, ab dem Sommersemester 2000 eine andere Beurteilung zur Versicherungspflicht der Klägerin vorzunehmen.
Nach allem musste die Klage erfolgreich sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
2. Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen zu 3) die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin während ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) in dem Zeitraum von April 2000 bis März 2001 als Werkstudentin versicherungsfrei war.
Sie hatte sich zum Sommersemester 1999 an der Universität H. beworben, war aber abgelehnt worden. Daraufhin nahm sie im Mai 1999 auf 30-Stunden-Basis eine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 3) als Call-Center-Agent auf. Zum Wintersemester bekam sie einen Studienplatz und reduzierte ihre Arbeitszeit auf 20 Stunden. In der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung wurde sie als Werkstudentin geführt. Dies änderte sich zum Sommersemester 2000. Nachdem die Beigeladene zu 3) ab 1. April 2000 mit der Abführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen begonnen und die Klägerin sich unter dem 18. Juli 2000 an die Beklagte gewandt hatte, stellte diese mit Bescheid vom 3. August 2000 ab 1. April 2000 Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung fest. Sie berief sich auf ein Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit vom 6. Oktober 1999 sowie ein gemeinsames Besprechungsergebnis vom 30./31. Mai 2000, wonach im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Dezember 1998 Arbeitnehmer, die mit einem Studium anfingen, auch wenn sie ihr Arbeitsverhältnis den Erfordernissen des Studiums anpassten, d. h. die wöchentliche Arbeitszeit auf nicht mehr als 20 Stunden herabsetzten, nur dann versicherungsfrei seien, wenn die Beschäftigung die Voraussetzungen der Geringfügigkeit erfülle. Da die Klägerin schon vor Aufnahme ihres Studiums bei demselben Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, sei sie ebenso nach Beginn des Studiums voll versicherungspflichtig geblieben.
Diese legte mit Schreiben vom 25. August 2000 Widerspruch ein. Sie brachte vor, ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht gesamtsozialversicherungspflichtig, weil sie sie lediglich ausübe, um die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts nötigen Mittel zu verdienen. Die Tätigkeit sei nach Zweck und Dauer den Bedürfnissen der Studiums angepasst und diesem untergeordnet; der zeitliche Aufwand für die Wahrnehmung der studienbedingten Verpflichtungen betrage wöchentlich ca. 30 bis 35 Stunden. Das Studium sei überdies in keiner Weise berufsbezogen. Sie habe anfangs Vor- und Frühgeschichte und ab dem Sommersemester 2000 Soziologie studiert. Das BSG habe sich in dem o.a. Urteil zu der Versicherungspflicht einer Studentin geäußert, die vor Aufnahme des Studiums bei ihrem Arbeitgeber eine Berufsausbildung abgeschlossen habe und sodann in dem erlernten Beruf tätig geworden sei. Eine vergleichbare Situation sei bei ihr nicht zu verzeichnen. Sie sei ihrem Erscheinungsbild nach Studentin.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2000 - zugestellt am 17. Oktober 2000 - mit der ergänzenden Begründung zurück, es spiele keine Rolle, ob die Beschäftigung lediglich der Bestreitung des Lebensunterhalts diene und ob ein Bezug des Studiums zu der Beschäftigung vorhanden sei.
Die Klägerin hat mit einem am 17. November 2000 bei dem Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und meinte zusätzlich, dass die Bedingungen für eine Rücknahme der ursprünglichen Entscheidung der Beklagten, mit der diese sie als versicherungsfrei angesehen habe, nicht gegeben seien.
Die Beklagte entgegnete, ob Versicherungsfreiheit als Werkstudent vorläge, ergäbe sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Beurteilung nehme generell der Arbeitgeber vor. Eine konkrete Prüfung des Einzelfalls mit Erlass eines Verwaltungsaktes durch sie erfolge grundsätzlich nur, wenn sie darum ersucht werde. Sie sei erstmals auf Grund des Schreibens der Klägerin vom 18. Juli 2000 mit der Sache befasst worden. Ein früherer Bescheid, der hätte beseitigt werden müssen, existiere nicht.
Die Klägerin hat mit Ablauf des Wintersemesters 2000/2001 das Studium abgebrochen.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3. August in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2000 abzuändern und festzustellen, dass eine Sozialversicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung auf Grund der neben dem Studium ausgeübten Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) bis zum 31. März 2001 nicht bestehe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Sie ist auch begründet. Die Beklagte hat durch die angefochtenen Bescheide zu Unrecht festgestellt, dass die Klägerin während ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) in dem Zeitraum von April 2000 bis März 2001 der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlegen habe. Denn die Klägerin war in dieser Beschäftigung als Werkstudentin versicherungsfrei.
Nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), der über § 20 Abs. 1 S. 1 SGB -Soziale Pflegeversicherung - ebenfalls in der Pflegeversicherung gilt, und des § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB - Arbeitsförderung - sind Personen versicherungsfrei, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule eine Beschäftigung ausüben. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin erfüllt. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie schon vor Aufnahme des Studiums bei der Beigeladenen zu 3) tätig war.
Zusammengefasst lässt sich der Stand der Rechtsprechung bis zur Entscheidung des BSG vom 10. Dezember 1998 - B 12 KR 22/97 R - (vgl. SozR 3-2500 § 6 Nr. 16) folgendermaßen beschreiben. Unter Werkstudenten wurden Studenten verstanden, die neben ihrem Studium einer entgeltlichen Beschäftigung nachgingen, um sich durch ihre Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Ob die neben dem Studium ausgeübte Beschäftigung diesem nach Zweck und Dauer untergeordnet war, ergab sich aus dem "Erscheinungsbild" des Beschäftigten, d. h. danach, ob das Studium die Haupt- und die Beschäftigung die Nebensache war. Der 12. Senat des BSG hat bereits in seinem Urteil vom 23. Februar 1988 - 12 RK 36/87 - (vgl. SozR 2200 § 172 Nr. 20 – Bl. 44 f. -) deutlich ausgesprochen, dass zur Feststellung des Erscheinungsbildes alle insoweit erheblichen Umstände des Einzelfalls zu beachten seien. Diese Grundsätze konkretisierend hat er die Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden während des Semesters als wesentliches Beweisanzeichen für Versicherungspflicht gewertet. An dieser Rechtsprechung ist durch seine Entscheidung vom 10. Dezember 1998 nichts geändert worden. Der Senat hat sich nur veranlasst gesehen klarzustellen, dass die 20-Stunden-Grenze keine starre Grenze für das Vor- oder Nichtvorliegen von Versicherungspflicht sei, und demgemäß betont, dass Versicherungspflicht auch eintreten könne, wenn die wöchentliche Beschäftigungszeit nicht über 20 Stunden hinausgehe (vgl. a.a.O. Bl. 57). Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG schon früher angenommen worden, dass es keine festen zeitlichen Grenzen gäbe und immer eine Prüfung im Einzelfall notwendig sei (vgl. z. B. Urt. vom 11. Februar 1993 – 7 RAr 52/92 - in BSGE 72, S. 105 ff., 109; vom 22. Februar 1980 - 12 RK 34/79 - in BSGE 50, S. 25 ff., 27; vom 30. November 1978 - 12 RK 45/77 – in SozR 2200 § 1228 Nr. 9 – Bl. 9 -). Diese Linie ist aber nicht durchgängig durchgehalten worden. So existieren ebenso Entscheidungen, nach denen dann, wenn die wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden betrug, automatisch auf Versicherungsfreiheit erkannt wurde (vgl. z. B. Urt. vom 30. Januar 1980 - 12 RK 45/78 - in SozR 2200 § 172 Nr. 12 - Bl. 23 - und 21. Juli 1977 - 7 RAr 132/75 - in BSGE 44, S. 164 ff., 166; auch Kemper, Versicherungsfreiheit in Beschäftigungen, die während des Studiums ausgeübt werden, ErsK 1992, S. 195 und 241). Der 12. Senat hat in seinem Urteil deshalb noch einmal herausgestrichen, dass das Überschreiten der 20-Stunden-Grenze keineswegs Bedingung für eine Versicherungspflicht sei. Diese Grenze stellt nach wie vor nicht mehr als ein - wenn auch wesentliches - Beweisanzeichen für das Vorliegen von Versicherungspflicht dar, sodass bei einem Überschreiten dennoch Raum für die Annahme von Versicherungsfreiheit bleibt und bei einem Nichtüberschreiten trotzdem Versicherungspflicht vorliegen kann. Entscheidend ist jeweils eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Für das Ergebnis des 12. Senats in dem von ihm entschiedenen Fall waren die Besonderheiten des zu Grunde liegenden Sachverhalts ausschlaggebend, die darin bestanden, dass im Anschluss an eine Berufsausbildung ein beruflich weiterführendes "berufsintegriertes" Studium begonnen wurde. Nach Meinung des Senats bleibt dann das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers unverändert erhalten. Die erkennende Kammer findet in dieser Entscheidung keine Bestätigung für den von der Beklagten eingenommenen Standpunkt, wonach grundsätzlich von Versicherungspflicht auszugehen sei, wenn ein Arbeitnehmer ein Studium aufnehme, selbst wenn die wöchentliche Arbeitszeit auf nicht mehr als 20 Stunden reduziert werde (ebenso Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, K § 6, Rz. 72; Felix, Studenten und gesetzliche Krankenversicherung, NZS 2000, S. 477 ff., 483). Die Reihenfolge von Beschäftigungs- und Studienaufnahme ist kein entscheidendes Kriterium (vgl. Zipperer GKV-Komm., § 6 SGB V, Rdnr. 33; Jahn, SGB V, § 6, Anm. 35 - Klose; Mengert in Peters, Handb. KV II SGB V, § 6, Rz. 59). Dass der 12. Senat keinen Grundsatz in der von der Beklagten unterstellten Tragweite aufgestellt hat, entnimmt die Kammer zum einen dem seiner Entscheidung beigefügten offiziellen Leitsatz, in dem die Besonderheiten des Einzelfalls angeführt werden und gerade nicht gesagt wird, dass ein Arbeitnehmer bei späterer Studienaufnahme generell von dem Werkstudentenprivileg ausgeschlossen wird. Zum anderen hätte der Senat mit seinem Urteil vom 23. September 1999 – B 12 KR 1/99 R – (vgl. SozR 3-2500 § 6 Nr. 17), worauf Klose a.a.O. zutreffend hinweist, nicht auf Versicherungsfreiheit erkennen können - nach dem dort wiedergegebenen Sachverhalt hatte die Klägerin zunächst in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und bei Studienaufnahme ihre Arbeitszeit unter die 20-Stunden-Grenze herabgesetzt. Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass die Interpretation der Beklagten erhebliche verfassungsrechtliche Probleme aufwirft (vgl. dazu Felix a.a.O.).
Da die Klägerin seit Studienbeginn nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeitete, war sie als Werkstudentin versicherungsfrei; Besonderheiten, die trotz des für sie sprechenden Beweisanzeichens der Arbeitszeit Veranlassung bieten könnten, auf Versicherungspflicht zu entscheiden, sind nicht erkennbar. Die Kammer hat dabei keinen Grund gehabt, die weitere Geltung der 20-Stunden-Grenze in Frage zu stellen. Diese ist zwar ursprünglich auf der Grundlage einer üblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden gebildet worden. In der nachfolgenden Zeit ist sie in Praxis und Rechtsprechung als feste Richtgröße aber unverändert beibehalten worden, obwohl die Arbeitszeiten - sowohl branchenbezogen als auch im bundesweiten Schnitt - mehrfach Änderungen erfahren haben. Die in der Literatur vereinzelt erhobene Forderung, im Hinblick auf die zwischenzeitlich zu verzeichnende Verkürzung der Wochenarbeitszeit die 20-Stunden-Grenze auf 19 bzw. 18 Stunden abzusenken (vgl. Wagner in GK-SGB III, § 27, Rz. 42; Breuer in GK-SGB V, § 5, Rz. 324), hält die Kammer schon aus Verwaltungspraktikabilitätsgründen für unzweckmäßig. Arbeitszeiten sind, wie gerade wieder die aktuelle Diskussion zeigt, ständig Veränderungen unterworfen. Es würde zu großer Rechtsunsicherheit führen, wenn die Einzugsstellen für die Entscheidung über die Werkstudenteneigenschaft jeweils konkret zu prüfen hätten, wie es sich mit der Wochenarbeitszeit in dem betreffenden Branchenbereich oder gar bundesweit verhält. Eine zeitnahe Entscheidung wäre kaum möglich. Außerdem würde insbesonders den Studenten eine verlässliche Planungs- und Gestaltungsgrundlage genommen. Es ist daher hinzunehmen, falls die 20-Stunden-Grenze nicht genau die Hälfte der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit treffen sollte. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass über die Werkstudenteneigenschaft letztlich ohnehin nach den Gesamtumständen zu befinden ist, wobei die 20-Stunden-Grenze nur ein Beweisanzeichen abgibt.
Bei der gegebenen Rechtslage kam es nicht mehr darauf an, ob es der Beklagten aus Vertrauensschutzgründen verwehrt gewesen wäre, ab dem Sommersemester 2000 eine andere Beurteilung zur Versicherungspflicht der Klägerin vorzunehmen.
Nach allem musste die Klage erfolgreich sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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