L 20 RJ 21/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 822/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 21/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.09.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1949 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und ab 1963 mit Unterbrechungen bis 1995 als Plastikarbeiterin, Spulerin, Schuhfabrikarbeiterin (Spritzerin) und zuletzt als Raumpflegerin versicherungspflichtig gearbeitet.

Wegen der Folgen einer Oberschenkelfraktur links (Verkehrsunfall am 26.06.1976) bezog die Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit vom 01.10.1977 bis 31.08.1978. Den zweiten Rentenantrag vom 02.09.1991 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31.01.1992 und Widerspruchsbescheid vom 25.06.1992 ab. Die dagegen erhobene Klage nahm die Klägerin im Hinblick auf das vom Sozialgericht Bayreuth (SG) eingeholte Sachverständigengutachten des Orthopäden Prof.Dr.B. zurück. Den dritten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.10.1995 und Widerspruchsbescheid vom 06.02.1996 ab. Im Anschluss an die vom SG eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr.K. und Prof.Dr.S. wies das SG mit Urteil vom 12.06.1996 die dagegen erhobene Klage ab. Im darauf folgenden Berufungsverfahren gelangten die Orthopäden Dr.S. und Prof.Dr.B. zu der Beurteilung, die Klägerin könne ihren bisherigen Beruf weiter ausüben bzw sie sei für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig einsatzfähig; im Termin vom 15.10.1997 nahm die Klägerin ihre Berufung zurück (L 19 AR 323/96).

Bereits am 09.12.1997 beantragte die Klägerin in erster Linie wegen Gesundheitsstörungen am gesamten Bewegungsapparat wiederum Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Orthopäden Prof.Dr.S. untersuchen, der im Gutachten vom 04.06.1998 leichte gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen vollschichtig für zumutbar hielt. Dieser Leistungsbeurteilung hat sich die Sozialmedizinerin Dr.G. im Gutachten vom 23.02./03.07.1998 angeschlossen. Im Hinblick auf diese beiden Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.07.1998 und Widerspruchsbescheid vom 10.09.1998 den Rentenantrag ab.

Dagegen richtete sich die am 14.09.1998 zum SG Bayreuth erhobene Klage. Das SG hat zunächst die Leistungsakte des Arbeitsamtes Hof und Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr.G. und des Orthopäden Dr. H. zum Verfahren beigenommen. Im Termin vom 10.11.1999 hat das SG als ärztlichen Sachverständigen Dr.B. gehört, der im Gutachten vom gleichen Tage leichte Tätigkeiten überwiegend in geschlossenen Räumen im Wechselrhythmus für möglich gehalten hat. Der auf Antrag der Klägerin gehörte Orthopäde Prof.Dr.L. ist im Gutachten vom 14.01.2000 zu den selben Befunden gelangt wie Dr.B. , hat aber auf Grund der vorliegenden Gesundheitsstörungen eine unterhalbschichtige Einsatzfähigkeit der Klägerin angenommen. Das SG hat als weiteren ärztlichen Sachverständigen Dr.R. gehört, der im neuropsychiatrischen Gutachten vom 12.07.2000 leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen vollschichtig für möglich gehalten hat.

Mit Urteil vom 20.09.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei dieser Entscheidung ist es den Leistungsbeurteilungen von Dr.B. und Dr.R. gefolgt. Danach sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar eingeschränkt, ein untervollschichtiges Leistungsvermögen sei aber noch nicht gegeben. Der Beurteilung von Prof.Dr.L. habe sich das SG nicht anschließen können. Denn dessen Ausführungen seien nicht geeignet, eine lediglich unterhalbschichtige Einsatzfähigkeit der Klägerin nachzuweisen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 16.01.2001 Berufung eingelegt und auf die Beurteilung im Gutachten des Prof.Dr.L. hingewiesen, in dem ein unterhalbschichtiges Leistungsvermögen attestiert werde. Diesem Gutachten sei zu folgen. Sie leide nämlich an einem therapieresistenten generalisierten Schmerzsyndrom, welches nach der Formulierung des behandelnden Arztes Dr.G. wohl weder bisherigen Therapieverfahren zugänglich gewesen sei noch in Zukunft sein werde.

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr.G. und des Orthopäden Dr.H. beigezogen. Der Orthopäde Prof.Dr.B. hat das Gutachten vom 26.08.2001 erstattet, in dem er zu der Beurteilung gelangt, die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus acht Stunden zu verrichten, auch in ihrem bisherigen Beruf. Zu dieser Beurteilung, nämlich der Klägerin seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollchichtig zuzumuten, kommt auch der auf Antrag der Klägerin gehörte Orthopäde Prof.Dr.V. im Gutachten vom 10.01.2003.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.09.2000 sowie ihres Bescheides vom 14.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.1998 zu verurteilen, an sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.01.1998 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht weiterhin davon aus, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter qualitativen Funktionseinschränkungen vollschichtig zu verrichten.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Streitakten erster und zweiter Instanz sowie die Unterlagen der Beklagten verwiesen, außerdem auf die früheren Klageakten des SG Bayreuth S 4 Ar 388/92 und S 11 Ar 113/96 und die frühere Berufungsakte des BayLSG L 19 AR 323/96.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich aber als nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 20.09.2000 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen wegen EU hat.

Der Anspruch auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bei Antragstellung vor dem 31.03.2001 (hier 09.12.1997) ist nach den Vorschriften des SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF) zu beurteilen, soweit ein Anspruch aus der Zeit vor dem 01.01.2001 geltend gemacht wird (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Für den Anspruch sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (nF) maßgeblich, soweit (hilfsweise) Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit nach dem 31.12.2000 begehrt wird.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin sind die §§ 43, 44 SGB VI (aF). Neben der allgemeinen Wartezeit sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 43 Abs 1 Nr 2, Abs 3 § 44 Abs 1 Nr 2, Abs 4 SGB VI aF, wie bereits die Beklagte festgestellt hat, erfüllt.

Die Klägerin ist jedoch weder erwerbs- noch berufsunfähig. Nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB VI aF sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da die festgestellten Gesundheitsstörungen nicht so ausgeprägt sind, dass ihr nicht noch vollschichtig zumindest leichte Tätigkeiten möglich wären, zumal weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und deshalb die Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der EU außer Betracht zu bleiben hat (vgl BSG - großer Senat - SozR 3-2600 § 44 Nr 8).

Die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 14.07.1998 und 10.09.1998 sind durch die vom SG und insbesondere vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten der Orthopäden Prof.Dr.B. und Prof.Dr.V. nachhaltig bestätigt worden. Danach schränken die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen ihre Einsatzfähigkeit weder für sich allein noch in der Gesamtschau in einem rentenrechtlich erheblichen Umfange ein.

Nach dem Beweisergebnis vor dem erkennenden Senat ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Wesentlichen durch eine fortgeschrittene Varus Gonarthrose links, initiale Coxarthrosen beidseits und initiale degenerative Veränderungen mit Facettensyndrom der unteren Lendenwirbelsäule eingeschränkt. Zusätzlich besteht nach Verletzung eine initiale Arthrose im Bereich des Daumenend- und Daumengrundgelenkes mit Instabilität, ferner eine Fußheber-, Fußsenker-, Großzehenheber- und Großzehensenker-Schwäche bei Hohl-Spreizfuß. Außerhalb des Bereichs des Bewegungsapparates besteht eine mäßige depressive Entwicklung bei einfach strukturierter akzentuierter Persönlichkeit.

Nach der Beurteilung von Prof.Dr.B. wie auch von Prof.Dr.V. ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch diese Gesundheitsstörungen dahingehend eingeschränkt, dass sie nicht mehr in der Lage ist, körperlich schwere Arbeiten auszuführen. Sie ist jedoch nach den erhobenen Befunden nach wie vor imstande, leichte bis mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Die der Klägerin noch zumutbaren Tätigkeiten können wechselrhythmisch im Stehen, Sitzen und Umhergehen erfolgen. Nicht mehr zumutbar sind Tätigkeiten mit Bücken, Hocken, in die Knie gehen, Heben und Tragen von schweren Gegenständen sowie Besteigen von Leitern und Gerüsten. Nach den Ausführungen des vom SG gehörten ärztlichen Sachverständigen Dr.R. im neuropsychiatrischen Gutachten vom 12.07.2000 sollte es sich dabei um Tätigkeiten ohne besondere Ansprüche an die nervliche Belastbarkeit, ohne Zeitdruck, Schichttätigkeit, Zwangshaltung, häufiges Bücken und Tragen von Lasten handeln. Auch im Hinblick auf die von den ärztlichen Sachverständigen festgestellten Funktionseinschränkungen kann aber vorliegend noch nicht von einem Eintritt des Leistungsfalles der EU gesprochen werden.

Nach den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen der vom Senat gehörten Sachverständigen Prof.Dr.B. und Prof.Dr.V. lässt sich eine zeitliche Beschränkung des Einsatzvermögens der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht begründen. Damit ist die Klägerin in der Lage, bei Beachtung der von den ärztlichen Sachverständigen aufgezeigten Einsatzbeschränkungen jedenfalls leichte Tätigkeiten regelmäßig und mit einer betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich sieben bis acht Stunden auszuüben.

Da die Klägerin unter Einbeziehung aller bei ihr festgestellten Gesundheitsstörungen nicht an der Ausübung einer regelmäßigen Ganztagsbeschäftigung gehindert ist, braucht vorliegend eine zustandsangemessene Tätigkeit weder nachgewiesen noch benannt zu werden. Denn solange eine Versicherte in der Lage ist, unter betriebsüblichen Bedingungen noch vollschichtig und regelmäßig Erwerbsarbeit zu leisten, besteht keine Pflicht der Verwaltung und Gerichte, konkrete Arbeitsplätze und Verweisungstätigkeiten mit im Einzelnen nachprüfbaren Belastungselementen zu benennen. Vielmehr ist in solchen Fällen von einer ausreichenden Zahl vorhandener Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen (BSG SozR 2000 § 1246 Nr 90). Die Klägerin ist damit nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs 2 SGB VI aF.

Die Klägerin ist auch nicht berufsunfähig gem § 43 Abs 2 SGB VI aF. Sie muss sich nämlich auf entsprechende Tätigkeiten des allgmeinen Arbeitsmarktes zumutbar verweisen lassen. Sie ist nach ihrem beruflichen Werdegang als ungelernte, günstigstenfalls als angelernte Arbeitnehmerin - unterer Bereich - zu beurteilen und damit nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschema uneingeschränkt auf einfache Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Die Einhaltung betriebsunüblicher Pausen ist nicht erforderlich. Bei Verweisbarkeit auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ist es auch unerheblich, wenn - wie der ärztliche Sachverständige Prof.Dr.V. in seinem Gutachten annimmt - die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Raumpflegerin nicht mehr verrichten kann.

Auf Grund ihres vollschichtigen Einsatzvermögens erfüllt die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen des durch Artikel 1 Nr 19 des Rentenreformgesetzes 1999 neu gefassten und durch Artikel 1 Nr 10 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl I 1827 - geänderten, am 01.01.2001 in Kraft getretenen § 43 SGB VI. Nach dessen Absatz 1 hat bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wer (neben weiteren Leistungsvoraussetzungen) wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine quantitative Einschränkung der betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich acht Stunden liegt jedoch - wie bereits ausgeführt wurde - bei der Klägerin nicht vor.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 20.09.2000 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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