L 15 SB 25/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 SB 745/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 25/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 27/03 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Der Rechtsstreit über die Berufung des Klägers (L 15 SB 28/00) ist durch die Berufungsrücknahme vom 15.08.2001 erledigt.
II. Außergerichtliche Kosten im Rahmen der Fortsetzung des Verfahrens vor dem Bayerischen Landessozialgericht sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Beendigung des Berufungsverfahrens L 15 SB 28/2000 durch Berufungsrücknahme bzw. um die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche "G" und "RF".

Der am 1948 geborene Kläger, der sich seit dem 06.10.1996 in Strafhaft befindet, beantragte am 12.12.1995 die Neufeststellung seines GdB sowie die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G" und "RF". Mit Bescheid vom 21.06.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.1996 hob der Beklagte den GdB von 50 auf 60 an, verneinte jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragten Nachteilsausgleiche. Die anschließende Klage vom 27.09.1996 wies das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 25.11.1999 ab. Hiergegen legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 03.02.2000 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht ein; deren letzter Schriftsatz datiert vom 28.07.2000, danach wurde der Rechtsstreit vom Kläger selbst betrieben. Am 17.08.2001 ging bei Gericht die dem Kläger übersandte und von diesem am 15.08.2001 unterschriebene Erklärung ein, dass er die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.11.1999 zurücknehme. Entsprechend der Abschlussverfügung vom 21.08.2001 wurde das Berufungsverfahren am 27.08.2001 ausgetragen; der Kläger wurde hiervon mit Schreiben vom 21.08.2001 benachrichtigt. Unter Bezugnahme auf diese Mitteilung erklärte der Kläger mit Schreiben vom 30.08.2001 u.a.: "Um in der Sache weiterzukommen war nötig, das erste Verfahren durch das mir von Ihnen zugegangene Berufungsschreiben zurückzuziehen damit Verfahren Nr.2 endlich weiter bearbeitet werden konnte ... Aus diesem Grunde bitte ich um Mitteilung, wann nun mit meinem in dieser Sache fast gleichen Verfahren weiter gearbeitet werden wird. Da ich beabsichtige, diesbezüglich einen Anwalt neu einzuschalten, bitte ich um beschleunigte Mitteilung."

Mit Schreiben vom 14.02.2002 trug der Kläger u.a. vor,: "Wie Ihnen bekannt ist, bin ich der deutschen Sprache nicht mächtig im Schreiben und war zu dem Zeitpunkt 15.08.2001 zu einem Mitgefangenen sehr vertrauensseelig und war auch froh, dass er mir seine Hilfe angeboten hat. Ich wusste nicht, dass er mir damals die Zurücknahme der Berufung zur Unterschrift vorgelegt hat. Sonst hätte ich nie unterschrieben und als dann Ihr Schreiben zurückkam wegen der Erledigung des Rechtsstreits, war es dann zu spät ... Ich bitte daher das Gericht, mir ... die Wiedereinsetzung in den alten Stand zu gewähren ... Es lag bei mir eine arglistige Täuschung vor, da ich nicht wusste was mir der Mitgefangene geschrieben hat und dieser meine Notlage schamlos ausgenutzt hat."

In der mündlichen Verhandlung war für den Kläger niemand erschienen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 25.11.1999 und des Bescheides/Widerspruchsbescheides vom 21.06./27.08.1996 zu verurteilen, einen höheren GdB als 60 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit über die Berufung des Klägers (L 15 SB 28/00) durch die Berufungsrücknahme vom 15.08.2001 erledigt ist.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 SGG und § 543 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Obwohl der Kläger mit Schreiben vom 15.08.2001 seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.11.1999 zurücknahm, wodurch nach § 156 Abs.2 SGG der Verlust des Rechtsmittels bewirkt wird, führen seine im Schreiben vom 14.02.2003 als Widerruf/Rücknahme/Anfechtung zu wertenden gegenteiligen Erklärungen bzw. sein Antrag auf "Wiedereinsetzung in den alten Stand " zu einem Streit über die Wirksamkeit seiner Berufungsrücknahme und damit zur Weiterführung des Verfahrens vor dem Bayer. Landessozialgericht. Nachdem die Berufungsrücknahme sich jedoch am Ende der mündlichen Verhandlung als wirksam erwies, musste der Senat feststellen, dass der Rechsstreit über die Berufung des Klägers (L 15 SB 28/00) durch die Berufungsrücknahme vom 15.08.2001 erledigt ist.

Grundsätzlich konnte der Kläger seine Berufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknehmen (§ 156 Abs.1 SGG). Die Berufungsrücknahme ist vom Kläger am 15.08.2001 unterschrieben worden, anschließend dem Bayer. Landessozialgericht zugeleitet und somit wirksam erklärt worden. Eine Entscheidung in der Sache selbst, d.h. über die Feststellung eines höheren GdB bzw. der Voraussetzungen für die beantragten Merkzeichen, ist dem Senat nach der wirksamen Beendigung des Rechtsstreites nicht mehr möglich (vgl. BSGE 14, 138; 19, 120).

Die vom Kläger erklärte Rücknahme der Berufung kann als Prozesshandlung weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) angefochten werden (BSG SozR Nr.3 zu § 119 BGB; BSG in SozR 1500 § 102 Nr.2 m.w.N.; BSG 17.05.1966, 7 RAr 7/66). Auch eine Nichtigkeit der Rücknahmeerklärung könn- te selbst dann nicht angenommen werden, wenn - wie nicht der Fall - diese Erklärung aufgrund einer "Überrumpelung" durch das Gericht oder in Folge einer unrichtigen Belehrung über die Prozessaussicht abgegeben worden wäre (BSG 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.; BSG in Breithaupt 1960, 744). Abgesehen davon, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 14.02.2003 lediglich vorträgt, von einem Mitgefangenen arglistig getäuscht worden zu sein, der seine Notlage schamlos ausgenutzt hätte, und somit eine Unkorrektheit des Gerichtes ausdrücklich nicht rügt, gelten die vorgenannten Grundsätze auch für die arglistige Täuschung.

Dies ergibt sich aus der Rechtsnatur von Prozesshandlungen, zu denen auch die Berufungsrücknahme zählt. Diese können zwar durch eine spätere Prozesshandlung widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden, grundsätzlich gilt dies jedoch nur, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Nicht frei widerruflich bzw. nicht frei abänderungsfähig sind Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund deren er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (z.B. auch Rücknahme; vgl. hierzu Thomas-Putzo, Zivilprozessordnung 24. Aufl., Einleitung III, Anm. 21 ff m.w.N.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann dann angenommen werden, wenn gleichzeitig mit der Rücknahme deren Widerruf bei Gericht eingeht, was nicht der Fall war. Die vom Kläger am 15.08.2001 unterschriebene Berufungsrücknahme ging bei Gericht am 17.08.2001 ein, sein Schreiben vom 14.02.2003 am 18.02.2003.

Abgesehen davon, dass der Kläger lediglich rügt, von einem Mitgefangenen bei der Unterschrift unter die Berufungsrücknahme arglistig getäuscht worden zu sein, der nicht als Prozessbeistand tätig war - der Kläger war nach wie vor zu diesem Zeitpunkt von seiner Prozessbevollmächtigten vertreten - und damit einräumt, dass kein am Verfahren Beteiligter diese angebliche Täuschung beging, hat das Gericht auch erhebliche Zweifel daran, dass er die Bedeutung seiner Unterschrift unter die Berufungsrücknahmeerklärung vom 15.08.2001 nicht kannte. Schließlich räumte er in seinem Schreiben vom 30.08.2001 als Reaktion auf die Zusendung der Abschlussverfügung selbst ein, es sei nötig gewesen, das Verfahren durch das ihm vom Gericht zugegangene Berufungsschreiben zurückzuziehen, damit Verfahren Nr.2 weiter bearbeitet werden könnte. Damit drückte er schließlich aus, verstanden zu haben, dass das beim Bayer. Landessozialgericht anhängige Berufungsverfahren durch seine wirksame Berufungsrücknahme erledigt war.

Nachdem der Kläger jedoch in seinem Schreiben vom 14.02.2003 sinngemäß u.a. eine "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" beantragt, diese jedoch nur bei Fristversäumnissen in Betracht kommt, war vom Senat noch zu prüfen, ob seine Berufungsrücknahme entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage widerrufen werden konnte. Da jedoch ein hierfür erforderlicher gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs.1 SGG i.V.m. § 580 ZPO) nicht vorliegt (siehe hierzu BSG vom 24.04.1980, 9 RV 16/79 m.w.N.) kann das Begehren des Klägers auf Fortführung seines Verfahrens und Entscheidung in der Sache selbst keinen Erfolg haben. Einen Restitutionsgrund (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, strafbares falsches Zeugnis/Gutachten, Urteilserschleichung, Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) hat der Kläger selbst nicht einmal vorgetragen; diesbezüglich ergeben sich auch keine Hinweise aus den Akten. Eine strafbare Verletzung der richterlichen Amtspflichten gegenüber dem Kläger könnte im Übrigen nur dann eine Restitutionsklage und damit einen Widerruf rechtfertigen, wenn der zuständige Richter wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden wäre oder wenn ein Strafverfahren aus anderen Gründen als mangels Beweises nicht eingeleitet oder durchgeführt werden könnte (§ 580 Abs.1 Nr.5 i.V.m. § 581 ZPO). Das ist nicht der Fall. Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigt, kann dahingestellt bleiben. Denn die in § 579 Abs.1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßig Besetzung des Gerichts; Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung einer Partei) liegen offensichtlich nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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