L 2 U 106/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 U 339/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 106/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20.02.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers eine Berufskrankheit ist. Nach der letzten gutachterlichen Feststellung leidet der Kläger an einem Postnukleotomiesyndrom L 5/S 1 und einer Bandscheibenvorwölbung im Segment L 4/5. In der letzten mündlichen Verhandlung hat der Kläger ein Attest eines Allgemeinarztes vorgelegt, wonach ein breiter Prolaps L 2/3 sowie ein kleinerer medial rechtsseitiger Prolaps L 4/5 vorliege. Nach den Angaben des Klägers ist dies im Juni 2002 röntgenologisch festgestellt worden.

Der 1951 geborene Kläger begann im August 1965 eine Lehre als Heizungsbauer und arbeitete als solcher bis 1994. Eine erste Arbeitsunfähigkeit wegen Lumbago ist für die Zeit vom 25.01. bis 05.02.1966 dokumentiert.

Die Beklagte ermittelte durch ihren Technischen Aufsichtsdienst im Juni 1994 die Arbeitsbelastung des Klägers in dem Unternehmen, in dem er seit 1969 beschäftigt war. Aufgrund dieses Berichts kam der Gewerbearzt vom Bayerischen Landesinstitut für Arbeitsmedizin zu der Einschätzung, die beschriebenen beruflichen Einwirkungen seien eher nicht geeignet, eine Schädigung im Sinne der BKVO nach Nr.2108 zu verursachen. Das Auftreten von Beschwerden der Wirbelsäule seit 1973 bzw. 1976 spreche eher gegen eine berufliche Verursachung und für eine überwiegend anlagebedingte Erkrankung. Der Gewerbearzt hatte sich dabei an den Angaben des Klägers und eines Orthopäden orientiert, der den Kläger erstmals im Oktober 1976 behandelt hatte. Von denselben Angaben ging der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Chirurg Dr.G. in seinem Gutachten vom 02.12.1994 aus. Er war der Meinung, dass der zur Diskussion stehende Bandscheibenschaden zwischen L 4 und L 5 sowie zwischen L 5 und S 1 nicht der beruflichen Belastung als Heizungsbauer und Installateur zugeordnet werden könne, zumindest sei diese Tätigkeit nicht die wesentliche Teilursache für das Krankheitsbild. Es seien bereits 1973 Wirbelsäulenbeschwerden aufgetreten, als die Mindestbelastungsdauer von zehn Jahren noch nicht erreicht gewesen sei. Während der Lehrzeit sei die körperliche Belastung ohnehin geringer gewesen, als sie der Norm in diesem Handwerkszweig entspreche. Dieses ungewöhnlich frühe Auftreten von LWS-Beschwerden weise auf die bevorzugte endogene Komponente hin. Die zu fordernde überdurchschnittliche schwere Belastung der Lendenwirbelsäule könne aus der Analyse des Technischen Aufsichtsdienstes nicht ersehen werden. Bei kritischer Wertung werde man weder hinsichtlich der Gewichtsbelastung noch der Beugebehinderung und auch nicht hinsichtlich besonderer Erschütterungen eine besonders schwere und überdurchschnittliche Belastung annehmen können. Der Kläger sei schon 1976 als Meister eingesetzt worden. Der degenerative Bandscheibenschaden sei an den beiden untersten Lendenwirbelsegmenten lokalisiert, während die oberhalb davon gelegenen Wirbelsäulenabschnitte nicht betroffen seien. Auch dies spreche für die Entstehung des Bandscheibenschadens aus innerer Ursache. Anderenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass auch die anderen Abschnitte der LWS, vor allem auch der thoracolumbale Übergang, von solchen Bandscheibendegenerationen betroffen wären. Dieser nur zweisegmentale Befall sei ein wesentlicher Hinweis auf die endogene Genese des Leidens.

Mit Bescheid vom 28.03.1995 lehnte die Beklagte eine Entschädigung der Lendenwirbelsäulenerkrankung ab. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Belastung sei wesentlich höher gewesen, als vom Technischen Aufsichtsdienst ermittelt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.1995 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren begehrte der Kläger die Anerkennung seiner Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit. Mit Urteil vom 17.10.1997 wies das Sozialgericht die Klage als unbegründet ab. Weder liege beim Kläger eine für die Annahme einer Berufskrankheit notwendige Belastung aus der versicherten Tätigkeit vor, noch sei medizinisch das Schädigungsbild an der Lendenwirbelsäule als durch die berufliche Belastung wenigstens wesentlich mitverursacht anzusehen, wie sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten ergebe. Mit seiner Berufung machte der Kläger geltend, in den früheren Jahren sei die berufliche Belastung höher gewesen, als sie unter den Verhältnissen im Jahre 1994 ermittelt worden sei. Mit einem prozessbeendigenden Vergleich vom 23.06.1998 verpflichtete sich die Beklagte über den Anspruch des Klägers ab Antragstellung erneut rechtsbehelfsfähig zu entscheiden und dabei die in einem benannten Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen entwickelten Maßstäbe (Mainz-Dortmunder Dosismodell) zugrunde zu legen.

Mit Bescheid vom 27.07.1999 lehnte die Beklagte weiterhin die Gewährung von Leistungen ab. Bei den Beschwerden des Klägers handele es sich um vorzeitige Aufbrauchschäden der Bandscheiben an der unteren Lendenwirbelsäule, die ursächlich nicht auf die berufliche Tätigkeit, sondern auf schicksalhafte, also außerberufliche Faktoren zurückzuführen seien. Eine Schädigung durch entsprechende Belastungen hätte sich nicht auf die unteren Segmente der Lendenwirbelsäule beschränkt, sondern auch die anderen Abschnitte betroffen. Außerdem sei die berufliche Tätigkeit nicht geeignet gewesen, eine Berufskrankheit der Nr.2108 zu verursachen, weil der Kläger zwar in gewissem Umfang schwere Lasten zu bewegen gehabt habe, allerdings nicht mit der vom Gesetzgeber geforderten Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten.

Den anschließenden Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.1999 als unbegründet zurück.

Mit seiner anschließenden Klage hat der Kläger die Anerkennung seiner bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit begehrt. Er ist der Ansicht, die Kriterien für das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen schwerer Lasten und extreme Rumpfbeugehaltung lägen vor.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Chirurgen Dr.M. vom 14.11.2000. Der Sachverständige führt aus, für eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung sei eine Abweichung von den bei der nicht belasteten Durchschnittsbevölkerung häufig auftretenden Bandscheibenleiden zu fordern. Nach übereinstimmender Auffassung in der gutachterlichen Literatur sei das unterste Segment L 5/S 1 am stärksten belastet und bei über 90 % aller Bandscheibenveränderungen in der Durchschnittsbevölkerung betroffen. Auch das darüber liegende Segment L 4/5 sei bei nicht belasteten Personen betroffen. Demgegenüber sei bei der Berufskrankheit der Wirbelsäule zu fordern, dass höhere Abschnitte und vor allem auch mehrere Segmente betroffen seien. Beim Kläger handele es sich um den üblichen Bandscheibenvorfall der Durchschnittsbevölkerung. Die für das Anerkenntnis einer Berufskrankheit entscheidenden Segmente T 1 bis L 3 seien unauffällig. Somit ergebe sich auch in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr.G. kein Hinweis auf eine bandscheibenbedingte Berufskrankheit der LWS.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2001 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Im Ergebnis hat es dahingestellt sein lassen, ob beim Kläger tatsächlich die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO vorliegen. Zur Überzeugung des Gerichts ergebe sich auf der Grundlage des Gutachtens des Dr.M. , dass beim Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nicht gegeben seien.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entsprechend dem Vergleich vom 23.06.1998 hat die Beklagte durch ihren Technischen Aufsichtsdienst die arbeitstechnische Belastung des Klägers nach dem sogenannten "Mainz-Dortmunder Dosismodell" ermitteln lassen. Hierbei ist auch der Versicherte befragt worden. Die Ermittlung kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger an durchschnittlich 50 (bis 1981) bzw. 78 Arbeitstagen einer Tagesbeurteilungsdosis von 9.000 bis 9.401 Nh ausgesetzt gewesen sei. An der überwiegenden Anzahl der Arbeitstage sei die nach dem MDD geforderte Mindesttagesbeurteilungsdosis von 5.500 Nh nicht erreicht. Sie habe zwischen 2.168 und 4.166 Nh gelegen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der Merkblätter zur BKV Nr.2108 seien nach der Beurteilung auf der Grundlage des MDD nicht gegeben.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20.02.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.07.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1999 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKV anzunehmen und zu entschädigen.

Er bemängelt, dass Röntgenaufnahmen bislang nicht ausreichend gewürdigt worden seien, insbesondere der Umstand, dass bei ihm auch ein Prolaps im Bereich L 2/3 vorliege. Auch in Bezug auf der berufsbedingten Belastung ist er der Auffassung, dass die Belastungen, denen er unterworfen war, nicht hinreichend gewürdigt wurden, z.B. das Verschweißen von Heizungsrohren in Schächten, da bei diesem Vorgang eine Zwangshaltung und Belastung der Wirbelsäule entstehe. Er erklärt hierzu, dass das Verschweißen knieend oder in der Hocke vorgenommen werde.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts Landshut in den vorangegangenen Klageverfahren und die Akte des Bayer. Landessozialgerichts in dem vorangegangenen Berufungsverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers ist keine Berufskrankheit.

Für die Entscheidung im Berufungsverfahren ist weiterhin maßgebliches Recht die bis 31.12.1996 geltende RVO, weil sowohl die vom Kläger geltend gemachte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als auch die für den Eintritt des Versicherungsfalls nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO erforderliche Unterlassung aller Tätigkeiten, die schädigend waren oder sein konnten, vor dem 01.01.1997 vorgelegen haben (§§ 212 ff. SGB VII).

Nach § 551 RVO i.V.m. Nr.2108 der Anlage zur BKVO sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule Berufskrankheiten, wenn sie durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht wurden und zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Bei der Feststellung des Versicherungsfalles einer Berufskrankheit bedürfen alle rechtlich erheblichen Tatsachen des vollen Beweises dergestalt, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als es den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zur schädigenden Einwirkung führenden Verrichtung und der schädigenden Einwirkung selbst sowie den Zusammenhang betrifft, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen der schädigenden Einwirkung und der maßgebenden Erkrankung bestehen muss (Krasney Vierteljahresschrift für Sozialrecht 1992, 81, 114).

Beim Kläger fehlt es an den sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO. Nach den von der Beklagten vorgelegten Berechnungen des technischen Aufsichtsdienstes nach dem Mainz- Dortmunder Dosismodell fehlt es beim Kläger an dem Maß langjährigen Hebens oder Tragens schwerer Lasten oder langjähriger Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, das erforderlich ist, bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zu verursachen. Das Mainz-Dortmunder Dosismodell basiert auf der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch äußere Einwirkungen verursacht werden können und dafür eine gewisse Belastungsdosis im Sinne eines Drucks auf die Bandscheibe notwendig ist. Insofern handelt es sich um die Zusammenfassung medizinischer Erfahrungstatsachen und kann als einheitlich angewandte praktikable Arbeitsgrundlage für die Bemessung der belastungsbedingten Dosis der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden (BSG Urteil vom 18.03.2003, Az.: B 2 U 13/02).

Fehlt es wie im vorliegenden Fall, an dem notwendigen Ausmaß der in der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung genannten Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit, kommt es auf die medizinische Frage, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vorliegt und ob sie durch die vom Verordnungsgeber benannten Einwirkungen verursacht worden ist, nicht mehr an. Desgleichen kommt es nicht auf den Einwand des Klägers an, die Belastung der Wirbelsäule durch das Verschweißen in knieender oder hockender Stellung sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Diese Tätigkeiten sind vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten zu Recht nicht als Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung bewertet worden und nur auf solche Belastungen kommt es bei der Prüfung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO an (vgl. BSG a.a.O.).

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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